Internationales Manifest von „Brot und Rosen“

20.03.2017, Lesezeit 35 Min.
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Dieses Manifest wird gleichzeitig in den fünf Sprachen der elf Länder veröffentlicht, in denen Arbeiterinnen, Studierende, Schülerinnen und Hausfrauen in der Frauengruppierung "Pan y Rosas" (Brot und Rosen) aktiv sind.

An diesem 8. März 2017, am Internationalen Frauenkampftag, gehen wir weltweit auf die Straße, sind im Streik und nehmen an Aktionen teil. Unser gemeinsames Motto ist der #InternationalWomensStrike.

Das Motto des Frauenstreiks fiel nicht vom Himmel: Es entstand aus den letzten massenhaften Kämpfen von Frauen gegen sexistische Gewalt und Frauenmorde in Ländern wie Argentinien, Chile, Mexiko und Italien; dem Kampf für reproduktive Rechte und das Recht auf Abtreibung in Ländern wie Polen, Irland und Südkorea; dem Kampf gegen die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen in Ländern wie Frankreich oder Island. Es entstand auch aus den Mobilisierungen gegen die Frauenfeindlichkeit von Donald Trump, der kürzlich zum US-Präsidenten gewählt wurde. Gegen ihn gingen nicht nur in verschiedenen US-Städten Massen auf die Straßen, sondern auch in europäischen Städten wie London, Barcelona, Berlin, Amsterdam, Budapest oder Florenz. Diese Kämpfe der Frauen drücken auch den Widerstand gegen die aktuelle kapitalistische Krise aus, die die herrschende Klasse und ihre Regierungen auf die Arbeiter*innen abladen wollen. Und zwar indem sie die Lebensbedingungen der Arbeiter*innenklasse und der Ärmsten angreifen, die mehrheitlich Frauen sind.

Aber dieser 8. März 2017 fällt auch mit dem 100. Jahrestag der Russischen Revolution zusammen. Sie begann am Internationalen Frauenkampftag 1917, als Textilarbeiterinnen in St. Petersburg in den Streik traten. Sie zogen schnell andere Branchen und Sektoren der Bevölkerung mit sich, bis die Revolution im Oktober durch die Machtübernahme der Arbeiter*innenklasse ihren Höhepunkt fand. Eine Revolution, die in nur wenigen Monaten, Rechte und Freiheiten eroberte, für die wir selbst heute, 100 Jahre später, in vielen Teilen der Welt weiterhin kämpfen.

Wir Frauen, die wir dieses Manifest unterschreiben, verteidigen diese Tradition. Wir erachten sie für wichtiger als je zuvor im Kampf für unsere Befreiung. Wir sind überzeugt, dass wir unsere Befreiung erst dann endgültig erreichen können, wenn wir mit all den Überresten dieser Gesellschaft aufgeräumt haben, die auf der Ausbeutung und Unterdrückung von Millionen von Menschen beruht, und wenn wir auf ihren Trümmern eine neue sozialistische Gesellschaft aufbauen.

Brot und Rosen, März 2017

Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Deutschland, Frankreich, Mexiko, Spanischer Staat, Uruguay, USA, Venezuela

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Die Geschichte der Klassenkämpfe ist auch die Geschichte der Frauenkämpfe

Die aktuellen Mobilisierungen von Frauen auf der ganzen Welt sind kein neues Phänomen. Seit Jahrhunderten wehren wir Frauen uns gegen die Diskriminierung, Unterordnung und Ungleichheit, die uns die patriarchale Herrschaft aufzwingt – ebenso wie gegen andere Formen der Unterdrückung und Ausbeutung durch die herrschenden Klassen. Die europäischen Bäuerinnen rebellierten Jahrhundertelang immer wieder gegen die Knappheit von Lebensmitteln und gegen die hohen Brot- und Mehlpreise, die ihre Familien zu Hunger und Elend verdammten. Aus Lateinamerika gibt es zahlreiche Geschichten von mutigen Frauen der indigenen Völker, die der kolonialen Unterwerfung trotzten. Zu Zeiten der Französischen Revolution von 1789 verurteilten bürgerliche Frauen die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die ihre eigenen Rechte als Frauen und Staatsbürgerinnen nicht anerkannte. Währenddessen marschierte eine von Frauen angeführte Menschenmasse aus den Armenvierteln von Paris nach Versailles, um vor dem König gegen ihre schlechten Lebensbedingungen zu protestieren. Und knapp ein Jahrhundert später kämpften die Frauen der armen Pariser Bevölkerung heroisch auf den Barrikaden der Kommune von 1871. Dort verteidigten sie die erste Arbeiter*innenregierung der Geschichte – eine Regierung, die sie zu Staatsbürgerinnen mit gleichen Rechten machte. Deshalb kämpften sie in bewaffneten Bataillonen bis zur blutigen Niederschlagung durch die französische Bourgeoisie, die sich mit Deportationen und Erschießungen rächte.

Vor dem Ersten Weltkrieg 1914 mobilisierten sich tausende Frauen in England, Frankreich und anderen Ländern für das aktive und passive Wahlrecht. In den USA kämpften viele dieser „Suffragetten“ gleichzeitig für die Abschaffung der Sklaverei. In den Ländern Lateinamerikas und der Karibik kämpften Frauen für den Zugang zu höherer Bildung und für alle Bürgerrechte, die ihnen noch verwehrt waren. Oft wurden ihre Forderungen nur von den sozialistischen Arbeiter*innenparteien der Zeit aufgenommen. In Europa waren es während des Kriegs die Arbeiterinnen, die die Verschickung von Truppen an die Front zu verhindern versuchten. Sie stoppten dafür Züge durch Meutereien und Aufstände und sabotierten die Produktion von Waffen und Munition. Sie standen auch in erster Reihe der Proteste gegen Unterversorgung und Nahrungsmittelknappheit, die die Kriegsproduktion ihnen aufzwang.

