1.400 Menschen beim Feminist Futures Festival

27.09.2019, Lesezeit 8 Min.
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In einer Phase des Wiedererstarkens der weltweiten Frauen*bewegung und des von Frauen* angeführten Widerstands gegen den Rechtsruck fand vom 12. bis 15. September 2019 in der Essener Zeche Zollverein das sehr groß und breit angelegte Feminist Futures Festival statt.

Es kamen mehr als 1.400 Teilnehmer*innen aller Geschlechter, Generationen und politischer Strömungen. Das Festival hatte einen internationalen Charakter: Aus mehr als 40 Ländern waren Menschen angereist. Es gab vielfältige theoretische Podien und Workshops, aber auch praxisbezogene Veranstaltungen und Panels. Das Programm war ebenso voll von unterschiedlichen künstlerischen, kulturellen und pädagogischen Beiträgen, Filmen, Musik, Theater und Performances. In mehreren Veranstaltungen wurde über die Erfahrungen und Kämpfe von Frauen* in anderen Ländern berichtet. Organisiert wurde das Festival von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Netzwerk Care Revolution und dem Leipziger Konzeptwerk Neue Ökonomie.

Ein Tummelplatz von Ideen der neuen feministischen Welle

Die neue Frauenbewegung hat in den letzten Jahren, ausgehend von der argentinischen Ni Una Menos Bewegung 2015 über den internationalen Frauenstreik, an Kraft gewonnen. In ihr agieren zahllose Strömungen und Kräfte: Der bürgerliche Feminismus, der individuelles Empowerment innerhalb des patriarchalen Kapitalismus für eine Minderheit von Frauen propagiert, ist mit Vertreter*innen wie Christine Lagarde und Hillary Clinton eine relevante Kraft. Doch in dieser Bewegung gewannen durchaus Strömungen an Kraft, die sich gegen den Neoliberalismus und kapitalistische Ausbeutung stellen.

In Deutschland gründete sich bereits 2012 das Netzwerk Care Revolution als Zusammenschluss von Gruppen und Aktivist*innen, die sich die Aufwertung der Sorgearbeit und ein Ende der Krise im Sorge- und Gesundheitssystem als Ziel setzten. Gleichzeitig finden seit einigen Jahren vermehrt Arbeitskämpfe im prekären Gesundheitssektor statt, in dem Frauen eine zentrale Rolle spielen.

Auch der intersektionale Feminismus und verschiedene poststrukturalistische Strömungen erhielten durch das Erstarken der Frauenbewegung wieder einen gewissen Aufwind.

Jedoch existiert in der feministischen Bewegung bei Weitem keine Homogenität. Das Ziel des Festivals, so die Beschreibung, war daher das Vorankommen in der Einheit der feministischen Bewegung, zwischen „feministischen und queer-feministischen Anliegen mit konsequenter Kapitalismuskritik und Klassenpolitik“.

Das Programm spiegelte den internationalen Anspruch des Festivals dadurch wider, dass es verschiedene Workshops zu Frauen*kämpfen in anderen Ländern gab. Auch die Themen Pflege- und Sorgearbeit nahmen einen prominenten Platz ein, ebenso wie körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, sowie die Frage der Ökologie.

Strategische Leerstellen

Leider hatten migrantische und geflüchtete Aktivist*innen durch fehlende Übersetzungen – die manchmal nicht ins Deutsche getätigt wurden – zum Teil Schwierigkeiten, das rassistische Regime in Deutschland angemessen thematisieren zu können. Dasselbe gilt z.B. für Arbeiter*innen oder Menschen mit Behinderung, die ein Schlaglicht auf die strukturellen Benachteiligungen hätten werfen können.

Obwohl Frauen* aus über 40 Ländern anwesend waren, was den internationalen Charakter der Bewegung widerspiegelt, wurde unseres Erachtens den zentralen Themen Rassismus und Imperialismus nicht genügend Raum gewährt. obwohl diese zwei der wichtigsten Ursachen für die Frauen*unterdrückung darstellen. Dies wird auch dadurch deutlich, dass auf die Geschichte des historischen Tagungsortes, der hauptsächlich von Migrant*innen (den sogenannten Gastarbeiter*innen, in diesem Fall meist Männern) aufgebaut und betrieben wurde, nicht genug Beachtung fand. Es zeigte sich insgesamt eine sehr starke Dominanz weißer, akademisch gebildeter Frauen* auf dem Festival, was sich auch in einer Hegemonie gewisser Theorieströmungen erkennen ließ.

In vielen Workshops und Gesprächen zeigte sich, dass der intersektionale Feminismus vollkommen selbstverständlich als Prämisse und Basis angenommen wurde. Dieser Ansatz ist in einigen Ländern momentan dominant, wird jedoch auch von vielen klassenkämpferischen und revolutionären Feminist*innen kritisiert. Wie wir an anderer Stelle ausgeführt haben, missverstehen intersektionale Ansätze, dass Klasse in der kapitalistischen Gesellschaft eine besondere Rolle spielt und Klassenverhältnisse anders funktionieren als andere Unterdrückungsmechanismen. Während der intersektionale Feminismus die Wirkung vieler (gleichwertig wirkenden) Unterdrückungsmechanismen beschreiben kann, bietet er jedoch keine Strategien, die den Komplex von Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen im Kapitalismus tatsächlich überwinden könnten.

