#ZeroCovid: Entsteht mitten in der Pandemie eine linke Opposition gegen die Regierung?

16.01.2021, Lesezeit 7 Min.
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Iven O. Schloesser / Shutterstock

Die Initiative #ZeroCovid will mit einem Lockdown der Wirtschaft die Fallzahlen auf Null senken und fordert dabei soziale Rettungspakete durch eine solidarische Finanzierung. Erstmals in der Pandemie ist eine linke Antwort auf die Politik der Regierung zu vernehmen. Die Arbeiter:innenbewegung muss diese Forderungen mit Streiks durchsetzen.

„Danke an die Kanzlerin für die klaren Worte! Nach der Krise sind grundsätzliche Fragen zu stellen.“ Dieses Zitat von Dietmar Bartsch von der Linkspartei drückt die Position der Linken beim ersten Lockdown im März aus. Mittlerweile sind seine Worte etwas distanzierter. Er und seine Partei klagen, dass etwa die Corona-Hilfen nicht schnell genug ausgezahlt werden. Doch eine grundsätzlichen Infragestellung der Corona-Politik der Bundesregierung kam bisher nur von rechten Corona-Leugner:innen. Auch die Grünen nahmen Merkel zuletzt aus der „Opposition“ heraus gegen Kritiken in Schutz. Es schien so, als wäre die politische Linke im Land erstarrt; als wünsche sie sich nur eine etwas sozialere Gewichtung von Merkels Politik. Nun gibt es mit der Initiative #ZeroCovid endlich eine öffentlichkeitswirksame linke Antwort:

Die Strategie, die Pandemie zu kontrollieren, ist gescheitert („flatten the curve“). Sie hat das Leben dauerhaft eingeschränkt und dennoch Millionen Infektionen und Zehntausende Tote gebracht. Wir brauchen jetzt einen radikalen Strategiewechsel: kein kontrolliertes Weiterlaufen der Pandemie, sondern ihre Beendigung. Das Ziel darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen – es muss Null sein.

Die Bundes- und Landesregierungen haben einen Lockdown verhängt, von dem kein Ende in Sicht ist. Bislang bedeuten die Maßnahmen die Schließung von Läden und Freizeitangeboten, und vor allem private Einschränkungen. Doch während es nicht mal mehr erlaubt ist, sich zu dritt zu treffen, müssen weiter Millionen Menschen täglich in Bussen und Bahnen zur Arbeit in die Betriebe und Büros fahren. Im Vergleich zum März 2020 sind viele Menschen unterwegs, weswegen die Infektions- und Todeszahlen hoch bleiben. Insbesondere mit den mutierten Viren aus Großbritannien und Südafrika wäre ein Herunterfahren aller nicht-lebensnotwendigen Bereiche der Wirtschaft dringend nötig, sonst drohen Zustände wie aktuell in London. (Dort lag die Sieben-Tages-Inzidenz in den vergangenen Tagen bei über 1000 und der Katastrophenfall wurde ausgerufen.) Diese Forderung stellt #ZeroCovid auf. Außerdem kommt auch die Frage auf, wer dafür zahlen soll:

Wir müssen die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stilllegen. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden…
Menschen können nur zu Hause bleiben, wenn sie finanziell abgesichert sind. Deshalb ist ein umfassendes Rettungspaket für alle nötig…
Darum verlangen wir die Einführung einer europaweiten Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen.

Diesen Aufruf haben am Tag nach der Veröffentlichung bereits 35.000 Menschen unterzeichnet. Unter den 400 Erstunterzeichner:innen befinden sich prominente Personen wie Georg Restle, Luisa Neubauer, Raul Krauthausen, Christian Zeller, Raul Zelik, Margarete Stokowski oder Stefanie Sargnagel, zudem viele Beschäftigte aus dem Gesundheitssystem, wie Pflegekräfte und Ärzt:innen, Wissenschaftler:innen und Journalist:innen.

Neben dem Lockdown und den Vermögensabgaben fordert die Initiative, dass die Impfstoffproduktion und das Gesundheitswesen nicht profitorientiert gestaltet und Privatisierungen zurückgenommen werden. Mit ihrem Konzept unterscheidet sich #ZeroCovid von der Linkspartei, die bisher einen schwammig formulierten „solidarischen Lockdown“ fordert, ohne die Absicht, die Pandemie endlich wirklich zu besiegen.

Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Linkspartei, sagte in einem Interview mit der Taz über #ZeroCovid: „Ich werde auf jeden Fall informieren, dass es diese Initiative gibt. Als Linke haben wir unseren Ansatz des solidarischen Lockdowns, die Initiative hat ihren. Und das ist auch gut so. Nicht alles, was ich sympathisch finde, muss man parteipolitisch okkupieren.“ Eine elegant formulierte Distanzierung, in der sie nur versteckt, dass die Linkspartei nicht bereit ist, die Wirtschaft herunterzufahren.