So auch die Textilarbeiterinnen von St. Petersburg in Russland, die den Internationalen Frauentag im Jahr 1917 begingen, indem sie in den Streik traten. Sie forderten „Brot, Frieden und Nieder mit der Autokratie!“. Ohne es sich vorzunehmen, eröffneten die am meisten Unterdrückten unter den Frauen und die am meisten Ausgebeuteten im Proletariat den Weg des größten revolutionären Prozesses der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung: die Russische Revolution. Diese Revolution sollte – angeführt von der Bolschewistischen Partei Lenins und Trotzkis – das Zarenregime stürzen und einige Monate später eine Regierung der Arbeiter*innen durchsetzen, gestützt auf die Räte der Arbeiter*innen. Vor 100 Jahren eroberten die russischen Frauen mit der proletarischen Revolution Rechte, für die wir heute in der Mehrzahl der kapitalistischen Demokratien immer noch kämpfen, darunter so grundlegende Rechte wie das Recht auf Abtreibung.

Die Geschichte steckt voller Heldinnentum, Aufopferung und Mut von Millionen von anonymen Frauen – und einiger, deren Namen überliefert sind. So erinnern wir an die mutige Aymara-Kämpferin Bartolina Sisa aus Bolivien, an sozialistische Arbeiterinnen wie Teresa Flores aus Chile oder Carolina Muzzilli aus Argentinien, an die Generälin Amelia Robles aus der Mexikanischen Revolution, an die US-amerikanische Arbeiterinnen-Organisatorin Mother Jones, an die französisch-peruanische Feministin und Sozialistin Flora Tristan, an die Kommunardinnen Elisabeth Dmitrieff und Louise Michel, an europäische internationalistische Revolutionärinnen wie Clara Zetkin oder Nadeschda Krupskaja, an Oppositionelle, die sich dem Stalinismus entgegenstellten wie Nadeschda Joffe aus Russland, Marvel Scholl und Clara Dunne aus den USA, Patrícia Galvao aus Brasilien oder Pen Pi Lan aus China. Nicht alle von ihnen waren Feministinnen im heutigen Sinne –, aber sie alle boten der Unterdrückung die Stirn und kämpften gemeinsam mit den Ausgebeuteten für ihre Organisierung, ihre Rechte und ihre Emanzipation. Auch nicht alle von ihnen hatten eine revolutionäre sozialistische Perspektive, wie wir sie vertreten. Aber sie alle gehören zu den vielen Frauen, von deren Kämpfen wir als Brot und Rosen heute lernen.

Wir sehen uns als Erbinnen der Tradition von Frauen wie Rosa Luxemburg. Sie überwand enorme Widrigkeiten und ihr Leben zeigt uns, dass die Unterdrückung als Frau und Migrantin kein absolutes Hindernis für den Kampf sein muss. Denn als Frau mit starken Überzeugungen, Opferbereitschaft und Mut hat sie sich in eine der größten revolutionären Anführer*innen des weltweiten Proletariats verwandelt.

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Mehr Rechte und mehr Ungerechtigkeit – ein widersprüchliches Erbe

In den letzten 50 Jahren hat sich das Leben der Mehrheit der Frauen in den westlichen Ländern – besonders in den zentralen Ländern und den großen Metropolen – auf eine Weise verändert, wie es noch vor 100 Jahren undenkbar gewesen wäre.(1) Innerhalb weniger Jahrzehnte haben Frauenkämpfe massenweisen Zugang zu Bildung, demokratischen Rechten und öffentlichen Posten errungen. Wir Frauen haben uns rechtlich unabhängig gemacht von der patriarchalen Vormundschaft des Vaters und Ehemanns. Wir haben erkämpft, über unser Leben, unsere Sexualität und unseren Körper selbst zu entscheiden.

Der historische Kampf um Frauenbefreiung ist kein linearer Prozess. Das heißt, er führt nicht Stück für Stück zu immer mehr Fortschritten und er schließt keineswegs immer alle Frauen mit ein. Trotzdem ist die Reichweite der beschriebenen Entwicklungen so groß, dass selbst die Kapitalist*innenklasse sie akzeptieren muss. Um ihre ultrareaktionäre Politik durchzusetzen, setzt sie sogar Frauen wie Angela Merkel in Deutschland und Theresa May in Großbritannien an die Spitze von Regierungen. Wir könnten sagen, dass im Vergleich zu vorherigen Jahrzehnten die rechtlichen Hürden für den Zugang von Frauen zu Machtpositionen abgebaut wurden (mit Ausnahme des Heiligen Stuhls im Vatikan). Dies ist ganz anders als in der Epoche von revolutionären Sozialistinnen wie Rosa Luxemburg, die gegen den deutschen Imperialismus kämpfte. Damals durften Frauen, Schüler*innen und Lehrlinge keinen politischen Organisationen angehören oder auch nur an Treffen teilnehmen, bei denen über Politik diskutiert wurde.

Viele der heutigen Frauenrechte sind Ergebnisse der Kämpfe von Frauen in den 1960er und 1970er Jahren. Sie prägten den Satz „das Private ist politisch“ und verwandelten ihn in ein Kampfprogramm. In dieser Zeit schrien verschiedene Strömungen des radikalen Feminismus in die Welt hinaus, dass die politische, wirtschaftliche, soziale, kulturelle und sexuelle Ungleichheit der Frauen gegenüber den Männern nicht einfach ein individuelles Problem jeder einzelnen Frau und jedes einzelnen Mannes sei, beschränkt auf private Beziehungen. Es gebe stattdessen ein Muster, das sich in unzähligen Einzelschicksalen wiederholte. Dies zeigte, dass die Singularität dieser Erfahrung dialektisch ihren wahren strukturellen Charakter miteinschloss. Das, was als „natürlich“ vorgegeben wurde, war nichts als die Kristallisierung komplexer sozio-historischer Prozesse.(2)

In den Sechzigern und Siebzigern wurde nicht nur das Patriarchat, sondern auch der Kolonialismus, der Rassismus und der Heterosexismus als Herrschaftssysteme in Frage gestellt – im Rahmen eines Prozesses großer sozialer und politischer Radikalisierung der Massen, die sich gegen kapitalistische Ausbeutung und gegen die Unterdrückung durch die stalinistische Bürokratie in den Arbeiter*innenstaaten Osteuropas auflehnten. 

