Berlin-Wahl: CDU gewinnt durch rassistische Hetze

13.02.2023, Lesezeit 15 Min.
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Foto: KGK

In Berlin wurde wieder gewählt und die CDU ist eindeutig Wahlsiegerin. Der Senat wurde hingegen abgestraft. Vor allem mit ihrer rassistischen Kampagne zur Silvesternacht hat die CDU es geschafft, Stimmen bis ins rechte Spektrum für sich zu gewinnen.

Berlin hat wieder gewählt. Nach anderthalb Jahren Rot-Rot-Grün (RRG) musste die Wahl aufgrund von etlichen Pannen wiederholt werden. Das Ergebnis ist für viele vielleicht keine Überraschung, aber in seiner Deutlichkeit dennoch ein Schock: Mit 28,2 Prozent konnte sich die CDU um fast zehn Prozentpunkte verbessern und liegt deutlich vor SPD und Grünen. Die kommen wiederum beide nur noch auf 18,4 Prozent. Laut vorläufigem amtlichen Ergebnis liegt die SPD minimal vor den Grünen. DIE LINKE verliert ebenfalls im Vergleich zur Wahl 2021 und kommt nur auf 12,2 Prozent. Die AfD konnte leicht zulegen und erreicht nun 9,1 Prozent. Die FDP ist mit nur 4,6 Prozent aus dem Abgeordnetenhaus geflogen – es ist immerhin nicht alles schlecht.

Die Wahlgewinner:innen sind die, die besonders lautstark rassistische Hetze verbreitet haben. Nur CDU und AfD haben ihr Ergebnis von 2021 verbessert, alle anderen Parteien mussten Prozente einbüßen. Viel Frust in der Berliner Bevölkerung richtet sich gegen die Regierung aus SPD, Grünen und LINKEN. Kurz vor der Wahl sagte nur knapp ein Viertel der Berliner:innen, sie seien mit der Arbeit des Berliner Senats zufrieden. Aber ebenfalls sagten über 50 Prozent, dass sie nicht denken, dass ein CDU-geführter Senat die Probleme besser lösen würde. Die Unzufriedenheit mit nahezu allen etablierten Parteien richtet sich bei der Wiederholungswahl dennoch vor allem gegen RRG. Sie werden politisch dafür verantwortlich gemacht, wie schlecht die Verwaltung in Berlin funktioniert, und dass es überhaupt eine Wiederholungswahl geben musste. Laut dem Landeswahlleiter lief diese übrigens bis auf kleinere Pannen, wie Wahlvorstände, die verschlafen hatten, reibungslos ab.

Die CDU hat das Chaos in den Verwaltungen und Fragen von „Sicherheit und Ordnung“ zentral in ihrem Wahlkampf zum Thema gemacht. Besonders die Ereignisse zu Silvester hat die CDU für eine rassistische Kampagne genutzt, in der sie sich als Law-and-Order-Partei inszenieren konnte, gegenüber dem aus ihrer Sicht zu laschen Senat. Damit konnte sie sicher auch am äußerst rechten Rand fischen. Die AfD konnte im Vergleich zu 2021 leicht zulegen, ist jedoch mit 9,2 Prozent deutlich schwächer als in den Bundestrends. Die Verluste der FDP sind auch auf den Aufschwung der CDU zurückzuführen, da sich beide Parteien in der Vergangenheit immer wieder zu großen Teilen die Wähler:innenschaft geteilt haben. Der größte Zuwachs für die CDU sind ehemalige SPD-Wähler:innen: 53.000 Stimmen konnte die CDU von der SPD gewinnen. Die Regierende Bürgermeisterin Giffey bekam auch eine persönliche Klatsche: Nachdem sie bei den letzten Wahlen ein Direktmandat erringen konnte, musste sie sich nun in ihrem Wahlkreis Neukölln 6 ganz klar gegenüber dem CDU-Kandidaten geschlagen geben. Ihre Konkurrentin um das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von den Grünen kam in ihrem Wahlkreis sogar nur auf Platz vier, hinter CDU, SPD und sogar AfD.

