Der Arbeiterbund, Israel und der Faschismus

23.12.2023, Lesezeit 20 Min.
1
Foto: Simon Zinnstein / Klasse Gegen Klasse

Der „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ verteidigt Israels Krieg und Besatzung, geht dafür sogar „anti-extremistische“ Bündnisse ein. In einer Polemik besprechen wir Lehren aus dem Stalinismus, um heute gegen Rechtsruck und Krieg zu kämpfen.

„Arbeiter, ihr seid die Friedensmacht“, solche Flugblätter kennt man, vor allem wenn man in Bayern lebt, vom Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD. In einem Fall aber sollen die Arbeiter:innen, wenn es nach dem Arbeiterbund geht, auf keinen Fall die Friedensmacht sein: Gaza. So stellte sich die öffentlich bekannte Vertreterin des Arbeiterbunds Hedwig Krimmer mit dem Münchner Ex-Oberbürgermeister Christian Ude von der SPD auf die Bühne einer Veranstaltung, die mehr Abschiebungen von Palästinenser:innen forderte. Organisiert wurde das Schauspiel ausgerechnet zum 9. November, um Antifaschismus zu Antiextremismus umzudeuten sowie Antizionismus und Antisemitismus gleichzusetzen (wir berichteten).

Auf dieser denkwürdigen Kundgebung gab das „Exekutivkomitee“ des Arbeiterbunds per Flugblatt bekannt, dass es sowohl die Regierung Palästinas als auch die Israels für reaktionär hält. Die Autor:innen setzen beide Parteien des genozidalen Kriegs gegen Palästina gleich, obwohl sie wohlgemerkt den stattfindenden Völkermord anerkennen. Zur Begründung der theoretischen Position hängt das „Exekutivkomitee“ noch ein Grundsatz-Flugblatt aus dem Jahr 2009 zu Israel an. Darin heißt es zur Notwendigkeit Israels als Staat:

Weil es Israel so lange geben muss, bis dem deutschen Imperialismus mit schweren Hämmern die Zähne eingeschlagen sind, für immer. Weil es Israel so lange geben muss, bis diejenigen, die damals Auschwitz bauen ließen, und sich nichts dachten dabei, und die nach dem großen Krieg ihre Hände in Unschuld wuschen, und sich nichts dachten dabei, und die ein ganzes Land, die DDR annektierten, und sich nichts dachten dabei, und die ungerührt Milliarden machen und Millionen arbeitslos, und sich nichts denken dabei – bis Ruhe ist mit dem Geschmeiß. Erst dann, und keinen Tag früher wird von der Sicherheit für jüdische Menschen, wird von der Sicherheit Israels die Rede sein können. Und von Palästinas Sicherheit.

Betrachten wir es Satz für Satz: Israel muss es solange geben, wie es den deutschen Imperialismus gibt. So lange, bis Ruhe ist mit denen, die Auschwitz bauen ließen und die DDR annektierten. Dann wird es Sicherheit für Israel und für Palästina geben.

Aber gäbe es nicht mehr Sicherheit in einem einigen laizistischen, multiethnischen, sozialistischen Palästina für Jüd:innen und Palästinenser:innen? Wie soll Frieden zustande kommen, wenn man sich mit dem Zionismus zusammentut anstatt mit dem Antizionismus? Warum wirbt man nicht für ein Bündnis israelischer Arbeiter:innen mit den unterdrückten Palästinenser:innen, sondern verteidigt den Unterdrückerstaat? Und wie soll es eigentlich gegen den deutschen Imperialismus sein, exakt die deutsche Staatsräson zu vertreten?

Das Flugblatt endet mit den Worten:

Der Hauptfeind steht im eignen Land. Es ist noch immer der, der Auschwitz bauen ließ, und noch immer der, der Israel notwendig macht.

Das ist die Hauptaussage: Israel ist „notwendig“ wegen Deutschland. Eine solche könnte auch von der Ampel-Regierung kommen, die Israel als strategischen Partner für Deutschland sieht. Weiterhin finden wir diese Position auch bei den Jusos, vielen in der Linkspartei und bei den Antideutschen. Aber wie kommt eine marxistisch-leninistische Gruppe darauf?

