Autonomismus – keine Strategie, keine Revolution?

11.08.2017, Lesezeit 6 Min.
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#KGKcamp: Assoziationen zu Autonomismus: „schwarzer Block, Hausbesetzung und Anarchismus.“ Am zweiten Tag des Sommercamps von Klasse Gegen Klasse wurde in einem Workshop über die derzeitige Situation des deutschen Autonomismus diskutiert. Was sind Gemeinsamkeiten und Differenzen mit dem Marxismus?

Bastian Schmidt und Aktivist*innen aus Berlin, München und Paris versammeln sich am Donnerstagmorgen im Seminarraum „Februar“. Sören Luxbach ist enthusiastisch und gespannt auf den Tag. Er findet es schade, dass er nicht an allen Workshops teilnehmen kann. Parallel findet im Seminarraum „Oktober“ ein Workshop zu Autonomer Ästhetik statt. Dustin Hirschfeld antwortet auf die Frage nach seinen Assoziationen zu Autonomismus: „schwarzer Block, Hausbesetzung und Anarchismus.“

Ursprünge des Autonomismus

Der Workshop beginnt mit einem Input über den historischen Beginn des Autonomismus. In den 60er Jahre in Italien existierte eine Strömung, die sich Operaismus („Arbeiter*innen-ismus“) nannte, die in Fabriken versuchte Arbeiter*innen zu organisieren. Aufgrund der bürokratischen Degenierung der Kommunistischen Partei Italiens (KPI), einst die zweitstärkste kommunistische Partei Europas, begannen Arbeiter*innen sich in den Fabriken und anderen Betrieben „autonom“ zu organisieren, also basisdemokratisch, selbstverwaltet und nun auch gegen die Form der revolutionären Partei selbst gerichtet. Eine unmittelbare, aber strategielose Antwort auf den Verrat des Stalinismus. Dies führte zu einer Praxis, die sich de facto auf ökonomische Kämpfe beschränkte, statt um die Eroberung der politischen Macht zu kämpfen. Mit der Fabrikorganisierung allein sollte das Momentum für eine „spontane“ Massenbewegung entstehen, um den Staat zu zerschlagen.

Heute in Deutschland verneinen viele Autonome die Zentralität der Arbeiter*innenklasse, geschweige denn die Tatsache, dass die Arbeiter*innenklasse überhaupt existiert. Die Anhänger*innen dieser Strömung werden auch als Postautonome bezeichnet, also die Autonomen nach dem Autonomismus der Arbeiter*innen. Seit seinem Aufkommen in Deutschland war dies seine hauptsächliche Ausprägung und nach wie vor zeigt sich das Fehlen einer solchen Verbindung.

Wie sich zum Beispiel erst kürzlich im Rahmen von den G20-Protesten in Hamburg bei der Hafenblockade des Ums-Ganze Bündnisses zeigte, hatten sie diese weitestgehend ohne eine direkte Verbindung zu den Hafenarbeiter*innen selbst durchgeführt. Es gab keine längerfristige Aufbauarbeit, die sich in diesem Moment in einer gemeinsamen Aktion zum Ausdruck gebracht hätte und auch als es im April eine Kundgebung der Hafenarbeiter*innen von Blohm und Voss, wo Ums Ganze nicht interveniert hat. Ein anderes Beispiel solcher autonomer Praxis ist „Ende Gelände“, die von der Interventionistischen Linken politisch angeführte Massenaktion gegen die Braunkohleförderung und die Klimakrise, die mit ihren Grubenbesetzungendirekt arbeiter*innenfeindlich agiert, als sie den Betrieb ohne Absprachen mit den Kolleg*innen besetzten.