DIE LINKE musste in ihrem Rückhalt in der Bevölkerung ebenfalls einen Rückschritt hinnehmen, was unterschiedliche Gründe hat. Dass DIE LINKE sich nicht mit großen Mobilisierungen und realem Protest gegen die Verschleppung des Volksentscheids zur Enteignung großer Wohnungskonzerne durch den Senat gestellt hat, aber auch eine fehlende Klarheit über Antworten auf den Krieg und die soziale Krise, spielen hier mit rein. Der Streit um die chauvinistischen Positionen Wagenknechts und den sozialpartnerschaftlichen Kurs der Parteiführung zeigen keine klaren Lösungen für die Wähler:innen. Während DIE LINKE sich in den Sozialen Netzwerken feiert, müssen wir klar sagen: Dieses Wahlergebnis ist eine Niederlage für DIE LINKE. Immer wieder beweist sie, dass sie ihre Wahlversprechen hochkant über Bord werfen, um damit an Regierungsposten zu kommen. Die letzte Koalition mit Enteignungsgegnerin Giffey war dabei nur die Spitze des Eisbergs. Wohnungsprivatisierungen, Outsourcing in Krankenhäusern, Ausbau der Polizei und Abschiebungen: Ihre Politik zielt vollständig auf eine Mitverwaltung des jetzigen Systems und keine Alternative im Interesse der Bevölkerung ab. Eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei ist keine Lösung für die Probleme in Berlin. Die Grünen konnten ihr Ergebnis von 2021 fast halten, was gerade nach der Räumung von Lützerath unerwartet gut für sie ist.

Auffällig, wenn auch nicht unerwartet, ist die niedrige Wahlbeteiligung von 63 Prozent. Bei der als ungültig erklärten Wahl 2021 lag sie bei 75,4 Prozent, zeitgleich waren nämlich auch Bundestagswahl und Wahl zum Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co enteignen. Die Enttäuschung der Wähler:innen zeigt sich also nicht nur in den schlechten Ergebnissen für die regierenden Parteien. Würde man die gesamte, und nicht nur die wählende, Bevölkerung Berlins ins Ergebnis einbeziehen, käme die CDU auf nur 12 Prozent. Der größte Anteil der Berliner Bevölkerung sind die Nicht-Wähler:innen, gefolgt von den über 20 Prozent, die aufgrund rassistischer Diskriminierung in Berlin nicht wählen dürfen. EU-Bürger:innen dürfen bei den Bezirkswahlen abstimmen, jedoch nicht bei den Landeswahlen . Diese Zahlen deuten auf die enorme Repräsentationskrise hin, in welcher sich die politische Vertretung des Landes befindet. Die rassistischen Ausschlussmechanismen, die verhindern, dass hunderttausende Menschen sich nicht mal an dem Bisschen Mitsprache beteiligen können, welches die kapitalistische Demokratie ermöglicht, müssen angeprangert werden. Alle Menschen, die in dieser Stadt leben, müssen Wahlrecht erhalten.

Die CDU, der Rassismus und der Wahlsieg

In der begleitenden Wahlsendung des RBB wurde besonders deutlich, wie sehr der Sieg der CDU Ausdruck der rassistischen Diskurse ist, die seit Silvester von Medien und Parteien in Berlin befeuert werden. 83 Prozent der CDU-Wähler:innen sagen, sie hätten die CDU gewählt, weil diese gegen „Zuwanderer“ vorgehe. Der erste Sieg der Berliner CDU seit 24 Jahren war seit der Silvesternacht absehbar. Von den sogenannten Gewerkschaften der Polizei, der Springerpresse und natürlich auch von CDU und AfD wurde ein “neues Ausmaß der Gewalt” heraufbeschworen, für welches laut CDU-Politiker Christoph de Vries “Personen, Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp” verantwortlich sind. Der Wahlkampf der CDU wurde somit durchzogen von einer Linie, die den fehlenden “Respekt” vor Einsatzkräften und den Ausbau der Polizei mit der Integrationspolitik der Bundes- und Landesregierung verbindet. Auf einer rassistischen Grundlage konnte sich die CDU als Kraft für ein hartes Durchgreifen gegen die (vermeintlich ausländische) „Kriminalität“ und somit als klassische “Law and Order” Partei positionieren. Kai Wegner, der sich 2021 dafür aussprach, dass der Rechtsextreme Hans-Georg Maaßen einen Platz in der CDU haben sollte, ist dafür der perfekte Kandidat. Es liegt aber eine gewisse Ironie darin, dass dieses Auftreten bei den Wähler:innen so gut funktionierte, während RRG in den vergangenen Jahren die Berliner Polizei stetig aufgerüstet hat. In den Fernsehdebatten kamen Vertreter:innen der Grünen und der SPD auch nicht umhin ständig zu betonen, wie sehr sie ja dafür seien, die Polizei stärker auszubauen, um gegen Kriminalität vorzugehen. Anne Helm von der Linkspartei betonte in gestrigen RBB-Sendung zwar, dass Kriminalität oft mit Armut und auswegslosen Situationen zusammenhängen würde, und dass Ersatzfreiheitsstrafen in den Statistiken mit Gewaltstrafen in einen Topf geworfen werden und die Statistik verfälschen. Jedoch war die Lösung, die die Linkspartei anbot, mehr Schulungen in Bezug auf Rassismus und den Umgang mit psychisch kranken Menschen. Somit würden die Polizist:innen gestärkt und geschützt, was uns alle schützen würde. Scharfe Kritik an der Polizei, die insbesondere gegenüber rassifizierten und armen Menschen offen gewalttätig ist, sieht anders aus. Kein Wunder also, dass die umstrittene Polizeiwache am Kottbusser Tor schon am 15.02. eröffnet wird, ganz ohne eine CDU-Regierung.