Zur Geschichte des Faschismusverständnisses

Um die mit Antifaschismus begründete Unterstützung des Arbeiterbunds für Israel nachzuvollziehen, müssen wir etwas zum „Giganten der kommunistischen Weltbewegung“ verstehen, wie Stalin vom Arbeiterbund zu seinem 70. Todestag im März genannt wurde. Ihm verdanke Deutschland nämlich die Befreiung vom Faschismus. Weiter heißt es im gleichen Flugblatt:

Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus – „Revolution statt Krieg“, wie die unmittelbare Teilnahme an der Anti-Kriegs-Front! Wer dies leugnet, leugnet das Leben eines Giganten der internationalen Arbeiterbewegung, worunter Stalin seinen Platz für immer eingenommen hat. Wer dies leugnet, leugnet sein eigenes Leben, wie das der deutschen Arbeiterbewegung.

Wir sehen uns tatsächlich gezwungen, Stalins immerwährenden Platz als Gigant zu leugnen. Denn Deutschland wurde von der Roten Armee befreit. Allerdings nicht dank Stalin, sondern trotz Stalin. Denn Stalins falsche Strategie im Kampf gegen den Faschismus hat entschieden dazu beigetragen, dass eben jener Kampf  in Deutschland und Spanien verloren wurde. Wie kam es dazu?

Die Bürokratie, eine privilegierte „Kaste“ unter Bedingungen des Mangels in einem isolierten Arbeiter:innenstaat, konnten die Sowjetunion deshalb übernehmen, weil insbesondere die Sozialdemokratie in Deutschland eine sozialistische Revolution verhinderte. Die Arbeiter:innendemokratie aber brauchte aufgrund der Zerstörung im Bürgerkrieg, die einen umfassenden Mangel verursachte, materielle Mittel. Und theoretischer mit Karl Marx gefasst, da die sozialistische Revolution auf einer weitergehenden Entfaltung der Produktivkräfte über einen Staat hinaus beruht und genau deshalb eine höhere Stufe als der Kapitalismus ist. Ihre Einschränkung auf ein Land muss immer reaktionäre Folgen haben. Die Bürokratie bildete eine nationale Herrschaft des Mangels, während der Sozialismus eine internationale Herrschaft des Überschusses darstellt.1

Die Errungenschaften der Arbeiter:innen in der Sowjetunion blieben zu einem großen Teil bestehen, insbesondere die Enteignung der Bourgeoisie und die Verteilung des Landes, die Alphabetisierung und Elektrifizierung, weshalb die linke Opposition (der spätere Trotzkismus) die Sowjetunion stets gegen den Kapitalismus verteidigte. Obwohl Stalin fast alle Anführer:innen der Revolution von 1917 ermorden und in absurden Schauprozessen frei erfundener Verbrechen anklagen ließ, blieb der Klasseninhalt der Sowjetunion der eines – nun durch den Stalinismus degenerierten – Arbeiter:innenstaats, der von der Bürokratie befreit werden musste.

Die Sowjetbürokratie unter Stalin zementierte ihre Macht, die auf dem Mangel des „Sozialismus in einem Land“ beruhte, unter anderem durch ihre desaströse Außenpolitik. Fehleinschätzungen über eine fortschrittliche Rolle nationaler Bourgeoisien in Volksfronten wie der bürgerlichen Kuomintang in China, die in Massakern an den chinesischen Kommunist:innen mündeten, wurden immer mehr zu einem Prinzip der friedlichen Koexistenz mit dem Kapital überhaupt. Denn Stalin war zunehmend daran gelegen, dass der Sozialismus sich eben nicht ausweitete. Die Ausweitung des Sozialismus wurde von ihm besonders in Spanien und Griechenland aktiv verhindert. Eine revolutionäre Ausweitung auf weitere Staaten hätte das materielle Ende des Stalinismus bedeutet, der ja eben darauf beruhte, dass er den Mangel in einem Land verwalten und das fälschlich „Sozialismus“ nennen konnte.