Gemeinsamkeiten der Autonomen

Obwohl es keine einheitliche Ideologie der Autonomen/Postautonomen gibt, lassen sich Gemeinsamkeiten finden. Ideologisch ist diese Strömung stark von postmodernen Denker*innen geprägt, wie zum Beispiel Michael Hardt und Antonio Negri mit ihrem Konzept der „Multitude“. Dies ist ein neues politisches Subjekt, was an die Stelle der Arbeiter*innenklasse getreten sein soll. Selbst wenn Streiks unterstützt werden, werden sie als ein weiterer Kampf gesehen, gleichberechtigt neben allen anderen Kämpfen. Sie sehen jedoch nicht, dass nur mit den Arbeiter*innen wirklich der Staat zerschlagen werden kann. Es gibt bei verschiedenen Autonomen eine direkte Verbindung zur Linkspartei oder auch zur Gewerkschaftsbürokratie. Auch wenn sie diese im allgemeinen verbal kritisieren mögen, fehlt auf der Straße dann jedoch die Kritik allzu oft. So stellen sich Autonome richtigerweise gegen Abschiebungen, doch eine Kritik der abschiebenden Linkspartei fehlt. Auch kommt es nicht selten vor, dass (frühere) Autonome in der Gewerkschaftsbürokratie Karriere machen.

Warum ist der Autonomismus so attraktiv für Jugendliche?

Viele Jugendliche, die sich gegen Nazis engagieren wollen, werden von der autonomen Szene angezogen. Im Workshop entdecken wir, dass einige von uns früher in autonomen Gruppierungen waren oder mindestens mit dem Autonomismus sympathisiert haben. Unsere Analyse ist, dass autonome Gruppen ein „Wir gegen den Rest der Welt“-Gefühl vermitteln, das in individualistischen Aktionen stark ist. Dadurch, dass man sich nicht politisch festlegen muss, ist die autonome Szene ein guter Anlaufpunkt für junge Menschen. So positioniert sich die IL nicht im Israel-Palästina-Konflikt, um vermeintlich einer Spaltung vorzubeugen. Diese „Vorbeugung“ endet dann aber in einer zunehmenden Spaltung in Richtung einer Duldung und Akzeptanz von chauvinistischen pro-zionistischen (antideutschen) Positionen. Dass sie damit viele migrantische Menschen ausgrenzen, die eine klare Haltung zu diesem antikolonialen Kampf haben und selber Rassismus erfahren, scheint nicht zu zählen.

Hovhannes Gevorkian erläutert in seinem Redebeitrag zur Popularität der Autonomen und Aspekten, die wir von ihrem politischen Konzept lernen können:

Sie sind die Avantgarde im Kampf gegen die Staatsmacht, sie kanalisieren die berechtigte Wut auf die Staatsgewalt auf der Straße. Ihre Struktur sind oft professionell organisiert, mit Bannern, Pyrotechnik etc., so dass die Aktionen auf der Straße auf Jugendliche anziehend wirken, da sie oft eine klare Taktik und viel Erfahrung haben.

Ein Aspekt, so die Schlussfolgerung, muss es sein, als Kommunist*innen selber entschlossen vorne in militanten Auseinandersetzungen dabei zu sein – wenn physische Gewalt als taktisch notwendiges Mittel genutzt wird. Wir wollen eine revolutionäre Partei aufbauen, die die Führung übernimmt, auch in der konkreten Auseinandersetzung mit der Staatsmacht.

Die Arbeiter*innen selbst haben das größte militante Potential – nicht nur in Form von ökonomischer und politischer Macht durch Streiks und Besetzungen, sondern auch durch den kreativen Einsatz der Instrumente ihrer Ausbeutung. Trotz aller Kritik wird von den Workshopteilnehmer*innen deutlich aufgezeigt, dass wir Aktionseinheiten mit autonomen Gruppen durchaus gut finden und wir solidarisch auftreten in Fällen von Repression und Einschränkung unserer demokratischen Rechte.

Natürlich kämpfen wir mit autonomen und anarchistischen Aktivist*innen zusammen gegen Unterdrückung, aber wir müssen in der Praxis beweisen, dass die Zentralität der Arbeiter*innenklasse für eine erfolgreiche Revolution unabdingbar ist.

sagt Dustin Hirschfeld, der mit den anderen Workshopteilnehmer*innen auf dem Weg zum Mittagessen ist.

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