150 Aktivist:innen diskutieren revolutionären Bruch mit der LINKEN

16.01.2023, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Ayrin Giorgia / Klasse gegen Klasse

Am vergangenen Samstag versammelten sich in Berlin bis zu 150 Personen, um eine revolutionäre Perspektive außerhalb der Partei DIE LINKE zu diskutieren.

104 Jahre nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht – kurz zuvor hatten sie mit der SPD gebrochen, um die Kommunistische Partei Deutschlands aufzubauen – stellte eine Konferenz mit dem Titel „15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?“ die Frage in den Mittelpunkt, wie eine vom Reformismus unabhängige revolutionäre politische Kraft in Deutschland aufgebaut werden kann. An einem intensiven Tag mit Debatten auf Podien und in Workshops wurde die Notwendigkeit betont, angesichts der kapitalistischen Krise, der Spirale von Krieg und MIlitarismus und der Klimakatastrophe mit der Partei DIE LINKE zu brechen und Schritte in Richtung des Aufbaus einer revolutionären Organisation zu gehen.

Im Versammlungsraum im Haus der Demokratie mussten einige Anwesende stehen, so voll war der Raum. Die Konferenz war der Abschluss eines monatelangen Kampfes, den eine Gruppe von Aktivist:innen unter dem Label „Revolutionärer Bruch“ im Jugendverband der Linkspartei, Solid, geführt hatte. Sie wollten sich nicht mehr mit dem Verrat der Parteiführung und der Strategie des Reformismus zufriedengeben.

Die Konferenz wurde von „Revolutionärer Bruch“ zusammen mit Klasse Gegen Klasse organisiert, mit der regen Beteiligung einer Reihe anderer revolutionärer sozialistischer Gruppen, darunter die kommunistische Jugendorganisation Revolution, die Gruppe Arbeiter:innenmacht und die Revolutionär Sozialistische Organisation. Zudem gab es Grußworte der Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht, des Funken (IMT), von Palästina Spricht und Samidoun, sowie internationale Grußworte aus Pakistan und aus Frankreich von Révolution Permanente und L’Etincelle.

Der Aufruf zur Konferenz betonte die völlig unzureichende Antwort der Linkspartei auf die Krisenpolitik der Ampelregierung. Denn Deutschland wird im Kontext der verschärften internationalen Spannungen in eine der größten Militärmächte des Planeten verwandelt, um die Interessen des deutschen Kapitals international durchzusetzen. Umso dringender die Notwendigkeit, wie es die Abschlusserklärung der Konferenz hervorhebt, eine revolutionäre, antiimperialistische Jugend an der Seite der Arbeiter:innen und aller Unterdrückten aufzubauen, die sich weder dem imperialistischen Kriegsgetrommel der „Heimatfront“ und der NATO anpasst noch reaktionäre Führungen wie Putin unterstützt oder entschuldigt.

Das spiegelt sich auch in einer Militarisierung nach innen: In den letzten Tagen trieb die Regierung mit massiver Polizeigewalt die Räumung von Lützerath voran – womit auch die Heuchelei des „grünen Kapitalismus“ offenbar wird. Aber auch die Linkspartei hatte in den vergangenen Jahrzehnten den Braunkohleabbau in Brandenburg unterstützt.

Dagegen bräuchte es eine sichtbare und glaubwürdige revolutionäre Alternative. Denn die Linkspartei ist seit ihrer Gründung vor 15 Jahren als Regierungspartei verantwortlich für Kürzungen in Bildung und Gesundheit, Outsourcing, Abschiebungen und Polizeigewalt. Sie ist fest in den deutschen Staat eingebunden, wie Freddy auf dem Auftaktpodium betonte, und strategisch darauf ausgerichtet, den Klassenkampf und Kämpfe allgemein in das Parlament umzulenken: „Deshalb müssen wir nicht nur organisatorisch mit der Linkspartei brechen, sondern auch mit ihrer Strategie.“ Zum Abschluss sagte Freddy: „Wir brauchen eine revolutionär-sozialistische Kraft, die für unsere Interessen als Arbeiter:innen, Jugendliche, Unterdrückte kämpft und mit der wir schlussendlich auch eine Revolution machen können. Dafür wollen wir eine revolutionäre Jugend aufbauen, die dem Reformismus den Rücken kehrt.“

