Die nationale Frage in Kamerun

05.10.2017, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag

Seit einiger Zeit herrschen in Kamerun nationale Spannungen zwischen dem frankophonen und dem anglophonen Teil. Am 1. Oktober verkündete der anglophone Teil, das ehemalige Britisch-Südkamerun, seine Unabhängigkeit. Nicht nur in Katalonien oder Kurdistan, auch in Kamerun ist die nationale Frage von brennender Aktualität geworden.

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Dieses Datum war keineswegs zufällig ausgewählt worden, beinhaltet doch auch hier die nationale Frage eine historische Spannung, die von den korrupt-halbkolonialen Regimen niemals gelöst werden konnten.

Es geschah genau an dem Tag, an dem 1961 die Vereinigung mit der Republik Kamerun zur Bundesrepublik Kamerun erfolgte, während sich Britisch-Nordkamerun auf der Grundlage eines Referendums an Nigeria angliederte. 1972 folgte sodann die Gründung der Vereinigten Republik Kamerun.

Bei Auseinandersetzungen zwischen der Unabhängigkeitsbewegung und dem Zentralstaat in den Regionen Nordwest und Südwest — für die vom Auswärtigen Amt Reisewarnungen ausgesprochen wurden — sind nach verschiedenen Angaben bereits bis zu 15 Menschen durch die Repressionen getötet worden.

Die jüngsten Auseinandersetzungen zeigen, dass die nationale Unterdrückung der anglophonen Teile Kameruns im Kolonialismus wurzeln und ihre Fortsetzung bis heute finden, weil Kamerun eine halbkoloniale Basis des französischen Imperialismus ist. Dieser ist bis heute maßgeblich dafür verantwortlich, dass das Land von korrupten Marionetten regiert wird, die sich die Taschen vollstopfen und dabei jegliche Unterstützung aus Paris erfahren. Im Falle Kameruns trägt diese Marionette den Namen Paul Biya, der seit 1982 ununterbrochen herrscht und in der französischen Hauptstadt ausgebildet wurde.

Historische Ursachen

Die Ursache der aktuellen Spannungen ist in der Geschichte der Kolonisierung Kameruns zu suchen. Der von Bismarck nach Kamerun gesandte Reichskommissar Gustav Nachtigal — nach dem der Nachtigalplatz im Wedding benannt ist — konnte sich 1884 durch „Schutzverträge“ das Recht auf die Herrschaft über ein beträchtliches Gebiet sichern. Nachdem dieses Recht auf das Deutsche Reich übertragen wurde, machte sich Nachtigal sogleich daran, die „Schutzherrschaft“ großzügig auszuweiten. Im weiteren Verlauf des Jahres kam es zu Plünderung und Brandschatzung seitens der deutschen Marine, die den Unternehmern zur Seite stand. Danach erfolgte die weitere gewaltsame Unterwerfung der indigenen Völker und ihre Dienstbarmachung für das deutsche Kapital. Politisch rechtlos und rassistischen Gesetzen unterworfen, sollten sie die Profite deutscher Konzerne vermehren.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die bis dahin deutsche Kolonie von französischen Truppen besetzt und später zwischen dem französischen und dem britischen Imperialismus aufgeteilt, was der Völkerbund 1920 mit den entsprechenden Gebietsmandaten bestätigte. Das Land und die in ihm lebenden Völker waren nun abermals einer neuen kolonialen Herrschaft unterstellt und mussten entweder Französisch oder Englisch sprechen, obwohl es im Land nach wie vor über dreihundert Ethnien gibt, die weder „frankophon” noch „anglophon” sind.

Der anglophone Teil Kameruns ist heute praktisch von den zentralen ökonomischen Ressourcen ausgeschlossen, die sich im frankophonen Teil befinden. Des Weiteren existieren in den beiden Teilen unterschiedliche Schul- und Rechtssysteme. Die von der Zentralregierung bis in die anglophonen Regionen entsandten Beamten sind oft nicht der englischen Sprache mächtig, sondern meinen, dass die Bevölkerung Französisch zu sprechen hätte. Diese Ignoranz wird als ein innerer Kolonialismus wahrgenommen.

Der zweite Präsident Kameruns seit der Unabhängigkeit, Paul Biya, verbringt seine Amtszeit dabei lieber auf Kosten des Volkes in europäischen Hotels und pflegt nicht umsonst gute Beziehungen zum französischen Staat.

Aktuelle Situation

Seit dem 29. September wurde in den zwei anglophonen Regionen, wo rund fünf Millionen Menschen leben, der Ausnahmezustand verhängt. Auch die Grenzen sind geschlossen und die Regierung schloss auch jeden Transport aus dem Ausland aus. Die Verstärkung der Polizei- und Militärpräsenz ist ebenso erfolgt.

Diese repressiven Maßnahmen sind die Antwort auf eine Mobilisierung gegen die nationale Unterdrückung, die schon vor über einem Jahr in Bamenda (Hauptstadt des Nordwestens) begannen und ihre Fortsetzung in anderen Städten wie Buéa im Südwesten fanden. In erster Linie wurden die Forderungen von Lehrer*innen und Anwält*innen auf die Straßen getragen, die sich vor allem gegen die Diskriminierung und Korruption einsetzten. Die Proteste hielten an, wurden aber immer wieder von der Staatsmacht angegriffen.

Was jedoch zur Aufrechterhaltung der Proteste beitrug war eine Zusammenschmelzung von nationalen, sozialen und demokratischen Forderungen. Die Fahrer*innen der Mototaxis etwa forderten ein Ende der Belästigungen durch die Polizei; dem Protest gegen die miserablen Zustände in den Regionen schlossen sich aber auch Arbeiter*innen aus dem Transport und den Krankenhäusern an.

Obwohl die Proteste gegen die nationale Unterdrückung gerichtet sind und den anglophonen Teil der Bevölkerung Kameruns mobilisieren, haben alle Arbeiter*innen des Landes ein Interesse daran, dass Paul Biya und sein Regime gestürzt werden. Nichtsdestotrotz müssen auch die Arbeiter*innen aus dem frankophonen Teil des Landes die Forderungen ihrer unterdrückten Klassengeschwistern übernehmen und unterstützen.

Dazu wird es aber auch notwendig sein, eine antiimperialistische Position einzunehmen, die in den Metropolen wie Paris darum kämpft, dass der französische Staat zerschlagen wird. Infolge der dramatischen Situation ist eine solche revolutionäre Perspektive umso notwendiger, soll das Blutvergießen der anglophonen Bevölkerung Kameruns gestoppt werden

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