Brot und Rosen

120 Menschen diskutieren in München über eine neue weltweite Frauenbewegung

120 Menschen kommen zur Auftaktveranstaltung von Brot und Rosen ins Münchner EineWelt-Haus. Viele der Anwesenden sind Schüler*innen, Student*innen, aber auch prekär beschäftigte Arbeiter*innen. Wohin geht die Frauenbewegung, die weltweit entsteht?

120 Menschen diskutieren in München über eine neue weltweite Frauenbewegung

Pünktlich um 19 Uhr ist der Saal voll. Da die Stühle nicht reichen, sitzen einige der Anwesenden auf dem Boden oder müssen die Veranstaltung im Stehen verfolgen. Unter ihnen dutzende junge Schülerinnen, migrantische Frauen, Arbeiterinnen aus verschiedenen Bereichen wie dem Krankenhaussektor, aber auch Aktivistinnen, die schon seit Jahrzehnten in der Frauenbewegung aktiv sind. Sie alle sind gekommen, um die argentinische Feministin und Marxistin Andrea D’Atri – Gründerin der sozialistischen Frauenorganisation Pan y Rosas (Brot und Rosen) und Anführerin der Partei Sozialistischer Arbeiter*innen (PTS) – zu hören. Aktuell reist sie durch Europa: In Italien, Frankreich, Deutschland und im Spanischen Staat spricht sie über den Aufstieg einer neuen Frauenbewegung weltweit und vor allem über ihre Erfahrungen aus Argentinien. Im EineWeltHaus ergänzt sie auf dem Podium Narges Nassimi, mit Übersetzung von Lilly Schön, beide Gründerinnen von Brot und Rosen in Deutschland, moderiert von Lisa Sternberg, Krankenschwester aus München.

Sowohl der große Andrang als auch die Zusammensetzung des Publikums sind für München außergewöhnlich, wie direkt nach der Veranstaltung in den Fluren rege diskutiert wird. So wird die Veranstaltung, die vom Kurt-Eisner-Verein unterstützt wird, selbst zu einem Zeichen für die Dynamik einer sich auch in Deutschland entwickelnden Frauenbewegung.

Nach einer Eröffnung von Lisa beginnt Narges Nassimi mit einer Analyse der aktuellen Situation der arbeitenden Frauen in Deutschland und ihre Kämpfe, sowohl in ihrer historischen Bedeutung als auch in ihrer derzeitigen Ausprägung. Von der feministischen Bewegung in den 1960ern und 1970ern, zu den Frauenstreiks der 1990ern bis heute. Von den Arbeitskämpfen migrantischer Frauen für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit, zu den Mobilisierungen gegen sexistische Gesetzgebungen und den Kämpfen geflüchteter Frauen:

1994 gab es den letzten Frauenstreik in Deutschland. Damals richtete sich der Kampf gegen Armut, Arbeitslosigkeit, Abbau von Sozialleistungen und prekäre Arbeitsbedingungen. Sehr interessant ist auch, dass sie gegen die Unterbringung von geflüchteten Frauen in Lagern kämpften. Diese Themen sind immer noch aktuell und ihre Forderungen wurden bis heute nicht erfüllt.

Darüber hinaus sind viele arbeitende Frauen von rassistischer Unterdrückung betroffen. Sei es die Kriminalisierung der kurdischen Frauenbewegung oder der millionenfache Ausschluss migrantischer Frauen vom Wahlrecht.

Vor diesem Hintergrund ist es von strategischer Bedeutung, die Verbindung von Frauenbewegung und Arbeiter*innenbewegung wieder herzustellen. Denn die Frauenkämpfe der letzten Jahrzehnte waren zwar bisweilen Massenbewegungen unter Teilnahme vieler Arbeiterinnen, aber es fehlte eine organische Verbindung zu den Kämpfen der Arbeiter*innenklasse. Sie waren – mit Ausnahme einiger emblematischer Kämpfe – nicht verbunden mit Streiks in den Betrieben und wurden von der Gewerkschaftsbürokratie auch vehement herausgehalten. So blieb die Arbeiter*innenbewegung auf „rein ökonomische“ Fragen beschränkt, während die Frauenbewegung sich immer mehr institutionalisierte und in NGOs und in den Staatsapparat integriert wurde. Von der Kritik am System des patriarchalen Kapitalismus ging sie über zum beschränkten Horizont der individuellen Befreiung und der Inklusion und Ausweitung der Rechte im Rahmen des herrschenden Systems.

Demgegenüber betont Narges die Aufgabe, einen sozialistischen Feminismus wieder aufzubauen, der sieht, dass Kapitalismus und Patriarchat untrennbar miteinander verbunden sind und nur in einem gemeinsamen Kampf gestürzt werden können. Als unmittelbare Perspektive fordert sie, den sich entwickelnden Frauenstreik mit seinen Forderungen in die Gewerkschaften und damit in die Betriebe, Schulen und Universitäten zu tragen.

