“Wir sind jeden Cent wert” – 300 Arbeiter:innen beteiligen sich am Streik der Vivantes-Töchter

29.06.2021, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Dustin Hirschfeld / Klasse gegen Klasse

Seit Anfang Mai mobilisiert die Berliner Krankenhausbewegung regelmäßig hunderte Kolleg:innen zu Kundgebungen. Am Dienstag streikten die Beschäftigten der Tochterunternehmen von Vivantes für gleichen Lohn und für gleiche Arbeit. Dieser Kampf muss auf alle Beschäftigten der Berliner Krankenhäuser ausgeweitet werden.

Im Herbst stehen auch in Berlin wieder Wahlen an. Ein wichtiges Versprechen aus dem Koalitionsvertrag hat der Berliner Senat jedoch bis heute nicht umgesetzt: Die Rückführung aller Tochterunternehmen der Berliner Krankenhäuser Charité und Vivantes. Trotz zahlreicher Kämpfe der Kolleg:innen, zuletzt bei der Charité Facility Management. Doch auch der Vivantes Konzern unterhält dutzende Tochterunternehmen, u. a. die Vivantes Service GmbH (VSG), VivaClean GbmH Nord und Süd, Vivantes SVL Speiseversorgung und -logistik GmbH oder das Labor Berlin. Die Kolleg:innen der Unternehmen haben jedoch genug. Sie, die während der Pandemie noch deutlicher gemerkt haben, wie relevant sie und ihre Arbeit, die sie leisten für dieses System ist, wollen es nicht mehr hinnehmen, durch Outsourcing teilweise 600 € weniger als ihre Kolleg:innen für die gleiche Arbeit zu verdienen. Manche von ihnen sind trotz 40 Stunden Woche gezwungen, einen zweiten Job aufzunehmen, um ihre Familie versorgen zu können.

Der Streik ist nur ein Vorgeschmack auf das, was uns Ende des Sommers erwarten wird. Die Berliner Krankenhausbewegung hat dem Senat ein Ultimatum gestellt, um ihre Forderungen zu erfüllen. Die Rückführung aller Tochterunternehmen ist ein wichtiger Teil davon. Werden die Forderungen nicht erfüllt, spricht sich ein Großteil der Belegschaft ab Ende August für flächendeckende unbefristete Streiks aus. Verantwortlich für das Outsourcing war der rot-rote Senat, der den Schuldenberg Berlins auf dem Rücken tausender Beschäftigter abgebaut hat.

Seit Jahren schwelt dieser Konflikt und seit Jahren gibt es Streiks dagegen. Zuletzt im Frühjahr 2018, wo die Beschäftigten der Vivantes Service GmbH 51 Tage lang gestreikt haben. Dass der Konzern und der Senat nicht in der Lage sein sollen, diese Forderungen zu erfüllen, wie gerne behauptet wird, ist absolut lächerlich. Erst am Montag schrieb die BZ, dass die ehemalige Vivantes-Chefin Andrea Grebe 614000 Euro jährlich kassiert hat. Auch die Bosse vieler anderer landeseigener Unternehmen in Berlin verdienen Hunderttausende im Jahr. Wir hätten da dementsprechend einen Vorschlag, wo man sich das nötige Geld holen könnte. Drastische Vermögenssteuern, um die Bosse zur Kasse zu bitten, die im Gegensatz zu Millionen Kolleg:innen von der Krise fast nicht getroffen wurden oder sogar noch davon profitiert haben. Warum sollen wir einfach so akzeptieren, dass die Vivantes-Chefin monatlich mehr Geld kassiert hat, als viele Kolleg:innen von Vivantes im ganzen Jahr?

Deshalb müssen die Streiks schon jetzt ausgeweitet werden. Nicht nur die Tochterunternehmen haben ein Interesse daran, den gleichen Lohn zu kassieren. Sondern alle Beschäftigten in den Krankenhäusern profitieren von besseren Arbeitsbedingungen und mehr Personal. Die Pandemie hat uns eindeutig vor Augen geführt, wie dramatisch die Situation in den Krankenhäusern ist und schon lange vorher war. Deshalb müssen alle Kolleg:innen der Krankenhäuser zum Streik aufgerufen werden, um den politischen Druck auf den Senat zu erhöhen. Wieso sollten sie erst darauf warten, dass der Senat ein mieses Angebot unterbreitet? Dass die Bereitschaft unter den Kolleg:innen auch gemeinsam mit ihren Kolleg:innen in den Mutterkonzernen zu streiken da ist, haben die Kundgebungen der Krankenhausbewegung der letzten Wochen gezeigt. Und auch Beschäftigte und Aktive anderer Betriebe und Initiativen waren immer wieder vor Ort. Allen voran die Kolleg:innen von Gorillas und die Aktiven von “Deutsche Wohnen und Co. enteignen”. Die ver.di-Führung darf die Streiks nicht länger getrennt voneinander halten und muss die Ankündigung der Krankenhausbewegung, dass ab Ende August alle gemeinsam streiken wirklich wahrmachen. “Ein Betrieb, eine Belegschaft” bleibt sonst nur eine Phrase.

