Cyberpunk 2077: Kapitalismuskritik auf Kosten der Entwickler:innen

16.12.2020, Lesezeit 6 Min.
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Tinxi / Shutterstock.com

Das heiß ersehnte Action RPG Cyberpunk 2077 ist seit Tagen in aller Munde. Ein Spiel mit interessanten Mechaniken, das zum Nachdenken anregt. Doch für die Veröffentlichung befinden sich die Arbeiter:innen beim herausgebenden Studio seit Monaten im Ausnahmezustand.

Der 10. Dezember 2020 war ein Tag, auf den Millionen Gamer:innen und SciFi-Fans seit der Ankündigung Anfang 2013 warteten: Cyberpunk 2077, ein Open-World Action Adventure basierend auf dem vor allem in den 1990ern beliebten Pen&Paper Rollenspiel Cyberpunk 2020, ist erschienen. Und trotz großer Startschwierigkeiten, wie der schlechten Unterstützung von Konsolen, ist es schwer, an dem Titel vorbei zu kommen. Mit seiner gewaltigen PR-Maschinerie und jetzt schon über 8 Millionen verkauften Spielen, prägt Cyberpunk 2077 dieses Jahr sicherlich nicht nur die Spieleindustrie, sondern reicht weit über deren Grenzen hinaus.

Die Handlung des Spiels findet im namensgebenden Cyberpunk Universum statt. Mit dem Rollenspiel Cyberpunk 2020 und zahlreichen Büchern ist dieses Universum schon seit Jahrzehnten Teil des SciFi-Genres. Wie der Name schon vermuten lässt, ist Cyberpunk (2020 und 2077) dem Cyberpunk Genre zuzuordnen – einem Genre, das traditionell kapitalismuskritisch ist, und gesellschaftliche Missstände überzeichnet und anprangert.

Im Cyberpunk regieren Megakonzerne die Welt, Menschen optimieren sich über ihre Schmerzgrenzen hinaus mit Cyberware, und wo die Konzerne nicht regieren, tut es das organisierte Verbrechen. Es herrscht ein Gesellschaftssystem, das direkt aus Karl Kautskys These vom Ultraimperialismus folgen könnte.1

Und so wirft das Genre seit seiner Entstehung wichtige und interessante Fragen auf: Wie könnte eine Welt aussehen, in der nichts und niemand der Macht der Konzerne entgegen stehen kann? In der die Schere zwischen arm und reich noch stärker auseinander geht? Wie weit sind wir bereit zu gehen, um uns zu optimieren und dem Druck dieser Welt stand zu halten? Und wann hören wir auf, Mensch zu sein?

Und auch Cyberpunk 2077 scheint in diese Bresche zu schlagen, und schmerzhaft die Finger in die Wunden der Gesellschaft zu legen.

CD Project Red – Liebling der Gaming-Szene

Das Spiel konfrontiert die Spieler:innen permanent mit diesen und ähnlichen Fragen und verknüpft diese Metaebene gekonnt mit den Spielmechaniken. Doch wie sieht es hinter den Kulissen aus? Werfen wir einen Blick auf “CD Projekt Red”, das Studio hinter Cyberpunk 2077.

Das polnische Entwicklerstudio “CD Project Red”, Ende der 2000er noch Geheimtipp, schrieb spätestens mit “The Witcher 3: Wild Hunt” Spielegeschichte – einem Spiel, das so erfolgreich wurde, dass es sogar eine Netflix-Adaption der zugrunde liegenden Hexer-Romane von Andrzej Sapkowski nach sich zog. Auch die deutschsprachige Erstübersetzung der Reihe passt zumindest zeitlich zum Erscheinen des ersten Witcher-Spiels.

In dieser Zeit entwickelte sich das Studio zum großen Liebling der Gaming-Szene, denn sie verzichteten auf einige der schlimmsten Monetarisierungsmethoden2 und bieten mit ihrer Plattform “Good old Games” (GOG) viele Spieleklassiker DRM-frei, also ohne Kopierschutz, an.