Der Wandel der Lebensbedingungen von Millionen von Frauen mag „revolutionär“ wirken im Vergleich zu den Lebensbedingungen früherer Generationen. Trotzdem ist offensichtlich, dass diese im Rahmen des Kapitalismus eroberten Rechte weder patriarchale Unterdrückung noch kapitalistische Ausbeutung abgeschafft haben. Millionen von Menschen sind nach wie vor der Lohnsklaverei unterworfen, zur Barbarei des Hungers, des Kriegs, der Umweltverschmutzung, der Überschwemmungen und Dürren, der Arbeitslosigkeit und des Elends verurteilt. Von den mehr als eine Milliarde Menschen, die heute in extremer Armut leben, sind 70 Prozent Frauen und Mädchen.

Eine Geschichte großer Fortschritte im Kampf um Frauenrechte steht neben Statistiken der brutalsten Unterdrückungen: Beispielsweise werden zwischen 1,5 und 3 Millionen Frauen und Mädchen jedes Jahr Opfer sexistischer Gewalt. Trotz enormer wissenschaftlicher und technologischer Fortschritte sterben weltweit pro Jahr 500.000 Frauen aufgrund von Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt, während täglich 500 Frauen aufgrund von unsicheren und illegalisierten Abtreibungen sterben. Die Prostitution hat sich in eine riesige und enorm profitable Industrie verwandelt, was gleichzeitig zur weiteren Ausdehnung der Menschenhandelsnetzwerke führte. Von den 960 Millionen Analphabet*innen sind 70 Prozent Frauen und Mädchen. Zudem stieg die „Feminisierung“ der Arbeit exponentiell an: Wir Frauen machen mehr als 40 Prozent der weltweiten Arbeitskraft aus, wobei über die Hälfte von uns unter prekären Bedingungen arbeitet. Dazu lastet auf unseren Schultern der doppelte Arbeitstag der Hausarbeit.

Vor kurzem konnten wir sogar einen politischen Rechtsruck in verschiedenen westlichen Ländern beobachten. Im Zuge dessen werden bereits erkämpfte Rechte wieder angegriffen. Zum Beispiel geht Donald Trump in den USA entschlossen gegen das Recht auf Abtreibung vor. Er vertieft damit die Angriffe, die schon die Regierungen einiger Bundesstaaten vorangetrieben haben, als die Demokratische Partei unter Barack Obama im Weißen Haus saß. In Europa gab es in den letzten Jahren große Mobilisierungen von Rechten und katholischen Fundamentalist*innen nicht nur gegen das Recht auf Abtreibung, sondern auch gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und andere demokratische Rechte.

Dies war möglich, weil die Etappe der Radikalisierung und Klassenkämpfe der 1960er und 1970er Jahre in Niederlagen und Umlenkungen der sozialen Bewegungen, wie dem Feminismus, endete. Was heute „Neoliberalismus“ genannt wird, war die fanatische Antwort des Kapitalismus angesichts der Wellen von Mobilisierungen, Streiks und revolutionären Prozessen, die in den Siebzigern die Herrschaft des Kapitals bedrohten.

Durch die verräterische Hand der reformistischen Führungen der Massen – sowohl der politischen als auch der gewerkschaftlichen – im Osten und im Westen hat der Kapitalismus es geschafft, seine Krisen zu überleben und eine Wirtschaftspolitik durchzusetzen, die Millionen von Menschen in Arbeitslosigkeit stieß. Die Arbeiter*innenklasse wurde fragmentiert und entwurzelt. An ihre Stelle traten die Werte des Individualismus und des „Rette sich wer kann“. Um diese Niederlage aufzuzwingen, konnten die herrschenden Klassen jedoch nicht allein auf die Kollaboration der verräterischen Führungen der ausgebeuteten Klassen zählen. Sie mussten auch die schärfsten Kritiker*innen innerhalb der sozialen Bewegungen assimilieren, kooptieren und einschränken, die den patriarchalen, heterosexistischen, rassistischen und kolonialistischen Kapitalismus in Frage stellten. Die in den 70ern eroberten Rechte stellen gewissermaßen die „Anerkennung“ der neuen Kräfteverhältnisse durch die herrschenden Klassen dar. Sie waren sowohl ein Versuch der Antwort auf die Unzufriedenheit als auch auf die wachsende Feminisierung der Arbeitskraft. Der Kapitalismus versuchte mit dem Hineinholen von immer mehr Frauen in den Produktionsprozess, die für ihn notwendige Masse an Arbeitskraft zu vergrößern. Er vergrößerte dabei die Konkurrenz innerhalb der lohnabhängigen Massen und führte immer weitere Angriffe auf die historischen Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse aus. (Diese Strategie ist schon seit dem Frühkapitalismus bekannt, als das Kapital eine „industrielle Reservearmee“ schuf, um die Löhne zu senken, und die Reihen der Arbeiter*innenklasse in Männer und Frauen, Einheimische und Ausländer*innen spaltete.)

Einer langen Geschichte gemeinsamer Kämpfe folgte schließlich die Spaltung zwischen der Arbeiter*innenklasse und den sozialen Bewegungen. Der Feminismus gab auf, gegen eine soziale Ordnung zu kämpfen, die vom Kapital durchgesetzt wird, und die Elend und Ungerechtigkeit für Frauen bedeutet. Spiegelbildlich dazu zogen die Abwesenheit einer revolutionären Perspektive und der Verrat ihrer Führungen die Arbeiter*innenklasse in einen Korporatismus.(3)

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts fanden Frauen, die nach ihrer Befreiung strebten, ein Vorbild im Arbeiter*innenstaat der Sowjetunion. In den Jahrzehnten der konservativen Restauration der Achtziger, als der „real existierende Sozialismus“ längst nur noch eine degenerierte Version seiner Vergangenheit war, war auch der sozialistische Vorbildcharakter für die Frauenbewegung dahin. Sie fand dort tatsächlich nur die Bestätigung des Vorurteils, jeder Versuch des Widerstands gegen die bestehende Herrschaft bringe neue, wiederum monströse Formen der Herrschaft und des Ausschlusses von Frauen hervor. Denn der Stalinismus hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die familiäre Ordnung wieder herzustellen und die Rolle der Frauen als Ehefrauen, Mütter und Hausfrauen zu fördern. Das Abtreibungsrecht wurde abgeschafft; die Prostitution wie im Zarismus kriminalisiert; die Politik der Kollektivierung von Reproduktionsarbeit wurde zurückgefahren oder vollkommen beseitigt, zum Beispiel was öffentliche Wäschereien, Kantinen und gemeinschaftliche Wohnhäusern anging; die Frauenorgane der Partei wurden aufgelöst. Um nur ein paar der Maßnahmen zu nennen, mit denen die stalinistische Bürokratie die mutigen Schritte der Russischen Revolution von 1917 zerstörte und zurückdrehte.