Wie sind die Forderungen von #ZeroCovid umsetzbar?

Da die parlamentarischen Parteien entweder der Politik der Regierung folgen, oder – zynisch wie die AfD – die Regeln lockern und dabei mehr Tote in Kauf nehmen wollen, ist #ZeroCovid die logische außerparlamentarische Schlussfolgerung von links. Wie es weiter geht, ist aber noch offen. Die Unterschriftenliste richtet sich an die „Bundesregierungen von Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie wichtige europäische Entscheidungsträger“. Im Text wird aber auch die Verantwortung der Gewerkschaften genannt:

Mit diesem Aufruf fordern wir auch die Gewerkschaften auf, sich entschlossen für die Gesundheit der Beschäftigten einzusetzen, den Einsatz von Beschäftigten für ihre Gesundheit zu unterstützen und die erforderliche große und gemeinsame Pause zu organisieren.

Tatsächlich macht es einen gewaltigen Unterschied, wer den Wirtschafts-Lockdown umsetzen soll – ob es eine von oben verordnete „Pause“ gibt, oder die Arbeiter:innen selbst streiken und volle Lohnfortzahlung bei Freistellung von der Arbeit, statt Kurzarbeit und Lohnverzicht erzwingen.

Auf einen durch die Regierung verordneten „kompletten“ Lockdown können wir lange warten. Sie wird die Industrie und Büros solange offenhalten, wie es irgendwie geht, um die Profite der Konzerne zu retten. Sollte sie angesichts dramatisch steigender Fallzahlen doch gezwungen sein, auch Teile der Wirtschaft stillzulegen, wird dies mit weiteren Einschränkungen der persönlichen Freiheiten und einer Ausweitung der polizeilichen Befugnisse einhergehen.

Die Gewerkschaften können hingegen zu Arbeitsniederlegungen aufrufen und den Lockdown der Wirtschaft erzwingen – ohne Polizeistaat, sondern einen Lockdown unter Kontrolle der Beschäftigten. Doch wie auch die Parteien, suchten die Führungen der Gewerkschaften in der Pandemie bisher lieber die Einheit mit der Regierung. „Rechtzeitig“ vor Beginn der zweiten Welle beendeten sie die Streiks im Öffentlichen Dienst, um die Corona-Strategie der Regierung mit weiter offenen Fabriken nicht zu gefährden. Sie begnügten sich mit etwas mehr Lohn, bekämpften aber nicht die Profitorientierung im Gesundheitswesen.

Um auch diese Probleme anzugehen und den Lockdown durchsetzen zu können, braucht es Online-Betriebsversammlungen, auf denen die Beschäftigten sich informieren und die Streiks und ihre Ziele absprechen können. Sie sind auch in der Lage, über die in der Petition genannten Sofortmaßnahmen, wie die finanziellen Rettungspakete für alle, weiterreichende Maßnahmen abzustimmen.

Sie spüren die Auswirkungen der Krise täglich und wissen am besten, welche Probleme sich dadurch stellen. Mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen bzw. im gesamten Öffentlichen Dienst hat die Arbeiter:innenbewegung die Mittel und Expertise, um die Pandemie zu bekämpfen und unter Kontrolle zu bringen. Wenn die Arbeiter:innen mithilfe von Streiks den Lockdown durchsetzen, dann können sie auch weitere Forderungen erkämpfen, wie beispielsweise die Einführung einer Reichensteuer, Entlassungsverbote sowie die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien und von schließenden Betrieben unter Arbeiter:innenkontrolle, damit nicht sie die Folgen der Krise zahlen müssen.

Mit solchen Forderungen können #ZeroCovid, sowie die politische Linke und aktiven Gewerkschafter:innen an die Arbeiter:innenklasse und Gewerkschaften herantreten und einen Kampfplan gegen die Krise vorschlagen. Dabei dürfen sie sich nicht von der parlamentarischen Schwerfälligkeit der Linkspartei einschüchtern lassen, sondern müssen sie dazu aufrufen, gemeinsam für eine Perspektive zu kämpfen, bei der die Arbeiter:innen selbst das Ruder in die Hand nehmen, um die Pandemie zu beenden. Auf diese Weise kann sich eine linke Opposition bilden, die sich unabhängig vom Kapital und seinen Regierungen organisiert. Sie muss eine antibürokratische Strömung in den Gewerkschaften entwickeln, um kommende Angriffe wie Massenentlassungen oder eine angekündigte Anhebung des Renteneintrittsalters abzuwehren und die Reichen für die Kosten der Krise zahlen zu lassen.

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