Studierende proben den Aufstand – Steht Frankreich vor einem neuen ’68?

11.12.2018, Lesezeit 4 Min.
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2500 Studierende nahmen am Montag an einer Vollversammlung an der Universität von Nanterre teil. Nach lebhaften Diskussionen stimmte eine Mehrheit dafür, die Universitäten weiterhin zu blockieren und sich den landesweiten Mobilisierungen der „Gelben Westen“ anzuschließen.

Vor gut 50 Jahren floh der damalige Staatspräsident Charles de Gaulle nach Baden-Baden. Grund dafür waren riesige Proteste von Studierenden und Arbeiter*innen, Barrikaden und ein wochenlanger Generalstreik. Mehrere Millionen Beschäftigte beteiligten sich damals und brachten die Regierung beinahe zu Fall. Der Funke für die berühmten Aufstände waren die Studierenden der Universität Nanterre. Die Besetzung der Wohnheime und die Demonstrationen gegen Repression und Vietnamkrieg führten damals zur Schließung der Universität durch die Behörden. Die Proteste konnten sie dadurch jedoch nicht mehr stoppen.

Über 50 Jahre später, am Montag, versammelten sich erneut tausende Studierende an der Universität Nanterre. Schon vorher blockierten mehrere Dutzend Studierende die Universität. Versuche von Sicherheitsfirmen, die Blockade aufzulösen, scheiterten, sodass sich immer mehr Menschen der Blockade anschlossen. Auch an der Universität von Censier fanden zwei Vollversammlungen von Studierenden und Beschäftigten statt. Nachdem sie letzte Woche bereits die Teilnahme an den landesweiten Mobilisierungen der „Gelben Westen“ beschlossen hatten, diskutierten sie über die weiteren Perspektiven der Bewegungen.

Die Proteste der Studierenden richten sich einerseits gegen die Erhöhung der Studiengebühren für ausländische Studierende und andererseits die Privatisierungs- und Sparpolitik an Universitäten. Neu war, dass sich erstmals auch Beschäftigte in einer eigenen Versammlung zusammenfanden. Dort widersetzten sie sich den antidemokratischen Maßnahmen der Universitätsleitung sowie der Erhöhung der Studiengebühren und erklärten ausdrücklich ihre Solidarität mit den Kämpfen der Studierenden. Auch wenn die Versammlungen getrennt voneinander stattfanden: Beschlossen wurde der gemeinsame Kampf mit den „Gelben Westen“ und den Schüler*innen in den nächsten Wochen gegen die Regierung. Auch in anderen Teilen Frankreichs gab es seit letzte Woche Vollversammlungen und Blockaden von Studierenden und Schüler*innen. Landesweit wurden dutzende Unis und hunderte Schulen blockiert und besetzt.

Ablehnung der Repression

Gemein hatten alle Versammlungen die Ablehnung der Polizeigewalt der letzten Wochen und Jahre gegen Studierende und Schüler*innen. Bereits im letzten Jahr wurde eine Besetzung an der Universität Censier brutal durch die Polizei geräumt. Die jetzigen Repressionen wurden als „autoritäte Wende“ gebrandmarkt. In einem einstimmig angenommenen Antrag in Censier verurteilten die Beschäftigten und Studierenden die Gewalt der Polizei aufs Schärfste. Besonders die schockierenden Bilder der Festnahme von Schüler*innen am vergangenen Donnerstag erinnern fast schon an eine Militärdiktatur. Über 2000 Menschen wurden seit Beginn der Bewegung insgesamt festgenommen. Diese Angriffe zeigen aber auch, dass die Regierung Angst vor der Wirkung möglicher Massenmobilisierungen von Studierenden hat. Die bisherigen Versuche von Macron, die Bewegung einzudämmen, haben eher das Gegenteil bewirkt.

Die Versammlungen von Studierenden an ihren Universitäten sind dabei ein zentraler Ausgangspunkt für einen heißen Winter in Frankreich. Im Mai ’68 haben die Studierenden bereits bewiesen, welche Dynamik sie unter den Massen von Beschäftigten in Frankreich auslösen können. Besonders die prekäre Situation der Jugend und der Arbeiter*innen ist die Grundlage dafür, dass heute Hunderttausende den gemeinsamen Kampf gegen die Regierung und die sozialen Angriffe aufgenommen haben.

Ob Macron das gleiche Schicksal wie de Gaulle 1968 droht, hängt davon ab, ob die kämpferischsten Sektoren der Studierenden und der Arbeiter*innenklasse die Führung über die Bewegung der „Gelben Westen“ erlangen können. Die Zugeständnisse von Macron haben bereits gezeigt, was Massenmobilisierungen erreichen können, die sich nicht von bürokratischen Apparaten oder reformistischen Parteien bremsen lassen. Die Studierendenbewegung kann mit ihren eigenen Forderungen die Massenbewegung weiter dynamisieren und ihre Methoden von Versammlungen, Blockaden und Streiks auf die gesamte Bewegung übertragen.

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