Durch die Niederlage der Massenradikalisierung der 1970er setzte sich die Vorstellung durch, dass der Kapitalismus unbesiegbar ist. Damit ging einher, dass jede Perspektive einer radikalen Veränderung der Lebensbedingungen der Ausgebeuteten und Unterdrückten utopisch erschien. Die in dieser Periode eroberten Rechte bedeuteten natürlich einen gewissen „Triumph“ – allerdings beschränkt auf einige gesellschaftliche Sektoren in bestimmten Ländern. Außerdem schweben sie in ständiger Gefahr, von der politischen Konjunktur wieder hinweggefegt zu werden. Aber wir wollen betonen: Die Kehrseite dieser Erfolge war, dass damit die Grundlage für unsere tiefgehende und anhaltende Niederlage gelegt wurde. Sie nennt sich „Neoliberalismus“ und war für das Kapital notwendig. In diesem Moment fand in der gesamten Gesellschaft und auch im Feminismus ein Wandel statt: Die Idee der radikalen Umwälzung der Gesellschaft verschwand aus der Vorstellungskraft der Massen und damit wurde der Kampf um Emanzipation aufgegeben. An ihre Stelle trat im Feminismus größtenteils eine Strategie der graduellen Ausdehnung von Rechten durch Reformen in den kapitalistischen Demokratien. Utopischerweise sollte nun die Veränderung des Systems „von innen“ erreicht werden. Die radikale Kapitalismuskritik verwandelte sich in den bloßen Versuch, Bürger*innenrechte auszuweiten, während die verfaulenden bürgerlichen Demokratien keine Verbesserungen mehr anzubieten hatten, um das Unrecht gegen die Massen zu lindern. Die sozialen Bewegungen kritisierten zwar weiterhin hin und wieder die kulturelle, soziale und moralische Ordnung, die auf den kapitalistischen Produktionsverhältnissen beruht. Diese Kritik erscheint aber stets getrennt von einer Kritik der ökonomischen Ordnung selbst, welche auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft beruht. Die ökonomische Ordnung, die die kulturelle, soziale und moralische Ordnung aufrechterhält, bleibt somit unhinterfragbar.

Das erlaubte es den hegemonialen Strömungen im Feminismus, sich in den Jahrzehnten des Neoliberalismus auf den Kampf um die Anerkennung von Rechten im Rahmen des „demokratischen Staats“ zurückzuziehen. Dieser Staat ist nicht neutral, sondern kapitalistisch. Er ist der Garant der gewaltsamen Ausbeutung der Lohnarbeit von Millionen von Menschen durch die parasitäre Minderheit der herrschenden Klasse. Der bürgerliche Staat basiert auf dem Schutz des Privateigentums durch Ausübung des Gewaltmonopols gegen die Ausgebeuteten. Von eben diesem Staat wird also verlangt, Ungerechtigkeit gegen Frauen anzuerkennen und die Täter zu bestrafen.

In der aktuellen Epoche ist zwar anerkannt, dass Vergewaltigung in der Ehe Gewalt ist und kein Recht des Ehemanns; dass sexueller Missbrauch Gewalt ist und keine kulturelle Gewohnheit; dass sexuelle Belästigung auf der Straße Gewalt ist und keine harmlose Bagatelle. Aber paradoxerweise haben wir gerade durch die Forderung nach Anerkennung dieser Formen von Gewalt gegen Frauen durch den Staat und sein Justizsystem genau das Gegenteil dessen erreicht, was wir wollten. Zwar gab es Fortschritte in der Sichtbarmachung des Leids, das uns von der patriarchalen Ordnung auferlegt wird. Auch wurden einklagbare Rechte erkämpft, die es vorher einfach nicht gab. Dabei wurde aber die patriarchale Gewalt auf ein individuelles Problem reduziert, das strafrechtlich formalisiert wird.

Jahrzehnte haben wir dafür gekämpft, dass die Unterdrückung der Frauen entnaturalisiert wird. Wir wollten damit zeigen, dass der Sexismus strukturell in den Klassengesellschaften verankert ist und dass das Patriarchat ein System ist, das unsere Leben und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen durchzieht. Und nun ist das Ergebnis, dass die extremsten, abstoßendsten, tödlichen Gewalttaten einiger Individuen im Vordergrund stehen, während die patriarchale kapitalistische Gesellschaft mitsamt ihres Staates und ihrer Institutionen makellos wirkt, scheinbar frei von jeder Verantwortung. Seine Fähigkeit zu strafen wurde sogar gestärkt. Der patriarchale Kapitalismus steht vor uns und sagt: „Die kapitalistischen Demokratien haben dir schon gleiches Recht vor dem Gesetz gegeben. Jetzt ist die Emanzipation eine individuelle Frage, für die du allein verantwortlich bist.“ Die konservative Rechte entwickelte unterdessen ihren eigenen „Feminismus“, als Variation des liberalen Individualismus: Wenn es sich nur um individuelle Rechte handelt, dann kann man auch das „Recht“ einfordern, Hausfrau zu sein und sich „um den Ehemann und die Familie zu kümmern“, oder das „Recht, die berufliche Karriere aufzugeben, um sich vollständig der Kindererziehung zu widmen“ und so weiter.

Der liberale Feminismus kann diese Angriffe von Rechts nicht stoppen, denn er sitzt in seiner eigenen Individualismus-Falle. Die erneuten Massenmobilisierungen von Frauen überall auf der Welt, nicht zuletzt als Antwort auf den Sieg Trumps und die damit verbundenen Diskussionen, verdeutlichen die Krise des liberalen Feminismus. Einige US-Feministinnen brandmarken ihn bereits als „unternehmerischen Feminismus“, für den Politiker*innen wie Hillary Clinton von der Demokratischen Partei stehen. Nur ein Feminismus, der sich vornimmt, eine politische Massenbewegung zu werden, die den Kampf für mehr Rechte und demokratische Freiheiten mit der Anklage dieses Regimes von Ausbeutung und Elend verbindet, kann wirklich emanzipatorisch sein – und auch das nur mit dem Ziel, den Kapitalismus zu stürzen.

