Wie Macron gegen Gewerk­schafter:innen Front macht

23.03.2024, Lesezeit 15 Min.
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Symbolbild: Gewerkschaftsdemonstration in Paris 2019. Bild: Force Ouvrière CC BY-NC 2.0 DEED

Seit der Rentenreform sind französische Gewerkschafter:innen von einer historischen Repression seitens der Regierung und der Arbeitgeber:innen betroffen. Diese geht mit einer Offensive gegen die Lebensbedingungen und Rechte der Arbeiter:innen einher.

Bewährungsstrafen, Geldstrafen und Druckmittel – jedes Mittel scheint recht zu sein, um diejenigen, die in den letzten Monaten den Kopf erhoben haben, zur Strecke zu bringen. Seit dem Ende der Bewegung gegen die Rentenreform ist die französische Arbeiter:innenbewegung mit einer gewerkschaftsfeindlichen Offensive konfrontiert, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Im Dezember berichtete die Generalsekretärin der französischen Gewerkschaft CGT, Sophie Binet, von mehr als 1.000 Gewerkschafter:innen, die gerichtlich verfolgt werden, darunter mindestens 400 Energiearbeiter:innen und 17 Generalsekretär:innen.

Ein beispielloser Angriff auf die Rechte von Arbeiter:innen

Unter den Betroffenen war auch der Generalsekretär der Nationalen Föderation für Bergbau und Energie (FNME-CGT), Sébastien Menesplier, der im September letzten Jahres von der Polizei vorgeladen wurde. Eine Vorladung, die symptomatisch für das Ausmaß der aktuellen Offensive ist, wie der auf Gewerkschaften spezialisierte Historiker Stéphane Sirot für die Zeitung Politis feststellt: „Das letzte Mal, dass ein nationaler Gewerkschaftsführer von der Polizei vorgeladen wurde, war Anfang der 1950er Jahre, im Kontext des Kalten Krieges und mit einer sehr starken und bedrohlichen Kommunistische Partei Frankreichs (PCF).“ Einige Monate später wurde Myriam Lebriki, auch Mitglied der Leitung der CGT, im vergangenen Dezember ebenfalls von der Polizei vorgeladen.

Aber nicht nur der Vorstand des Gewerkschaftsbundes, sondern die gesamte Gewerkschaftsbewegung ist betroffen. In den traditionell am stärksten mobilisierten Sektoren wie dem Energiesektor, der Luftfahrtindustrie, dem Transportwesen oder den Raffinerien, wie beispielsweise in der Raffinerie Normandie, wo der CGT-Total-Gewerkschaftssekretär Alexis Antonioli zu einem Disziplinarverfahren vorgeladen wurde. Aber auch in Sektoren, die weniger an Mobilisierung gewöhnt sind, wie ein lokaler CGT-Vertreter beim Milchkonzern Lactalis in Clécy im Département Calvados, der von seiner Geschäftsleitung im Dezember 2023 unter anderem unter dem Vorwand, seine Handschuhe nicht getragen zu haben, vorgeladen wurde.

Dies gilt auch für eine große Anzahl lokaler CGT-Aktivist:innen, wie zum Beispiel in Rennes, wo drei CGT-Mitglieder am 12. Januar vor Gericht gestellt wurden. Sie wurden beschuldigt, Mülltonnen auf Polizist:innen geworfen zu haben und erhielten eine Geldstrafe von 200 Euro sowie drei Monate Gefängnis auf Bewährung. Einer von ihnen berichtet gegenüber Politis über die Verschärfung der Lage vor Ort: „Früher war die Stimmung gut, man konnte mit den Kindern kommen und mit den Polizist:innen diskutieren. Jetzt gibt es Handschellen und Vorladungen zum Kommissariat.“

Auch die Solidaritätsbewegung zur Unterstützung des palästinensischen Volkes wurde von der Regierung zum Anlass genommen, ihre Offensive gegen die Gewerkschaften fortzusetzen. Dies gilt insbesondere für Jean-Paul Delescaut, regionaler Sekretär der CGT im Département Nord, und eine Verwaltungssekretärin, die im Oktober wegen einer Pressemitteilung, in der sie den Völkermord anprangerten, in Gewahrsam genommen wurden. In ähnlicher Weise wurde Gaëtan Gracia, Gewerkschafter und Aktivist von Révolution Permanente, im November von der Polizei vorgeladen, nachdem er Tweets zur Unterstützung des palästinensischen Volkes verfasst hatte.

