TVöD: Schlichtung empfiehlt Reallohnverlust, Urabstimmung für den Erzwingungsstreik nötig

16.04.2023, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Maxi Schulz

Laut der Empfehlung der Schlichtungskommission sollten die Beschäftigten im öffentlichen Dienst das Jahr 2023 mit nicht nachhaltigen Einmalzahlungen überbrücken und für eine tabellenwirksame Lohnerhöhung bis März 2024 abwarten. Dafür haben die 500.000 Arbeiter:innen nicht gestreikt! Ver.di muss die Verhandlung für gescheitert erklären und die Urabstimmung organisieren.

Die Schlichtungsempfehlung liegt vor. Sie enthält folgende Regelung:

  • Eine Einmalzahlung von 1.240 Euro im Juni 2023. Monatliche Sonderzahlungen in Höhe von 220 Euro in den Monaten Juli 2023 bis einschließlich Februar 2024.
  • Die tabellenwirksame Lohnerhöhung ab dem 1. März 2024 um 200 Euro (Sockelbetrag) und 5,5 Prozent, also mindestens 340 Euro Erhöhungsbetrag.
  • Studierende, Auszubildende sowie Praktikant:innen erhalten im Juni 2023 eine Einmahlzahlung von 620 Euro und von Juli 2023 bis Februar 2024 monatlich 110 Euro. Die Ausbildungsentgelte werden ab März 2024 um 150 Euro angehoben.
  • Die Laufzeit der Vereinbarung soll 24 Monate ab Januar 2023 betragen.

Konkret bedeutet das: Für eine frisch ausgebildete Pflegekraft in Vollzeit (P7, Stufe 2) nächstes Jahr 12,7 Prozent bzw. 372 Euro mehr brutto. Davon bleiben 202 Euro netto. Bei Auzubildenden bleibt die Erhöhung nach Steuern bei gerade mal 80 Euro monatlich. Aber da sich die Erhöhung über eine Laufzeit von zwei Jahren verteilt, bleiben noch gut 6 Prozent Erhöhung pro Jahr übrig. Für dieses Jahr wird eine Inflation von mindestens sechs Prozent erwartet. Für die letzten zwei Jahre (2021, 2022) bedeutet dies Reallohnverlust. Für 2023 eine Nullrunde.

Ohne Inflationsausgleich: TVöD-Einigung ablehnen!


Am 22. April hat die Bundestarifkommission in ihren Verhandlungen über den TVöD den Schlichtungsvorschlag weitgehend akzeptiert. Stimmen wir mit „Nein“ in der Mitgliederbefragung und organisieren uns gegen das Ergebnis!
Zum weiterlesen: Was wir jetzt tun können

Der ehemalige Bremer Finanzstaatsrat Hans-Henning Lühr, der als Schlichter angeblich die Beschäftigten vertreten soll, rühmt sich mit folgenden Worten für das Ergebnis der Schlichtungskommission.

„Beide Seiten wollen vermeiden, dass ein riesiger, flächendeckender und unbefristeter Streik im Sommer kommt (…) 24 der insgesamt 26 Mitglieder der Schlichtungskommission haben dafür gestimmt. Finanzministerium, Innenministerium, Kommunen und Gewerkschaften halten es also für ein tragfähiges Konzept.“

Lühr verrät auch, dass die ver.di-Vertreter:innen der Schlichtungskommission dem Schlichterspruch zugestimmt haben. Diese Haltung ist skandalös, weil ver.di zum Beginn der Tarifrunde 10,5 Prozent Lohnerhöhung und mindestens 500 Euro Sockelbetrag für die Beschäftigten für das Jahr 2023 forderte und die Schlichtungsempfehlung weit davon entfernt ist. Die gewerkschaftlichen Vertreter:innen haben die Aufgabe, sich an die Beschäftigten zu wenden, Diskussionen und Abstimmungen auf den Versammlungen zu organisieren, bevor sie das Mandat für eigene bürokratische Interessen missbrauchen.Basierend auf der Schlichtungsempfehlung wird am 22. April erneut eine Tarifverhandlung in Potsdam stattfinden. ver.di muss die Verhandlung für gescheitert erklären, um die Urabstimmung einzuleiten.

