Klima braucht Arbeit: Warum Klimaaktivist:innen um die Gewerkschaften kämpfen müssen

16.09.2023, Lesezeit 25 Min.
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Foto: Tabea Krug

Die Klimabewegung nähert sich langsam der Arbeiter:innenklasse an. Für einen erfolgreichen Kampf ist dies zwingend notwendig.

Der Klimawandel ist eine der drängendsten Fragestellungen unserer Zeit. Er wird zu tiefen Krisen führen und bestehende verschärfen, was zweifellos den Fortbestand unserer Gesellschaft in der jetzigen Form ins Wanken bringen wird. Die Jugend hat die Lage erfasst. Mit Slogans wie „System Change not Climate Change“ bringt sie zum Ausdruck, dass eine grundlegend andere Ordnung unumgänglich ist.

Dieser Ausdruck lässt sich auch analytisch untermauern: die kapitalistische Produktionsweise führte nicht nur zu einem beispiellosen Anstieg der Temperaturen, sondern auch zahlreiche andere ökologische Grenzen des Planeten wurden überschritten. Phosphor- und Stickstoffkreisläufe sind gestört, die Biodiversität ist bedrohlich zurückgegangen und die übermäßige, nicht nachhaltige Nutzung von Landflächen hat ein bedrohliches Ausmaß erreicht. All das für die einzig relevante Maxime der kapitalistischen Produktion – der Akkumulation von Profit.

Schon in vorkapitalistischen Zeiten betrieben Menschen Raubbau an der Natur, die sie zum Überleben brauchten – nicht selten führte dies zum Untergang der jeweiligen Kultur. Doch mit der Industrialisierung kam es zu einer weltweiten massenhaften Nutzung fossiler Brennstoffe. So ist die Nutzung fossiler Energien eng mit der kapitalistischen Produktionsweise verbunden. Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften können Kapitalist:innen nicht ohne weiteres Ersatz für Steinkohle, Erdgas oder Erdöl finden; nur ein solcher Ersatz aber würde es ihnen erlauben, auf dem gleichen Niveau und mit der gleichen Profitspanne zu produzieren. Das ist einer der Gründe für die weitere Zunahme von Emissionen – trotz internationaler und nationaler Zielsetzungen. Genau deshalb stellt die Klimabewegung richtigerweise die Systemfrage. Doch hinsichtlich der Strategie, also der Frage, wie man vorgehen muss, um den Kapitalismus zu überwinden – oder ob dies überhaupt möglich ist –, ist sie in weiten Teilen noch uneins.

Um das System der Zerstörung von Natur und Mensch zu zerstören, müssen wir verstehen, wer von diesem System profitiert, aber auch, wer es am Laufen hält. Während für einen Großteil der Linken und der Klimabewegung der “Klassenkampf von oben”, also die Angriffe der Herrschenden auf die Massen, offenkundig ist, übersehen sie gerne, dass die Arbeiter:innenklasse den Reichtum dieser Gesellschaft erschafft und somit auch die Macht hat, sie von Grund auf zu verändern. Dass sie das Subjekt einer erfolgreichen Revolution ist, die es ermöglicht, den Kapitalismus zu überwinden. Unser Ziel ist es daher, zu zeigen, was es bedeutet, mit Hilfe der Arbeiter:innenbewegung eine andere, eine sozialistische Gesellschaft zu erkämpfen.

Dem Verrat der Gewerkschaftsbürokratie zum Trotz vereinen die Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) immer noch gut 18 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland. Damit hätten die Gewerkschaften die Möglichkeit, wesentliche Bewegungen in der Klasse zu verursachen – gegen rassistische oder sexistische Spaltungen, aber auch zu Fragen des Klimas.

Doch schon Karl Marx erkannte den Doppelcharakter der Gewerkschaften: Während die Gewerkschaften in den Händen der Arbeiter:innen erlauben, die Kräfte der Klasse zu bündeln, können sie „in den falschen Händen“, wie Marx sagt, Kämpfe umlenken und die Kampfkraft der Klasse schwächen (mehr dazu in „Wie sich die deutschen Gewerkschaften bürokratisierten“, KGK Magazin#15).

