Spanien bereitet die Zwangsverwaltung über Katalonien vor

20.10.2017, Lesezeit 4 Min.
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Gestern Morgen erklärte Carles Puigdemont noch einmal, dass er nicht die Unabhängigkeit ausgerufen hatte. Allerdings war das der Madrider Regierung nicht genug, weshalb sie nun die Anwendung des Artikels 155 vorbereiten: Das würde das Ende der katalanischen Autonomie bedeuten.

Am Samstag wird das Kabinett der konservativen Regierung in Madrid extra zusammentreten, um die erstmalige Anwendung des berüchtigten Artikels 155 zu beschleunigen. Dieser sieht vor, dass die Zentralregierung „die erforderlichen Maßnahmen” anwendet, um einen „schweren Verstoß gegen die allgemeinen Interessen Spaniens” abzuwenden. Das würde bedeuten, dass die katalanische Regierung, die Generalitat, komplett entmachtet wird. Sogar eine Verhaftung des Präsidenten der Generalitat, Carles Puigdemont, wäre dann möglich.

Dieser hatte schon am Montag ein erstes Ultimatum verstreichen lassen, wonach er aufgefordert war, zu erklären, ob er denn in seiner Rede vom 10. Oktober nun die Unabhängigkeit erklärt hatte oder nicht. Hatte er natürlich nicht, obwohl er erklärte, dass „mit dem Referendum vom 1. Oktober das katalanische Volk das Recht [hätte], einen eigenen unabhängigen Staat” zu haben. Bis Donnerstag um 10 Uhr lief das zweite Ultimatum ab, wonach er den gesamten Unabhängigkeitsprozess abbrechen und zur „Legalität” zurückkehren sollte, wie es vom spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy hieß. Das bedeutete nichts weniger als vollständige Kapitulation gegenüber dem 78er-Regime und den Verzicht auf das Selbstbestimmungsrecht der katalanischen Nation.

Nächste Stufe der Eskalation

Puigdemont erklärte gestern erneut, dass ein Dialog nötig sei, um die tiefen Gräben zwischen Madrid und Barcelona zu überbrücken. Doch es sind keine Gräben, die sich da auftun, sondern der blanke Abgrund. Am 1. Oktober hatte die katalanische Nation trotz blutiger Repression im Referendum deutlich gemacht, dass es die Unabhängigkeit verlangt. Nur zwei Tage später wurde das in einem bisher nie da gewesenen Generalstreik untermauert. Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen erfordert die Anerkennung dieser Ergebnisse, die das Recht auf Lostrennung beinhaltet — trotz der kleinbürgerlichen Führung um das Wahlbündnis Junts pel Si (Gemeinsam für Ja).

Dass diese unfähig ist, die katalanische Nation in die Unabhängigkeit zu führen, zeigte sie einmal mehr in der Erklärung, wo die reaktionäre Utopie eines Dialogs mit dem postfranquistischen 78er-Regime beschworen wird. Sollte dieser „Dialog” nicht eintreten, werde das katalanische Parlament über die Unabhängigkeitsfrage votieren. Ein Schritt, der seit Wochen angekündigt war.

Doch das Erbe der Franco-Diktatur bringt es mit sich, dass selbst ein solcher Verrat nichts nützt: Die Madrider Regierung will nichts weniger als die vollständige Unterwerfung Kataloniens und ist notfalls bereit, alle Mittel der Gewalt dafür anzuwenden. Sie führt auch jetzt die Repression fort und verhaftete am Dienstag Jordi Sànchez und Jordi Cuixart, zwei prominente Unabhängigkeitsbefürworter. Doch die Reaktion der heroisch kämpfenden Unabhängigkeitsbefürworter*innen ließ nicht lange auf sich warten: Noch am Abend fanden sich in Barcelona über 200.000 Menschen zusammen; in ganz Katalonien kam es zu Mobilisierungen.

Der Generalstreik zeigte es, die Mobilisierungen bestätigten es: Nur wenn es zu weiteren Aktionen und vor allem Streiks seitens der Massen kommt, wird auch der neuerliche, der heftigste Angriff auf die katalanische Nation abgewehrt werden. Die Anwendung des Artikels 155 wird eine Zäsur in der Geschichte des 78er-Regimes darstellen und die hässliche Fratze der spanischen Bourgeoisie offenlegen, deren Herrschaft auf der Niederwerfung verschiedener Völker basiert.

Dieser Angriff muss von der Jugend und der Arbeiter*innenklasse mit einem weiteren Generalstreik zurückgeschlagen werden. Auch die Arbeiter*innenklasse außerhalb Kataloniens muss die Forderung der Unabhängigkeit aufnehmen und sich mit dem katalanischen Unabhängigkeitskampf solidarisieren. Sollte Katalonien tatsächlich unter Zwangsverwaltung gestellt werden, wird es für die Arbeiter*innenklasse der unterdrückenden Nation Spaniens zur Pflicht werden, die katalanischen Massen zu verteidigen.

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