Nach der Räumung: Lützerath, Kapitalismus und die Zerstörung der Natur

23.03.2023, Lesezeit 35 Min.
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Foto: tian.sthr

Vor gut zwei Monaten wurde Lützerath geräumt. Was zeigen uns die Ereignisse über den Kapitalismus und welchen Weg muss die Klimabewegung wählen?

Am Ende ging es doch schneller als gedacht. Hunderte Aktivist:innen hatten sich darauf vorbereitet, ein Dorf zu verteidigen, und verteidigten es bis zuletzt. Ausgerüstet mit selbstgebauten Strukturen, Holz, Steinen und allem, was sich sonst so für eine Barrikade eignet und schließlich bewaffnet mit ihrer gegenseitigen Solidarität, stellten sie sich dem deutschen Polizeiapparat entgegen. Zehntausende weitere Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet unterstützten den Kampf vor Ort, um sich gemeinsam der Zerstörung entgegenzustellen. Eine Schaar Polizist:innen mit Panzerung, Pfefferspray, Schlagstock und Schild, dazu Überwachungsdrohnen, Pferde, Bagger, Wasserwerfer, Kräne und Räumpanzer wurden aufgefahren, um mit den Verteidiger:innen kurzen Prozess zu machen. Leider waren sie erfolgreich.

Gekämpft wurde augenscheinlich um den Erhalt des Dorfes, um den Erhalt von Lützerath. Eine genauere Betrachtung dieses Kampfes zeigt jedoch, dass es um weit mehr geht als die ehemals von über hundert Einwohner:innen bewohnte kleine Ortschaft in NRW. In der erfolgreichen Räumung von Lützerath durch aberhunderte hochgerüstete Polizisten, die den Weg für die Förderung der unter den Häusern schlummernden Braunkohle frei machen sollten, zeigen sich zentrale Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise. Während die Grünen, unter deren Schirmherrschaft die Räumung vollzogen wurde, von einem nachhaltigen Kapitalismus träumen, hat Lützerath erneut gezeigt, dass es nichts “Grünes” an diesem System gibt, und nicht geben kann.

Wir wollen in diesem Artikel einen Blick auf die Ereignisse werfen, der die offensichtliche brutale Gewalt und den Angriff auf Lützerath verbindet mit dem strukturellen sozialen und ökonomischen Hintergrund, vor dem sie sich abspielt. Lützerath wird so zum materiellen Ausdruck der widersprüchlichen Natur des Kapitalismus und lässt uns tief in das Wesen dieses Systems blicken, welches droht das Leben auf der Erde für Milliarden Menschen, Pflanzen- und Tierarten unmöglich zu machen. Der Kampf um Lützerath kann so eingeordnet werden in einen größeren Kontext des entfremdeten Verhältnisses von Mensch, Natur und Gesellschaft im Kapitalismus. Die Bedeutung des Kampfes kann so erst in seiner Gesamtheit eingefangen werden, während gleichzeitig sichtbar wird, dass ohne eine radikale Veränderung der sozioökonomischen Strukturen, aus denen er erwachsen ist, in Zukunft unablässig weitere „Lützeraths“ produziert werden. Wir müssen verstehen, wie und warum der Kapitalismus den Planeten zerstört, um die richtigen Schlussfolgerungen für eine so dringend notwendige, offensive und revolutionäre ökologische Politik zu ziehen.

Worum wird hier eigentlich gekämpft?

Um die Ereignisse einzuordnen, stellt sich zunächst die Frage, was eigentlich das Objekt des Kampfes zwischen Klimabewegung und Polizei war, der sich im Januar abgespielt hat. Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: Es ging um Lützerath, um den Erhalt dieses Dorfes. Natürlich war es aber nicht zufällig Lützerath. Es ist kein beliebiges Dorf, sondern es ist wichtig, weil es auf dem Gebiet liegt, in welchem RWE den Tagebau Garzweiler II ausbauen möchte. Der Energiekonzern RWE möchte Lützerath dem Erdboden gleichmachen, um an hunderte Millionen Tonnen Braunkohle zu gelangen, die sich noch in diesem Gebiet in der Erde befinden. Es geht hier also um diese Kohle bzw. um die Folgen ihrer Verbrennung für das Klima. Es geht darum, dass Deutschland mit der Verbrennung dieser Kohle seinen Beitrag zum 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens nicht einhalten kann.

Dass es möglich ist, dass ein privates Unternehmen im vollen Wissen über die Folgen der eigenen Aktivität solche Schritte gehen kann und dabei sogar noch vom Staat unterstützt wird, ist von einem Standpunkt, der das Wohl von Mensch und Natur berücksichtigt, natürlich vollkommen irrational. Wenn sich aber seit Jahren Einwohner:innen und Aktivist:innen der Zerstörung von Häusern, Scheunen, Straßen und der Zerstörung der sie tragenden Erde entgegenstellen, dann geht es in diesem Kampf allgemeiner gesprochen auch um das Eigentum an eben jener Erde, dem Boden auf dem (nicht nur) Lützerath steht, und den Früchten, die diese Erde trägt.

Was in Lützi passiert ist, ist nämlich, dass ein Konzern Anspruch auf den Boden erheben konnte, der den Aktivist:innen und dem Dorf buchstäblich unter den Füßen abgebaggert wurde, damit dieser Konzern seinem Geschäft nachgehen kann. Ein Geschäft, welches die Umweltzerstörung unmittelbar durch die Erweiterung des Tagebaus und mittelbar durch die dadurch vorangetriebene Erderwärmung befördert. Dieses Geschäft ist nur möglich, weil RWE von sich behaupten kann, den Boden unter Lützerath zu besitzen und daher über ihn verfügen kann. In Lützerath wurde also auch um eine bestimmte Eigentumsform gekämpft, nämlich die des kapitalistischen Eigentums an der Erde, welches es nicht nur ermöglicht, sondern fordert und fördert, dass Grund und Boden, und alles, was sich auf ihm befindet, zerstört werden soll bzw. kann, um Profite zu generieren.