Deshalb verhinderte Stalin beispielsweise mit der Volksfront in Spanien 19362 nicht nur die sozialistische Revolution, was man noch als grandios falsche Strategie entschuldigen könnte, sondern ging gegen die Revolution schließlich sogar selbst militärisch vor, sodass die Faschist:innen siegen konnten. Und das nicht etwa aufgrund ihrer militärischen Stärke, sondern weil der Stalinismus der Revolution in den Rücken gefallen war und Enteignungen mit Waffengewalt verhinderte. Das tat Stalin, um den „demokratischen“ kapitalistischen Ländern zu zeigen, dass von seinem „Sozialismus in einem Land“ keine Gefahr ausgehe und man in Frieden mit ihm leben könne. Ebenso desaströs verlief die Volksfront in Frankreich3, die der Arbeiter:innenklasse die Hände band und den Rechtsruck in Europa ermöglichte. Die Volksfront wurde vom Arbeiterbund vielfach rezipiert und mit einer klassenübergreifenden Volksfrontregierung als Perspektive anstatt der Perspektive einer Arbeiter:innenregierung neu theoretisiert.

In Deutschland wurden die revolutionären Arbeiter:innen der von der Spitze aus stalinistischen  KPD gezwungen, zunächst der Sozialfaschismusthese zu folgen, wonach die SPD genauso zu bekämpfen war wie die NSDAP und eine Einheitsfront gegen den Faschismus abgelehnt wurde – was dem Faschismus den Weg bahnte und gleichzeitig einer revolutionären Offensive der Arbeiter:innen in Deutschland vorbeugte4. Als die Nazis dann die Macht übernahmen, akzeptierte die stalinistische Führung dies, hielt Hitler für ein vorübergehendes Phänomen und lieferte die Arbeiter:innenbewegung, die Jüd:innen und weitere unterdrückte Gruppen der Verfolgung und Vernichtung aus.

Ganz auf die andere Seite des internationalen Klassenkampfs stellte sich Stalins Bürokratie schließlich mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt, einem Nichtangriffspakt mit Hitler, dessen geheimes Zusatzprotokoll die Aufteilung Polens nach einem Überfall durch das Deutsche Reich festlegte. Der Pakt mit Hitler war gleichzeitig das Produkt scheiternder Volksfronten und ihrer Fortsetzung auf höherem Niveau, da der Imperialismus – zunächst nur der „demokratische“, schließlich aber auch der faschistische Imperialismus – als möglicher Verbündeter zur Aufrechterhaltung des „Sozialismus in einem Land“ gesehen wurde.

Eine bittere Ironie, dass Leo Trotzki, der die Einheitsfront gegen den Faschismus in Deutschland vorgeschlagen hatte, um Hitler zu besiegen, von der Sowjetbürokratie als faschistischer Agent denunziert wurde – während Stalin einen Pakt mit Hitler schloss. Dieser Pakt kam sowohl den Arbeiter:innen und Unterdrückten Deutschlands als auch der Sowjetunion teuer zu stehen. Stalin erwartete damit in Sicherheit zu sein und konnte den späteren Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion nicht fassen. In Deutschland unterstützte Stalin im Krieg dann nicht die Arbeiter:innen-Opposition, vor der er Angst hatte und deren Anführer:innen – selbst überzeugte Stalinist:innen – er reihenweise ermorden ließ; sondern er unterstützte reaktionäre Wehrmachtsgeneräle, die einen Militärbonapartismus anstelle Hitlers anstrebten. Nichtsdestotrotz gewann die Sowjetunion den Krieg – vor allem, weil das sowjetische Volk gegen die eigene Vernichtung durch die Nazis ankämpfen musste.

Die Ordnung von Jalta und Israel

Danach wurde die internationale Arbeiter:innenklasse aber von Stalin um den Sieg betrogen. Anstatt den Sieg über den Faschismus, mit dem der Kapitalismus in Europa vor den Augen der Massen diskreditiert erschien, zu einer sozialistischen Revolution auszuweiten, hatte Stalin in der Kurstadt Jalta bereits einen Deal mit dem Imperialismus geschlossen: das Abkommen von Jalta als internationale Form der Volksfront. Demnach wurden Deutschland und die Welt zwischen sowjetischem und kapitalistischem Einfluss aufgeteilt. In der Folgezeit des Krieges etablierte sich die Volksfront zur allgemeinen Strategie des Stalinismus weltweit und revolutionäre Bestrebungen der Arbeiter:innen und Massen, wie in Griechenland oder Italien, wurden an die Kapitalist:innen verkauft und bekämpft. Die Ordnung von Jalta dauerte bis zum Ausverkauf der Sowjetunion durch die Bürokratie selbst zwischen 1989 und 1991 an.

