Diskussion mit Kristina Hänel in den Münchner Kammerspielen: Weg mit §219a!

12.06.2019, Lesezeit 6 Min.
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Vor 250 Personen diskutierten letzten Freitag drei der prominentesten Figuren der aktuellen Abtreibungsdebatte in Deutschland über die derzeitige Situation. Dabei ergaben sich interessante Einblicke in bisherige Kämpfe, es zeigten sich aber auch die Grenzen der angewandten Praxen.

Auf dem Podium in den Münchner Kammerspielen saßen die wegen §219a, also dem Informieren über Schwangerschaftsabbrüche, verurteilte Ärztin Dr. Kristina Hänel, der Arzt Dr. Friedrich Stapf, der eine große Abtreibungsklinik in München leitet, sowie die Autorin und Aktivistin Sarah Diehl, die sich seit zehn Jahren mit den reproduktiven Rechten von Frauen* beschäftigt und u.a. einen Verein gegründet hat, der es Schwangeren aus Polen ermöglicht, sichere Abtreibungen durchführen zu lassen. Moderiert wurde das Gespräch von unserer Genossin Penelope Kemekenidou.

Im Vorfeld der Podiumsdiskussion zum Paragraphen 219a StGB hatte es viel Aufregung gegeben. Fundamentalistische Abtreibungsgegner*innen wurden auf die Veranstaltung aufmerksam und attackierten alle Beteiligten. Für Fundamentalist*innen sind Stapf und Hänel Massenmörder*innen, manche Seiten wie “Babycaust” vergleichen gar Abtreibungen mit dem Holocaust. Es gab Hetze in den sozialen Medien und die Ankündigung einer Demonstration vor den Kammerspielen, angemeldet von Klaus Günter Annen, dem Gründer von “Babycaust”.

Aufgrund der Wellen, die diese Angriffe schlugen, und der Solidarität verschiedener Gruppierungen und Organisationen mit den Veranstalter*innen, wurde die Demonstration kurz zuvor jedoch abgesagt. Eine Hand voll Fundamentalist*innen begab sich trotzdem ins Publikum und eine Frau produzierte eine Störung, wurde jedoch recht schnell des voll besetzten Saals verwiesen.

Die Gäste erzählten von ihren Erfahrungen, von erlebten Geschichten, von Erfolgen, aber auch von den Schwierigkeiten, die Schwangeren, Ärzt*innen und Aktivist*innen in Deutschland sowohl durch staatliche Institutionen als auch durch fundamentalistische Gruppierungen begegnen.

Im Zuge der Diskussion wurden trotz einiger Gemeinsamkeiten auch deutliche Unterschiede in den Zielen und Methoden der Gäste deutlich: Während Stapf seine erkämpfte Leistung, Schwangerschaftsabbrüche in Bayern und Baden-Württemberg möglich zu machen, betonte und die Perspektive vertrat, möglichst Parteien zu wählen, die Abtreibung in Deutschland legalisieren wollen, verfolgen Hänel und Diehl andere Ansätze

Hänel konzentriert sich zwar einerseits auf den juristischen Kampf, den sie gerade zu führen hat, ist jedoch gleichzeitig unermüdlich dabei, durch Publikationen und Vorträge über die desolate Lage in Deutschland aufzuklären und darauf hin zu arbeiten, eine Verbesserung der Situation zu erreichen. Auch wenn sie nicht öffentlich die Streichung des §218 fordert, so ist aus Aussagen wie der, dass sie keine Veränderung des Parlaments will, sondern eine Änderung der Welt, doch die Forderung nach einer radikalen Veränderung zu ersehen.

Sarah Diehl verwehrt sich gegen die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Kleinfamilie, bei der die Frau typischerweise als unbezahltes Reproduktionspersonal fungieren muss. Sie betonte den Mangel an Vertrauen, den sie in den Staat setzt und die daraus folgende Perspektive der Selbstorganisierung. Dabei arbeitet sie nach den Prinzipien einer NGO, die zwar einzelne Betroffene unterstützt, letztlich aber trotz aller Bemühungen keine strukturelle Verbesserung erreichen kann. Im Falle des Ausbleibens von Geldern oder von Gesetzesverschärfungen wäre ein solches Projekt kaum aufrecht zu erhalten, wie beispielsweise unter republikanischen Regierungen in den USA ersichtlich ist.

