Vivantes-Töchter: „Leise solidarisieren sich immer mehr“

09.06.2018, Lesezeit 9 Min.
Gastbeitrag

Ein Interview mit Nadine, Reinigungskraft bei VivaClean, einem der vielen Tochterunternehmen von Vivantes, Deutschlands größtem kommunalen Krankenhauskonzern.

1

Foto: Protest von Vivantes-Kolleg*innen im Jahr 2016

Hallo Nadine. Du bist Reinigungskraft bei Vivantes. Du bist aber nicht bei Vivantes direkt angestellt. Wo dann?

Bei einer hundertprozentigen Tochterfirma von Vivantes. Sie heißt VivaClean. Die Tochter ist nochmal unterteilt in die VivaClean Nord GmbH und VivaClean Süd GmbH.

Wie lange arbeitest Du dort und wie viele Kolleg*innen sind bei den GmbHs beschäftigt?

Ich selbst bin circa zehn Jahre dabei. Wie viele Kolleg*innen bei uns arbeiten lässt sich schlecht einschätzen, da es so viele verschiedene Häuser gibt. In den großen Krankenhäusern wie Neukölln, Friedrichshain, Spandau, Humboldt und Kaulsdorf können das durchaus mehrere Hundert pro Haus sein. An kleineren Standorten wie in den Seniorenresidenzen circa 4 bis 6 Kolleg*innen und in der Karl Bonhoeffer Klinik ungefähr 10 bis 15. Einen genauen Überblick über die Strukturen habe ich nicht.

Es muss ein komisches Gefühl sein, die eigenen Kolleg*innen in 10 Jahren nicht kennen gelernt zu haben. Habt Ihr keinen Betriebsrat der Euch zu Betriebsversammlungen zusammenholt? Das wäre doch eine gute Möglichkeit sich auszutauschen!

Naja jedes Krankenhaus bzw. jeder Standort hat seinen eigenen Betriebsrat. Und von Betriebsversammlungen habe ich selbst nichts gehört. Jedenfalls wird es nicht besonders publik gemacht. Manchmal gab es kleinere Versammlungen, wenn es um neue Hygieneverordnungen ging. Da hat uns dann der Objektleiter eingeladen. Aber das scheint auch jedes Haus für sich zu tun. Es ist nicht so, dass mal alle VivaClean Mitarbeiter*innen zusammentreffen. Ich hab zwar mal gehört, dass Betriebsversammlungen durchgeführt werden müssen und dass man so auch mit der Gewerkschaft in Kontakt kommt. Das ist bei uns aber nie in der Form geschehen.

Wann wurden die Reinigungsarbeiten aus dem Mutterkonzern ausgegliedert und VivaClean gegründet?

So genau weiß ich das nicht, aber ich weiß, dass es Kolleg*innen gibt, die schon 20 Jahre oder länger dabei sind und dass die Objekte zuvor oft von Gegenbauer geführt bzw. betreut wurden und die Kolleg*innen dann zu VivaClean gewechselt sind. Zuvor wurden die Verträge ja oft vom Senat vergeben.

Wie kann man sich die Lohnentwicklung vorstellen?

Als ich anfing waren es soweit ich mich erinnere 7,30 bis 7,50 Euro brutto die Stunde. Jetzt sind es 10,30 Euro brutto.

Und was verdienen Deine Kolleg*innen die direkt bei Vivantes angestellt sind?

14 oder 15 Euro brutto die Stunde. So genau redet keiner darüber. Sie haben meist auch Festgehälter, während wir auf Stundenbasis bezahlt werden. Wir können zwar mehr Stunden arbeiten um mehr zu verdienen, das ist aber kräftemäßig nicht schaffbar. Nach dem TVöD bekommt eine Reinigungskraft, die genauso lange wie ich bei Vivantes beschäftigt ist, über 700 Euro brutto mehr als ich – für die gleiche Arbeit.

Arbeitet ihr direkt nebeneinander oder hat man Euch getrennt?

Ja in einigen Bereichen arbeiten wir direkt nebeneinander.

Wie fühlt sich das an, wenn man selbst viel weniger Geld für die gleiche Arbeit bekommt als der*die Kolleg*in?

Man fühlt sich weniger wertgeschätzt. Und gleichzeitig sind wir einem höheren Druck ausgesetzt. Viele meiner Kolleg*innen geben mehr als ihr Bestes und ruinieren sich dabei ihre Gesundheit. Es wird krank auf Arbeit gekommen, trotz Fieber oder Bandscheibenvorfall. Vor einigen Jahren ist ein Kollege auf Arbeit umgekippt und liegt seit dem im Wachkoma. Nicht nur das wir weniger für die gleiche Arbeit bekommen, oft arbeiten wir Quadratmeter mäßig sogar mehr. So kann die Qualität auf Dauer nur leiden und das tut sie.

Wie sieht es mit den Arbeitszeiten aus? Schafft Ihr die Arbeit in der vorgegebenen Zeit?

Wir versuchen qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten und können das oft durch ein immer wieder sanktioniertes Stundenpensum nicht ableisten. Das heißt wir haben keine Vollzeitverträge, sondern bekommen oft nur Teilzeitverträge. Das drückt den Lohn und damit auch die Stimmung. Alles was wir mehr arbeiten bekommen wir regulär bezahlt, wenn es zum Auftrag gehört. Wenn wir einfach zu lange brauchen dann ist es unser Pech und die Stunde länger wird nicht bezahlt.

Das würde dann aber bedeuten, dass wenn Ihr mal länger braucht Eure Löhne in der Gesamtrechnung unter den Tariflohn der Gebäudereiniger*innen von 10,30 Euro brutto abfallen?!