Prioritäten der Regierung: Aufrüstung und Sparkurs

Das Ergebnis der Schlichtung liegt nur geringfügig über dem ursprünglichen „Angebot“ der Kommunalen Arbeitgeberverbände (5 Prozent und insgesamt 3000 Euro auf 27 Monate). Bund und Kommunen ist es mit der Schlichtungsempfehlung gelungen, einem sich bereits abzeichnenden Sparkurs zu folgen.

Finanzminister Lindner sagt, dass für die Ministerien Arbeit und Familie 20 Milliarden Euro an Sozialausgaben gekürzt werden sollen. Gespart werden soll auch an der Unterbringung von Geflüchteten oder der Kindergrundsicherung. Ausdrücklich ausgenommen von seinen Sparzielen ist der Wehretat: An den 100 Milliarden für die Bundeswehr will er nicht rütteln. Eine Vermögenssteuer lehnt er hingegen ab.

Die möglichen Kürzungen würden also direkt die arbeitende Bevölkerung treffen und auch die Berufe des öffentlichen Dienstes. Für den TVöD will die Regierung hingegen kaum Geld locker machen. Die Streiks müssen eine erste Abwehrmaßnahme sein gegen Lindners angekündigte Kürzungen. Es ist wichtig, dass die Regierung auf organisierten Widerstand der Gewerkschaften stößt, damit sie die Einsparungen nicht vornehmen kann.

Urabstimmung einleiten

Auch wenn die ver.di Führung in dem Schlichtungsverfahren eine Chance sah, um zu einem haltbaren Kompromiss zu kommen, war es letztlich nur eine Zeitverschwendung für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Die Schlichtungsvereinbarung ist eine Zwangsmaßnahme, um den Gewerkschaften für eine bestimmte Zeit zur Friedenspflicht zu zwingen, welche die Unterbrechung der Streiks zur Folge hat.

Der ver.di Vorsitzender Frank Werneke betonte zum Beginn der Tarifverhandlungen, dass der Erzwingungsstreik für die Durchsetzung der Forderungen eine reale Option sei. Wir möchten ihn beim Wort nehmen und daran erinnern, die Konsequenzen zu ziehen. Die Schlichtungsskomission empfiehlt eine lange Laufzeit von 24 Monaten statt 12 Monate, nicht tabellenwirksame Einmalzahlungen, was einen Reallohnverlust in der Entgelttabelle bedeutet. Wir wollen aber nicht bis 2024 warten, sondern schon im Jahr 2023 eine tabellenwirksame Lohnerhöhung haben und zwar 10,5 Prozent und mindestens 500 Euro für die Beschäftigten und 200 Euro für die Azubis!

Aufgrund der restriktiven Streikregelung müssen 75 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten das Verhandlungsergebnis ablehnen bzw. für den Erzwingungsstreik abstimmen, damit es zu unbefristeten Streiks kommt. Betriebsgruppen, Vertrauensleute und Gewerkschaftsstrukturen müssen daher bereits jetzt die Belegschaften über das Ergebnis der Schlichtung aufklären und eine Kampagne starten für eine Ablehnung in der Urabstimmung. Es braucht Betriebsversammlungen und öffentlichkeitswirksame Aktionen vor Betrieben, um die Belegschaften auf einen Erzwingungsstreik einzustimmen. Es braucht weitere Streiks, um einen Abschluss zu erkämpfen, der über Inflationsniveau liegt. Das Potenzial dafür ist vorhanden. Um es zu nutzen müssen die Streiktage mit zehntausenden Kolleg:innen ausgeweitet werden und auch mit anderen Bereichen wie den Streiks in der Eisenbahn zusammengelegt werden. Es wäre ein wichtiges Signal an die Regierung, dass die Arbeiter:innen sich einen Sparkurs nicht gefallen lassen.

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