Andrea D’Atri legt zu Beginn ihres Vortrags den Fokus besonders auf die internationale Situation der Frauen. Die Tendenz zur sozialen und politischen Polarisierung schlägt sich nicht nur nieder in einer Reihe von rechten Regierungen wie in Brasilien, Polen oder den USA. Sie erschüttert auch das bestehende System und das in einer Phase des Kapitalismus, in der fast 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Frauen sind – zum überwiegenden Großteil prekär beschäftigt. So gibt es in den letzten Jahren große Mobilisierungen von Frauen weltweit, die eine neue Phase im Klassenkampf vorankündigen.

Von besonderer Bedeutung dabei ist die Erfahrung des Kampfes der Frauenbewegung in Argentinien in den letzten Jahren, die seit 2015 immer größer geworden ist und 2018 einen historischen Kampf um das Recht auf Abtreibung führte. Eine Million Frauen (und Männer) auf den Straßen erreichten, dass in der Abgeordnetenkammer des Kongresses für die Legalisierung der Abtreibung gestimmt wurde. Durch den Druck der katholischen Kirche und durch die versöhnlerische Politik aller Parlamentsparteien – mit Ausnahme der Front der Linken und der Arbeiter*innen (FIT), die als einzige einstimmig für die Legalisierung der Abtreibung gestimmt hat und bei den Mobilisierungen mit ihren Abgeordneten stets mit in der ersten Reihe stand – wurde die Gesetzesreform jedoch schlussendlich im Senat zurückgewiesen. So zeigt sich, dass die Frauenbewegung sich weder auf den Staat noch auf die reformistischen Parteien verlassen kann, sondern nur auf ihre Mobilisierung auf der Straße, und besonders auf ihre Verbindung mit der Arbeiter*innenklasse, die als einzige aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess dieses gesamte System der Ausbeutung und Unterdrückung tatsächlich lahmlegen können – mit den arbeitenden Frauen an der Spitze.

Der Kampf in Argentinien – für die Legalisierung der Abtreibung, aber auch gegen Feminizide, gegen Entlassungen und gegen Kürzungen im Dienste des Internationalen Währungsfonds und des Imperialismus – geht an diesem 8. März weiter. Dabei stellt Andrea die Notwendigkeit einer Politik in Richtung der Gewerkschaftsapparate in den Mittelpunkt, um die hemmende Politik der Gewerkschaftsbürokratie durch den Druck von Seiten der Gewerkschaftsbasis zu überwinden und die Gewerkschaften als Kampforgane im Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung gleichermaßen zurückzuerobern. Andrea D’Atri:

In der argentinischen Frauenbewegung fordern wir: Die Gewerkschaften müssen zu Versammlungen an allen Arbeitsplätzen aufrufen, die über Streiks abstimmen.

In der anschließenden Frage- und Diskussionsrunde mit mehr als ein dutzend Redebeiträgen sind viele Fragen Thema, von einer Vertiefung der Diskussion zu Abtreibung, über die Haltung zur Prostitution, über die Erfahrungen der Frauenbewegung in den 70er Jahren, bis hin zum „Feminismus der 99%“. In Bezug auf letzteres stellt Andrea erneut klar, warum eine revolutionäre Perspektive der Arbeiter*innenklasse auf die Frauenbewegung vonnöten ist:

Wir wollen nicht, dass ein paar mehr Frauen auch zu Ausbeuter*innen werden können. Wir wollen das System der Ausbeutung stürzen.

Zur Vertiefung: Beiträge von Narges Nassimi und Andrea D’Atri im Video

Zum Schluss der Veranstaltung erfolgt noch einmal ein Aufruf zur Organisierung eines kräftigen Frauenstreiks zum 8. März auch hier in Deutschland. In München stehen die Voraussetzungen dafür gut: Beim Frauen*streik-Vernetzungstreffen am Folgetag finden sich über 50 Frauen im Haus der DGB-Gewerkschaftszentrale zusammen.

Am 23. Februar wird Andrea noch einmal in Deutschland sprechen. In Berlin wird sie ihr Buch „Brot und Rosen. Geschlecht und Klasse im Kapitalismus“ vorstellen, das von Lilly Schön auf deutsch übersetzt wurde.

Klasse und Geschlecht: Strategien der Befreiung

Samstag, 23. Februar, 19 Uhr, Vierte Welt (Kottbusser Tor im Zentrum Kreuzberg | Galerie | Adalbertstr. | 10999 Berlin (Zugang über die Außentreppe Adalbertstr. 96) [Google Maps])

Vorstellung des Buches „Brot und Rosen. Klasse und Geschlecht im Kapitalismus“ von Andrea D’Atri, deutsch von Lilly Schön.

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