Warum das nun alles? Der Arbeiterbund sagt, das deutsche Volk trage die Schuld am Faschismus und Auschwitz, und daher sei Israel nun zu schützen. Diese bürgerliche Kollektivschuldthese wird manchmal auf Flugblättern noch garniert mit kommunistophilen Phrasen gegen das Monopolkapital. So schlagen die Stalinist:innen mehrere Fliegen mit einer Klappe: Erstens wird die Verantwortung des Stalinismus für den Faschismus unsichtbar gemacht, wenn „wir Deutschen“ Schuld an Faschismus und Krieg waren, anstatt die konkrete Politik der stalinisierten KPD und KPdSU. Zweitens legitimiert der Arbeiterbund mit der Kollektivschuldthese seine frühere und heutige Politik: die Erweiterung der Volksfront auf alle Bereiche, mit der These der Faschisierung Deutschlands. Diese These besagt, dass ein Teil des Staates Faschisierung betreibe. Damit ist gemeint, dass der Faschismus nicht mehr eine blutige Bewegung auf der Straße ist, sondern praktisch heimlich durch Konservative wie von der CSU eingeführt wird. Diese Analyse, die den Faschismus als eine konservative Spielart innerhalb des Staates verharmlost, führt zu einer Strategie, die mit angeblich „antifaschistischen“ bürgerlich-demokratischen Teilen des Staats gegen die angeblich faschistischen Teile zusammenarbeitet – kurz: zur Volksfront. Dieser „Antifaschismus“ bleibt absolut zahnlos und verzichtet auf eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiter:innen in Betrieben gegen die AfD und gegen Kürzungen, wo der Arbeiterbund Einfluss auf Betriebsräte hat und diesen nutzen könnte. Wir hingegen schlagen zum Beispiel vor, in Streiks nicht nur für den vollen Inflationsausgleich zu kämpfen, sondern auch in Betriebsversammlungen Aktionen gegen die extreme Rechte vorzubereiten. Das machen wir bereits jetzt, auch zusammen mit palästinensischen Aktivist:innen.

Statt Arbeiter:innen gegen Rechts und den Sozialkahlschlag zu mobilisieren und sich mit den Unterdrückten zu solidarisieren, setzt der Arbeiterbund in seiner Realpolitik auf Bündnisse mit SPD, Grünen und neuerdings sogar der CSU im Rahmen von „München ist bunt“, also mit einer Partei, die für sie doch eigentlich des Faschismus verdächtig war.

Wie fügt sich aber nun die Bewertung des Staats Israel hier ein? Einen Staat, den der Arbeiterbund zusammen mit den Antideutschen, der Bundesregierung, der Partei DIE LINKE und der AfD – einer illustren Gesellschaft der antipalästinensischen nationalen Einheit als jüdischen Schutzraum verklärt. Dafür brauchen wir wieder etwas Geschichte. Im Rahmen der reaktionären Jalta-Ordnung, die die Welt diplomatisch aufteilen und gegen sämtliche revolutionären Bestrebungen weltweit den „Sozialismus in einem Land“ halten sollte, unterstützte Stalin auch den Staat Israel. Aber nicht etwa aus Sorge um einen „Schutzraum“ für Jüd:innen: War es doch Stalin, der in seinen letzten Jahren noch eine „Ärzteverschwörung“ von Jüd:innen herbei phantasiert hatte, und der im Kampf gegen Trotzki und den Trotzkismus nie scheute, auf antisemitische Stereotype zurückzugreifen.5

Es waren rein geostrategische Gründe im Rahmen der Jalta-Ordnung des weltweiten Klassenkompromisses, die Stalin zur Unterstützung der Gründung Israels bewogen.