Für Stéphane Sirot klingt diese Repressionswelle wie eine „Rache“ der Regierung nach der Bewegung gegen die Rentenreform, der massivsten seit Mai 1968, insbesondere gegen die „am stärksten mobilisierten Sektoren“ wie im Fall des Verfahrens gegen den Leiter der FNME-CGT.

Über die strafrechtliche Verfolgung hinaus geht der Angriff mit einer Offensive der Arbeitgeber:innen einher. Patricia Drevon, die für Rechtsfragen zuständige Gewerkschaftssekretärin beim Gewerkschaftsbund Force Ouvrière (Arbeiter:innenmacht), berichtet der Zeitung Mediapart: „Seit sechs oder sieben Monaten beobachten wir immer mehr Entlassungen von Arbeitnehmer:innen mit besonderem Kündigungsschutz, die von der Arbeitsaufsichtsbehörde bestätigt werden“. Auch die PCF-Senatorin Silvana Silvani äußerte sich ähnlich: „67 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder sehen ihr Engagement als Berufsrisiko an“.

Eine repressive Dynamik, die im Januar besonders deutlich wurde, als der Sekretär des CGT in der Gemeinde Roissy, Nicolas Pereira, vom Verkehrsunternehmen Transdev entlassen wurde. Auch der Personalchef der landwirtschaftlichen Genossenschaftsgruppe InVivo, Sébastien Graff, versuchte, Christian Porta, Sekretär des CGT im Département Moselle und in seiner Region anerkannter Gewerkschafter, zu entlassen.

Macrons neoliberale Dampfwalze

Als logische Folge dieser gewerkschaftsfeindlichen Offensive hat die Regierung ab Ende März und Anfang April vergangenen Jahres auch eine Offensive gegen das Streikrecht der Arbeitnehmer:innen durchgeführt, indem sie Raffineriearbeiter:innen, die sich in einem verlängerbaren Streik befanden, mitten in der Hochphase der Bewegung gegen die Rentenreform zur Arbeit gezwungen hat. Ein Präzedenzfall, der den Arbeitgeber:innen eine neue Tür zur Unterdrückung der Arbeitnehmer:innen öffnete und sich bereits im Dezember letzten Jahres wiederholte, als Streikende beim Stahlkonzern ArcelorMittal während eines Streiks für Lohnerhöhungen zwangsverpflichtet wurden.

Mit den bevorstehenden Olympischen Spielen, für die Innenminister Darmanin versprochen hat „den öffentlichen Raum mit Polizisten zu überfluten“ und von einer Einschränkung des Streikrechts träumt, wird die autoritäre Eskalation fortgesetzt. In den letzten Wochen hat die Rechte im Senat, in Anlehnung an das Anti-Eisenbahner-Bashing und als Reaktion auf einen Streik bei der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF, bereits ein Gesetz vorgeschlagen, das es der Regierung erlauben würde, Streiks an 60 Tagen im Jahr auf Grundlage eines Dekrets zu verbieten. Die Regierung griff den Plan auf und verteidigte es, bestimmte Zeiträume im Transportwesen, in denen Streiks verboten sind, „heilig zu halten“. Vor dem Hintergrund einer Atmosphäre der Jagd auf kämpferische Gewerkschafter:innen werden alle Arbeitnehmer:innenrechte ins Visier genommen.

Dieser Angriff, der eine klare Verschärfung in der Unterdrückung sozialer Bewegungen darstellt, wird durch eine brutale Offensive gegen die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsrecht ergänzt. Das jüngste Beispiel dafür ist die Absicht der Regierung, kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit zu geben, von den Branchenvereinbarungen abzuweichen.

Ebenso setzt die Regierung ihre Offensive gegen die Ärmsten der Armen fort, wie die jüngste Reform der Arbeitslosenversicherung, die Abschaffung des Arbeitslosengelds ASS oder die Reform des RSA, dem Ableger der Sozialhilfe, die am 1. März auf 47 Départements ausgeweitet wurde. Dies geschieht in einem Kontext, in dem „die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen heute eine Selbstverständlichkeit ist“, wie der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Coutrot im Dezember letzten Jahres in der Zeitung Le Monde erläuterte. Eine Offensive, die dazu beitragen wird, alle Löhne nach unten zu drücken.