Um den Planeten zu retten, braucht es eine weltweit aufeinander abgestimmte Wirtschaft, die nicht den Profit als oberstes Ziel hat, sondern das Wohl der Menschen und damit auch des Klimas – eine sozialistische Planwirtschaft (mehr dazu in „Sozialistische Planwirtschaft und eine mögliche Zukunft“). Für dieses ambitionierte, aber nicht unrealistische Ziel können Revolutionär:innen nicht auf die Gewerkschaften verzichten. Neben den Millionen Mitgliedern genießen sie in den meisten Ländern besonderen rechtlichen Schutz, was gleichermaßen für ihre Mitglieder gilt.

Tiefer auf die Frage, wie Gewerkschaften mit der Bildung einer “anti-bürokratischen Strömung” zurückerobert und so zu Organen des Kampfes für die Arbeiter:innenklasse gemacht werden können, geht der Artikel „Sozialpartnerschaft und Rückeroberung der Gewerkschaften“ aus dem KGK Magazin#16 ein. Auch der vorliegende  Artikel beschäftigt sich mit der Rückeroberung – für eine sozialistische Revolution und die Rettung des Planeten.

Klimabewegung ab in die Gewerkschaften? Nicht ohne Hürden!

Weite Teile der Klimabewegung erkennen die strategische Bedeutung der Arbeiter:innenklasse nicht an. Doch auch diejenigen, die es tun und einen Brückenschlag zu den Arbeiter:innen, vor allem im Öffentlichen Verkehr und dem Energiesektor, versuchen, sind mit realen Herausforderungen konfrontiert. Ein Beispiel hierfür stellt die Initiative #WirFahrenZusammen aus Köln dar. Allgemein versuchen sich die deutschen Gewerkschaftsführungen aus politischen Konflikten und damit auch der Klimafrage herauszuhalten. Zum Teil stellen sich Gewerkschaftsführungen und auch Arbeiter:innen, oft aus Sektoren, die stark von fossilen Brennstoffen abhängen, sogar gegen die Klimabewegung. So organisierten ver.di und die IGBCE eine gemeinsame Demonstration unter dem Motto „Schnauze voll von Gewalt“, die sich gegen die Proteste im Hambacher Forst richtete. Durch eine Gegenüberstellung von Arbeitsplatzerhalt in umweltschädlichen Sektoren und der ökologischen Konversion der Industrie werden Arbeiter:innen gegen die Klimabewegung aufgebracht.

Doch warum vertreten die Gewerkschaften solche Positionen überhaupt? Wie erobern wir die Gewerkschaften als Kampforgane für einen ökologischen Umbau der Wirtschaft zurück?

Eigentlich sollten die Gewerkschaften die Vereinigung der Lohnabhängigen für ihre Interessenvertretung sein. Eine Kraft, die sich der Ausbeutung durch die Unternehmen entgegenstellt. Doch der Charakter ist ambivalent. Organe der Arbeitenden ‚ja‘, aber gleichzeitig gehen gerade sie jene Kompromisse mit den Konzernen ein, um die Arbeiter:innen ruhig zu halten.

Dieser Widerspruch entspringt der Spaltung von Basis und Führung, die den gesamten DGB-Dachverband – ebenso wie die Gewerkschaften des deutschen beamtenbundes (dbb) – durchzieht. Die Gewerkschaften werden von Funktionär:innen geleitet, die für die alltägliche Verwaltung verantwortlich sind und die Linie vorgeben. Dabei handelt es sich um eine privilegierte Schicht von Hauptamtlichen, deren Fokus nicht mehr auf der Verbesserung der Lage aller Lohnabhängigen liegt, sondern vor allem auf dem Erhalt ihrer eigenen Privilegien.