Für Einfluss in der Region gegenüber den USA und Großbritannien war der Bürokrat bereit, das palästinensische Volk zu opfern. Eben diese Linie Stalins von 1947, die er, nachdem Israel sich als Brückenkopf der USA erwies, nicht mehr lange aufrechterhalten konnte, hat der Arbeiterbund lange nach Stalins Tod weiter theoretisiert. So argumentierte das „Zentralkomitee“ im August 2001, am Vorabend des „War on Terror“, in einer Stellungnahme:

[W]arum in unserem Land die Antifaschisten den UNO-Beschluß von 1947 und die Existenz des Staates Israels kompromißlos verteidigen müssen. Daß unser Volk Auschwitz nicht verhindern konnte, das gehört bis auf den heutigen Tag zu den Wurzeln des Konflikts zwischen dem jüdischen und palästinensischen Volk. Daß unsere Bevölkerung auch nach dem 8. Mai 1945 Politiker wie Herrn Strauß nicht einfach in die Wüste geschickt hat.

Wir haben versucht, einen Zusammenhang vor dem Hintergrund des Stalinismus im 20. Jahrhundert aufzuzeigen, um die zunächst skurril anmutenden Positionen des Arbeiterbunds zu verstehen. Es gibt nun aber ja viele stalinistische und maoistische Grüppchen in Deutschland, und sie spalten sich gerne. Doch die meisten stellen sich nicht (oder nicht offen) hin und verteilen Pro-Israel-Flugblätter an einem antifaschistischen Gedenktag. Die DKP als traditionell größte stalinistische Gruppe in Deutschland beispielsweise argumentiert wie auch US-Präsident Joe Biden für eine Zwei-Staaten-Lösung, so auch einige Gruppen im trotzkistischen Bereich. Um also die Erwägungen des Arbeiterbunds begreifen zu können, müssen wir noch etwas mehr über dessen eigene Geschichte wissen.

Eine kürzeste Geschichte des Arbeiterbunds

Der Arbeiterbund sieht sich – aufmerksame Leser:innen werden es schon bemerkt haben – als Erbe Stalins, hält die UdSSR und DDR aber nach Stalins Tod nicht mehr für sozialistisch, sondern für „sozialimperialistisch“, wie es im maoistischen Jargon heißt. Die dortigen Bürokratien werden als „Bourgeoisien neuen Typs“ verstanden. Die Bourgeoisie habe nach Stalins Tod auf geheimnisvolle Weise „mit ihrem Agenten Chruschtschow die Staatsmacht usurpiert“. Unter Stalin seien die Produktionsmittel gesellschaftliches Eigentum gewesen, unter Chruschtschow dann plötzlich nicht mehr, die sozialistische Planwirtschaft „durch bürgerliche Anarchie ersetzt“.

Eine systematische Bürokratietheorie hätte dem Arbeiterbund verständlich machen können, wie die UdSSR noch ein Arbeiter:innenstaat war, aber eben unter Kontrolle einer reaktionären Bürokratie. Stattdessen schüttete die maoistische Gruppe das Kind mit dem Bade aus und begab sich trotz kommunistischer Phrasendrescherei ins Lager des Konservatismus, das die Gruppe auch heute zur Israelsolidarität à la Robert Habeck führt.

Die strategische Schlussfolgerung dieser Linie war in den 1970ern, dass sich weltweit nun zwei imperialistische Blöcke gegenüberstehen, die USA und die UdSSR, entsprechend der Drei-Welten-Theorie Maos. Für Deutschland wurde vom Arbeiterbund unter dem Titel „Damit Deutschland den Deutschen gehört“ die Losung einer friedlichen Wiedervereinigung ausgegeben, für die eine Volksfront mit „patriotischen“ Kräften gebildet werden sollte – zur Rettung der in der Programmschrift vielfach angerufenen deutschen Nation. Die Perspektive war nicht etwa eine politische Revolution in der DDR und UdSSR zur Herstellung der Arbeiter:innenkontrolle und zum Rauswurf der Bürokratie – sondern ein Zusammengehen mit Konservativen aus Westdeutschland gegen die Imperialisten und „Sozialimperialisten“ aus dem Ausland.

