Wir im TVöD: Unser Kampf für ein Gesundheitssystem ohne Profitzwang

27.09.2020, Lesezeit 6 Min.
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Kolumne - Stimmen aus dem Betrieb: Die Krankenhausbeschäftigten Lisa und Charlotte blicken zurück auf ein halbes Jahr Arbeit unter Corona-Bedingugnen. In den aktuellen TVöD-Verhandlungen wollen sie nicht nur für mehr Geld, sondern auch für ein Gesundheitssystem ohne Profitzwang streiken und dagegen, dass die Kapitalist:innen die Auswirkungen der Krise auf den Beschäftigten abladen.

Zum Beginn der Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst lassen wir den Beginn der Corona-Pandemie nochmal Revue passieren: Im Krankenhaus ging ein großer Ruck durch uns alle. Wir wussten, die nächste Zeit wird hart und ungewiss und auf uns kommt es an. Mit einer unglaublichen Arbeitsmoral und mit Mut und Gewissenhaftigkeit haben viele Kolleg:innen auf Urlaub verzichtet, haben Bereitschaftsdienste geschoben, sind eingesprungen, haben unter nicht ausreichenden Schutzmaßnahmen gearbeitet und ihr Privatleben hinten angestellt. Alles Dinge, die wir schon damals kritisiert haben, da wir gesehen haben, dass sich die heftigen Sparmaßnahmen der letzten Jahrzehnte im Gesundheitssystem jetzt heimzahlen und es auf dem letzten Loch pfeift.

Was war die Belohnung dafür, neben dem miserablen Gehalt, das man bekommt? Dass Papa Söder uns ein paar Monate kostenloses Essen auf der Arbeit zur Verfügung gestellt hat? Dass große Versprechen gemacht wurden, weil man jetzt gesehen hat, was alles nicht gut läuft? Dass wir beklatscht wurden?

Eine Genossin und Kollegin aus den USA hat in einer Rede gesagt, dass immer behauptet wird, im Krankenhaus kämpften wir an der vordersten Front. Doch ihr komme es so vor, als kämpften wir an der hintersten Front gegen die Pandemie:

Dem kapitalistischen System geht es um die Sicherstellung der Profite. Deshalb müssen Menschen auch ohne die richtigen Schutzmaßnahmen weiterarbeiten. Auch viele andere Fehler sind so offensichtlich geworden, wie nie zuvor: Menschen, die die Pandemie nicht zurückgezogen in ihrem Haus verbringen können, sondern auf engem Raum mit vielen Menschen leben müssen. Menschen, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind und alle, die keinen ausreichenden Zugang zu Schutzmaßnahmen haben, sind der Krankheit stärker ausgesetzt. Sie sind die, die dann bei uns im Krankenhaus landen.

Mit anderen Worten: Die Klassengegensätze im Kapitalismus treten noch schärfer denn je zum Vorschein. Während viele Bosse in der Pandemie noch reicher geworden sind, müssen sich Arbeiter:innen der Gefahr einer Infektion tagtäglich aussetzen, werden in Kurzarbeit geschickt oder gekündigt und haben nebenher, weil die Kinder viel mehr zu Hause sein mussten, noch mehr Reproduktionsarbeit als sonst zu leisten gehabt.

Dass wir im Gesundheitssystem weiterarbeiten müssen, ist klar – doch wir können uns nicht losgelöst von dem Rest unserer Klasse betrachten. Warum wurde das Geld, das in Milliardenhöhe an Lufthansa und BMW gegangen ist, wo trotzdem zahlreiche Kolleg:innen entlassen wurden, nicht dafür benutzt, uns für diese Zeit besser auszurüsten?

Wie kann es selbstverständlich sein, dass vor allem Frauen in dieser Zeit noch stärker als sonst damit belastet werden, Haushalt, Pflege von Angehörigen und Kindererziehung mit dem Job unter einen Hut zu bringen? Was ist das für ein kranker Gegensatz, dass Menschen in Unterkünften für Geflüchtete auf engstem Raum zusammen leben müssen und nicht mal ausreichend Sanitäranlagen zur Verfügung haben, um sich schützen zu können – geschweige denn genug Masken – während die Bosse dieser Welt die ganze Pandemie auf ihrer Yacht chillen können. Es stehen genügend leerstehende Wohnräume zur Verfügung, wodurch die Geflüchtete das Recht bekommen können, dezentralisiert zu wohnen.