In dieser Eigentumsform gibt es an sich keine Grenze für den Umgang mit den Dingen, die im Privatbesitz stehen. Als Kapital zu verwertender Privatbesitz kann auf jede erdenkliche Art bearbeitet, umgeformt, zerstört oder aufgebaut werden, solange der Einsatz des Kapitals, also der Maschinen, aber auch Böden, Rohstoffe und Materialien, die zur Produktion einer Ware benötigt werden, profitbringend eingesetzt werden. Es gibt eine unbegrenzte Verfügungsgewalt über die Gegenstände des eigenen Besitzes im Kapitalismus. Diese wird lediglich eingeschränkt durch überbauliche Phänomene, wie Gesetze, die bestimmte Produktionsarten einschränken, oder Arbeitsschutz garantieren sollen. Diese Einschränkungen ergeben sich aber nicht aus der Eigentumsform an sich, sondern sind im Gegenteil oft das Ergebnis von Kämpfen und somit dem Kapital abgerungen. Niemals könnten diese Gesetze allerdings so weit gehen das grundlegende Prinzip der auf Profit orientierten Verwertung zu neutralisieren. Diese Eigentumsform ist ihrem ganzen Zweck nach blind für die Grenzen der Belastbarkeit der natürlichen Stoffe und Ökosysteme, in die diese eingebunden sind. Das Prinzip der Verwertung ist potenziell grenzenlos und kümmert sich nicht um die stofflich-qualitativen Eigenschaften des zu verwertenden Materials. Karl Marx spricht deswegen davon, dass im Kapitalismus „die Natur des Gebrauchswerts, der besondre Gebrauchswert der Ware als solcher gleichgültig ist.“1 Auf dieser Gleichgültigkeit gegenüber der Natur basiert der Kapitalismus als System, das auf die ständige Aneignung von menschlicher Arbeit und natürlichen Stoffen angewiesen ist. Diese Gleichgültigkeit hat die Polizei in Lützerath verteidigt, die ganz unverhohlen mit Gewalt den Weg für RWEs Maschinen und Geräte frei gemacht hat. Sie verteidigt die Eigentumsform und die Zerstörung der Natur, die mit ihr einhergeht. Dass RWE die Gefangenentransporter, in der die Polizei verhaftete Aktivist:innen abtransportierte, selbst bereitgestellt hat, ist nur der absurdeste Ausdruck dieses gemeinsamen Interesses.

Der Kampf um Lützerath wird somit zu einem Kampf, in dem es eigentlich um die Durchsetzung einiger für den Kapitalismus zentrale Formen seiner Existenz geht. Der Kampf um diese Eigentumsform ist dabei nicht auf Lützerath beschränkt, sondern fester Bestandteil der kapitalistischen Verhältnisse seit ihrer Entstehung und wird ein solcher bleiben, solange der Kapitalismus weiter existiert. Er ist ein geografisch und historisch ausgedehnter Prozess der Erschließung, Inbesitznahme und Inwertsetzung von Natur, der seit Jahrhunderten und überall auf der Welt durch die kapitalistischen Verhältnisse und ihre Agenten gewaltsam vorangetrieben wird. An dieser Entwicklung zeigt sich eine einzigartige Eigenschaft des Menschen: Die Menschen – und das unterscheidet sie nach Engels von den Tieren – sind die einzigen Wesen, die in der Lage sind „der Erde den Stempel ihres Willens aufzudrücken“2, also als Naturwesen die Natur zu einer Natur für sich zu machen. Dieses Potential nimmt jedoch im Kapitalismus eine entfremdete Form an. Da nicht die konkrete menschliche Tätigkeit und deren Verbindung mit bestimmten Stoffen unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Eigenschaften das gesellschaftliche Handeln bestimmt, sondern die auf Profit ausgerichtete Produktion von Waren, in welchen sich die Produkte abstrakter Arbeit gegeneinander auf dem Markt tauschen lassen sollen, verschwinden in diesem Prozess die Grenzen der Natur und ein Großteil des schöpferischen Potentials. Die Produktivkräfte wandeln sich zu Destruktivkräften. In der Geologie lässt sich beobachten, wie der Kapitalismus zu einer „erdsystemische[n] Formation“3 geworden ist, der den Stempel von dem Engels spricht, buchstäblich in die Gesteinsschichten des Planeten hinein presst, sodass sogar Außerirdische an der Verfasstheit des Bodens beobachten könnten, was für ein bedrohlicher Riss zwischen Mensch und Natur in der Phase des Kapitalismus geschaffen wird. Die dystopischen Bilder der Tagebaue Garzweiler und Hambach – das „größte Loch Europas“ – stehen sinnbildlich für diese destruktive Umformung der Natur. Dieser Riss ist aber nicht einfach Ergebnis der Tätigkeit „des Menschen”, wie manche liberalen Theoretiker:innen argumentieren. Wir können eben nicht von einem „Hineinfallen[…] ins Anthropozän”4 sprechen, in welchem der „Klimawandel eine ungeplante Folge menschlichen Handelns”5 ist, also „der Mensch” für „die Katastrophe” verantwortlich ist. Im Gegenteil ist der Klimawandel die notwendige Folge der gesellschaftlichen Verhältnisse, diese sind aber, genau wie das Verhältnis von Mensch und Natur, nicht durch abstrakte Universalien gekennzeichnet, sondern in ihrer Form durch den Kapitalismus bestimmt.

Die Kette der Zerstörung

In diesen Prozess des Wandels von Produktiv- in Destruktivkraft und der Inbesitznahme und Inwertsetzung der Natur reiht sich der Kampf um Lützerath ein. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich der Kampf nicht nur als ein Symbol einer Klimabewegung verstehen, welches einen konkreten auf das Dorf bezogenen und vielleicht moralischen Wert hat, sondern als Ausdruck eines tiefer liegenden Widerspruchs zwischen dem Kapitalismus und seiner materiellen Grundlage – der Natur.