Der Reformismus ist ein internationales Phänomen, und so wurden auf der Konferenz die Erfahrungen von Podemos im Spanischen Staat und Syriza in Griechenland diskutiert. Aber auch die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) wurde debattiert, wobei unter anderem ein junges Mitglied der neuen Organisation Révolution Permanente in Frankreich anwesend war, der erklärte, warum die Einheit aller Antikapitalist:innen ohne strategische Übereinstimmungen nicht ausreicht.

In diesem Sinne betonte Tabea Winter von der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO), die Klasse gegen Klasse herausgibt, in ihrem Eröffnungsbeitrag:

Eine materielle Kraft mit dieser Perspektive aufzubauen, heißt für eine revolutionäre Partei mit Verankerung im Klassenkampf zu kämpfen – eine internationale leninistische Kampfpartei. Dafür ist es notwendig, mit dem Reformismus organisatorisch und strategisch zu brechen und heute die Vorbereitungsaufgaben zu beginnen: Verbindungen zur Avantgarde der Arbeiter:innenklasse und der Jugend zu schmieden, sich mit ihren fortschrittlichsten Teilen zu fusionieren und in gemeinsamen Kämpfen ein Programm gegen die imperialistische Regierung und das Kapital, sowie gegen die Vermittlungsinstanzen wie die reformistischen Parteien und die Bürokratien von Gewerkschaften und NGOs auszutesten.

Bis zu 150 Personen aus unterschiedlichen Teilen der deutschen Linken, darunter viele Arbeiter:innen, waren ihm gefolgt. In ihrem Grußwort zu Beginn der Konferenz sprach die Hebamme Charlotte über die Situation im Kreißsaal in Neuperlach, in dem sie arbeitet. Dieser soll als Teil der Einsparungen im Gesundheitswesen geschlossen werden. Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen und vielen Unterstützer:innen führen sie einen Kampf für den Erhalt des Kreißsaals und für die Selbstorganisation der Arbeiter:innen.

Auch einige linke Gruppen neben der Revolutionären Internationalistischen Organisation (Herausgeberin von Klasse Gegen Klasse) waren anwesend. So die Gruppe Arbeiter:innenmacht mit der Jugendorganisation Revolution, die Revolutionär Sozialistische Organisation und einzelne Genoss:innen von Linke.SDS, dem Funken, der Berliner Aktion gegen Arbeitergeberunrecht und Palästina Spricht. Es eine rege, solidarische Debatte mit unterschiedlichen Positionen, wie es sie sonst selten in der Linken in Deutschland gibt.

Nach einer Reihe von Workshops zu verschiedensten Themen wie Krise und Inflation, Reformismus und Bürokratie, Gewerkschaften, Klimakatastrophe, Feminismus, Jugend, Imperialismus und Internationalismus konzentrierte sich die Abschlusssitzung der Konferenz auf die Verabschiedung einer Abschlusserklärung mit zwei Zielen: einerseits die Frage zu klären, ob ein Bruch mit der Linkspartei vollzogen werden soll, und andererseits für die kommenden Monate gemeinsame Kampagnen aller anwesenden Organisationen und Teilnehmenden zu vereinbaren.

In der Debatte dazu stach vor allem eine Frage heraus: Sollte man weiterhin die Linkspartei wählen? Denn in nur einem Monat sind Wahlen in Berlin. Die Linke kämpft für den Verbleib in der Regierung, indem sie ihre Koalition mit den Sozialdemokrat:innen und den Grünen erneuert. Einige Teilnehmer:innen, angeführt von der Gruppe Arbeiter:innenmacht mit der Jugendorganisation Revolution, plädierte für eine kritische Wahlunterstützung für die Kandidat:innen der LINKEN, die „sich auf glaubwürdige Weise gegen die Regierungsbeteiligung ihrer Partei in Land und Bund stellen“. Aber die Mehrheit der Fraktion „Revolutionärer Bruch“ und RIO/Klasse Gegen Klasse argumentierten, dass eine klare Trennlinie und politische Unabhängigkeit von der Linkspartei und ihrer Regierungspolitik notwendig ist. So stellten Lea und Inés, Sozialarbeiterinnen in Berlin die Frage: Wie sollten sie einen Wahlaufruf für die Linkspartei verteidigen, die migrantische Jugendliche abschiebt und massig im Bildungsystem spart?