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Die reaktionäre Utopie von Reform und Strafe

Endlich haben wir in der Mehrheit der kapitalistischen Demokratien erreicht, dass wir von den Institutionen, inklusive des Strafrechts, als Opfer von Sexismus anerkannt werden. Und tatsächlich werden wir Frauen weiterhin Opfer von sexualisierter Gewalt, von sexueller Belästigung und sexuellem Missbrauch, von Vergewaltigungen auf der Straße, in der Schule, im Büro, in der Kirche und Zuhause. Wir werden Opfer einer Ausbeutung, die teils unerträgliche Ausmaße erreicht und uns die Gesundheit und das Leben kostet. Wir werden „Kollateralopfer“ von Kriegen. Und wir werden Opfer von Frauenmorden.

Aber das Patriarchat besteht damit auch darauf, dass wir uns selbst als ohnmächtig wahrnehmen und als ohnmächtig wahrgenommen werden. Wir werden zu Opfern gemacht, die ohnmächtig sind.(4) Als solche sind wir unfähig, unserer Unterdrückung die Grundlage zu entziehen. Wir sollen nur noch individuell vom Staat verlangen, dass er (ebenso individuell) die Täter bestraft. Dadurch sind wir gezwungen, uns dieselbe bestrafende Logik anzueignen, die durch die politische Rechte weltweit im Aufschwung ist. Wir sollen auf dieselben Institutionen dieses sozialen Regimes vertrauen, die unsere Unterordnung legitimieren und garantieren. Um unser blindes Vertrauen in den Staat zu erreichen, müssen die Kämpfe vieler Generationen kämpfender Frauen aus unserem Gedächtnis gelöscht werden. Uns müssen Ressentiments gegen Männer eingepflanzt werden, die doch mit uns die Ketten der kapitalistischen Ausbeutung teilen. Die Bande der Solidarität mit anderen vom Kapital weltweit ausgebeuteten und unterdrückten Frauen müssen gekappt werden. Und schließlich muss der Hass gegen die unsäglichen und entwürdigenden Bedingungen, unter denen die große Mehrheit der Menschheit immer gelebt hat und weiterhin lebt, aus unserem Gedächtnis gelöscht werden. Denn dieser Hass auf das Bestehende hat im Laufe der Geschichte immer Kampfeswillen und Kämpfe hervorgebracht.

Wir Frauen von Brot und Rosen wollen nicht die ohnmächtigen Opfer sein, die dieses System gerne hätte. Wir entscheiden uns für einen produktiven Hass auf die verfaulte soziale Ordnung, die uns zu Opfern macht – uns, wie Millionen weiterer Menschen auf dem gesamten Planeten. Es ist kein privater, subjektiver Hass, der uns antreibt. Es ist der soziale Hass, der im Laufe der Geschichte schon immer den Aufstand der Sklav*innen entzündet hat, wie ein „Funke“. Ende des 19. Jahrhunderts sagte die Pariser Kommunardin Louise Michel: „Vorsicht vor den Frauen, wenn sie sich von all dem angeekelt fühlen, was sie umgibt, und sich gegen die alte Welt auflehnen. An diesem Tag wird die neue Welt geboren.“ Wir Frauen von Brot und Rosen kämpfen für diese neue Welt, eine Welt befreit von den Ketten, die heute die Hände der gesamten Menschheit fesseln und doppelt die Hände der Frauen.

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Unser Recht auf Brot und Rosen: Wir bitten nicht, wir fordern!

Brot und Rosen ist eine internationalistische Gruppierung von Frauen in Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Deutschland, Frankreich, Mexiko, Uruguay, Venezuela, den USA und dem Spanischen Staat. Wir sind Mitglieder der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale.(5) Gemeinsam mit unabhängigen Arbeiterinnen, Schülerinnen und Studentinnen teilen wir die Vorstellung der US-amerikanischen Sozialistin Louise Kneeland, die 1914 meinte: „Wer Sozialist ist und kein Feminist, dem fehlt die Weitsicht. Aber wer Feminist ist und kein Sozialist, dem fehlt die Strategie.“ Das heißt, wir sind der Meinung, dass nur die soziale Revolution, die dieses System der Ausbeutung beendet, die Grundlagen für die Emanzipation der Frauen bereiten kann. Hier stellen wir zentrale Punkte unseres politischen Programms vor.

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¡Ni una menos! (6)

Wir Frauen von Brot und Rosen stehen in der ersten Reihe der Kämpfe für demokratische Freiheiten und Rechte von Frauen. Genauso bekämpfen wir die sexistischen Vorurteile innerhalb der Arbeiter*innenklasse, eingepflanzt von den herrschenden Klassen, sowohl durch bürgerliche Institutionen als auch durch Agent*innen in den Reihen der Arbeiter*innen wie der Gewerkschaftsbürokratie. Im Unterschied zu anderen linken Strömungen glauben wir nicht, dass der Kampf für unsere Rechte auf die Zeit „nach der Revolution“ oder „nach der Machtübernahme“ verschoben werden darf, wie es der Stalinismus und alle populistischen Strömungen meinen. Wir glauben, dass es unsere unausweichliche Pflicht ist, in unserem Kampf für ein System ohne Ausbeutung und Unterdrückung die Kämpfe der Frauen für die bestmöglichen Lebensbedingungen und grundlegenden demokratischen Rechte auch schon in diesem System voranzutreiben. Das ist Teil unserer täglichen politischen Praxis. In Ländern wie Argentinien, wo wir gemeinsam mit anderen trotzkistischen Parteien Teil der Front der Linken und der Arbeiter*innen (FIT – Frente de Izquierda y de los Trabajadores) sind, haben wir sogar Sitze im Nationalkongress und in den Provinzparlamenten. Unsere Genoss*innen dort sind dafür bekannt, aus ihren Sitzen eine Tribüne und einen Bezugspunkt für die Kämpfe der Frauen für ihre Rechte zu machen.