Denn auch wenn das kapitalistische Privateigentum an der Erde ihre Zerstörung ermöglicht und juristisch festsetzt, und in der Zirkulation die Waren ihre Zentralität lediglich als Produkte von abstrakter Arbeit besitzen, bildet die Natur in all diesen Prozessen eine Grundlage, die der Kapitalismus nicht aufheben kann. Denn auch in der kapitalistischen Produktion bedarf es zunächst konkreter Stoffe, also das bestimmte Holz für den Stuhl, Metall für das Werkzeug, usw., die von der menschlichen Arbeit zu nützlichen Gütern umgeformt werden. Das Produkt, bzw. die Ware, die am Ende auf dem Markt verkauft werden soll, ist in seiner unmittelbaren Form eben immer noch Produkt der Verbindung von konkreter Arbeit mit konkreten Stoffen und verliert erst in diesem Prozess für das Kapital seine besonderen Eigenschaften. Die Produktion von Wert orientiert sich auf fundamentaler Ebene also auch an der Arbeit und der Natur. Erst die Verbindung der beiden bildet seine Grundlage: „Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums, sagen die politischen Ökonomen. Sie ist dies – neben der Natur, die ihr den Stoff liefert, den sie in Reichtum verwandelt.“6 Damit sind die Grenzen dieser beiden Quellen jedoch Grenzen, die das Kapital selbst nicht überschreiten kann, ohne unterzugehen. Denn wenn kein Stoff mehr da ist, der für Produktion verwendet werden kann, oder keine Arbeit, die diese Stoffe umformen könnte, können auch keine Tauschwerte geschaffen werden. Die kapitalistische Mehrwertproduktion als Ganzes ist aber nur auf sich selbst und die Akkumulation von Profiten ausgerichtet. Sie muss für den Kapitalismus notwendig grenzenlos sein, weil er sich nur durch diesen auf sich selbst bezogenen Prozess der immer ausgedehnteren Verwertung von Arbeit und Natur selbst reproduzieren und erhalten kann.

Wenn wir die Angriffe von RWE und Polizei auf das Dorf und die Aktivist:innen hier einordnen, wird der Kampf um Lützerath so zum Glied einer Kette der permanenten Zerstörung der Umwelt durch den Kapitalismus, die er für sein eigenes Überleben notwendig braucht. Der Kapitalismus treibt in dieser Kette die Überschreitung der Grenzen seiner eigenen materiellen Grundlage unaufhörlich voran, für die er selbst strukturell blind ist. Entgegen aller Varianten des Klimaschutzes, die es für möglich halten den Kapitalismus grundlegend beizubehalten und ihn entweder durch staatliche Intervention ökologisch reglementieren wollen (wie Vertreter:innen des Green New Deal), oder ihn als Motor für technische Innovationen darstellen, mit denen die Klimakatastrophe abgewendet werden könnte (wie Vertreter:innen des sogenannten „Ökomodernismus“), zeigt diese Analyse die Unmöglichkeit dieser Projekte. Gemeinsam mit dem Klimaprogramm aller im Bundestag vertretenen Parteien können diese Ansätze als fundamental fehlgeleitet zurückgewiesen werden. Der Kapitalismus ist seinem Wesen nach nicht in der Lage, die ökologische Krise zu lösen, da er sie selbst hervorruft.

Der Kampf um Lützerath ist ein Moment, in dem sich dieser zentrale Widerspruch offen zeigt: Der Kapitalismus drängt unter vollem Einsatz der Gewalt, die ihm zur Verfügung steht, über seine eigene Grenze hinaus. Wird die Kohle unter Lützerath von RWE für das eigene Geschäft verbrannt, kann Deutschland seinen Anteil an der Einhaltung der 1,5 Grad Grenze nicht einhalten. Gletscherschmelze, Artensterben, Extremwetterphänomene, Flucht, Tod und Vertreibung: Die Folgen der ungebremsten Erderwärmung sind so bekannt, wie sie grausam sind. Die Kette der Zerstörung soll ungebremst fortgesetzt werden und dafür muss Lützerath nun einmal fallen. Was in diesem Kampf vor sich geht, ist daher kein Zufall, oder unglückliches Nebenprodukt des Systems, sondern eine direkte Konsequenz der Gesetze, auf denen der Kapitalismus fußt. Diese Perspektive gibt dem Kampf eine Tragweite, die nicht unterschätzt werden kann. Der mutige Kampf der Aktivist:innen gegen die Durchsetzung dieser Zerstörung durch die Polizei, den Staat und seine Behörden ist damit ein Kampf gegen die Fortsetzung dieser Kette der Zerstörung, ein Kampf gegen die unvermittelte Wirkungsweise der kapitalistischen Verhältnisse. In diesem Kampf muss unsere unbedingte Solidarität denjenigen gelten, die sich genau diesem Prozess in den Weg stellen, egal welche Mittel sie anwenden, um die Polizei aufzuhalten.

Trotz des bewundernswerten, kreativen und nicht zuletzt militanten Einsatzes der Menschen vor Ort, haben es die Kräfteverhältnisse nicht zugelassen, die Räumung zu stoppen. Auch die 35.000 Menschen, die sich zur Großdemonstration einfanden und teils trotz brutaler Repression stundenlang mit dem Versuch beschäftigt waren, zum Dorf vorzudringen, konnten das relativ schnelle Vorgehen der Polizei bei der Räumung nicht abwenden. Für die Klimabewegung liegt nun die Frage auf der Hand, was nach Lützerath kommt, jetzt wo das Dorf für RWE abgerissen wurde.

Was kommt nach Lützerath?

Lützerath als Teil einer Kette der kapitalistisch getriebenen Zerstörung zu verstehen, kann einen Blick auf diese Frage eröffnen, da sich so die spezifische Zeitlichkeit, also die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Kampfes anders darstellt. Die Betrachtung auf diesen verschiedenen Ebenen ermöglicht es, wichtige Schlüsse für die notwendige Strategie im Kampf gegen die ökologische Katastrophe zu ziehen.