Daher wäre eine Kampagne für eine ungültige Stimmabgabe und eine neue Alternative für die Arbeiterklasse der beste Weg, um Unterstützung zu gewinnen. In der Perspektive gehe es darum, Schritte zum Aufbau einer politischen Front für die gemeinsame Intervention in den Klassenkampf und auch bei Wahlen zu gehen, auf der Grundlage einer klaren Perspektive der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse und des Kampfes für eine Arbeiter:innenregierung.

Zwei unabhängige Genoss:innen und die Gruppe Arbeiter:innenmacht mit der Jugendorganisation Revolution brachten eine alternative Abschlusserklärung ein. Nach langer Diskussion setzte sich in der Abstimmung aber mit großer Mehrheit der Vorschlag durch, der einen Bruch mit der Linkspartei forderte, sowie eine konkrete gemeinsame Politik der Anwesenden.

Am Ende stimmten zwei Drittel der Konferenz für diese Erklärung, die einen sofortigen Bruch mit der Partei DIE LINKE ankündigt und auch der rot-rot-grünen Koalition jegliche Wahlunterstützung verweigert. Zugleich betont die Abschlusserklärung die Notwendigkeit, die strategische Diskussion unter allen Anwesenden weiterzuführen und Übereinstimmung in gemeinsamer Praxis auszutesten. Dafür wurde eine ganze Reihe gemeinsamer Kampagnen festgelegt, die in den kommenden Wochen konkretisiert werden sollen:

  • in die kommende Tarifrunde des öffentlichen Dienstes (TVöD) mit einem Programm intervenieren, das die Forderung nach einem realen Inflationsausgleich erhebt und mit einem weitergehenden Programm gegen Krise, Krieg und Klimakatastrophe verbindet; die ver.di Kampagne um die TVöD-Runde mitaufbauen, gemeinsam mit der VKG in die Betriebsgruppen intervenieren und auf das Organisieren von politischen Demonstrationen an Streiktagen hinarbeiten, die ein solches Programm erheben:
  • Inflationsausgleich für alle, Anpassung aller Sozialleistungen an die Inflation, Erlass eines Mietenstopps, DWE durchsetzen.
  • Milliarden Investitionen in Gesundheit, Bildung und Klima statt 100 Milliarden in Aufrüstung, Einführung von Vermögenssteuern und Abgaben,
  • Vergesellschaftung der Energieversorgung unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten und der Bevölkerung etc.,
  • Gegen die rassistische Hetze gegen unsere Kolleg:innen mit Flucht und Migrationserfahrungen und für Arbeits-und Studienerlaubnis für alle, Stopp aller Abschiebungen.
  • Solidarität mit Gewerkschaften und Arbeiter:innen anderer Länder, die unter Krise und Krieg leiden. Internationale Solidarität zwischen Arbeiter:innen, die unter gegenseitigen Sanktionen leiden.
  • in allen Kämpfen die Selbstorganisation der Arbeiter:innen unterstützen, wie bspw. aktuell in Kampf der Hebammen in Neuperlach gegen die Schließung ihres Kreißsaals.
  • angefangen mit dem Widerstand in Lützerath, mit einem sozialistischem Programm in die Klimabewegung intervenieren und Initiativen aus der Arbeiter:innenbewegung vorbereiten, um die Arbeiter:innenklasse als politisches Subjekt im Kampf gegen die Klimakatastrophe und eine demokratisch-ökologische Planwirtschaft aufzuzeigen.
  • uns an allen Mobilisierungen gegen den staatlichen Rassismus, Polizeigewalt, Abschiebungen und extremen/faschistischen Rechten beteiligen. An allen Orten besonders gegen die aktuelle rassistische Stigmatisierung von migrantischen Jugendlichen stellen.
  • uns an den Mobilisierungen um den 8.März beteiligen, darauf hinarbeiten, dass bundesweite Streikaktionen unterschiedlicher Bewegungen an diesem Tag mit einem feministischen Programm stattfinden.
  • uns an allen weiteren Mobilisierungen gegen Militarisierung und Krieg beteiligen, mit einer Perspektive der internationalen Solidarität der Arbeiter:innenklasse gegen die Agression der kapitalistischen Regierungen, für die Notwendigkeit des Kampfes der Arbeiter:innenklasse in Deutschland gegen ihre imperialistische Regierung.
  • Uns an Mobilisierungen gegen Kolonialismus zu beteiligen, mit einer bedingungslosen Solidarität mit dem Kampf der kolonisierten Völker wie in Kurdistan und Palästina für ihre Befreiung, die vom deutschen Staat insbesondere bekämpft werden. Wir treten für die Entkriminalisierung ihrer Widerstandsorganisationen und für den Stopp aller deutschen Waffenlieferungen an die Türkei, Israel, sowie anderer Länder ein.
  • angesichts des Verrats der Linkspartei am Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen, tausenden Abschiebungen, Ausbau des rassistischen Polizeiapparates, weiterer Kürzungspolitik in Gesundheit und Bildung usw. lehnen wir eine Wahlunterstützung für die Linkspartei bei der Wiederho­lung der Abgeordnetenhauswahl ab. Dagegen betonen wir die Notwendigkeit der revolutionär-sozialistischen Kandidaturen abseits der reformistischen Parteien, organisieren gemeinsam mit allen Interessierten eine Kampagne gegen die erneuten Regierungsbeteiligungen der LINKEN an RRG und setzen uns für erneute Mobilisierungen für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne durchführen.