Die Konzentration der Entscheidungsgewalt in den Führungsgremien der Gewerkschaften ermöglicht es, Vorteile zu wahren. Diese Vorzüge betreffen nicht nur finanzielle Aspekte wie überdurchschnittliche Vergütungen, sondern können auch politischer Natur sein. So sind die Gewerkschaftsbürokratien stark mit den Führungen reformistischer Parteien verknüpft. Ein aktueller und sehr deutlicher Fall ist derjenige von Yasmin Fahimi, der aktuellen DGB-Vorsitzenden und ehemaligen Generalsekretärin und Abgeordneten der SPD. Doch nicht nur hauptberufliche Funktionsträger:innen, sondern auch ehrenamtlich Engagierte können sich durch ihre Vermittlungsrolle in der bürgerlichen Gesellschaft Vorteile sichern.

Der Sozialpartnerschaft den Kampf ansagen!

Die Kooperation von Gewerkschaftsführungen mit Konzernen und Regierungen hat in Deutschland eine besondere Ausprägung: Als “Sozialpartnerschaft” ist sie tief in den Staat und sein Selbstverständnis integriert. Ein markantes Beispiel für dieses Arrangement mit dem Kapital war die Konzertierte Aktion 2022, mit der auf die drohende Inflation und die Energiekrise reagiert werden sollte. Hierbei saßen Vertreter:innen der Regierung, Konzerne und die Gewerkschaftsführung unter Ausschluss der Öffentlichkeit an einem Tisch. Die getroffenen Vereinbarungen zeigten sich unter anderem in zurückhaltenden Lohnforderungen der Gewerkschaften während der Tarifrunden. So mussten die Beschäftigten Reallohnverluste hinnehmen, während die größten Treibhausgasemittenten, wie RW, VW, LEAG und Thyssen Krupp, im Jahr 2022 massive Gewinne  erzielten.

In ihrer aktuellen Form stützen die Gewerkschaften also den bürgerlichen Staat, ohne jedoch vollständig verstaatlicht zu sein. Die Sozialpartnerschaft führt außerdem zu einer Beschränkung der Aktivitäten der Gewerkschaften auf bestimmte historisch bedeutsame Sektoren, die für das deutsche Kapital außerordentlich wichtig sind. Oft handelt es sich hierbei um jene Bereiche, die besonders viele Emissionen verursachen, wie die Automobilindustrie, oder maßgeblich für Umweltverschmutzungen oder die Ausbeutung von abhängigen Ländern verantwortlich sind, wie Chemiekonzerne oder diverse Maschinenbauunternehmen. Die Gewerkschaften organisieren also nur gewisse Teile der Arbeiter:innenschaft. Andere distanzieren sich bewusst oder haben aus anderen Gründen einen sehr niedrigen Organisierungsgrad. Diese Sektoren sind vor allem prekäre Sektoren, das Dienstleistungsgewerbe, aber auch der Gesundheitssektor.

Zudem verzichten die Gewerkschaftsführungen auf Abwehrkämpfe gegen politische Angriffe der Regierung, seien es Sparmaßnahmen oder eine verfehlte Klimapolitik. Und selbst wenn sie es tun, beschränken sie sich auf begrenzte Demonstrationstage, anstatt die wichtigste Waffe der Arbeiter:innen ins Gefecht zu führen: den Streik.Doch warum hat die Gewerkschaftsbürokratie eine solche Abneigung gegen das Führen von politischen Kämpfen? Sektor- oder standortübergreifende Kämpfe gegen Entlassungen oder schlechte Arbeitsbedingungen, aber auch politische Streiks können sich schnell gegen größere Ziele richten. Dann jedoch mit einer Kraft, die vielleicht auch die Bürokratie nicht mehr kontrollieren kann – sei es gegen die Klimakatastrophe, die Militarisierung oder sogar für eine ganz andere Wirtschaft. Daher fürchten die Führungen die eigenständige Aktivierung der Arbeiter:innen und den politischen Bruch mit der Ideologie der Sozialpartnerschaft. Denn bei derartigen “außer Kontrolle geratenen” Kämpfen hätte die Bürokratie bei ihrer Aufgabe, nämlich der Vermittlung zwischen Kapital und Arbeit, versagt.