Wir teilen auch nicht die Position der populistischen Strömungen, die sagen, dass die unabhängige Organisierung von Frauen im Kampf für ihre Rechte die Einheit der Arbeiter*innenklasse „bedroht“. Im Gegenteil denken wir, dass die Arbeiter*innenklasse geschwächt wird, wenn eine Frau von ihren Klassenbrüdern gedemütigt, diskriminiert oder vergewaltigt wird. Aber wenn die Arbeiterinnen den Kampf für ihre Rechte in ihre eigenen Hände nehmen, wird die Arbeiter*innenklasse insgesamt gestärkt in ihrem Widerstand gegen die Ausbeuter*innen. Nicht unser Kampf gegen den Sexismus spaltet uns, sondern die herrschende Klasse spaltet die Ausgebeuteten, indem sie frauenfeindliche, sexistische, heterosexistische, rassistische und nationalistische Vorurteile schürt.

Gewalt gegen Frauen ist sehr verbreitet, besonders gegen Mädchen und junge Frauen. Zu der psychologischen, physischen, sexualisierten Gewalt und der Gewalt am Arbeitsplatz kommen Frauenmorde, in vielen Ländern der Erde eine der Haupttodesursachen für junge Frauen. Für die Mehrheit dieser Verbrechen sind Männer verantwortlich, die dem Opfer nahestanden. Sie sind das letzte – tödliche – Glied in einer langen Kette der Gewalt, die ihre Wurzel in der patriarchalen Gesellschaft hat und die sich durch den kapitalistischen Staat und die Institutionen seines Herrschaftsregimes reproduziert und legitimiert.

Deshalb rufen wir: Schluss mit Gewalt gegen Frauen! Ni una menos! Wir wollen leben! Wir fordern von den Regierungen die Durchsetzung aller nötigen Maßnahmen zur Linderung der Konsequenzen sexistischer Gewalt und zur Verhinderung von Morden an Frauen, wie Zufluchtsorte für die Opfer, das Recht auf bezahlte Abwesenheit vom Arbeitsplatz in Höhe des vorherigen Lohnes, Arbeitslosengeld in der Höhe eines Familieneinkommens, Zugang zu zinslosen Krediten für Wohnungen.

Wir sagen: Wenn sie eine von uns angreifen, organisieren wir uns zu Tausenden. Deshalb organisieren wir Frauenkommissionen an jedem Arbeitsplatz, jeder Uni und Schule, in den Wohnvierteln. Lasst uns die Organisierung von kämpferischen Frauenbewegungen vorantreiben, die unabhängig vom Staat und den politischen Parteien des kapitalistischen Regimes sind. Das ist die einzige Option, die uns Frauen bleibt, um die sexistische Gewalt zu konfrontieren und zu stoppen.

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Recht auf freie, sichere und kostenlose Abtreibung

In vielen Ländern dürfen wir Frauen nicht frei über unsere Mutterschaft entscheiden. Abtreibungsverbote führen zu Abtreibungen im Geheimen, illegalisiert und unter unsicheren Bedingungen. Gerade die ärmsten Frauen sterben dabei oft. Diejenigen, die das Glück haben, diese dramatische Situation zu überleben, erleiden meist irreparable Gesundheitsschäden. Und obwohl wir noch kein Recht auf freie und kostenlose Abtreibung haben, die unter hygienischen Bedingungen und durch geeignetes medizinisches Personal durchgeführt wird, bleibt der Zugang zu Verhütungsmitteln weiterhin beschränkt.

Aber während unsere Kinder eine „Störung“ für die Bosse sind, die keine Kindergärten in den Betrieben und Fabriken bereitstellen, sich weigern Sozialbeiträge zu zahlen oder schwangere Frauen kündigen, ist uns zugleich eines klar: Uns wird durch die Familie, den Staat, die Kirche und das Bildungssystem gesagt, dass wir keine wirklichen Frauen sind, wenn wir nicht zu Müttern werden.

Deshalb fordern wir kostenfreie Kindergärten in den Betrieben und Fabriken, bezahlt von den Bossen und vom Staat, 24 Stunden am Tag. Wir verlangen volle Rechte für schwangere Arbeiterinnen und Mütter. Wir kämpfen für Aufklärungsunterricht, um zu entscheiden, kostenfreie Verhütungsmittel, um nicht abzutreiben, und legale, sichere und kostenfreie Abtreibung, um nicht zu sterben. Wir fordern die vollständige Trennung von Staat und Kirche.

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Black Women’s Lives Matter!

In der kapitalistischen Produktionsweise ist neben der Ausbeutung und der geschlechtlichen Unterdrückung auch die rassistische Unterdrückung ein strukturelles Problem. Das gilt besonders für Länder wie Brasilien, die USA, Haiti und auf dem gesamten afrikanischen Kontinent, deren Geschichte geprägt ist von der Versklavung Schwarzer Menschen und dem Slav*innenhandel. Der Rassismus ist ein Produkt des Kapitalismus selbst. Die Geschichte dieser Länder ist aber auch
geprägt von den Befreiungskämpfen der Schwarzen. Diese reichen von der Entstehung der Quilombos (7) auf dem amerikanischen Kontinent bis zu den Unabhängigkeitskämpfen in Afrika, welche vom Stalinismus verraten wurden.

Rassismus drückt sich täglich im Leben Schwarzer Frauen aus. Unter all den Zumutungen, gegen die wir kämpfen und angesichts derer wir mehr Rechte für Frauen fordern, leiden Schwarze Frauen und Migrantinnen am allermeisten. Die Zahl derer unter ihnen, die ermordet werden, ist anteilig am höchsten, ebenso wie die Rate derer, die an illegalisierten Abtreibungen sterben. Sie arbeiten in den schlechtesten Jobs, sind besonders betroffen von Prekarisierung, Outsourcing und Niedriglöhnen.

Ein sozialistischer und revolutionärer Feminismus muss besonders aufmerksam für die am meisten ausgebeuteten und unterdrückten Sektoren unserer Klasse sein. Dabei muss er aufzeigen, dass der Kampf der Schwarzen Frauen nur dann eine umfassende Lösung finden kann, wenn er mit dem revolutionären Kampf für die Zerstörung des kapitalistischen Systems verbunden ist. Denn dieses kapitalistische System ist es, welches bis zum heutigen Tag von den Resten der Versklavung von Schwarzen profitiert. Deshalb macht es uns Mut, dass auf der ganzen Welt Bewegungen entstehen, die die Leben Schwarzer Menschen verteidigen, an denen wir von Brot und Rosen (vor allem in Brasilien) mit einer sozialistischen und revolutionären Perspektive teilnehmen. Für uns ist dieser Kampf von höchster Wichtigkeit; er muss von der gesamten Arbeiter*innenklasse aufgenommen werden.