Teil einer Kette der Zerstörung zu sein heißt einerseits, dass es eine Praxis der Zerstörung in der Vergangenheit gegeben haben muss, zu dem das eigene Kettenglied in einer Verbindung steht. Der Kampf um Lützerath ist ein Schritt in der Entwicklung des Kapitalismus, welcher selbst das Ergebnis vergangener Kämpfe ist. Der Kapitalismus brauchte historisch die sogenannte ursprüngliche Akkumulation, die Phase der Einhegung und Zerschlagung von vormals gemeinschaftlich genutzten Landflächen und anderen Naturgütern. Er brauchte ebenso die dadurch resultierende Proletarisierung der Bäuer:innen, die Änderung von Eigentumsrechten, die Industrialisierung, und er brauchte den Kolonialismus für die Verbreitung dieser Formen durch die Zerstörung von ursprünglichen Wirtschaftsweisen durch extreme Enteignungsformen, wie Ausrottung und Versklavung. Diese und weitere Elemente sind nicht nur von abstrakter historischer Bedeutung. Es sind Elemente der Geschichte des Kapitalismus, die ihn als System bis heute konstituieren. Die Art, wie beispielsweise die führenden Wirtschaftsmächte der Welt in der Lage sind klimaschädliche Industrien in abhängige Länder zu verlagern oder weshalb es gewisse halbkoloniale Länder sind, die überproportional von den ökonomischen und ökologischen Folgen der Klimakatastrophe betroffen sind, lässt sich ohne eine Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Imperialismus nicht erklären. Das zeigt einerseits, dass das weit verbreitete Märchen, dass der Kapitalismus einfach „natürlich”, dem egoistischen „Wesen des Menschen” entsprechend entstanden sei, eine Lüge ist. Im Gegenteil ist er seiner ganzen Entwicklung nach bis heute auf Gewalt angewiesen, um sein Fortbestehen zu sichern. Andererseits zeigt der Blick auf die Geschichte des Kapitalismus für politische Praxis heute, dass der Kampf gegen die Klimakatastrophe den Kampf gegen den Imperialismus beinhalten muss. Wenn der deutsche Bundeskanzler nach Lateinamerika reist, um dort auf die Suche zu gehen nach Rohstoffquellen für den „nachhaltigen” Umbau der Wirtschaft in Deutschland, dann tut er das nicht, um der Klimakrise etwas entgegenzusetzen, sondern für die Profite des deutschen Imperialismus. Internationale Herrschaftsinstrumente wie der internationale Währungsfond (IWF) zwingen Länder dazu ihre Rohstoffe von ausländischen Großkonzernen ausplündern zu lassen, während Länder wie Deutschland, die vom IWF profitieren, nach innen das Versprechen einer „sozialökologischen Marktwirtschaft” oder dergleichen machen. Auch der „Green Deal” der Europäischen Union sieht zwar vor, die staatliche Subventionierung fossiler Energie zu beenden, nicht aber die Subventionierung der Exporte von Fördertechnologien für den Abbau fossiler Energien im Ausland, wovon insbesondere Deutschland und Frankreich als hegemoniale Mächte in der EU profitieren.7 Kurz nach Beginn des Ukrainekrieges hat die Europäische Kommission auch das sogenannte „REPower-Programm” verabschiedet, womit ermöglicht wird, dass für die nächsten fünf bis zehn Jahre fünf Prozent mehr Kohle in der EU verbrannt werden darf, was pro Jahr in etwa dem Energieverbrauch Belgiens entspräche.8 Parallel dazu baut unter anderem Deutschland in Kooperation mit den USA Infrastruktur für Flüssiggas (LNG) auf, natürlich nicht aus ökologischen Erwägungen, sondern aus geopolitischen Gründen, die die Stellung der westlichen Imperialismen in der Welt sichern sollen – schließlich ist das neue Gas immerhin doppelt so umweltschädlich, wie das Gas aus den Putin-Pipelines.

Diese Beispiele und die vielen vielen weiteren, die man hätte anführen können, hängen mit dem Kampf in Lützerath zusammen. Sie alle spielen sich vor dem Hintergrund der imperialistischen Konkurrenz von Staaten und Großkonzernen ab, deren festes Ziel es ist jeden Zentimeter der Erde zu erschließen und für Profit zu verwerten. Damit hängen aber auch die verschiedenen Kämpfe, die international gegen diese und weitere Projekte geführt werden, miteinander zusammen: Von Aktivist:innen in den USA, die sich gegen das erst kürzlich beschlossene Willow Project der Biden-Regierung stellen, durch welches in Alaska insgesamt 600 Millionen (!) Barrel Öl aus dem Boden geholt werden sollen, über die Raffineriearbeiter:innen in Frankreich, die sich mit der Klimabewegung gegen das Greenwashing von TOTAL stellen, zurück bis nach Lützerath und dem Kampf gegen RWE. Der Kampf gegen die Klimakatastrophe hat daher eine zentrale antiimperialistische Dimension. Fürs Klima kämpfen heißt international kämpfen gegen die Regierungen und Konzerne des eigenen Landes, die im besten Fall nur versuchen, die Schäden der eigenen Produktion auf abhängige Länder auszulagern. Es heißt, kämpfen gegen die internationalen Institutionen, wie EU, IWF und NATO, die für die Imperialist:innen nur Mittel sind, ihre Plünderungen der Menschen und Bodenschätze in anderen Ländern durchzuführen.