Für die kommenden Monate hat die Regierung außerdem eine Neuauflage des sogenannten Macron-Gesetzes angekündigt, während das Wirtschaftsministerium an einem zweiten Aktionsplan zum Wachstum und zur Transformation der Unternehmen, dem sogenannten Pacte-Gesetz, arbeitet. Inspiriert von Gesetzen, die während der ersten fünfjährigen Amtszeit Macrons verabschiedet wurden, versprechen sie einen Plan für einen regelrechten sozialpolitischen Kriegsplan, der Macrons Willen zeigt, an seine historische DNA anzuknüpfen: die der neoliberalen Dampfwalze, die sich zum Ziel gesetzt hat, den strukturellen Rückstand Frankreichs bei den Angriffen auf die Arbeitnehmer:innen aufzuholen.

Ein Rückstand, der regelmäßig von den Arbeitgeber:innen angeprangert wird, so wie beispielsweise vom Präsidenten des Arbeitgeberverbands MEDEF Sud im Jahr 2019, der in einem Blogbeitrag zu den Streiks im Transportwesen erklärte, dass „im Gegensatz zu Frankreich, die meisten Länder um uns herum in den letzten Jahren ein umfangreiches Gesetzeswerk geschaffen haben, um sich gegen eine solche Situation zu wappnen und die Kontinuität des öffentlichen Transports zu gewährleisten“. Er fügte hinzu: „Die Regierung wird früher oder später Mut und Autorität beweisen müssen, indem sie sich von den Nachbarländern inspirieren lässt.“

Ein Beispiel dafür ist England, wo Margaret Thatcher in den 1980er Jahren mit einem gewerkschaftsfeindlichen Programm gegen die Arbeiter:innenbewegung gewählt wurde. In den 13 Jahren ihrer Amtszeit erließ sie nicht weniger als acht gewerkschaftsfeindliche Gesetze, um das Streikrecht erheblich einzuschränken. Im Januar dieses Jahres kündigte die englische Regierung ein neues historisches Anti-Streik-Gesetz an, mit dem in vielen Bereichen der Wirtschaft eine verpflichtende Notversorgung eingeführt werden soll.

Im weiteren Sinne leitete die „neoliberale Welle“ der 1980er Jahre eine Periode der allgemeinen Offensive gegen die Arbeitnehmer:innen und der Unterdrückung der Gewerkschaften ein. In den Vereinigten Staaten beispielsweise bildete sich eine ganze gewerkschaftsfeindliche Doktrin als eigenständiger Wirtschaftssektor heraus, der „Berater, Juristen, Arbeitspsychologen und Krisenmanagementfirmen umfasst“.

In einigen europäischen Ländern, wie Österreich, dem Vereinigten Königreich, Belgien, den Niederlanden, Irland und Malta, ist das Streikrecht noch nicht einmal durch die Verfassung garantiert. In Deutschland ist es Beamt:innen untersagt zu streiken. In Italien sind Streiks in den als wesentlich eingestuften Sektoren während der Schulferien schlichtweg verboten. In Spanien gibt es seit den 1980er Jahren eine Pflicht zur Notversorgung im Eisenbahnsektor. Erst kürzlich kündigte die Regierung in Finnland ein Gesetz zum „Frieden am Arbeitsplatz“ an, in dem vorgeschlagen wird, Streiks auf 24 Stunden zu begrenzen.

Von einem solchen arbeiter:innenfeindlichen Arsenal träumen die französische Regierung und die Arbeitgeber:innen für die Arbeiter:innenklasse. So zählte beispielsweise Stéphane Sirot in seinem Buch „La grève en France“ zwischen 1998 und 2002 „nicht weniger als elf Gesetzesvorschläge[, die] im Parlament eingebracht wurden, um (…) die gesetzliche Verpflichtung zur Notversorgung durchzusetzen“. Obwohl die Regierung bereits zahlreiche Versuche in diese Richtung unternommen hat, würde ein noch stärkerer Angriff auf das Streikrecht einen weiteren Sprung nach vorne in ihrer Offensive gegen die Arbeiter:innenbewegung erfordern.

In die Offensive gehen gegen die Repressionswelle

Konfrontiert mit der laufenden und der sich ankündigenden Offensive haben die Gewerkschaftsführungen nach der Niederlage bei der Rentenreform auf eine Rückkehr zur Sozialpartnerschaft gesetzt. Da sie sich weigerten, einen Schlachtplan vorzuschlagen, der den Aufbau einer Gesamtbewegung gegen die Regierung ermöglichen würde, öffnete diese Strategie der Befriedung der sozialen Bewegung der Regierung einen Weg, auf dem sie ihre rassistische und neoliberale Agenda in den letzten Monaten weiter entfalten konnte. Diese Strategie zeigt immer mehr ihren schädlichen Charakter, da sich die Regierung in der Offensive immer weiter hochschaukelt.