Entgegen der Meinung einiger Klimaaktivist:innen sind die Arbeiter:innen nicht die Gegner:innen der Klimabewegung, sondern notwendige Verbündete. Es ist vielmehr so, dass die Klimabewegung eine gründliche Analyse darüber braucht, wie Gewerkschaften funktionieren, um die Kraft der Arbeiter:innenklasse auf ihre Seite zu bringen. Klimaaktivist:innen müssen verstehen, warum die Gewerkschaftsführungen immer wieder Kompromisse mit dem Kapital eingehen, statt als aktive Kampforgane der Arbeiter:innenklasse zu agieren, die den Verursachenden der Klimakatastrophe den Kampf ansagen. In der Klimabewegung fehlt es an einem Programm und einer Strategie, die Gewerkschaften zurückzuerobern und eine Bewegung anzuführen, die sich mit den Kämpfen der Arbeiter:innen verbindet. Diese könnte auch die Gewerkschaftsführung und die Führung der reformistischen Parteien infrage stellen.

IGBCE: eine Gewerkschaft gegen das Klima?

Ein beträchtlicher Anteil der Belegschaft in deutschen Kraftwerken organisiert sich bei der IGBCE und bei ver.di. Die IGBCE ist hierbei nicht unbedingt die kämpferischste Gewerkschaft. Sie hat die geringste Anzahl an Streiktagen unter den DGB-Gewerkschaften zu verzeichnen. In der letzten Tarifrunde Ende 2022 setzte die IGBCE gemeinsam mit der ver.di eine Lohnerhöhung von gerade einmal sechs Prozent und eine Prämie von 3.000 Euro für die 18.000 Beschäftigten von RWE durch – also effektiv einen Reallohnverlust. Und das,  obwohl ein Streik in den Kraftwerken sehr schnell Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft Deutschlands hätte. Die Arbeiter:innen dort sind also eigentlich in einer machtvollen Position in Arbeitskämpfen.

Ein Blick auf die IGBCE-Führung zeigt das ‚Warum‘: Sie setzt sich statt für einen Inflationsausgleich für ihre Mitglieder lieber für Anreize zum Kauf „umweltfreundlicher“ Autos ein und begrüßt den Industriestrompreis, der eine weitere Subventionierung umweltschädlicher Konzerne darstellt. Der Linie des Standortnationalismus wird dabei ebenso treu geblieben wie der Regierung. Das Credo des IGBCE-Vorsitzenden Michael Vassiliadis lautet: “Wenn wir klimafreundliche Lösungen international vermarkten können, profitiert davon auch der globale Klimaschutz.“

Also Arbeitsplatzerhalt um jeden Preis, außer es geht den Konzernen an den Kragen. Vassiliadis ist Mitglied der SPD und bezieht monatlich ein Gehalt von mehr als 10.000 Euro – weit über dem Durchschnittslohn derjenigen, die er eigentlich vertreten sollte. Damit verdient er sogar weitaus mehr als die höchste Entgeltgruppe in der Chemieindustrie, und das ohne Berücksichtigung seiner Nebeneinkünfte. Er ist nicht nur Aufsichtsratsmitglied bei der RAG AG, einem Steinkohlenbergbauunternehmen, sondern auch im Aufsichtsrat der BASF SE, der Henkel GmbH & Co. KG und der Steag GmbH, dem fünftgrößten deutschen Stromerzeuger.

Gewerkschaftsführungen und Regierung setzen den Klimakillern und Krisengewinnern nichts entgegen. Warum auch? Perspektivisch wird die Klimakatastrophe zwar die Produktion erschweren oder sogar unmöglich machen und viele Leben in der Arbeiter:innenklasse kosten. Doch aktuell soll vor allem Deutschlands Machtposition konsolidiert erweitert werden. Den Beschäftigten in den fossilen Sektoren, deren Interessen die Führungen zu vertreten vorgeben, hilft diese Politik jedoch nicht. Um die Unternehmen dieser Sektoren so lange wie möglich “konkurrenzfähig” zu halten, lassen die Gewerkschaftsführungen Kurzarbeitsregelungen, Frühverrentnungen oder Schließungen ganzer Werke zu, wie beispielsweise beim Voith-Werk in Sonthofen oder dem Bosch-Werk in München. Damit entziehen sie den Arbeiter:innen die Lebensgrundlage – oder verschlechtern sie zumindest deutlich – und schaffen damit einen Nährboden für rechte Ideen.