Die gegenwärtigen Kämpfe gegen die Zerstörung der Erde können und müssen so in einem gemeinsamen Kontext betrachtet werden, als Teile einer Kette mit einer gemeinsamen Wurzel. An dem Punkt, an dem die Gründe der Aneinanderreihung von Zerstörung für Profit nicht aufgehoben sind, ist es sicher, dass es zu weiterer Zerstörung kommen wird. Genau wie die Kette eine Vergangenheit hat, wird sie also auch eine Zukunft haben. Das bedeutet einerseits, dass der nächste Kampf kommen wird. Da der Kapitalismus Mensch und Natur zu seiner eigenen Erhaltung notwendigerweise ausbeuten muss, wird die Zerstörung weitergehen und auch der Widerstand dagegen wird sich fortsetzen. Hier kommen wir jedoch an einen zentralen Punkt, der sowohl die konkrete Räumung Lützeraths betrifft als auch die zukünftigen Kämpfe der Klimabewegung. Durch die potenzielle Endlosigkeit der Kette der Zerstörung, die an sich keine Grenze kennt als den eigenen Untergang, ist auch jeder Widerstand, egal ob erfolgreich oder nicht, immer nur ein Kampf für den Moment, in welchem selbst der größte Erfolg in kurzer Zeit durch die Notwendigkeit des Kapitalismus nach immer neuer Verwertung und Aneignung der Natur neutralisiert werden kann. Selbst wenn die Aktivist:innen in der Lage gewesen wären, die Räumung von Lützerath zu verhindern, wird der Kapitalismus beständig neue „Lützeraths“ produzieren, weil er gar nicht anders kann. Das schmälert auf keinen Fall den Einsatz der Aktivist:innen, die alles dafür gegeben haben, dass die Kohle unter dem Dorf für RWE verschlossen bleibt. Denn ja, es stimmt, dass die 1,5 Grad Grenze faktisch in diesem Moment vor den Grenzen des Dorfes lag. Und trotzdem stimmt es auch, dass der (deutsche) Kapitalismus die Kohle unter Lützerath nicht notwendig braucht, um die 1,5 Grad Grenze trotzdem zu übersteigen. Es ist eine Chance für den Kapitalismus, dieses Ziel zu verfehlen, das sich seine Regierungen selbst gegeben haben. Es ist aber bei weitem nicht die einzige Chance: Krieg und Rüstungsindustrie, von denen wir eine massive Ausweitung sehen werden, dreckige LNG-Terminals, steigende Kosten für Bahn und ÖPNV, die verpasste Mobilitätswende und viele weitere Stellschrauben arbeiten aktuell aktiv gegen das 1,5 Grad Ziel. Und das ist ja lediglich ein kleiner Teil von dem, was hier in Deutschland geschieht. 1,5 Grad beschreibt letztlich keine deutsche oder europäische, sondern eine planetare Grenze, zu deren Einhaltung es auf dem gesamten Planeten koordiniertes Handeln braucht.

Der Kampf um Lützerath, aber auch die Auseinandersetzungen um den Hambi oder Danni sind also Momente des Widerstands gegen die Ausdehnung der kapitalistischen Naturzerstörung. Gewisse Orte mit einem mal mehr und mal weniger symbolischen oder materiellen Wert sollen verteidigt werden, um an konkreten Momenten die Verlängerung der Kette zu verhindern. Das Ziel des unmittelbaren Handelns ist es dann den Wald oder das Dorf zu verteidigen, oder andersherum für einige Stunden einen Kohlebagger, eine Autobahn, oder eine Baustelle zu blockieren. Der Kapitalismus produziert notwendigerweise am laufenden Band Zerstörung, der sich widersetzt werden kann. Kaum eine Woche nachdem Lützerath geräumt wurde, hat die Polizei schon mit der Räumung und Rodung des Fechenheimer Waldes bei Frankfurt begonnen, um dem Ausbau der A66 Platz zu machen. Allein gegen die Vernichtung von Wäldern in Deutschland haben wir momentan knapp 20 aktive, dauerhafte Proteste und Besetzungen im Land. Jedem dieser Kämpfe gilt unsere Solidarität. Sie alle können eine Rolle darin spielen, Aktivist:innen und Anwohner:innen und breitere Teile der Bevölkerung in einen Dialog über die ökologische Krise zu bringen und im besten Fall ein Bewusstsein über den Zusammenhang von Kapitalismus und Naturzerstörung schaffen. Und trotzdem ändern auch alle diese Kämpfe zusammen nichts an der Logik, die sie überhaupt erst hervorruft, da auch sie nur gegen die Symptome der Zerstörung und nicht gegen ihre eigentliche Ursache kämpfen. Das ist das Problem an dem Selbstbild, welches Teile der Klimabewegung sich selbst geben, nämlich dass die eigene Arbeit als permanenter Widerstand gefasst wird: In diesen Kämpfen agiert die Klimabewegung letztlich immer nur in der Defensive und wird schließlich vom Kapital von Ort zu Ort gescheucht, um sich der nächsten Zerstörung zu widersetzen.

Sicherlich wird die Arbeit von den Aktivist:innen in den Besetzungen selbst nicht immer nur als reiner Abwehrkampf verstanden. Lützi, Hambi, Heibo usw. werden als Orte gesehen, in denen es möglich sei, Elemente der angestrebten freien Gesellschaft vorwegzunehmen und praktisch werden zu lassen. Die verschiedenen Bezeichnungen von „Utopie leben“ bis „Kommunismus im Hier und Jetzt“ bezeichnen dabei alle mehr oder weniger dieselbe Vorstellung, dass der umkämpfte Ort als Freiraum quasi als Zukunftslabor dienen kann, in dem alternative und solidarische Formen des Zusammenlebens auch schon heute experimentell erprobt werden können. Eine solche Vorstellung kann durchaus zu einem enormen Gefühl der Selbstermächtigung bei den Aktivist:innen führen, und außerdem die Identifikation mit dem Projekt nach außen stärken, was es potentiell möglich macht, breitere Teile der Gesellschaft zur Unterstützung zu bewegen. Jedoch hat auch diese Vorstellung Grenzen in dem Potential, welches sie für die notwendige gesellschaftliche Transformation bieten kann. Es ist so zum Beispiel unklar, wie genau ausgehend von den Freiräumen für weitergehende radikale Veränderung gekämpft werden soll. Ihrem ganzen Konzept nach sind die „lebendigen Utopien” hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt, da die dort praktizierte Lebensweise im Vordergrund steht. Sie können so entweder zur isolierten und für den Staat ungefährlichen „Insel” werden, die ohne für den Kapitalismus zur Gefahr zu werden, neben ihm her existieren kann. Oder, falls doch eine Bedrohung von ihnen ausgehen sollte, kümmern sich Polizei und Staatsgewalt in der Regel schnell und relativ problemlos um ihre Vernichtung. Beide dieser Erfahrungen macht die autonome Szene zum Beispiel in Berlin, wo ein Großteil der politischen Aktivitäten sich entweder darum dreht das eigene, um verschiedene Hausprojekte eingerichtete Szeneleben zu organisieren, oder vergeblich Räumungen einiger der größten Projekte zu verhindern. Nicht ohne Grund befindet sich gerade hier (unter einem RRG-Senat wohlgemerkt) der Freiraum als politische Praxis seit Jahren in der Krise. Friedel54, Liebig34, Köpi, um nur ein paar Beispiele zu nennen: Trotz Linkspartei in der Regierung verliert die autonome Szene in Berlin seit Jahren wichtige Stützpunkte, ohne eine bedeutende Antwort darauf geben zu können. Da die eigene Praxis jedoch viel an diese Räume und die eigene Szene gebunden ist, ohne eine darüberhinausgehende Perspektive anzubieten, droht die Praxis mit der Existenz der Räume zu verschwinden, wie man an der schwindenden Mobilisierungskraft der Szene in Berlin sieht.