Kurzum: Wir müssen für die Krise bezahlen, während die Menschen, die uns tagtäglich weltweit ausbeuten, ihre Profite zu sichern versuchen. Wegen all dieser heftigen Gegensätze, die unser alltägliches Leben bestimmen, müssen die diesjährigen Streiks zum TVÖD auch einen politischen Charakter haben.

Klar – wir kämpfen, wie alle unsere Kolleg:innen, die im öffentlichen Dienst sind, für mehr Lohn und mehr freie Tage. Das sind die Forderungen von ver.di. Doch es muss darüber hinausgehen. Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das nicht davon lebt, immer mehr Menschen extrem prekär zu beschäftigen und demnach auch alle Menschen schlechter zu versorgen.

Um für ein neues Gesundheitssystem kämpfen zu können, brauchen wir starke Gewerkschaften, die gegen Outsourcing, gegen Profitorientierung und für bessere Arbeitsbedingungen – für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich – kämpfen können. Doch die gewerkschaftliche Organisierung von Krankenhausbeschäftigten ist schwach: Seit der Einführung des DRG-Systems 2004 haben wir nur immer mehr erlebt, dass unsere Kämpfe nichts bringen, außer kleinen Trostpflastern; wir immer weiter gespalten werden und unsere Kolleg:innen immer pessimistischer werden.

Deshalb müssen wir von den Gewerkschaftsführungen jetzt fordern, Massenmobilisierungen und starke Streiks zu ermöglichen – nicht von unserem Sektor separat, denn im Krankenhaus ist es schwer, lange Streiks durchzuführen, sondern von allen Sektoren, die für dieselben Forderungen kämpfen. Dafür brauchen wir einen richtigen Kampfplan:  Versammlungen, aktive Organisierung an den einzelnen Betrieben. Für eine starke TVÖD-Runde, aber auch gegen die Krise! Gegen Mieterhöhungen, gegen Kurzarbeit, gegen Entlassungen und dagegen, dass wir für die Krise zahlen müssen!

Wir wollen uns nicht zu Held:innen erklären lassen – von Klatschen zahlt man keine Miete! Wir wollen für unsere Zukunft kämpfen und nicht Angst vor ihr haben müssen.

Wir sind systemrelevant – wir alle, Millionen von Menschen, halten das kapitalistische System tagtäglich mit unserer Arbeit aufrecht. Doch wir sind deshalb auch genau diejenigen, die dagegen kämpfen können. Und entscheiden sollen, unter welchen Bedingungen wir arbeiten und leben. Den Kampf dafür können wir nicht nur ökonomisch führen, denn unser Alltag ist politisch: Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen muss auch ein antirassistischer, ein antisexistischer und ein Kampf für die Jugend sein, die eine Zukunft erwarten soll, die lebenswert ist.

Lasst uns nicht darauf warten, wie schlecht die Regierung uns durch die Krise bringen kann, sondern lasst uns beginnen, uns zu organisieren, damit nicht mehr wir für die Krise zahlen müssen, sondern die Kapitalist:innen.

Lisa und Charlotte

Stimmen aus dem Betrieb

In dieser Kolumne schreiben wir Arbeiter*innen zu den wichtigsten politischen Fragen. Die „Stimmen aus dem Betrieb“ sagen die Wahrheit, wo die Regierung, die Parteien und die Bürokrat*innen lügen. Denn wir Arbeiter*innen tragen die ganze Last – der Coronakrise und der kapitalistischen Krise. Und wir haben es satt, von oben abgespeist und gespalten zu werden. Mit unserer Kolumne wollen wir ein Angebot an Arbeiter*innen, Jugendliche und Unterdrückte machen, selbst für ihre Zukunft zu kämpfen.

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