Die Gewinnung dieser Arbeiter:innen für ein ökologisches Programm wird entscheidend sein, um dem Kapital tatsächlich die Kontrolle über die Systeme der Umweltzerstörung aus der Hand schlagen zu können. Schließlich ist es kaum möglich, ein Werk erfolgreicher zu blockieren als durch einen Streik der Beschäftigten. Erst dann wird die Gewalt des Kapitals und seiner Staatsorgane überwindbar sein – und es kann eine revolutionäre Kraft  aufgebaut werden, die nicht mehr nur Sand ins Getriebe streut, sondern die gesamte Maschine übernimmt.

#WirFahrenZusammen: Bündnis von ver.di und Fridays For Future

Im Mai 2019, auf dem Höhepunkt der globalen Klimabewegung der letzten Jahre, organisierte Fridays for Future (FFF) eine Vollversammlung im Audimax der Universität Leipzig. Etwa 1.500 Studierende beteiligten sich an der Versammlung, um offen über die Zukunft der Klimabewegung zu diskutieren. Auch ein Tramfahrer der Leipziger Verkehrsbetriebe richtete ein Grußwort an die Versammlung, in dem er der Klimabewegung für die 2020 anstehende Tarifrunde Nahverkehr eine Kooperation vorschlug. Der Tramfahrer, auch ein Betriebsrat, erhielt tosenden Applaus und Zustimmung von den Studierenden. In seinem Redebeitrag betonte er die Notwendigkeit einer Verbindung von Lohnforderungen, den Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und einer Vergünstigung der Tickets für den öffentlichen Verkehr sowie dem ökologisch orientierten Umbau des öffentlichen Nahverkehrs. Aus dieser Intervention entstand eine Allianz zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und FFF, die in der Kampagne #WirFahrenZusammen für die Tarifrunde mündete.

In der Zeit nach der Vollversammlung gründeten sich in über 25 Städten im ganzen Bundesgebiet lokale Initiativen, die sich an der Vernetzung mit den Beschäftigten beteiligten. In das bundesweite Bündnis wurden noch weitere Akteure wie die NGOs BUND und Greenpeace integriert. Zu den Kernforderungen der Kampagne zählten eine breite, staatliche Investitionsoffensive, die Verdopplung von Bussen und Bahnen bis 2030, mehr Personal sowie eine Verkehrsplanung, die den ÖPNV und das Fahrrad priorisiert. Die Allianz erkannte also, dass soziale, ökonomischen und ökologische Forderungen in unseren Kämpfen zusammengedacht werden müssen.

Das Ende Oktober 2020 bekanntgegebene Ergebnis der Tarifrunde schmälerte die anfängliche Euphorie der Arbeiter:innen und Aktivist:innen stark: Ein bundesweiter Rahmentarifvertrag wurde nicht erkämpft, die Arbeiter:innen wurden mit Sonderzahlungen und ein paar mehr Urlaubstagen abgespeist. Auch Lohnerhöhungen waren  nur sehr langsam und stufenweise vorgesehen. Vor allem die ökologischen Forderungen blieben auf der Strecke, sodass die Kampagne einen symbolischen Charakter behielt.

Trotz der großen Ernüchterung sind an diesem Beispiel fortschrittliche Elemente zu erkennen, die der Klimabewegung als Orientierung dienen können, um in den nächsten Tarifrunden effektiver an der Seite der Arbeiter:innen zu kämpfen und so weitreichende Forderungen durchzusetzen. Denn die Kampagne rückt die Gewerkschaften und Arbeiter:innen als Akteure endlich auch in den Fokus der Klimadebatte. FFF änderte mit der Kampagne bis zu einem gewissen Grad das taktische Vorgehen zum Aufbau von politischem Druck: Zusätzlich zu den wöchentlichen Massenmobilisierungen auf der Straße soll jetzt auch die Integration von Klimaforderungen in gewerkschaftliche Kämpfe die Regierung zu klimafreundlichem Handeln bewegen. Um über die Grenzen und den nicht zufriedenstellenden Abschluss nachzudenken, müssen wir aber klar feststellen: eine bloße Orientierung an den Führungen der Gewerkschaften reicht noch lange nicht aus, um eine strategische Wende der Klimabewegung einzuleiten, die tatsächlich in der Lage ist, das Klima zu retten. Das Bündnis besteht weiter und Anfang 2024 wird es eine neue Tarifrunde geben. Damit diese erfolgreicher verlaufen kann, müssen wir uns schon jetzt die strategischen Hürden genau ansehen.