Eines der Highlights des Festivals war die Anwesenheit von Cinzia Arruzza, einer der Autorinnen des Manifests „Feminismus für die 99%“. Das Buch, das nun auch auf Deutsch erschienen ist, kritisiert den vorherrschenden individualisierten Feminismus der letzten Jahrzehnte, der zusammen mit dem Neoliberalismus zur Zersplitterung der feministischen Bewegung geführt hat. Auf dem Eröffnungsplenum stellte Arruzza die Notwendigkeit dar, diese Fragmentierung zu überwinden und die Perspektive eines klassenkämpferischen, antichauvinistischen Feminismus neu zu beleben. Auch wenn wir eine stärkere Fokussierung auf die Kampfperspektive der Arbeiter*innenklasse und strategisches Handeln für notwendig erachten, stellt das Manifest einen der progressivsten Ansätze im heutigen Feminismus dar und eröffnet neue Diskussionen. Unsere Übereinstimmungen, aber auch unsere strategischen Differenzen mit dem Manifest haben wir an anderer Stelle festgehalten.

Leider fand über diesen Punkt und im Allgemeinen zu wenig strategische Diskussion statt, was unter anderem am vollen Programm und an dem Konzept der Workshops lag, die oft als Panels organisiert wurden und dies dem Publikum wenig Möglichkeiten gab, zu intervenieren.

Brot und Rosen auf dem Festival

Als sozialistische Frauenorganisation Brot und Rosen nahmen wir am Festival teil, und waren gemeinsam mit Schüler*innen aus der Redaktion des DRUCK-Magazins bei insgesamt drei Workshops auf dem Podium vertreten. Zwei davon haben wir als Organisationen selbst angeboten, auf denen wir unsere Projekte, Politik und Ziele vorstellten. Bei einem Workshop zu der Situation von Streiks in Krankenhäusern stellte Charlotte, Hebamme an einer städtischen Klinik und Mitglied von Brot und Rosen, den Bezug zwischen Krankenhaus- und Frauen*streik her und forderte den politischen Streik.

Die Redakteurinnen des DRUCK-Magazins gaben im Rahmen eines eigenen Workshops ihr Wissen über die Erstellung und Verbreitung einer Schülerzeitung weiter. Außerdem diskutierten sie mit den Teilnehmer*innen die Grenzen und Potentiale einer solchen Zeitung und vor allem die Inhalte der bisherigen zwei Ausgaben.

Den Workshop „Für Brot und Rosen! Ein Feminismus der Arbeiter*innen“ gestalteten wir in Kooperation mit der indischen Aktivistin Maya John, die ihre Arbeit bei der Organisierung von prekären Frauen* in Indien vorstellte und eine theoretische Kritik an den Schwächen des intersektionalen Feminismus vornahm. Anhand des internationalen Manifests von Brot und Rosen, dessen deutsche Ausgabe wir gerade überarbeiten, stellten wir die Hintergründe unseres Ansatzes dar und kamen mit den Teilnehmer*innen über diesen ins Gespräch.

Grußworte für diesen Workshop schickte uns Andrea D‘Atri, Gründerin von Brot und Rosen in Argentinien, sowie Fernande, Arbeiterin beim Reinigungsunternehmen ONET in Paris und Protagonistin der dort siegreichen Streiks.

Wir beziehen uns auf die Erfahrungen aus Frauen*- und Klassenkämpfen und ziehen daraus Lehren für die heutige Politik. Wir sehen es als eine Notwendigkeit an, über Strategien zu sprechen, da unser Ziel die Mobilisierung der Massen ist. Wir wollen eine kämpferische Arbeiter*innenklasse, die gemeinsam mit allen Ausgebeuteten und Unterdrückten den patriarchalen Kapitalismus stürzt und eine neue, befreite Gesellschaft hervorbringt, die frei von Rassismus, Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit, sowie allen anderen Formen der Unterdrückung ist. Die Rolle der Arbeiter*innenklasse sehen wir als zentral für die Emanzipation aller Geschlechter an, da sie als einzige eine Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess innehat, durch die das System zum Erliegen gebracht werden kann. Um dies zu erreichen, dürfen wir nicht über Arbeiter*innen und Migrant*innen reden, sondern müssen dies mit ihnen tun. Deswegen setzen wir uns in der Frauen*bewegung für eine klassenkämpferische Perspektive ein und kämpfen zugleich in der Arbeiter*innenbewegung dafür, dass sie sich feministische Forderungen zueigen macht.

Unsere Gruppierung besteht daher auch aus Schülerinnen*, Studentinnen*, Auszubildenden, Geflüchteten und Arbeiterinnen*. Diese Zusammensetzung ist essentiell für eine umfassende feministische Perspektive, die sich nicht nur für nationale Probleme interessiert, sondern einen internationalistischen Charakter aufweist, der eine breite Mobilisierung und schließlich den Aufbau einer neuen Gesellschaft ermöglicht.

Fazit

Für uns war das Festival eine wichtige und lehrreiche Erfahrung für die Teilnehmer*innen. Es ist ein hoffnungsvoller Ausdruck dessen, dass es in den letzten Jahren eine starke Politisierung von Frauen* gab und dass viele davon überzeugt sind, dass eine gut vernetzte und organisierte feministische Bewegung die Verhältnisse ändern kann und muss.

Zur Entwicklung dahin braucht es aber nicht nur eine Politisierung, sondern auch Selbstorganisierung, unabhängig vom Staat und seinen Institutionen. Denn der Staat ist nicht Teil der Lösung, sondern hält das patriarchale System aufrecht. Deswegen ist unsere Perspektive eines proletarischen, antirassistischen und antiimperialistischen Feminismus die strategische Antwort auf Kapitalismus, Patriarchat und Rechtsruck.

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