Gleichzeitig wurde ein Schreckgespenst eines allgegenwärtigen Faschismus an die Wand gezeichnet, das der Arbeiterbund auch heute noch sehr gerne verwendet. Laut seiner Faschisierungsthese besteht auf zauberhafte Weise die ständige Gefahr des Faschismus, eine Panikmache, die dazu führt, dass man sich mit „demokratischen“ Teilen des Kapitals gegen „faschistische“ Teile zusammenschließen muss. Zu sehen war diese Linie des kleineren Übels bereits 1972 in Kampagnen, die Franz Josef Strauß als faschistischen Machtergreifer verklärten. Dies trug besondere Blüten, als man Ende der 1990er der neuen rot-grünen Bundesregierung im Rahmen des Jugoslawienkriegs erst  unterstellte, in der Tradition des deutschen Faschismus zu stehen, um dann 2002 in Westdeutschland zur Wahl der SPD aufzurufen. Ins Hintertreffen gerät eine materialistische Analyse des Faschismus, die ihn als kleinbürgerliche und deklassierte Bewegung im Interesse des Großkapitals in der Krise versteht und nicht als metaphysischen Umstand des Kapitals. Und die die Einheitsfront der Arbeiter:innenorganisationen gegen den Faschismus vorsieht, um von der Defensive in die Offensive übergehen zu können – anstatt des stalinistischen Bündnisses mit Bürgerlichen, die den Arbeiter:innen die Hände binden, da man seine bürgerlichen Verbündeten nicht mit zu viel Klassenkampf verschrecken darf.

Die spätere Einverleibung der DDR in die BRD lehnte der Arbeiterbund ab. Er sprach seitdem von „Großdeutschland“, sozusagen als Wiedererwachen des schlafenden deutschen Faschismus, der durch die Annexion der DDR aus seinem Schlaf geweckt wurde. Statt einer Analyse der Klassenkampfsituation in den 1990ern wieder geschichtlicher Fatalismus: Der Faschismus und der Weltkrieg mussten wiederkommen, weil Deutschland wieder groß war. Solche und ähnliche Analysen waren auch Grundlage des Entstehens der Antideutschen, die auch sonst viel mehr mit dem Arbeiterbund gemeinsam haben als sie zugeben möchten. Die Schlussfolgerung der Analyse: Eine „Allianz der Völker Europas gegen Deutschland“ sollte geschaffen werden; sie scheiterte am mangelnden Interesse der Nachbarländer.

Nachdem die degenerierten und deformierten Arbeiter:innenstaaten in den 1990ern gefallen waren, ereilte die marxistisch-leninistischen Gruppen ein trauriges Schicksal: Es gab keine materielle Basis mehr für ihre Anbiederung an die eine oder andere Bürokratie, im Fall des Arbeiterbunds besonders die Chinas. Also waren sie dazu verdammt, sich dem Bürgertum Deutschlands anzupassen und etwas wie „Sozialdemokraten neuen Typs“ zu werden. Das ist nicht nur ein ideologischer Inhalt, sondern auch eine materielle Basis: kleine Betriebs- und Gewerkschaftsbürokrat:innen mit Israelfähnchen, die mitverwalten wollen. Als solche, die sich besonders gern in den Auswüchsen der Gewerkschaftsbürokratien aufhalten und dort eine konservative Rolle gegenüber kämpfenden Arbeiter:innen spielen, kommt ihnen ihre radikale Pro-Israel-Haltung natürlich zugute, überzeugt sie doch die Bürokratien von ver.di und Co. davon, dass der Arbeiterbund trotz aller Phraseologie die deutsche Staatsräson mitträgt.

Dabei passen sie sich nicht nur in der Frage der Unterstützung des genoziadalen Rassismus gegenüber den Palästinenser:innen der Gewerkschaftsbürokratie an. In Fragen des Feminismus und der Ökologie schafft es der Arbeiterbund sogar, diese rechts zu überholen. So hat sich der Arbeiterbund schon 1977 – und dies 2011 im Rahmen der Katastrophe in Fukushima erneut bekräftigt – gegen die damalige Anti-Atomkraft-Bewegung gestellt. Dort beschuldigen sie, in einer Zeit, als die Atomkraft in Deutschland noch auf dem Vormarsch war, die Kapitalisten „der ungenügenden Nutzung der Atomenergie”. Die Kette der Zerstörung der Natur, die der Kapitalismus mit sich bringt, leugnen sie, und setzen sich für ein uneingeschränktes Wachstum der Produktivkräfte, auch unter kapitalistischen Bedingungen, ein. Dies geschieht auf Kosten all derer, die unter Klimakrise und ökologischer Zerstörung leiden.