Deshalb fordern wir den sofortigen Rückzug der sogenannten „Friedenstruppen“ aus Haiti. Außerdem lehnen wir jede imperialistische Intervention in diesem oder anderen Ländern ab. Wir fordern die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen, Schwarzen und Weißen, das Ende der Ermordungen Schwarzer Frauen, das Ende von prekärer Arbeit und die sofortige Wiedereingliederung aller ausgegliederten Arbeiterinnen, ohne Auswahlverfahren.

Wir knüpfen dabei an den Kampf Schwarzer Frauen wie Harriet Tubman, Rosa Parks, Luiza Mahin, Dandara und anderer Kämpferinnen an. Sie hinterließen ein Vermächtnis, welches wir fortführen können, indem wir es in den Dienst der sozialistischen Revolution stellen. Der große russische Revolutionär Leo Trotzki sagte einst, dass diejenigen, die am meisten unter dem Alten leiden, mit der größten Kraft für das Neue kämpfen werden. Dies fasst in wenigen Worten die revolutionäre Kraft der Schwarzen Frauen zusammen, die sie in der Vergangenheit bereits gezeigt haben und auch in den kommenden Prozessen des Klassenkampfes zeigen werden.

Weg frei für die Arbeiterinnen!

Die wachsende Feminisierung der Arbeitskraft – vor allem in den prekärsten, am wenigsten qualifizierten und am schlechtesten entlohnten Sektoren – und die Aufrechterhaltung scharfer Ungleichheit vertiefen die Unterdrückung der Frauen. Weil sie weniger Lohn bekommen als Männer, schlechtere Arbeitsbedingungen haben und mehrheitlich von gewerkschaftlicher Organisierung ausgeschlossen sind, bilden arbeitende Frauen einen der am meisten ausgebeuteten Sektoren der weltweiten Arbeiter*innenklasse. Verwoben mit diesen Ausbeutungsbedingungen sind wir Frauen auch Opfer sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Wir haben nicht dasselbe Recht auf eine Beförderung oder überhaupt auf einen Arbeitsplatz, einfach weil wir Frauen sind. Die Diskriminierung beginnt in dem Moment, wo Männer für einen Arbeitsplatz nur ihre Fähigkeiten und ihre Erfahrung vorweisen müssen, während wir unseren Körper zeigen oder beweisen müssen, dass wir keine Kinder haben wollen. Oder wir unsere Kinder verleugnen müssen.

Diese Unterdrückung vervielfacht sich für migrantische und geflüchtete Frauen. In den USA wie auch in Europa leiden lateinamerikanische, afrikanische, asiatische oder osteuropäische Frauen unter diskriminierenden Ausländergesetzen, Abschiebungen, polizeilicher Verfolgung und verstärkter Ausbeutung in den schlechtesten Jobs – während gleichzeitig die rassistische und nationalistische extreme Rechte voranschreitet.

Nichtweiße Frauen gehören selbst in ihren eigenen Ländern zu den am meisten Ausgebeuteten und Unterdrückten. Lesbische Frauen und trans Frauen werden immer noch am Arbeitsplatz diskriminiert, polizeilich und institutionell verfolgt sowie sozial ausgeschlossen, selbst wenn in einigen Ländern Gesetze gegen Diskriminierung, für gleichgeschlechtliche Ehe oder für die Wahl der geschlechtlichen Identität verabschiedet wurden. Denn die Gleichheit vor dem Gesetz bedeutet noch nicht die Gleichheit im Leben.

Deshalb kämpfen wir für ein Ende prekärer Arbeit! Unbefristete Festanstellungen aller Arbeiter*innen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, bei gleichen Bedingungen und gleichen Rechten! Gleiche Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten! Aufteilung der Arbeitsstunden zwischen Beschäftigten und Erwerbslosen bei vollem Lohn! Wir fordern die Schaffung von Frauenkommissionen an allen Arbeitsplätzen und in allen Gewerkschaften. Schluss mit der Diskriminierung!

Zudem nimmt der Kapitalismus, der die Frauen in die Sphäre der Produktion stößt, ihnen gleichzeitig nicht die Verantwortung für reproduktive Arbeit ab. Sie spielt sich unentgeltlich im Haushalt ab und verdoppelt den Arbeitstag der Frauen. Es gibt zwar in einigen fortgeschrittenen Ländern und in den urbanen Zentren auch in Arbeiter*innenfamilien eine Tendenz zur Verlagerung dieser Aufgaben auf die Schultern von Haushaltsangestellten, die in ihrer Mehrheit Migrantinnen sind. Dadurch verschwindet weltweit aber keineswegs die unbezahlte Hausarbeit. In den am meisten verarmten Sektoren sowie in den rückständigsten Ländern und auf dem Land fällt die Hausarbeit fast vollständig auf Frauen und Mädchen zurück. Denn in der unbezahlten Hausarbeit ruht ein Teil der Profite der Kapitalist*innen, die so den Arbeiter*innen nicht die Tätigkeiten entlohnen müssen, die für ihre eigene tägliche Reproduktion als Arbeitskräfte (Nahrung, Kleidung und so weiter) nötig sind. Ebenso müssen sie so nichts für die Erhaltung des Teils der Arbeitskräfte zahlen, die vom Kapital für unproduktiv gehalten werden (Hausfrauen, Erwerbslose, die Kinder als zukünftige Generation von Arbeiter*innen oder zuhause ebenfalls meist von Frauen betreute Senior*innen). Die Förderung und Aufrechterhaltung der patriarchalen Kultur, laut derer die Haushaltsaufgaben „natürliche“ Aufgaben der Frauen seien, erlaubt es, dass dieser „Diebstahl“ der Kapitalist*innen unsichtbar bleibt.