Wenn der Kampf für eine befreite Gesellschaft ersetzt wird durch den Kampf für befreite Räume, verliert gesamtgesellschaftlich gesehen jede „praktische Utopie” ihr transformatorisches Potential. Im Bezug auf Ökologie wird das besonders deutlich: Wie wir gesehen haben, ist nicht in erster Linie eine bestimmte Lebensweise, sondern die Funktionsweise kapitalistischer Produktionsverhältnisse (aus denen sich Lebensweisen ableiten lassen) für die Zerstörung des Planeten verantwortlich. Der „Kommunismus im Hier und Jetzt” als schlicht eine andere Form solidarischen Zusammenlebens innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft ist daher umgekehrt keine Strategie zur Überwindung der systematischen Naturzerstörung. In der Freiraumlogik bleibt also die alternative Lebensweise als politische Praxis im besten Fall auch nur permanenter Widerstand. Ort, Form und Inhalt des Zusammenlebens formen eine gegen das System gerichtete Einheit, wodurch das Leben in diesen Strukturen als solches zum Widerstand gegen den Kapitalismus werden soll. Im schlechteren Fall wird der Widerstand gegen das System durch versuchte Flucht von ihm ersetzt. Die Freiräume als selbstverwaltete Oasen einer autonomen und autarken Gesellschaft kapseln sich selbstgenügsam vom Rest ab und existieren „neben” dem Kapitalismus, aber nicht im Konflikt mit ihm. Beide Fälle eint, dass sie keine klare Perspektive für die Überwindung der Ursachen der kapitalistischen Naturzerstörung bieten.
Das eigentliche Ziel der Klimabewegung muss es aber sein, für eine Welt zu kämpfen, in der die Ausbeutung von Mensch und Natur keine systemische Notwendigkeit mehr ist. Der Kampf für so eine Welt bedeutet den Kampf gegen den Kapitalismus zu führen. Gruppen und Aktivist:innen, die diese Einsicht nicht teilen, können den Weg, den die Klimabewegung eigentlich gehen muss, um den Planeten zu retten, letztlich nicht bis zum Ende gehen. Viele Klimagruppen teilen diese Vorstellung aber auch und verbinden sie für sich selbst sogar mit einem antikapitalistischen Selbstverständnis. In dem ständigen auf Widerstand ausgerichteten Abwehrkampf kann dieses Ziel jedoch nicht erreicht werden, da zwar die Kosten für die Naturzerstörung in die Höhe getrieben werden können (durch Sabotage, kostspielige Polizeieinsätze, etc.) und punktuell sogar die Zerstörung verhindert werden kann (wie mit Teilen vom Hambi), aber die ganze Logik, die die Zerstörung überhaupt erst hervorruft, letzten Endes unangetastet bleibt.

Widerstand oder Sieg?

Wir sehen, dass der permanente Widerstand als Ziel an sich, also das Führen von einem Abwehrkampf nach dem nächsten ohne eine darüber hinausgehende Perspektive, mittelfristig gleichbedeutend ist mit einer strategischen Sackgasse. Auf diese Art können maximal einzelne Verteidigungskämpfe erfolgreich sein, doch selbst dafür stehen die Chancen angesichts der hochgerüsteten Übermacht der Polizei in der Regel äußerst schlecht. Was mit dieser Strategie komplett verloren geht, ist die positive Vision von Zielen, die erreicht werden können, um das Kapital nicht nur abzuwehren, sondern im Gegenteil Boden im Kampf um eine nachhaltige Wirtschaftsordnung wieder gutzumachen. Dadurch werden die Grenzen der kapitalistischen Logik gleichsam zur Grenze der eigenen politischen Praxis, da sie nicht in der Lage ist über diesen Rahmen hinauszutreten. Da es aber gerade den Bruch mit dem Kapitalismus braucht, um eine radikale ökologische Transformation durchzusetzen, wird so von vornherein auf die Möglichkeit des Sieges verzichtet. Will man nicht nach den Regeln des Kapitals spielen, braucht jede Verteidigung daher auch ein positives Ziel, nämlich das Sammeln von Kräften, um in die Offensive zu gehen. Das strategische Ziel dieser Kombination von Defensive und Offensive ist im ökologischen Kontext der Aufbau einer Wirtschafts- und Gesellschaftsform, deren Überleben nicht strukturell auf die Ausbeutung von Mensch und Natur angewiesen ist, die allen Menschen ein gutes Leben in Einklang mit den natürlichen Grenzen des planetaren Ökosystems ermöglicht. Dieses Ziel bedeutet gleichzeitig die Notwendigkeit, den Kapitalismus aus der Organisation der gesellschaftlichen Arbeit, aus den Köpfen der Menschen und buchstäblich aus der Erde auf der wir wandeln zurückzudrängen, und ihn in all seinen Formen zu zerschlagen.
Diese Notwendigkeit stellt die Klimabewegung vor eine schwierige und historische Aufgabe und vor die Herausforderung eine Strategie anzunehmen, mit der das notwendige Ziel tatsächlich erfüllt werden kann, mit der der Planet tatsächlich gerettet werden kann. Es braucht daher eine Strategie, deren Ziel nicht der permanente Widerstand, sondern der Sieg über den Kapitalismus ist.

