[Dossier] Auf in einen heißen Sommer in der Pflege

12.05.2021, Lesezeit 7 Min.
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Streikkundgebung der Beschäftigten der München Klinik im September 2020. Foto: Klasse Gegen Klasse

Heute am Internationalen Tag der Pflegenden lassen wir das vergangene Pandemiejahr aus der Sicht der Pflege Revue passieren: Es wurde nicht nur geklatscht, es wurde vor allem gekämpft. Und diese Kämpfe sind längst nicht vorbei.

Corona: Zeit für ein Gesundheitssystem im Interesse der Beschäftigten und Patient*innen

Die Pandemie begann in den Krankenhäusern mit einer harten Verschärfung der Arbeitsbedingungen für Pfleger:innen. Gesundheitsminister Spahn schaffte kurzerhand die Personaluntergrenzen ab und die maximal möglichen Arbeitszeiten wurden auf bis zu zwölf Stunden ausgeweitet. Überall fehlte es zudem an Schutzausrüstung und Masken. Vor dem Hintergrund der inzwischen bekannt gewordenen Masken-Skandals in der Union ist das heute umso skandalöser.

Aus dem Krankenhaus: Wir brauchen Gewerkschaftskämpfe, keine Heroisierung!

Pfleger:innen wurden in der ersten Welle der Pandemie zwar von allen Seiten für ihren unermüdlichen Einsatz beklatscht. Doch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen hat nicht stattgefunden. Stattdessen wurde nur ein Monat nach Ausbruch der Pandemie zuerst die Industrie wieder hochgefahren, um weiter Autos produzieren zu können anstatt medizinisch notwendiger Schutzausrüstung. Beschäftigte weltweit forderten die Verstaatlichung von Krankenhäusern, um die Krankenversorgung den Profitinteressen zu entziehen.

Tre Kwon, Krankenpflegerin in New York: „Die einzige Lösung ist die Verstaatlichung der Industrie“

Auch in den USA fehlte es zu Beginn an notwendigster Schutzausrüstung. In New York protestierten deshalb im April 2020 Krankenpfleger:innen für eine bessere Ausstattung und gegen die Politik von Trump. Die USA waren besonders hart von der Pandemie betroffen. Bis heute sind dort rund 582.000 Menschen an Covid-19 gestorben.

Charlotte Ruga: „Gerade die Frauen der Arbeiter*innenklasse stehen an vorderster Front im Kampf gegen die Pandemie“

Auch international hat die miserable Situation in den Gesundheitssystemen Krankenhausbeschäftigten auf die Straßen gebracht. Charlotte Ruga, Hebamme aus München sowie Mitglied von Klasse Gegen Klasse und Brot und Rosen, betonte auf einer internationalistischen 1. Mai-Kundgebung die Rolle von arbeitenden Frauen an vorderster Front der Pandemie. Sie kritisierte vor allem die nationale Einheit, in der auch die Linke auf Kritik an der Politik der Bundesregierung verzichtete.

Wir im TVöD: Unser Kampf für ein Gesundheitssystem ohne Profitzwang

Über den Sommer hinweg entspannte sich zwar kurzzeitig die Pandemiesituation. Doch schon im Herbst nahm die zweite Welle an Fahrt auf – parallel zu den Streiks im öffentlichen Dienst, an dem sich auch Pfleger:innen aus ganz Deutschland beteiligten. Sie forderten eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie Corona-Prämien. Die Gewerkschaftsführungen haben zwar vielerorts versucht, Mobilisierungen zu bremsen. Dennoch versammelten sich Beschäftigte auf den Straßen und zeigten ihre Wut auf die Politik, die keine Anstalten macht, das marode Gesundheitssystem im Interesse der Patient:innen und Beschäftigten zu verbessern. Wir forderten aber nicht nur Verbesserungen in der Pflege, sondern auch ein Ende von Mieterhöhungen und ein Stopp von Massenentlassungen, von denen Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind.

Abschluss im öffentlichen Dienst aus Sicht der Pflege: Nein zu Spaltung und Scheinlösungen

Die Verbesserungen in der Pflege durch den Abschluss im Öffentlichen Dienst konnten nur durch den Streik erreicht werden. Wäre es nach den Bossen gegangen, hätten Beschäftigte noch weniger bekommen – so danken Kapitalist:innen uns Beschäftigten. Dennoch war das Ergebnis eine große Ernüchterungen für viele Kolleg:innen im öffentlichen Dienst. Denn wirkliche Zulagen wurden nur für Pfleger:innen beschlossen. Viele Beschäftigte gingen leer aus. So konnte die Politik dem Druck etwas nachgeben, der eine bessere Bezahlung für Pflegekräfte notwendig machte, und die Kolleg:innen insgesamt spalten.