Die Zentralität der Arbeiter:innenklasse und ihre Verbindung zur Jugend

An dem Beispiel wird eine positive Tendenz bei FFF sichtbar: Gewerkschaften und die dort organisierten Arbeiter:innen sind für sie endlich Teil des Kampfes gegen die Klimakrise. Was in der Kampagne hingegen weniger deutlich wurde, ist die Frage, welche Rolle den Arbeiter:innen selbst in diesem Kampf zukommt. Für uns als Marxist:innen sind die Klimaaktivist:innen und die Arbeiter:innen im ÖPNV keine strategisch gleichwertigen Partner:innen; vielmehr besitzen die Arbeiter:innen die Macht, mit Streiks an den strategisch wichtigsten Orten der Wirtschaft den größten Schaden zuzufügen. Der zentrale Akteur muss also die Arbeiter:innenklasse sein.

Wer Klimabewegung und Arbeiter:innenklasse strikt trennt, macht einen groben analytischen und strategischen Fehler. Zwar zählt der Großteil der Klimabewegung zur Jugend, doch arbeiten immer mehr Studierende neben dem Studium und werden so in den kapitalistischen Arbeitsprozess einbezogen. Junge Klimaaktivist:innen müssen sich auch als Verbündete der Arbeiter:innen verstehen, in die Gewerkschaften gehen und sich für programmatische Forderungen nach einer Umstellung der Produktion in allen Kämpfen, die sie führen, einsetzen. Im gleichen Zuge muss dies für die Arbeiter:innen in der Klimabewegung gelten, die nicht mehr studieren oder deren Ausbildung vorbei ist. Wir dürfen nicht nur Klimacamps außerhalb unseres Alltags organisieren, sondern müssen beginnen, unsere Kämpfe für das Klima an den Orten zu führen, an denen wir tagtäglich sind.

Wie die Verbindung von Teilen der Jugend, Studierenden und Arbeiter:innen im Sinne eines gemeinsamen Kampfes gegen die Klimakrise aussehen kann, sahen wir Mitte März dieses Jahres bei der französischen Raffinerie von Total in der Normandie. Im Zuge der Proteste gegen die Rentenreform engagierten sich immer größere Teile der Jugend, vor allem an Schulen und Universitäten. Dabei wurde in Hunderten von Versammlungen an Universitäten im ganzen Land darüber diskutiert, wie die sich im Streik befindenden Teile der Arbeiter:innenklasse von den eigenen Orten aus unterstützen werden können. Im Fall von Total beschloss eine Versammlung in Paris, so viele Spenden wie möglich zu sammeln, und so die Arbeiter:innen, die durch die Lohneinbußen infolge des Streiks ökonomisch unter Druck standen, zu unterstützen, sodass diese den Streik möglichst lange fortsetzen konnten. Am Ende fuhren zwei Busse von Paris in die Normandie, um das Geld zu übergeben. Aber nicht nur das! Aufgrund der wirtschaftlich wichtigen Rolle der Raffinerie versuchte die Polizei, den Streik mit Gewalt zu beenden. Doch die Studierenden und weitere solidarische Unterstützer:innen aus verschiedenen Sektoren, die im „Netzwerk für den Generalstreik“ zusammengeschlossen waren, bildeten eine Blockade, schlugen die Polizei zurück und konnten den Streik der Arbeiter:innen dadurch aufrechterhalten. Dabei kam es auch zu Gesprächen über den Kampf gegen die Klimakrise, wobei ein Beschäftigter der Raffinerie ganz im Sinne der Aktion betonte, dass der Kampf für höhere Löhne direkt mit dem ökologischen Umbau der Produktion zusammenhängt. Die Studierenden fungierten also als ideologische und materielle Stütze im Klassenkampf und verbanden diese Rolle direkt mit dem Kampf gegen die Klimakrise. Die Studierendenbewegung kann deshalb als Katalysator für Klassenkämpfe dienen, wodurch auch sie eine wichtige strategische Rolle innehat.

