17,7 Millionen Menschen in Deutschland leben in Armut

26.04.2024, Lesezeit 4 Min.
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Foto: Shutterstock / CameraCraft

Das statistische Bundesamt hat Zahlen veröffentlicht, die deutlich machen dass ein Fünftel aller in Deutschland lebenden Menschen von Armut betroffen sind.

Die veröffentlichten Zahlen basieren auf Erhebung der „Europäischen Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen“ (EU-SILC). Demnach waren 2023 insgesamt 17,7 Millionen Menschen in Deutschland von Armut betroffen, das entspricht 21,2 Prozent der Bevölkerung. 


Dazu kommen 12 Millionen Menschen, die von Armut bedroht sind. Als von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht gilt laut europäischer Union ein Mensch, dessen Einkommen unter der Armutsgrenze von 60 Prozent des Äquivalenzeinkommens liegt, die Erwerbsbeteiligung gering ist oder der Haushalt von erheblicher sozialer und materieller Entbehrung betroffen ist. Das bedeutet, als alleinstehende Person weniger als 1310 Euro netto monatlich zum Leben zu haben. Bei einer vierköpfigen Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren lieg der Schwellenwert bei 2751 Euro im Monat. Von erheblicher sozialer und  materieller Entbehrung betroffen waren 5,7 Millionen Menschen 2023, was 6,9 Prozent der Bevölkerung entspricht. 9,8 Prozent, also 6,2 Millionen Menschen, waren Teil eines „Haushaltes mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung“. Die Definition für einen “Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung” der EU-SILC  sind alle 18- bis 64 Jährigen deren Erwerbsbeteiligung unter 20 Prozent liegt, die also etwa von zwölf Monaten im Jahr insgesamt etwa zwei erwerbstätig waren. Bisher haben etwa die Hälfte der EU-Staaten ihre Zahlen öffentlich gemacht.

Jeder Fünfte ist in Deutschland von Armut betroffen, 12 Millionen Menschen sind von ihr bedroht. Was sind die Ursachen für diese flächendeckende Armut, in einem der reichsten Länder der Welt?

Woher kommt die Armut in der Bundesrepublik?

Es gibt viele Faktoren, die die Armut in diesem Land bedingen. Laut der katholischen Hilfsorganisation Malteser Hilfsdienst sind Alleinerziehende, Beschäftigte im Niedriglohnsektor, Rentner:innen, Menschen mit Migrationshintergrund sowie Familien mit mehr als zwei Kindern und geringem Bildungsabschluss der Eltern besonders stark von Armut bedroht. Hierzu kommen andere gesellschaftlich marginalisierte Gruppen wie behinderte, neurodivergente sowie queere Menschen. Eine fehlende Teilhabe an der Gesellschaft, ein unzureichendes Bildungssystem sowie fehlende gesundheitliche Versorgung und eine nur minimal vorhandene Integration in den Arbeitsmarkt tragen zur Armut dieser Menschen bei.

Fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder sind ein wesentlicher Faktor für das erhöhte Armutsrisiko von Alleinerziehenden. Durch fehlende Ganztagsbetreuung müssen die Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren. Bei einem Jobverlust führt dies zu einem geringeren Anspruch auf Arbeitslosengeld und eine geringere Rente. Auch Menschen in Paarbeziehungen, die ihre Arbeit unterbrechen, um sich um die Kinderbetreuung zu kümmern, sind im Alter stärker armutsgefährdet als ihre Partner:in. Eine Trennung hat oft verheerende Folgen, dadurch fühlen sich viele nicht in der Lage, ihre:n Patner:in zu verlassen. 

Jobs mit Tarifbindung nehmen ab

Anfang des Monats wurde das Tarifgesetz 75 Jahre alt. „Seit 75 Jahren haben Beschäftigte das Recht auf bessere Arbeitsbedingungen mit Tarifverträgen“, erklärt Nadine Boguslawski, Vorstandsmitglied der IG Metall mit Blick auf den Jahrestag. Die Realität sieht leider anders aus: Während die Armut in Deutschland weiter wächst, sinkt die Tarifbindung drastisch. Laut Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung arbeiteten im Jahr 2022 etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten in tarifgebundenen Jobs, 1996 waren es noch fast zwei Drittel. Nur 25 Prozent der Betriebe haben noch geltende Tarifverträge, Tendenz weiter fallend. Aus Sicht der Gewerkschaften stößt das Tarifgesetz bereits an seine Grenzen und bedarf Reformen. Die Arbeitgeberverbände wollen das Gesetz hingegen weiter aufweichen und „individuell ausgehandelte Betriebsvereinbarungen“ gleichberechtigt neben Tarifverträge treten lassen. Wir müssen uns gegen Angriffe dieser Art wehren. 

Besonders kleinere und mittlere Unternehmen in Ostdeutschland weisen eine niedrige Tarifbindung auf, eine Nachwirkung der Wende. Viele Betriebe wurden abgewickelt. Das und die relativ hohen Zahlen an Arbeitslosen führten dazu, dass die Gewerkschaften in den Betrieben keinen sonderlich hohen Stand haben. Das westdeutsche Tarifvertragsrecht musste zudem an die ostdeutschen Bundesländer angepasst und übertragen werden. Die fehlende Tarifbindung ist einer der Gründe, die zur Armut im Osten beitragen. 

Migrantische und queere Menschen sind durch gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung bei der Job- und Wohnungssuche ebenfalls besonders von Armut betroffen. Die Gründe, weshalb Menschen von Armut bedroht sind, mögen vielseitig sein. Dieser Armut liegt unser Wirtschaftssystem zu Grunde, gegen welches sich die Arbeiter:innenklasse organisieren muss.

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