Die Juni-Tage in der Charité: Rückblick auf den Streik 2015

Wo gestreikt wird, dürfen natürlich auch mediale Angriffe nicht fehlen. Besonders in der Corona-Krise wurden Streiks von Politik und Medien, unter anderem auch vom Linken-Politiker und frisch gewählten Spitzenkandidat Dietmar Bartsch, als verantwortungslos verschrien. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Als Pfleger:innen 2015 begonnen haben für mehr Personal zu streiken, trafen sie auf eine Welle der Solidarität. Der Slogan „Mehr von uns ist besser für alle“ brachte ihnen damals viele solidarische Unterstützer:innen in ganz Berlin. Der Kampf inspirierte Krankenhausbeschäftigte deutschlandweit dazu, für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal zu streiken.

Notstand in Krankenhäusern: Profitinteresse der Reichen bedroht die öffentliche Gesundheit

Auch als KGK akut, einer gewerkschaftsübergreifenden Arbeiter:innengruppierung, haben wir die desaströsen Zustände in den Krankenhäusern angeprangert. Besonders die zweite Welle im Herbst 2020 hat das Gesundheitssystem ein weiteres Mal an die Grenzen gebracht. Besonders die Diskussion um die sogenannte „Triage“, also die Entscheidung darüber, welche:r Patient:in bei mangelnden Ressourcen noch intensiv behandelt werden soll, dominierte damals die Medienlandschaft in Deutschland. Sie ist Ausdruck des enormen Personalmangels und der Weigerung der Regierung, eine Verbesserung der Situation in der Pflege zu erreichen. Eine zentrale Forderung, die von vielen Pflegekräften unterstützt wird, ist dabei die Abschaffung des Systems der Fallpauschalen (DRG-System)

Von der Pandemie in die Altersarmut

Die Wirtschaftskrise hat auch die Kapitalist:innen und bürgerlichen Politiker:innen auf den Plan gerufen. Ihr Vorschlag, das Renteneintrittsalter weiter zu erhöhen, ist dabei ein Hohn für die Leistungen vieler Beschäftigter in der Pandemie. Gerade in der Pflege ist die Vorstellung, dass die Menschen bis 70 arbeiten können, ohne sich kaputt zu machen, fernab jeder Realität. Der Vorschlag dient nur dazu, die Folgen der Krise weiter auf uns Arbeiter:innen abzuwälzen und den Kapitalist:innen weiter die Taschen zu füllen.

Gesundheits­system ohne Profite: Utopie oder Notwendigkeit?

In der ersten Ausgabe unser Monatszeitung, die im Dezember 2020 erschienen ist, haben wir darüber hinaus tiefer mit dem Gesundheitssystem beschäftigt. Besonders die verräterische Rolle der Gewerkschaftsbürokratien in der Pandemie hat umso deutlicher aufgezeigt, dass wir für die Verstaatlichung des Gesundheitssystem unter Kontrolle von Beschäftigten und Patient:innen eine revolutionäre Organisierung in Gewerkschaften brauchen. Denn weder Klatschen noch kleine Brotkrumen wie Corona-Prämien verbessern nachhaltig die Situation in der Pflege. Wir brauchen keine Verhandlungen von Bürokrat:innen, sondern die Durchsetzung unserer Forderungen durch Streiks und Massenmobilisierungen.

Und wie geht es weiter für die Pflege?

Nach über einem Jahr Pandemie und der enormen Belastung für die Beschäftigten in der Pflege ist klar: Die Kolleg:innen sind sauer und sie werden sich nicht mit winzigen Zugeständnissen abspeisen lassen. Während aktuellen Studien zufolge rund ein Drittel der Pflegekräfte mit dem Gedanken spielt, den Beruf aufzugeben, mobilisiert sich auch vielerorts der Widerstand gegen die Bedingungen, die sie auf solche Gedanken bringen. In Berlin ist eine neue Krankenhausbewegung an den Start gegangen, die heute ihre Forderungen auf einer Kundgebung vor dem Roten Rathaus präsentieren wird.

Diese Bewegung muss sich bundesweit ausweiten, denn die Pandemie hat gezeigt, dass am Ende all die “Anerkennung” nicht genug ist. Die Wut ist da – jetzt braucht es Streiks. Auf in einen heißen Sommer in der Pflege!

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