Die Erfahrungen von #WirFahrenZusammen zeigen ein anderes Bild: Obwohl sich Studierende mit Arbeiter:innen des ÖPNV vernetzten, war es am Ende vor allem eine Vernetzung zwischen FFF und der Führung von ver.di. Auch wenn es partizipative Elemente zwischen Basis und ver.di-Führung bei der Erarbeitung der Forderungen gab, hatten die Beschäftigten in der Tarifrunde kaum Entscheidungsrechte. Bei Total sehen wir das Gegenteil, denn die Arbeiter:innen entschieden jeden Tag bei Versammlung in der Raffinerie selbst, ob und wie sie ihren sogenannten grève reconductible (dt.: verlängerbarer Streik) fortsetzen wollten. Sie organisierten sich also selbst, ohne auf die abwartende und demobilisierende Intersyndicale (größte Gewerkschaftskoordination in Frankreich) zu warten, die keine Eskalation der Streiks riskieren wollte. In der Tarifrunde in Deutschland entschied allein die ver.di-Führung, ob und wann gestreikt werden sollte. Die vermeintliche Partizipation wurde also faktisch durch das Ausblenden der Basis ad absurdum geführt – ein Schlag ins Gesicht der Arbeiter:innen. Dass die Mitglieder über die Annahme des Kompromisses nicht abstimmen durften, war schließlich die Spitze des Eisbergs.

Damit, wie der Kampf geführt wird, hängt eng zusammen, wer letztendlich die Kontrolle über den politisch geforderten ökologischen Umbau hat oder haben wird. Auch wenn ver.di die Arbeiter:innen selbst als Expert:innen für ihre Arbeit und damit das Aufstellen der Forderungen sieht, haben sie deswegen noch lange nicht die Kontrolle über den angestrebten Umbau. Nicht der Staat beziehungsweise das Management des kommunalen Nahverkehrs oder der Deutschen Bahn sollten sich in Hinterzimmern überlegen, wie der ÖPNV gestaltet werden soll. Stattdessen müssen die Betriebe und deren Umbau von den Beschäftigten, gemeinsam mit den Millionen täglichen Nutzer:innen, selbst demokratisch kontrolliert und vollzogen werden.

Die Kampagne verdeutlicht, wie FFF mit zivilgesellschaftlichem und öffentlichem Druck ein „besseres“ Regierungshandeln provozieren will, um Investitionen in den Ausbau des ÖPNV zu erwirken. Wer diese Politik am Ende umsetzt, ist dabei im Grunde egal. Hier zeigt sich ein fehlerhaftes Verständnis des kapitalistischen Staates, welcher eben nicht „neutral“ ist, sondern nach seinem Klassencharakter beurteilt werden muss. Wenn der Besitz der Produktionsmittel in den Händen der Kapitalist:innen bleibt, ist es egal, ob die Ampel oder die Große Koalition regiert. Denn wie Leo Trotzki schrieb: „Der Klassencharakter des Staates ist durch sein Verhältnis zu den Formen des Eigentums an den Produktionsmitteln bestimmt.“1