Hinter den Kulissen sieht es dagegen nicht besonders gut aus, und dieses vermeintliche Juwel der Spielindustrie reiht sich letztendlich in eine Linie mit den anderen Studios ein, wenn es um die schlechten Arbeitsbedingungen der Beschäftigten dort geht.

Von “Crunch” und Fleißbienchen

Wie schon in der Einleitung erwähnt, wurde die Veröffentlichung von Cyberpunk 2077 immer und immer wieder nach hinten geschoben. Und so befinden sich die Entwickler:innen von “CD Project Red” nun seit etlichen Monaten im “Crunch”, das heißt in der “heißen Phase” in der Entwicklung. Das ist in der Spieleindustrie und auch in anderen Bereichen der Softwareentwicklung kurz vor wichtigen Releases durchaus üblich und bedeutet für die Arbeiter:innen eine unglaubliche Mehrbelastung: die Arbeitswoche wird auf 6-7 Tage verlängert, ebenso die Arbeitszeiten, gerne mal auch bis spät in die Nacht. Wir kennen dieses Vorgehen schon von anderen Projekten. 2010 forderten beispielsweise Ehepartner:innen der Entwickler:innen, die an der Grand Theft Auto Reihe arbeiteten, eine Beendigung des seit über 7 Monaten andauernden Crunches, während dem die Entwickler:innen das Büro kaum noch verlassen hatten.

Die Crunch-Phase von Cyberpunk 2077 führte zu einem Spiel, bei dem weder die Qualität, noch die Gesundheit der Mitarbeiter:innen an oberster Stelle standen: Nach dem Release am 10. Dezember füllten wütende Berichte über Bugs, schlechte Performance, besonders auf den Konsolen und generellen Frust, Foren und Bewertungen. Was wiederum den Crunch der Entwickler:innen noch für Wochen und Monate weiter treiben wird, da diese die technischen Probleme, die das Spiel zur Releaseversion mit sich gebracht hat, reparieren müssen.

Und nicht nur der Crunch selbst nagt an den Entwickler:innen, sondern auch die unterdurchschnittliche Bezahlung, die durch zynische Bonuszahlungen aufgewertet werden soll. Boni sind zum Beispiel an den Durchschnitt der Metacritic3 Reviews gebunden. Noch viel schlimmer sind die monatlichen Boni in Form von Tokens, die wie Fleißbienchen aus der ersten Klasse von den Vorgesetzten ausgeteilt werden. Je mehr Bienchen du von deinem Vorgesetzten erhältst, desto höher ist dein Bonus. Ist dein Chef ein Arsch und mag dich nicht, dann gehst du leer aus.

Obendrauf erhielten einige Entwickler:innen auch noch Todesdrohungen von “Fans” als Reaktion auf die angekündigten Verschiebungen. Leider ein trauriger Standard in der Gamingszene.

Doch fehlerbehaftete Spiele sind nie die Schuld der Entwickler:innen, sondern vom Management, dass auf qualitätsschädigende und menschenfeindliche Praktiken wie den “Crunch” besteht. Die Arbeitsbedingungen der Entwickler:innen sind nicht nur bei Cyberpunk 2077 ein Problem, sondern in der ganzen Industrie. Dass solche Bedingungen in einer der Branchen mit der niedrigsten gewerkschaftlichen Organisierung überhaupt zu finden sind, ist kein Zufall, sondern der traurige Beweis dafür, dass dort, wo Gewerkschaften fehlen, der Neoliberalismus uns bis zu den Knochen ausbeuten wird. Und so bleibt es bei der für die Entwickler:innen traurigen Ironie, dass sie ein Spiel über eine kapitalistische Dystopie programmieren müssen, während ihre Arbeitsbedingungen selbst eine Form des dystopischen Kapitalismus darstellen, der heute bereits ganz real ist.

Fußnoten

1. Die inzwischen widerlegt ist, eine Auseinandersetzung würde aber den Artikel sprengen.
2. Monetarisierung in Videospielen, ist der Weg vom Entwickler mit dem Produkt, also dem Spiel, Geld zu verdienen. Zum Beispiel durch In App Käufe, viele kleinen Bonus Inhalte oder Werbung.
3. Eine für die Community wichtige Seite, auf der Fans Videospiele bewerten.

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