Die Mobilisierungen der Klimabewegung in den letzten Jahren waren mit die größten, die wir in Deutschland seit langer Zeit gesehen haben. Aber trotz Millionen von Menschen, die mit Fridays For Future auf die Straße gegangen sind und trotz einzelner militanter Aktionen, die auch erheblichen Zustrom bekommen haben, hat sich in der politischen Lage in Bezug auf die Klimakrise kaum etwas verbessert. Die Grünen sitzen zwar jetzt in der Bundesregierung, und der ökologische Diskurs hat eine wichtige Rolle in der Politik bekommen, aber was die tatsächlichen materiellen Veränderungen angeht, muss mit Blick auf Lützerath wohl eher von einer Verschlechterung der Situation gesprochen werden. Sowohl die zivile Massendemonstration, die mit Bitten an die Regierung tritt, als auch der zivile Ungehorsam, der direkten Interventionismus praktizieren will, hat klare Schranken in der sozialen Schlagkraft, die sie entwickeln können. Dass der Kapitalismus ein Interesse an der Naturzerstörung hat, wurde bereits gezeigt, dass seine Regierungen sich gegen diese Notwendigkeit nicht richten wollen und letztlich auch nicht können, folgt direkt aus diesem Umstand. Auch die Grenzen der direkten Aktion durch die soziale Bewegung wurden schon umrissen, da sie zwar einzelne Auswüchse und Symptome, aber doch nicht die Verhältnisse an sich angreifen kann.

Die doppelte Sackgasse sowohl des Interventionismus als auch einer auf die Institutionen des Staates vertrauenden Politik speisen sich aus einer fehlenden Identifikation respektive einer tiefen Skepsis gegenüber der sozialen Kraft, die unserer Meinung nach tatsächlich in der Lage wäre, die notwendige soziale und ökologische Veränderung zu erkämpfen. Diese soziale Kraft ist die Arbeiter:innenklasse. Sie ist die einzige Klasse der kapitalistischen Gesellschaft, die nicht nur ein objektives Interesse an einem Ende der Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur hat, sondern auch die Mittel dazu besitzt, diese Ausbeutung zu beenden. Wie oben gezeigt wurde, entspringt die ökologische Krise direkt aus den Produktions- und Zirkulationsformen der kapitalistischen Wirtschaft, und wird durch ihre Gesetze fortlaufend aufrechterhalten. Der Kapitalismus ist auf diese Formen notwendig angewiesen und ist nicht in der Lage, ohne die Aneignung und Inwertsetzung von Arbeitskraft und Naturstoffen zu überleben. Diese Bewegung treibt die Krise unaufhörlich voran, offenbart aber gleichzeitig die Schwachstelle, die es anzugreifen gilt, um sie zu stoppen. Verwertet werden kann nämlich nur, was produziert wird und nur wo produziert wird, können auch menschliche Arbeitskraft und Natur ausgebeutet werden. Die Quellen des kapitalistischen Reichtums sind eben Natur und Arbeit, aber während sich die Natur nicht bewusst widersetzen kann, können es die Arbeiter:innen schon. Diejenigen, die produzieren bzw. arbeiten, sind nämlich nicht die Kapitalist:innen, sondern die Menschen, die in den Fabriken und Werken die Maschinen bedienen, Autos fertigen und auch die Kohlebagger fahren. Hören sie auf an diesem Prozess mitzuwirken und wehren sich mit Streiks und Besetzungen, dann kommt der Prozess als solcher zum Erliegen. Es kann kein Dorf abgebaggert werden, ohne jemanden, der den Bagger bedient. Das zeichnet die Arbeiter:innen im Gegensatz zu allen anderen Klassen aus: Auch andere mögen kein Interesse daran haben, dass der Planet zerstört wird, aber nur sie sind in der Lage den ökonomischen Prozess der Ausbeutung und Zerstörung tatsächlich beenden zu können, mit einer Macht, die aus diesem Prozess selbst entspringt. Die Arbeiter:innen des Autozulieferers GKN bei Florenz, die nach einer drohenden Schließung seit 20 Monaten ihr Werk besetzt halten und sich nun weigern weiter Antriebswellen für den Individualverkehr herzustellen und stattdessen Seite an Seite mit der italienischen Klimabewegung die Umstellung auf eine auf kollektive Mobilität ausgerichtete Produktion erkämpfen wollen, zeigen im Kleinen (und als isolierte Fabrik natürlich mit Grenzen) wie sich die Macht der organisierten Arbeiter:innenklasse auch auf ökologische Fragen auswirken kann.

Es ist die kapitalistische Produktionsweise, die die Zerstörung des Planeten über alle ökologischen Grenzen hinweg befördert. Der Kampf gegen die Klimakrise muss also ein Kampf gegen den Kapitalismus sein. Die einzige soziale Kraft, die in der Lage ist, diesen Kampf bis zum Ende zu führen, ist aber die Arbeiter:innenklasse. Die zentrale Rolle, die sie in der kapitalistischen Produktion einnimmt, stattet sie gleichzeitig mit der Macht aus das System zum Stillstand und letztlich zum Einstürzen zu bringen. Kein Ende der Zerstörung ohne ein Ende des Kapitalismus, kein Ende des Kapitalismus ohne die Arbeiter:innen.

