Zur Aktualität einer marxistischen jugend

28.09.2018, Lesezeit 7 Min.
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Das Parteiensystem in Deutschland ist instabil geworden und eine legitime Vertretung ist nicht mehr selbstverständlich. Die parlamentarische Normalverwaltung des Kapitalismus, mit Agenda-Politik, Kriegseinsätzen, Kaputtsparen, Abschiebungen und allem, was dazu gehört, ist heute viel schwieriger als vor der 2008er Krise.

Die alte Weltordnung der „friedlichen Koexistenz“, die in Jalta zwischen den letzten Weltkriegs-Alliierten ausgehandelt wurde, gilt seit der „kapitalistischen Restauration“ 1990 nicht mehr. Und eine neue Weltordnung wird nicht ohne große Umwälzungen entstehen. Der Kapitalismus kann sich von selbst nicht von Gestalten wie Trump, Seehofer und Erdogan befreien, denn sie sind Ausdruck seiner Krise und reaktionäre Versuche, mit der Krise umzugehen.

In dieser Situation schlagen wir mit der marxistischen jugend ein Projekt vor, dass sich gänzlich von dem unterscheidet, was es derzeit in Deutschland gibt. Denn wieso sind die rechten Varianten des Kapitalismus überall auf dem Vormarsch? Weil die linken Verwaltungsformen gescheitert sind und sich unglaubwürdig gemacht haben! Im Laufe der 2008er-Krise haben sich Projekte wie Podemos im Spanischen Staat oder Syriza in Griechenland daran versucht, den Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln in der Mitverwaltung zu zivilisieren und sind knallhart an die Wand gefahren. Inzwischen sind sie beide selbst Parteien des kapitalistischen Systems, gegen das die Menschen zu Millionen auf der Straße waren. Sie verwalten die Armut und die Unterdrückung bereitwillig mit. Auch in Deutschland sehen wir, dass selbst die Linkspartei mit massenhafter Privatisierung sozialer Wohnungen, Outsourcing im Gesundheitsbereich und Abschiebungen keine generell andere Politik macht, sobald sie an der Macht ist. Wir kämpfen zwar zusammen mit den vielen aktiven Genoss*innen der Linkspartei, wo es um echte Verbesserungen geht. Wir weigern uns aber zu glauben, dass es sich dabei in Bayern um eine ganz andere Partei handelt als die des „Regierungssozialismus“ in Brandenburg, Berlin oder Thüringen.

Zyniker*innen mögen allgemein zustimmen und sagen: „Es ist sowieso alles scheiße“ oder „Macht korrumpiert eben“ oder „Man kann nur versuchen im Kleinen etwas zu verändern“. Solche Ansichten teilen wir nicht.

Einmal, weil wir gar keine andere Wahl haben, als etwas Neues zu versuchen: Die Gesellschaft, in der wir leben, verroht durch Rassismus, Sexismus, Homophobie und nationalem Chauvinismus in einem Ausmaß, das längst Geschichte geglaubt war – mit ihrem deutlichsten Ausdruck im Aufstieg der AfD und in der rechten Politik der CSU und Groko insgesamt. Und nicht nur um die Gesellschaft in Deutschland steht es schlecht: Eine ökologische Katastrophe ist innerhalb des Kapitalismus unausweichlich und bedroht unsere ganze Existenz als Zivilisation – gerade wieder führt RWE uns dies im Hambacher Forst vor Augen. Auf Weltebene toben an allen Ecken und Ende Kriege. Armut hält große Teile der Weltbevölkerung in ihrem festen Griff und führt zu riesiger Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.

Keine umfassende Antwort zu geben ist für uns also inakzeptabel.

Aber nicht nur, dass wir keine andere Wahl haben als uns zu organisieren, wir haben auch die Möglichkeit. Die lohnabhängige Bevölkerung umfasst heute die Mehrheit der Menschheit. Dieser Teil der Welt produziert fast alles und bestimmt fast nichts. Nur in einem Teil der Welt haben die Lohnabhängigen überhaupt Möglichkeiten zur Mitbestimmung, und dann nur alle paar Jahren in Wahlen für Parteien, die sie in verschiedenen Farben verkaufen oder auf ihnen herumtreten. Wenn man zum Beispiel die Grünen in Bayern wählt, koalieren die gut möglich mit der CSU und wir haben wieder den gleichen Salat. Die letzte „linke Regierung“ in Deutschland hat, unter Schröder, Hartz IV, Kosovo und Afghanistan sowie die Fallpauschale verbrochen. Wir haben aber als Arbeiter*innen – und damit meinen wir lohnabhängig Beschäftigte aller Geschlechter und Ethnien sowie Branchen – eine viel größere Macht, wenn wir uns bewusst organisieren.