Was erwartet Berlin?

Trotz des enormen Erfolgs der CDU bei den Wahlen in Berlin stehen die Chancen für die Christdemokrat:innen, die nächste Regierung zu bilden, dennoch relativ schlecht. Im Vorfeld betonten alle Regierungsparteien, vor allem Grüne und LINKE, dass sie auf jeden Fall an der Koalition festhalten wollen. Nach der Wahl ist trotz Verlusten für alle Senatsparteien RRG daher immer noch das wahrscheinlichste Ergebnis, das auch eine stabile Mehrheit hätte. Bei 10 Prozentpunkten Vorsprung für die CDU wird Kai Wegner jedoch alles daran setzen, entweder eine schwarz-grüne oder schwarz-rote Koalition aufzubauen. Sowohl Giffey als auch Jarasch haben geäußert, dass sie prinzipiell für Gespräche mit der CDU bereit sind.

Aktuell hat Giffey einen minimalen Vorsprung von etwa 100 Stimmen vor Jarasch. In so einer knappen Ausgangslage hätten beide Parteien die Koalitionsoption mit der CDU als ein Druckmittel, um ihre Chance auf Posten oder Positionen in der RRG-Koalition zu verbessern. Vor allem in Fragen der Enteignung von Deutsche Wohnen und Co., dem Ausbau der A100 und der autofreien Friedrichstraße, also den Themen, wo die SPD deutlich mehr Überschneidungen mit der CDU hat, hat sie damit eine Option, um Themen die innerhalb von RRG umstritten sind gegenüber den Koalitionspartnern durchzusetzen. Berlin erwartet also zunächst ein politisches Ringen um Positionen für die nächsten Jahre, die trotz des CDU Wahlsiegs aller Wahrscheinlichkeit nach weitere Jahre unter einem Senat aus SPD, Grünen und LINKEN bedeuten. Dass die mögliche Fortsetzung der bisherigen Koalition Stand jetzt weiterhin unter der Führung von Franziska Giffey erfolgen würde, dürfte ein weiterer Wermutstropfen für viele Berliner:innen sein. Schon jetzt sind 56 Prozent mit ihrer Arbeit unzufrieden. Wie tief dieser Wert noch fallen kann, wird sich zeigen. Sollte Giffey Regierende Bürgermeisterin bleiben, sind wir gespannt, was neben Eiern am diesjährigen 1. Mai noch so alles durch die Lüfte Berlins fliegen wird.

Wie weiter?