Aufgaben und Perspektiven

Die Aufgabe einer revolutionären Klimabewegung muss darin bestehen, eine Brücke zu den aktiven Teilen der Arbeiter:innenbewegung zu schlagen, um zu einem Kampf für gemeinsame Forderungen zu kommen. Während allerlei Reaktionär:innen, Konservative und auch Teile der Gewerkschaftsführungen daran arbeiten, einen Keil zwischen soziale und klimapolitische Fragen zu treiben, muss unablässig an einer Zusammenführung der Kämpfe für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen etc. mit den Kämpfen um ökologische Fragen gearbeitet werden. Diese Verbindung entsteht aber nicht nur aus einem taktischen Interesse heraus, sondern ergibt sich aus den Verhältnissen selbst. Genauso, wie der Kapitalismus die Natur ausbeutet, beutet er nämlich auch die Arbeiter:innen aus, deren Arbeit den Mehrwert schafft, aus dem die Profite der Kapitalist:innen gewonnen werden. Erst dadurch, dass die Kapitalist:innen durch die oben beschriebenen gewaltsamen Prozesse sich die Kontrolle über die Produktion aneignen konnten, die große Mehrheit der Menschen also ohne Möglichkeit selbst etwas zu produzieren für ihr Überleben darauf angewiesen sind, sich ausbeuten zu lassen, werden die Verhältnisse geschaffen, in denen die Natur nur noch als abstraktes Objekt für die Schöpfung von Profiten existiert. Der ökologische und der soziale Bruch in der kapitalistischen Gesellschaft hängen somit nicht nur irgendwie zusammen, sondern sind untrennbar verschmolzen. In der Praxis muss diese gemeinsame Basis der Ausbeutung von Mensch und Natur immer wieder hervorgehoben werden: Das Ende fossiler Energieträger muss mit der Enteignung der großen Energiekonzerne einhergehen; statt E-Autos und Milliardengewinne für VW & Co. braucht es eine gesellschaftliche Planung der Mobilitätswende ohne Arbeitsplatzverluste; die Lebensmittelproduktion muss vergesellschaftet werden und nach sozialen und ökologischen Kriterien organisiert werden. Diese und viele weitere Forderungen müssen darauf abzielen, die Kontrolle über die Produktion aus den Händen des Kapitals zu reißen und unter gesellschaftliche Kontrolle zu bringen. Die Kette der Zerstörung kann nur beendet werden, wenn eine revolutionäre Klimabewegung mit der Arbeiter:innenklasse an ihrer Spitze, statt bei Widerstand stehen zu bleiben, Forderungen aufnimmt, mit denen die gebündelte Kraft der Bewegung und der Klasse der Macht des Kapitals empfindliche Schläge zufügt und sich das Ziel des Sieges auf die Fahnen schreibt.

Denn Lützerath hat gezeigt, dass sich der Kampf um den Erhalt des Planeten und seiner Bewohner:innen nicht darin erschöpft von Kohle auf Erneuerbare zu wechseln, von Verbrennern auf E-Autos umzusteigen, oder sich zwischen CO2-Steuer und Emissionshandel zu entscheiden. Lützerath wurde durch die dem System immanenten Gesetze und Notwendigkeiten produziert. Im Kampf um den Erhalt des Planeten, den Erhalt von Lützerath und vielen weiteren „Lützeraths”, die noch folgen werden, muss es also um einen Kampf gegen dieses System gehen, das die Katastrophe produziert. Damit es nicht mehr möglich ist, dass im Auftrag eines Großkonzerns der Staat und seine Einsatztruppen eine ganze Region gewaltsam räumen, müssen wir für die Wiederaneignung der gesellschaftlichen Verfügungsgewalt über die Stoffe der Erde kämpfen. Diese Wiederaneignung muss einhergehen mit der Reorganisation des gesamten Produktionsprozesses. Es braucht die maximal demokratische, gesellschaftliche Kontrolle über seine Gestaltung, damit unter Respektierung der menschlichen und natürlichen Grenzen der Arbeitsprozess, seine Produkte und deren Verteilung geregelt werden können. Diese Neuordnung wird allerdings nicht vom Himmel fallen und sie wird uns auch nicht als Zugeständnis von den Kapitalist:innen und ihren Regierungen gewährt werden.

Für dieses Ziel müssen wir kämpfen und brauchen eine starke, antiimperialistische und revolutionäre Klimabewegung an der Seite der Arbeiter:innenklasse. Dieser Kampf wird nicht leicht, aber das Ziel stimmt uns optimistisch, denn unser Ziel ist der „Kommunismus (…), er ist die wahrhafte Auflösung des Widerstreits des Menschen mit der Natur und mit dem Menschen“ (Marx: Ökonomisch-Philosophische Manuskripte. MEW 40: 536). Er ist die Form, in der Gesellschaft und Produktion nach dem Wohle der Menschen und der Natur ausgerichtet sind, die Form, in welcher die Kette der Zerstörung ein für alle Mal zerschlagen ist, die Form, von der aus nur ärgerlich und verwundert darauf zurückgeblickt werden wird, wie es mal möglich gewesen sein konnte, dass ein Konzern die Macht hatte ein ganzes Dorf und den Boden, auf dem es stand, seinem individuellen Interesse nach zu zerstören. Denn vom „Standpunkt einer höhern ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen, wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie […] den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.”9

Fußnoten
1. Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, in: Karl Marx und Friedrich Engels: Werke, Band 42. Dietz Verlag, Berlin 1983, S.47-767, hier S. 209.
2. Friedrich Engels: Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, in: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Band 20. Dietz Verlag, Berlin 1962, S. 444-456, hier S. 452.
3. Altvater, Elmar: Das Naturverhältnis ist ein Herrschaftsverhältnis. In: Altvater et al.: „Die Natur ist die Probe auf die Dialektik“ Friedrich Engels kennenlernen. VSA Verlag, Hamburg 2020: S. 155.
4. Chakrabarty, Dipesh: Europa als Provinz: Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010: S. 193.
5. ebd. S. 195.
6. Friedrich Engels: Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, in: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Band 20. Dietz Verlag, Berlin 1962, S. 444-456,  hier S. 444.
7. Vgl. Mahnkopf, Birgit (2022): «Green Deal» als Pfad ökologischer Transformation im Kapitalozän?. In: Fromm Forum (d) Tübingen (Selbstverlag), Nr. 27 / 2023: S. 152.
8. ebd. S.156.
9. Karl Marx: Das Kapital, Band III, in: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke MEW, Band 25. Dietz Verlag, Berlin 1964, S. 33-923, hier S. 784.

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