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Von der Pandemie in die Altersarmut

14.01.2021, Lesezeit 8 Min.
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Charlotte nach einer Zwölf-Stunden-Schicht.

2021 geht so weiter, wie 2020 geendet hat. Für uns, die in der ganzen Zeit der Pandemie dafür arbeiten, den öffentlichen Betrieb am Laufen zu halten, ändert sich nicht viel. Eher im Gegenteil – die Frustration, die Erschöpfung, die Corona-Fälle im eigenen Umfeld und die Belastung durch die steigenden Infektionszahlen - nicht zuletzt durch die neuen Mutationen - nehmen zu.

Wir haben nicht für eure Profite geschuftet – sondern für die Gesundheit aller

In aller Schärfe haben sich in den letzten Monaten die Realitäten eines kaputtgesparten Gesundheitssystems gezeigt. Trotzdem haben weder die Politiker:innen, noch die Geschäftsführungen etwas unternommen, um strukturelle Veränderungen einzuleiten. Veränderungen, die tatsächlich einen langfristigen Unterschied für die Patient:innen und alle im Gesundheitssystem Arbeitenden machen.

Im Gegenteil: Obwohl es im Rahmen der Tarifverhandlungen zu Mobilisierungen und sehr klaren Forderungen seitens der Beschäftigten kam, wurden wir nur mit Einmalzahlungen und auf lange Sicht sehr geringen Lohnsteigerungen bzw. Einmalzahlungen abgespeist. Und das gilt nur für die Pflege – die Kolleg:innen, die nicht im Öffentlichen Dienst angestellt sind, wie z.B. Personen, die in outgesourcten Bereichen arbeiten, habe davon überhaupt nichts. Dabei gingen unsere Forderungen in den Tarifverhandlungen und bundesweiten Petitionen, offenen Briefen etc. weit darüber hinaus! Wir brauchen langfristige Lösungen für den Personalmangel, wir brauchen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, wir wollen Qualität, statt Fließbandarbeit!

Was ist der Dank?

Schon jetzt hält 2021 einen neuen Angriff von rechts auf uns Arbeiter:innen bereit: Der CDU-Wirtschaftsrat veröffentlichte unter der Beobachtung, dass die Lebenserwartung der in Deutschland lebenden Menschen steigt (aktuell für männliche Personen 78,6 Jahre und für weibliche 83,4 Jahre) den Vorschlag für eine Sozialreform, die, wenn man es auf den Kern runterbricht, das Ziel hat, weniger Geld zu investieren und mehr Arbeitskraft zu gewinnen. Das Renteneintrittsalter soll auf 70 angehoben werden. Gespart werden soll an allen Sozialausgaben, vor allem Hartz IV Empfänger:innen sollen deutlich weniger zur Verfügung haben, weil es sich angeblich viel zu viele Menschen von den unglaublichen 450€ die sie maximal behalten dürfen, zu gut gehen lassen. Bestraft werden auch alle, die früher in Rente gehen (müssen) durch eine Erhöhung des Rentenabschlags von derzeit 3,6 Prozent auf 5 bis 7 Prozent. Das bedeutet, wenn Menschen vor dem vorgesehenen Eintrittsalter in Rente gehen, kriegen sie am Ende weniger Rente. Generell soll das Rentenniveau sinken und somit die private Rentenversicherungen gestärkt werden. Neben all dem gibt es auch besorgniserregende Ideen, um den Wettbewerb im Gesundheitssystem zu steigern und Krankenkassen die Möglichkeit zu geben, Einzelverträge mit Krankenhäusern abzuschließen – doch hier soll es erstmal um die Rente gehen.

Die Reform zielt darauf ab, die Arbeiter:innenklasse zu spalten und die, die nicht auf Sozialzuschüsse jeglicher Form angewiesen sind wütend auf die zu machen, die es sind. Was natürlich mit keiner Silbe erwähnt wird, ist, wer tatsächlich etwas von dem eingesparten Geld hat: Unternehmer:innen, Besitzer:innen von Produktionsmitteln etc. Nirgendwo wird erwähnt, wie unglaublich viel Geld man für die kommenden Generationen, die laut CDU unter der Last der leeren Sozialkassen leiden werden, herbeischaffen könnte, wenn eine Vermögensabgabe für Superreiche eingeführt würde.

Aber auch davon abgesehen sind Folgen einer solchen Reform schon jetzt absehbar. Wie geht es denn bereits heute vielen Rentner:innen in Deutschland? Obwohl sie häufig ihr ganzes Leben gearbeitet haben (und das vielleicht sogar ohne auf soziale Zuschüsse angewiesen gewesen zu sein) sind viele im Alter auf strenges Sparen, Minijobs, Flaschensammeln etc. angewiesen.