Berlin steht vor enormen Herausforderungen: Allen voran das Thema Wohnen steht für viele Berliner:innen hier im Mittelpunkt. Während der Volksentscheid nicht umgesetzt wurde, sind die Mieten in Berlin weiter rasant gestiegen (plus 30 Prozent gegenüber dem letzten Quartal 2021). Anstatt 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr, wie es im Koalitionsvertrag steht, hat RRG im Jahr 2022 gerade einmal 630 neue Wohnungen gebaut. Aber auch Fragen der Verkehrspolitik (A100 und ÖPNV), der Bildung und des Klimaschutzes stehen auf der Tagesordnung. Die Bilanz nach anderthalb Jahren Rot-Rot-Grün sieht in all diesen Bereichen nicht gut aus. Dass der Senat von den Wähler:innen abgestraft wurde, sollte aber nicht die Hoffnung wecken, dass ein großer Linksschwenk in der Politik der Landesregierung bevorsteht. Im Gegenteil: Der Erfolg der CDU ist insbesondere auf Grüne und SPD ein Druck nach Rechts, der sich mit Sicherheit in der Politik des kommenden Senats niederschlagen wird. Dieser Druck bedeutet aber eine Verschärfung der Krisen, die im Land seit langer Zeit brodeln. Es bedeutet eine Verschärfung der Lebensbedingungen der Menschen, eine Verschärfung der Polizeigewalt und des Rassismus. Es gilt jetzt sich dieser Verschärfung in den Weg zu stellen und gemeinsam mit anderen linken Kräften gegen eine Neuauflage von RRG zu kämpfen, die keine Antworten auf die drängenden Fragen hat, die den Volksentscheid nicht klipp und klar umsetzen wird, die nichts gegen die Unterfinanzierung der Schulen und Universitäten tun wird und so weiter. Ganz explizit möchten wir uns auch an die Teile der LINKEN wenden, die eine Fortsetzung der Koalition und eine erneute Regierungsbeteiligung ihrer Partei ablehnen und das Angebot an eine gemeinsame Kampagne erneuern.

Ebenso klar müssen wir uns aber auch gegen jede mögliche Koalition unter der Führung der CDU stellen, sollte sie doch zustande kommen. Die CDU hat auch in Berlin schon bewiesen, dass sie eine reaktionäre Partei ist, die keine Politik für die Menschen in der Stadt macht, sondern für ihre engen Freunde in den großen Unternehmen. Was die Wahl aber auch zeigt, ist dass mit RRG der Aufstieg von rechten (Schein-)Alternativen nicht verhindert werden kann, sondern die halbherzige Politik und das Brechen von Wahlversprechen gerade den Boden dafür liefert, dass reaktionäre Kräfte wie CDU und AfD bei den Wahlen so stark werden können. Eine Antwort auf diese Entwicklung kann nicht an der Wahlurne herbeigezaubert werden, sondern muss durch echten Druck auf der Straße, in den Betrieben, Schulen und Universitäten entstehen. Der nachhaltigste Weg für Veränderungen ist, sie selbst zu erkämpfen. Deshalb lasst uns auch als klares Zeichen gegen die CDU jetzt diejenigen unterstützen, die wirklich für die Interessen der Berliner Bevölkerung kämpfen: die Lehrer:innen, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, bei der Post und bei der Bahn. Sie halten diese Stadt am Laufen, oft prekär beschäftigt, outgesourct und mit Niedriglöhnen. Während Politiker:innen fast aller Parteien sich in Worten mit den Streiks (oder zumindest ihren Themen) solidarisieren, sind die Arbeitskämpfe in der Realität sowohl gegen die Politik der jetzigen Regierung als auch die einer möglichen CDU-geführten Regierung gerichtet. Zum Teil ist der Senat der Arbeitgeber, wodurch der Gegner im Arbeitskampf direkt die Berliner Regierung ist, wie bei den streikenden Lehrer:innen in Berlin. Unsere Solidarität gilt den kämpfenden Arbeiter:innen und nicht den Politiker:innen, die Wahlversprechen geben, nur um sie zu brechen. Wir wehren uns gegen die rassistische Kampagne von CDU, AfD und der Springer-Presse. Dabei haben wir jedoch auch kein Vertrauen in den rot-rot-grünen Senat, der die Kottiwache gebaut hat und für Polizeigewalt verantwortlichist. Stattdessen müssen wir einen politischen Kampf führen, gemeinsam mit der Jugend und den Arbeiterinnen, die kein Vertrauen in diesen Senat haben. Diesen Kampf können wir nur gewinnen, wenn wir ihn gegen die verräterischen, reformistischen Parteien und die mit ihnen einhergehende Integration in den bürgerlichen Staat führen.

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