Die Diskussion um die Frage von Rassismus und die Situation von geflüchteten Frauen in Bezug auf Abtreibung zeigte, wie sehr alle Anwesenden die Probleme hier als gravierend ansahen. Sarah Diehl erzählte von einer geflüchteten Frau, der durch die bürokratische Schieflage und rassistische Gesetzgebung der Weg zur Abtreibung verwehrt wurde, bis es zu spät war. Hier zeigte sich besonders deutlich, wie sehr die Frage der Abtreibung rassistische, sexistsiche und kapitalistische Komponenten beinhaltet, die von bürgerlichem Engagement, trotz aller Bemühungen, nicht aufgehalten werden können.

Deswegen wollen wir als Brot und Rosen früher und nachhaltiger ansetzen. Es ist notwendig und wichtig, dass momentan Projekte wie das von Sarah Diehl existieren. Die Frauen* in Polen, die so die benötigte Hilfe bekommen, würden sie anders nicht oder schwerer kriegen. Geschichtlich wird jedoch deutlich, dass es in dieser Frage keinen Fortschritt in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Frauen* haben schon früher Busfahrten nach Holland organisiert, um Abtreibungen zu ermöglichen. Herr Stapf hat erkämpft, dass Abtreibungen in Süddeutschland möglich wurden, aber es fehlt aufgrund der enormen Hindernisse in vielen Regionen an Ärzt*innen, die fähig und willens sind, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Frau Hänel kämpft seit Jahrzehnten dafür, dass Frauen* eine sichere Abtreibung durchführen können. Dafür hat sie sehr lange am Existenzminimum gelebt und musste nebenbei als Rettungssanitäterin arbeiten, um überleben zu können. In ihrem aktuellen Buch “Das Politische ist persönlich: Tagebuch einer ‚Abtreibungsärztin‚”, das ebenso wie Andrea D’Atris “Brot und Rosen. Geschlecht und Klasse im Kapitalismusim Argument Verlag erschienen ist, geht sie, trotz aller Danksagungen, auch darauf ein, dass bisher alle Parteien ihre Versprechen nicht gehalten haben. Sie benennt den Staat als die Form, die gerade die Unterdrückten, und nicht die Unterdrücker angreift. Ihre Erfahrungen zeigen: reformistische Politiker*innen haben seit Jahrzehnten den Kampf nicht gewinnen können.

Wir als Brot und Rosen fordern wie unsere Genoss*innen in Lateinamerika Aufklärung, um selbst über unsere Körper zu entscheiden, kostenlose Verhütung, um nicht abzutreiben und legale, sichere und kostenlose Abtreibung, um nicht zu sterben. Um diese Forderungen durchzusetzen, bedarf es einer starken Frauenbewegung, wie sie über die letzten Jahre in geduldiger Arbeit zum Beispiel in Argentinien aufgebaut wurde. Erst durch die ausdauernde Arbeit der Genossinnen in Argentinien wurde dort nach jahrelangen Streiks und Demonstrationen Abtreibung im Kongress besprochen. Außerdem müssen wir klarmachen, dass wir diesem System nicht vertrauen können. Liberale Abtreibungsgesetze können willkürlich wieder entzogen werden, wie an einigen Beispielen in der Geschichte ersichtlich wird, etwa unter Stalin oder wie es aktuell in den USA versucht wird. In Alabama soll nun Abtreibung selbst nach einer Vergewaltigung nicht mehr erlaubt sein.

Es muss klargemacht werden, dass uns dieses System Rechte verwehrt, und wir uns deswegen dem System verweigern müssen. Dafür braucht es große politische (Frauen*-)Streiks, die die Kapitalist*innen dort treffen, wo es ihnen weh tut – bei ihren Profiten – und die das erfolgreichste Mittel sind, die Rechte von Unterdrückten durchzusetzen. So können wir unseren Forderungen genug Nachdruck verleihen. Deshalb organisieren wir uns gemeinsam mit Arbeiter*innen in Gewerkschaften, um die Forderung nach politischen Streiks durchzusetzen.

Nach der Veranstaltung machten wir noch ein Bild mit Kristina Hänel, mit einem internationalistischen Gruß an die Frauenbewegung in Argentinien um Legalisierung der Abtreibung:

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