Zusätzlich dazu erschwert es die Führung der ver.di auch anderen, die sich solidarisch mit den Kämpfenden der Tochterunternehmen zeigen wollen, ihre Unterstützung kundzutun – obwohl das im Interesse der Streikenden liegen würde. Wir von Klasse gegen Klasse waren seit 6 Uhr morgens vor Ort, um die Beschäftigten beim Streik zu unterstützen. Trotz vorheriger Anmeldung durften wir am Ende keinen kurzen zweiminütigen Redebeitrag halten, um den streikenden Arbeiter:innen der Tochterunternehmen unsere Solidarität und die der streikenden Beschäftigten bei Gorillas, die unter anderem auch für bessere Löhne kämpfen, zu zeigen.

“Es ist schade, dass ihr eure Solidarität nicht öffentlich bekunden könnt, weil anscheinend keine zwei Minuten Zeit mehr waren. Vielleicht sollte ver.di sich mal überlegen, was Unterstützung auch für die Bewegung bedeutet.”, meinte ein streikender Kollege aus dem Klinikum Neukölln uns gegenüber.

Nicht nur bei den Redebeiträgen, sondern generell bei jedem Ob und Wie von Streiks und ganz besonders über die Annahme von möglichen Angeboten von Seiten des Senats und der Bosse braucht es demokratische, verbindliche Beschlüsse darüber. Gerade deshalb sollten die jetzigen Kämpfe vollständig von den Kolleg:innen auf Streikversammlungen bestimmt werden. Wir haben natürlich auch von Kolleg:innen gehört, die skeptisch gegenüber den Beschäftigten in den Mutterkonzernen sind, ob sie in ihren Kämpfen Solidarität erfahren werden. Doch diese Skepsis kann nur durch die Einheit im Kampf überwunden werden.

Auf der Kundgebung sprachen Jorinde Schulz und Tony Pohl von der Partei DIE LINKE davon, dass sie eventuelle unbefristete Streiks Ende August absolut unterstützen würden und versprachen, auch Druck auf die Partei zu machen. Die Frage ist aber, wie ein solcher Druck aussehen soll und welche konkreten Mittel hierfür genutzt werden.

Wenn die Linke es ernst meint, darf sie sich nicht darauf beschränken, am Verhandlungstisch mit Kollatz und Co. irgendwelche Kompromisse aushandeln zu wollen, sondern sie muss sich klar gegen ihre Koalitionspartner stellen, wenn die Beschäftigten weiterhin hingehalten werden. Sie muss sich hinter die Streiks stellen, von allen Seiten Solidarität organisieren und ihre parlamentarische Tätigkeit dafür nutzen, den Kolleg:innen eine Bühne zu bieten, zum Beispiel durch Soliaktionen. Auch weitere Einsparungen im Haushalt sind nicht vom Tisch. Die Linke muss klar dagegen stimmen.

Denn mit den gleichen Parteien weiterregieren, mit denen sie bisher auch regiert haben, würde die Versprechungen auf der Kundgebung heute leere Worte bleiben lassen. Zählbare Ergebnisse für die Kolleg:innen gab es nämlich unter einer rot-rot-grünen Landesregierung keine. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass ein neuer Senat irgendwas anders machen wird.

Statt einer Partei DIE LINKE in Regierungssesseln, die schlechte Kompromisse aushandelt, brauchen wir eine gemeinsame Front aller Arbeiter:innen gegen die Privatisierungen im Gesundheitssektor, gegen Outsourcing und das DRG-System und vor allem: Für mehr Personal in den Krankenhäusern. Die Linke hat die Wahl, ob sie sich weiterhin in der Regierung gegen die Beschäftigten stellen will oder konsequent auf den Straßen und in den Betrieben für die Interessen der Kolleg:innen kämpfen möchte.

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