Auf dem System-Change-Camp von Ende Gelände kam es zu genau dieser Diskussion, als die DIE LINKE ein Neustartkonzept vorstellte, das sich mehr an der Klimabewegung und anderen sozialen Bewegungen orientieren soll. Doch die Logik bleibt die gleiche: Man solle die Linkspartei wählen, da es keine linke Alternative gäbe; und wenn die Partei im Parlament wieder etwas Schlechtes mit umsetzt, dann muss die Klimabewegung sie mit Druck zurechtweisen. Für DIE LINKE wie für FFF ist es nicht die Arbeiter:innenklasse, die die Machtfrage stellen kann. Ihrer Vorstellung nach sollten Bewegungen und Gewerkschaften in Betrieben und auf der Straße Druck aufbauen, damit die Linkspartei im Parlament “Verbesserungen” durchsetzen kann. Das ist kein „System Change“! Stattdessen handelt es sich hierbei um Reformismus, der sich in den Staat integriert und keine Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse und der eigenen Partei garantiert. DIE LINKE sieht ihre zentrale Aufgabe im Kampf gegen die Klimakrise vielmehr darin, ihre durch die Institutionen des kapitalistischen Staates garantierten finanziellen Mittel der Klimabewegung zu überlassen. Als Revolutionär:innen müssen wir diese Strategie des geringeren Übels scharf kritisieren und angesichts des Scheiterns der Partei DIE LINKE, des SDS und der Linksjugend für revolutionäre Fraktionen werben, die mit den alten Führungen brechen und die Hegemonie der Arbeiter:innenklasse im Kampf gegen die Klimakrise voranstellen. Wir haben in der Vergangenheit bereits Erfahrungen damit gemacht, wie das Beispiel Revolutionärer Bruch zeigt. Denn eine revolutionäre Alternative wird nicht vom Himmel fallen. Wir müssen jetzt anfangen, sie aufzubauen.

Mit den bürgerlichen Führungen der Klimabewegung brechen

Trotz der gewaltigen Demonstrationen für das Klima, vor allem im Rahmen von FFF,  konnten auch grundlegende Forderungen nicht durchgesetzt werden. Nachdem die Linkspartei das Thema kaum aufgriff und es jenseits der parlamentarischen Parteien keinen Pol gab, konnten die Grünen die Rolle der führenden Kraft einnehmen, obwohl sie an der Regierung mehrfach gezeigt haben, weder ökologisch noch sozial zu agieren.

Auf der anderen Seite stellen sich öffentliche Figuren von FFF Deutschland gegen Teile der Klimabewegung. Luisa Neubauer sprach sich beispielsweise gegen die Letzte Generation aus: „Und wir müssen bedenken, dass gewisse Aktionen Menschen und politische Entscheidungsträger im schlimmsten Fall auch abschrecken können.“

Wir sollten jedoch danach streben, die für unsere prekäre Lage Verantwortlichen nicht nur abzuschrecken, sondern auch zu besiegen. Wir wollen nicht in die gleiche Position geraten wie Luisa Neubauer, die möglicherweise selbst zu einer bürgerlichen Entscheidungsträgerin wird. Obwohl es innerhalb der Klimabewegung viel Kritik und eine spürbare Suche nach Antworten gibt, fehlen häufig die revolutionären Lösungen. Die Schranken dieser Bewegung liegen oft darin, dass sie nicht den Versuch unternimmt, die bestehende kapitalistische Ordnung durch eine neue Ordnung unter Führung der Arbeiter:innenklasse zu ersetzen. Stattdessen zielt sie darauf ab, das bestehende System unter Druck zu setzen, vorübergehend die Infrastruktur zu stören und partielle Zugeständnisse zu erreichen. Die so erzwungenen Zugeständnisse werden jedoch nicht reichen, um den Planeten zu retten.

Zur Rettung des Planeten braucht es eine Strategie des revolutionären Bruchs mit dem Kapitalismus, mit seinen Epizentren im Klassenkampf. Deswegen setzen wir uns für den Aufbau einer eigenständigen Kraft ein, letztendlich einer Partei, die die Kämpfe sowohl auf der Straße als auch in den Parlamenten führen und dabei die Selbstorganisation der Massen stärken kann. Dies ist die vorrangige Aufgabe der Linken in der heutigen Zeit. Unser Ziel besteht darin, eine eigene Kraft gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu schaffen, eine Kraft, die die Klimabewegung anführen und mit der Arbeiter:innenbewegung vereinen kann.

Fußnote

1. Leo Trotzki: Der einzige Weg, Zeitschrift für die Vierte Internationale, Nr. 2 (Januar 1938), S. 38-43.

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