Gerade in Bereichen wie dem Gesundheitssystem in Deutschland ist es komplett unrealistisch und auch heute schon kaum üblich, bis zur Rente (und schon gar nicht bis 70 Jahre) zu arbeiten. Durch die Belastung von Schichtarbeit, die körperliche und psychische Anstrengung, sind heute schon und werden auch dann Menschen gezwungen sein, in Frührente zu gehen – und dafür zahlen sie dann. Mal abgesehen davon, dass Schichtarbeit und was damit einher geht – nämlich ein unregelmäßiger Schlafrhythmus, Stress, häufig unregelmäßige Ernährung – viele Krankheiten fördert, die entweder bedeuten, dass man nicht weiterarbeiten kann oder gar nicht lange genug lebt, um viel von seiner Rente zu haben. In einer Stadt wie München kann man kaum gut von seiner Rente leben, wenn man sein Leben lang im Krankenhaus gearbeitet und nicht mit jemandem verheiratet ist, der:die gut verdient. Die meisten lassen ihre Tätigkeit in der Pflege ohnehin schon lange vor der Rente sein und machen etwas anderes – oder sie arbeiten in Rente weiter, um sich etwas dazuzuverdienen. So oder so ist das Outcome nicht gut und nicht fair.

Es mag eine steigende Lebenserwartung geben – mit dem zunehmenden Verschleiß an immer mehr Arbeitskräften, jedoch blicken wir zumindest in eine Zukunft mit immer mehr Menschen, die arbeitsbedingt krank werden – und auch dafür hat dieses Gesundheitssystem keine Kapazitäten.

Wir können uns nur selber retten

„Wer vorzeitig in Rente will, soll höhere Abschläge hinnehmen“, so die Arbeitsgeber-Bundesvereinigung (BDA).

Dieser Satz macht mich sogar als junge Arbeiterin rasend vor Wut. Wie krank ist es, dass man sein ganzes Leben durch die Tretmühle von einem Betrieb gejagt wird, während wenige finanziell davon profitieren, dass man zu Scheißbedingungen schuftet (es machen Leute wortwörtlich Karriere damit, Menschen bestmöglich auszubeuten) und dann wird man sogar noch dafür bestraft, wenn man vor dem festgesetzten „Ziel“ nicht mehr kann?

Wenn es so schon in der Pflege ausschaut – wie ist es bei den outgesourcten Reinigungskräften? Den Menschen, die in den Küchen arbeiten? Was haben sie von einer solchen Rentenreform nach einem Leben voller harter Arbeit noch zu erwarten?

Schon wie wir heute arbeiten und welche Rechte wir als Arbeiter:innen haben: Das wurde alles erkämpft, teilweise über einen langen Zeitraum hin. In einer Krise wie heute versuchen die Bosse dieser Welt nichts anderes, als ihre Profite zu sichern und in der Angst ihre Profite zu verlieren, möglichst viel von denen, die sie ausbeuten, zu nehmen.

Wenn wir uns jetzt nicht organisieren wird es so weitergehen. Die Schwäche der Gewerkschaften, vor allem die Burgfriedenpolitik der Bürokratien in einer Krise wie der aktuellen sowie die Zersplitterung der Linken und der starke Individualismus macht es ihnen einfach.

Ein Ausblick auf diese Reform ist nur ein Vorgeschmack für die nächste Regierung, die 2021 gewählt wird. Sicherlich würde unter Merz am stärksten eine Politik im Sinne einer solchen Reform ausgeführt werden, aber mit Blick auf den wachsenden Schuldenberg wird jede mögliche Regierung zu sparen – und die Arbeiter:innenklasse angreifen.

Wenn sie eine harte Politik fahren, müssen wir das erst recht tun. Es wird sich immer weniger ignorieren lassen, was die Realität des Kapitalismus ist. Täglich wird uns die zunehmende Spaltung deutlicher vor Augen geführt. Während Millionen Menschen ihre Jobs verlieren oder Lohneinbußen hinnehmen müssen, werden Milliardäre wie Elon Musk oder Jeff Bezos in der Pandemie sogar noch reicher.

Sollten die Pläne des Wirtschaftsrats umgesetzt werden, wird sich diese Kluft weiter vergrößern. Denn auch wenn die Kapitalist:innen gerne darüber schwadronieren, dass es darum geht, die jüngeren Generationen nicht zu sehr zu belasten. Am Ende wird ein Angriff auf die Rente alle Arbeiter:innen treffen – egal ob jung oder alt. Die DGB-Gewerkschaften müssen dagegen einen offensiven Kampf führen. DGB-Chef Reiner Hoffmann betont zwar immer wieder, dass ein höheres Renteneintrittsalter mit ihm nicht zu machen ist. Doch vergessen wir nicht, dass die Rente bis 67 vor gut neun Jahren auch ohne größeren Widerstand der DGB-Bürokratien eingeführt wurde. Deshalb müssen wir in unseren Gewerkschaften dafür kämpfen, dass der DGB schon jetzt gegen die geplante Rentenreform mobilisiert. Denn auch, wenn es bisher kein konkretes Gesetz gibt: Früher oder später steht uns der Angriff bevor. Wir müssen darauf vorbereitet sein und unsere Gewerkschaftsführungen herausfordern, diesen Angriff auf unsere Lebensbedingungen mit Streiks und Massenmobilisierungen zurückzuschlagen. Denn letztlich geht es um unsere Zukunft und unsere Arbeitsbedingungen.

Kurzum: Wenn wir diejenigen sind, die tagtäglich den Betrieb am Laufen halten – warum sollten wir uns nicht auch selbst verwalten dürfen? Die Leute, die die Entscheidungen über uns treffen verdienen mehr als fünf Mal so viel wie wir im Monat und haben sicherlich eine auskömmliche Rente – dabei tragen wir die Verantwortung für unsere Arbeit und das sollten wir auch für unsere Arbeitsbedingungen tun.

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