Die Abschlusserklärung schließt mit dem Aufruf:

Schritte für den Aufbau einer gemeinsamen revolutionären Front zu gehen. Diese Front muss basieren auf gemeinsamen Erfahrungen im Klassenkampf und der politischen Intervention in Streiks, sozialen Kämpfen sowie perspektivisch Wahlen auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene. Mit den Lehren der Erfahrungen von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sind wir der Meinung, dass ein Bruch der Revolutionär:innen mit den sozialdemokratischen Verwalter:innen des Kapitalismus nicht nur notwendig, sondern unumgänglich ist.

All diejenigen, die sich bereits heute in dieser Perspektive organisieren wollen, lud Tabea Winter in der Abschlussdebatte für Klasse Gegen Klasse ein:

Wir wollen uns mit all jenen weiter organisieren, die mit uns gemeinsam ohne Illusionen in den Reformismus und ohne Illusionen in „breite“ antikapitalistische Parteien eine revolutionäre Organisation mit klarer strategischer Abgrenzung aufbauen wollen. Wir wollen an den Universitäten eine Strömung aufbauen, die sich als klar revolutionär, antiimperialistisch, antimilitaristisch, antirassistisch, feministisch, sozialistisch versteht und die Einheit mit der Arbeiter:innenklasse für eine zentrale strategische Frage hält. Wir wollen in den Betrieben eine Strömung aufbauen, die ein Programm der Hegemonie der Arbeiter:innenklasse gegenüber allen Unterdrückten vertritt, sich unabhängig vom Kapital und vom Staat, aber auch von den Bürokratien organisiert, und revolutionäre und antibürokratische Fraktionen in den Gewerkschaften aufbauen will.

Am folgenden Tag gingen Tausende von Menschen auf die Straße, um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu gedenken. Rund 100 Menschen schlossen sich dem Block des Revolutionären Bruchs an, mit einem Transparent, das „Kein Cent dem Militarismus“ forderte, eine alte und zugleich tagesaktuelle Parole der revolutionären sozialistischen Bewegung in Deutschland.

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