Wir sagen, dass der Marxismus aktuell ist. Mit Marxismus meinen wir die unabhängige Selbstorganisation von Ausgebeuteten und rassistisch, sexuell, national oder geschlechtlich Unterdrückten. Unabhängig, das bedeutet für uns nicht isoliert vor sich hin, sondern in Verbindung mit den wichtigsten Kämpfen unserer Zeit – wie gegen den Rechtsruck und die Prekarisierung – und souverän in dieser Organisierung, nicht abhängig vom Kalkül innerhalb des Staates oder kapitalistischer Interessen. Souverän bedeutet für uns, dass die sozialen und demokratischen Aufgaben nur von den bewusstesten Teilen der Arbeiter*innenklasse als Anführerin aller Unterdrückten gelöst werden können. Wir gehen die postmoderne Wende von Ernesto Laclau, Chantal Mouffe und Kolleg*innen nicht mit, die das Ende der Arbeiter*innenklasse als revolutionäres Subjekt erklärte, sondern halten diese unsere Klasse für die einzige, die die notwendige soziale Macht hat, um ein würdiges Dasein für alle zu erkämpfen.

Wir wollen mit der marxistischen jugend als eine von vielen Gruppen weltweit einen Beitrag leisten hin zu einer Organisation aus der Arbeiter*innenklasse für die Arbeiter*innenklasse, ausgehend besonders von einer Aktivität der bewusstesten Sektoren: der multi-ethnischen Jugendlichen, Arbeiter*innen und Frauen. Das heißt, wir wollen dort sein, wo es brennt. Dafür kämpfen wir zum Beispiel Seite an Seite mit Geflüchteten-Gruppen wie Refugee Struggle for Freedom oder mit Beschäftigten in der Pflege im Volksbegehren gegen den Pflegenotstand sowie für den Aufbau souveräner Betriebsgruppen.

Unsere weltweiten Inspirationen für den Marxismus, den wir meinen, sind die Jugend- und Arbeiter*innenkämpfe der letzten Jahre in Frankreich gegen die Arbeitsgesetze und den Bonapartismus; die Kämpfe der Arbeiter*innen, Jugendlichen und Frauen im Iran oder in Kurdistan für eine freie Gesellschaft und gegen den Neoliberalismus; die Kämpfe der Frauen von Pan y Rosas (Brot und Rosen) und der Arbeiter*innen in Argentinien für kostenlose und legale Abtreibung sowie gegen die sozialen Angriffe der Macri-Regierung; und viele mehr. Unser Verständnis des Klassenkampfes ist also nicht auf die Ökonomie beschränkt, sondern wir sehen die bewusstesten Teile der Arbeiter*innenklasse in der Rolle, die tatsächliche Befreiung aller unterdrückten Teile der Gesellschaft anzuführen. Wieso können die bisherigen Parteien selbst diese einfache Losung, sich nicht an neoliberalen Kürzungen und Rechtsruck zu beteiligen, nicht einhalten? Weil dieses Bündnis innerhalb der Wahl-Logik ihr einziger Weg ist, Politik zu machen – und wenn ihr Parteiensystem nach rechts geht, gehen sie selbst nach rechts. Auch lehnen wir die NGOisierung der Politik ab, die den Staat und die Kapitalist*innen in Ruhe lässt und stellvertretend für Betroffene Politik zu machen versucht. Wir wollen unsere Zukunft nicht an den Staat oder vermeintlich unabhängige Expert*innen delegieren. Wir sehen mit einem Programm der Arbeiter*innenklasse einen anderen Weg, der über die eigene Organisierung und die eigenen Kämpfe geht.

Unser Ziel ist die klassenlose, befreite Gesellschaft, der Kommunismus.

Wir sehen dieses Ziel nicht abgetrennt von den Kämpfen des Alltags um gute Pflege und Bildung, einen gut ausfinanzierten öffentlichen Dienst statt innerer und äußerer Aufrüstung, gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen, das Ende von sexistischer oder rassistischer Schikane im Job, auf der Straße oder durch den Staat, die Senkung der allgemeinen Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich für alle, keine Repression gegen Arbeitslose, … Marxismus bedeutet für uns, das Ziel und der Weg gehören zusammen – es bedeutet, jeden Tag einzustehen für Verbesserungen und damit eine Organisierung erreichen, damit wir irgendwann nicht mehr kämpfen müssen. Dieses Programm ist realistischer als die Mitverwaltung eines kaputten Systems. Dabei sind wir eine sehr junge Gruppe. Wir wollen noch viele Erfahrungen machen und lernen, was es bedeutet, eine marxistische jugend in diesem Sinne aufzubauen. Dazu laden wir euch ein.

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