Wir wissen, dass die patriarchale Unterdrückung seit Jahrtausenden existiert, viel länger als das kapitalistische System selbst. Aber das System des Kapitalismus bot dem Patriarchat nicht nur hervorragende Existenzbedingungen, sondern stärkte es noch durch die Unterdrückung von Millionen Frauen auf dem gesamten Planeten. Damit stärkt der Kapitalismus widersprüchlicherweise auch seine eigene „Totengräberin“. Denn er erweitert die Reihen der Arbeiter*innenklasse durch Millionen von Frauen, die aus dem Haushalt in die Lohnarbeit gestoßen wurden. Deshalb können wir nicht über geschlechtliche Unterdrückung sprechen, ohne zu berücksichtigen, dass die Mehrheit der Menschheit den ausgebeuteten Klassen angehört und dass die geschlechtliche Unterdrückung die kapitalistische Ausbeutung der Frauen vertieft.

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Als Brot und Rosen meinen wir, dass nur die Arbeiter*innen, die den gesamten gesellschaftlichen Reichtum produzieren, den die Kapitalist*innen sich aneignen, auch dem System der Ausbeutung und Unterdrückung ein Ende bereiten können. Und dass die Arbeiter*innenklasse in ihrem Kampf gegen die Ausbeutung Verbündete bei denen findet, die sich vom Joch der Unterdrückung emanzipieren wollen, das ihnen aufgrund von Hautfarbe, Sexualität, Geschlecht, Herkunft oder anderen Gründen auferlegt wird. Diese Allianz, angeführt von den Arbeiter*innen, kann den Kapitalismus wirklich besiegen. Nicht jedoch das Vertrauen in verschiedene bürgerliche „Oppositionen“ zu den jeweiligen Regierungen, die von „progressiven Sektoren“ angeführt werden. Denn sie vertreten nur die Interessen anderer Sektoren der Bosse, welche genauso von der Ausbeutung unserer Arbeitskraft leben.

Deshalb sind wir der Meinung, dass alle Beziehungen zu den Kapitalist*innen abgebrochen werden müssen; genauso die Beziehungen zu ihrem Staat, zu den politischen Parteien, die ihre Interessen vertreten, und zu den angeblichen Vertreter*innen der Arbeiter*innenklasse, die von Staat und Bossen leben und die Arbeiter*innen nur verraten können. Das heißt, wir sprechen uns für die politische Unabhängigkeit der Arbeiter*innenklasse aus und befürworten alle Schritte, die in diese Richtung weisen.

Unser Kampf um Frauenbefreiung ist auch Teil unseres Kampfes für den Aufbau einer revolutionären Partei der Arbeiter*innenklasse – in jedem Land und international. Dafür nötig ist ein antikapitalistisches, revolutionäres Programm der Arbeiter*innen mit einer Perspektive der sozialistischen Revolution. Das revolutionäre Programm enthält die Errichtung einer Arbeiter*innenregierung als Schützengraben im Kampf für ein Ende des Kapitalismus und aller Formen der Ausbeutung und Unterdrückung.

Es lebe der Kampf für unsere Befreiung, für einen Kampf unter gleichen Bedingungen gemeinsam mit allen Unterdrückten und Ausgebeuteten, in der Perspektive der sozialen Revolution!

Es lebe die soziale Revolution als Grundlage für die endgültige Befreiung der Frauen und der gesamten Menschheit von den Ketten, die uns heute unterdrücken!

Lasst uns die internationale Frauengruppierung „Brot und Rosen“ aufbauen!

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Fußnoten

1. Wir beziehen uns hier grundsätzlich auf die Geschichte in westlichen Ländern. Der Prozess im Nahen Osten oder in Nordafrika verlief anders.

2. Auch wenn wir diesen radikalfeministischen Strömungen, die in ihrer Mehrheit die Gruppe der Frauen derjenigen der Männern gegenüberstellen, kritisch gegenüber stehen, war es eine Periode, in der feministische Ideen nur so sprudelten. Feministinnen reflektierten darüber, ob die Grundlage der Frauenunterdrückung in der Aneignung und der Kontrolle weiblicher reproduktiver Fähigkeiten durch die Männer zu suchen sei; ob die Männer die unbezahlte Arbeit – inklusive der Zuneigung – von Frauen aller sozialen Schichten ausbeuteten und sich ihr Produkt aneigneten. Sozialistische Feministinnen, die auf die Methode des historischen Materialismus und die Ausarbeitungen von Marx und Engels zurückgriffen, hoben in diesen Debatten die heute untrennbare Beziehung der patriarchalen Unterdrückung mit der kapitalistischen Produktionsweise hervor, in der die Hausarbeit eine fundamentale Rolle für die unbezahlte Reproduktion der Arbeitskraft einnimmt. 

3. Gemeint sind Modelle der organisierten Klassenzusammenarbeit durch institutionelle Abkommen innerhalb des Regimes, wie zum Beispiel die deutsche Sozialpartnerschaft.

4. Anmerkung der Übersetzer*innen: Uns soll der Subjektstatus genommen werden, den wir wiedererlangen wollen.

5. Die Organisationen, die die Trotzkistische Fraktion für die Vierte Internationale ausmachen sind die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) in Deutschland; die Partido de los Trabajadores Socialistas (PTS – Partei Sozialistischer Arbeiter*innen) in Argentinien; die Liga Obrera Revolucionaria por la Cuarta Internacional (LOR-CI – Revolutionäre Arbeiter*innenliga für die Vierte Internationale) in Bolivien; das Movimento Revolucionário de Trabalhadores (MTR – Revolutionäre Arbeiter*innenbewegung) in Brasilien; die Partido de Trabajadores Revolucionarios (PTR – Partei Revolutionärer Arbeiter*innen) in Chile; Clase contra Clase (CcC – Klasse Gegen Klasse) im Spanischen Staat; Left Voice in den USA; Courant Communiste Révolutionnaire (CCR – Revolutionär-Kommunistische Strömung) in Frankreich; das Movimiento de los Trabajadores Socialistas (MTS – Bewegung Sozialistischer Arbeiter) in Mexiko; die Liga de Trabajadores por el Socialismo (LTS – Arbeiter*innenliga für den Sozialismus) in Venezuela und die FT-CI (Trotzkistische Fraktion für die Vierte Internationale) in Uruguay.

6. Auf Deutsch: Nicht Eine Weniger!

7. (Oft geheime) Ansiedlungen geflohener Sklav*innen, vor allem in Brasilien.

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