In derselben Resolution von 1977 verpasst der Arbeiterbund der feministischen Bewegung quasi im Vorbeigehen eine volle Breitseite. Dort wird die Ökologiebewegung mit der Bewegung gegen Paragraph 218 verglichen, da beide ähnliche Fehler begehen würden. Unter angeblicher Berufung auf Lenin befürwortet der Arbeiterbund dort zwar das formelle Recht auf Abtreibung, stellt sich in der Praxis aber dagegen, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Begründet wird dies damit, dass „das klassenbewußte Proletariat in seinen Kindern auch unter den Verhältnissen des Kapitalismus seine siegreiche Zukunft sieht”. Abtreibungen durchzuführen, sei laut dem Arbeiterbund kleinbürgerlich.

Arbeiter:innen und Studierende kämpfen gegen Genozid und Rechtsruck

„Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus“: Mit diesem Zitat aus einem Arbeiterbund-Flugblatt haben wir unsere Polemik begonnen. Nun, während der Arbeiterbund in einer Front mit der CSU für Israelsolidarität einsteht, kämpfen Arbeiter:innen und Studierende tatsächlich gegen Krieg und Faschismus.

So verweigern sich italienische Hafenarbeiter:innen des Transports von Waffen an Israel, um den Genozid zu stoppen. Auch in England und Belgien gab es Aktionen von Arbeiter:innen gegen israelisches Rüstungsmaterial. International gingen Millionen Menschen auf die Straße, darunter auch in großer Zahl antizionistische Jüd:innen, wie bei Aktionen von Jewish Voice for Peace in den USA oder palästinensisch-jüdischen Demonstrationen in Berlin.

Der Versuch des Arbeiterbunds, die Verteidigung Israels als antifaschistisch darzustellen, ist zum Scheitern verurteilt. Antifaschismus bedeutet, dass die Arbeiter:innen mit einem revolutionären Programm die Unterdrückten anführen, so die Rechten besiegen und selbst gewinnen. Die Emanzipation des palästinensischen Volkes von Unterdrückung ist ein Symbol für die Emanzipation aller Unterdrückten weltweit. Das haben inzwischen auch Greta Thunberg und Teile der internationalen Bewegung von Fridays For Future erkannt. Wer „den Faschismus mit seiner Wurzel ausreißen“ will, kämpft gegen den deutschen Imperialismus, der Verbündeter des Zionismus ist – und nicht an seiner Seite.

Wir beteiligen uns deshalb am Aufbau von Uni-Komitees für Solidarität mit Palästina, zum Beispiel in München, Berlin und Münster. Wir wollen gemeinsam mit Arbeiter:innen den Rechtsruck zurückschlagen, dessen Teil die antipalästinensische Politik der Regierung ist. Palästina und Klassenkampf wollen wir im Hier und Jetzt verbinden. Denn Palästinasolidarität hängt maßgeblich zusammen mit dem Bruch der Gewerkschaftsbewegung von der Staatsräson des deutschen Imperialismus, dem sich die Gewerkschaftsbürokratie und mit ihr der Arbeiterbund unterordnet.

Fußnoten

1. Mehr dazu in: Leo Trotzki: Verratene Revolution. Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie?, Mehring Verlag, Essen 2016, S. 71-90.
2. Siehe dazu: Felix Morrow: Revolution und Konterrevolution in Spanien, Mehring Verlag, Essen 2020.
3. Mehr dazu in: Leo Trotzki: Wohin geht Frankreich?, Manifest Verlag, Berlin 2019.
4. Eine Einsicht in den Charakter des Faschismus, und wie man ihn bekämpft, gibt die Textsammlung: Leo Trotzki: Porträt des Nationalsozialismus, Mehring Verlag, Essen 2023.
5. Vgl. Trotzki: Verratene Revolution.

Mehr zum Thema