Richtig, der Mindestlohn kann nur eingehalten werden, solange wir im Rahmen der Zeitvorgaben rechtzeitig mit der Arbeit fertig werden. Kommt es zu einer Verzögerung, zum Beispiel durch einen höheren Verschmutzungsgrad oder Personalmangel ist das unser Problem.

Wie ist das Betriebsklima sonst so?

Da wir tolle Vorarbeiter haben und auch sonst ein gutes Arbeitsumfeld herrscht, bin ich gerne da wo ich bin. Ich fühle mich aber auf Dauer gezwungen mich nach was anderem umzusehen, obwohl ich das nicht möchte. Mir sind alle Menschen in den Büros und Stationen ans Herz gewachsen. Nur deshalb bin ich über Jahre geblieben.

Du bist alleinerziehende Mutter. Welche Folgen hat Dein Beruf für Dich und Deine Familie?

Es ist traurig, dass man so viel arbeitet und seinen Kindern doch nichts bieten kann, geschweige denn, in die eigene Altersversorgung investieren kann. Für mich und meine Kinder bedeutet das, dass ich zeitweise über Hartz IV aufstocken muss. Diese Hilfe habe ich jahrelang nicht in Anspruch genommen, da ich das alles alleine schaffen wollte. Und wenn man in die Zukunft schaut, dann müssen meine Kinder für mich aufkommen, da ich höchstwahrscheinlich in der Altersarmut landen werde, obwohl ich mein Leben lang hart gearbeitet habe. Ich und die Kinder sind seit 10 Jahren nicht in den Urlaub gefahren, es sei denn meine Mutter die auf Rente ist, hat den Urlaub bezahlt. Den Dispo den ich vor Jahren aufnehmen musste, weil ich umgezogen bin und weil ich mich vom Vater meiner Kinder trennte, konnte ich nicht abbauen. Den Bausparvertrag meiner Tochter konnte ich auch nicht weiter bedienen. Das hat meine Mutter übernommen. Für das andere Kind konnte ich nichts anlegen. Man geht arbeiten um zu überleben, aber zum Leben gehört mehr als Überleben. Selbst meine Riesterrente hab ich stilllegen müssen.

Dabei macht Ihr so eine wichtige Arbeit!

Ja. Das ist sehr ungerecht. Wir als Reinigung sind für die Qualität der Hygiene in den Krankenhäusern zuständig und somit wichtige Eckpfeiler dieser Firma und werden einfach vergessen. Was wäre, wenn wir unsere Arbeit einfach liegen lassen? Da sollte man mal drüber nachdenken. Was ist so schwer daran, Menschen, die ihren Job gerne und mit Leidenschaft machen auch gerecht zu entlohnen? Und gerade Menschen die sich körperlich kaputt arbeiten. Wir wollen nicht mehr als Gerechtigkeit und Anerkennung für das was wir leisten. Ohne Angst zu haben, ob ich im letzten Viertel des Monats noch genügend Geld zum Einkaufen habe. Diesen Monat ist es besonders schwer. Für sieben Tage haben wir noch 7 Euro.

Du sagst die Verantwortlichen sollten darüber nachdenken was passiert, wenn Ihr die Arbeit liegen lasst. Gerade haben die Beschäftigten aus der VSG sieben Wochen gestreikt. Sie haben ähnliche Lohnunterschiede zu den Kolleg*innen, die direkt bei Vivantes angestellt sind. Redet Ihr über den Streik?

Ja es wird darüber geredet und wir freuen uns für unsere Schwesterfirma. Und nun haben auch mehr Kolleginnen und Kollegen sich Gedanken über unseren Wert innerhalb der Firma gemacht und fragen sich, ob wir Ähnliches erreichen könnten wie die VSG. Leise solidarisieren sich immer mehr. Die Gespräche werden lauter und ich denke, dass es brodelt und viele nun nicht nur jammern wollen, sondern auch aktiv werden wollen. Denn ohne Eigeninitiative wird sich nichts ändern.

Es gibt gerade den Skandal wegen außertariflicher Löhne und Bonuszahlungen der Manager*innen und Führungskräfte bei Vivantes. Ist das Thema bei Euch?

Ich selbst habe es heute erst gelesen und ich bin gespannt, was darüber in den nächsten Tagen zu hören ist. Aber ich weiß von vielen, dass sie solche Dinge ungerecht finden. Denn uns werden die Sonderleistungen, die wir beim Patientenauszug leisten müssen, wie zum Beispiel beim Bett sauber machen oder beim Schrankauswischen, gestrichen. Diese Arbeiten gehören zur Grundreinigung und sollen nun in die normale Unterhaltsreinigung mit aufgenommen werden. Also für uns Mehrarbeit ohne höhere Entlohnung. Der Mutterkonzern, sprich Vivantes, ist nicht bereit, der Tochter mehr Geld für diese Arbeiten zu zahlen. Dazu kommt dass die Gefahrenzulagen, die es früher in der Karl Bonhoeffer Klinik gab, vor einigen Jahren ersatzlos gestrichen wurden. Immerhin ist das ein Maßregelvollzug, wo es viele verurteilte und psychisch kranke Menschen gibt, denen man ganz nah ist. Bei uns wird gespart und die oberen bekommen immer mehr. Daran hat der Senat Berlin mit Schuld.

Schlussendlich muss man sagen, dass nicht nur wir die Leidtragenden sind, sondern vor allem die Patienten, die sich auf hygienische Standards nicht mehr verlassen können. Ich denke, dass wir Reinigungskräfte eine Verantwortung den Patienten gegenüber haben, der wir durch den Rahmen, den die Verantwortlichen geben, nicht immer gerecht werden können.

Mehr zum Thema