In der Frage der gewerkschaftlichen Repression bleiben die Gewerkschaften vorerst mit der Waffe am Fuß stehen und begnügen sich damit, die Gewerkschafter:innen juristisch zu begleiten. Eine ineffiziente Strategie, da die Justiz eine Institution ist, die im Dienste der herrschenden Ordnung steht. „Es ist kompliziert für die Gewerkschaften, umso mehr, als sie aus dem sozialen Konflikt gegen die Rentenreform als Verlierer hervorgegangen sind. Die Bewegung ist gescheitert und bei einer gescheiterten Bewegung wird die Repression noch stärker. Diese repressiven Praktiken sind also auch ein Echo der Schwäche der Gewerkschaften“, erklärt Stéphane Sirot.

Auch wenn die Anprangerung der gewerkschaftsfeindlichen Repression und die lokalen Mobilisierungen eine Stütze sind, bleiben sie unzureichend, obwohl es an der Basis Ausdrucksformen des Widerstands gibt, die den Weg nach vorne weisen. In der Firma von Christian Porta, Sekretär der CGT des Départements Moselle, streiken seine Kolleg:innen seit drei Wochen gegen seine Entlassung. In Roissy fanden mehrere gewerkschaftsübergreifende Versammlungen statt, um die Wiedereinstellung des lokalen CGT-Sekretärs zu fordern. In ähnlicher Weise legten 90 Prozent der unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer:innen einer Carrefour-Supermarktfiliale in der Region Hauts-de-France die Arbeit nieder, um einen Kollegen zu unterstützen, der in den Betriebsrat des Unternehmens gewählt wurde und dem die Entlassung drohte.

Trotz des fehlenden Aufrufs zum Kampf gegen die Repression kommt eine gewisse Kampfbereitschaft zum Ausdruck, auch wenn sie sich auf isolierte Kämpfe beschränkt, die sich schwertun, ein bedeutendes Kräfteverhältnis aufzubauen, um Siege zu erringen. In diesem Zusammenhang kann es ein erster Schritt sein, die Isolation der unterdrückten Gewerkschafter:innen durch die Entwicklung einer nationalen Koordination gegen die Repression zu durchbrechen, um eine starke Gegenwehr der Arbeiter:innen gegen die laufende Repression aufzubauen.

Im weiteren Sinne sollte dieser Kampf gegen die Repression mit offensiven und in dieser Zeit notwendigen Forderungen verknüpft werden, wie etwa der allgemeinen Erhöhung der Löhne und Gehälter und ihrer Anpassung an die Inflationsrate oder der Aufteilung der Arbeitszeit auf alle, um der steigenden Arbeitslosigkeit zu begegnen.

Umso mehr, da die Wut an der Basis durchaus vorhanden ist. Dies belegt eine Umfrage des französischen Meinungsforschungsinstituts FOP vom 26. Januar, in der sich 49 Prozent der Französ:innen als „empört“ bezeichnen, während 78 Prozent von ihnen glauben, dass es in den nächsten Monaten zu einer explosiven sozialen Reaktion kommen wird.

Während in vielen Unternehmen die in Frankreich obligatorischen jährlichen Tarifverhandlungen stattgefunden haben oder noch laufen, häufen sich die Streiks, um Lohnerhöhungen in Höhe der Inflation zu fordern. Seit Beginn des neuen Schuljahres sind Streiks im Bildungswesen, bei der Post, in der Industrie wie beim Stahlkonzern ArcelorMittal, dem Schienenfahrzeughersteller Alstom und dem Technologiekonzern Safran oder auch bei der Elektrizitätsgesellschaft EDF ausgebrochen, um nur einige Branchen zu nennen. Auch wenn die meisten dieser Streiks auf die lokale Ebene beschränkt bleiben und sich manchmal wegen fehlender Perspektiven erschöpfen, bestätigen sie eine latente Wut.

Die Regierung hat nicht vor, bei ihren Angriffen auf die Arbeiter:innenklasse stehenzubleiben. Angesichts dieser radikalen Regierung, die entschlossen ist, ihre neoliberale Agenda voranzutreiben, ist es für die Gesamtheit der Gewerkschaftsführungen und der sich als links bezeichnenden Parteien mehr als notwendig, eine Front gegen die Repression zu bilden. Eine Einheit, die sich im Fall der Entlassung von Christian Porta abzuzeichnen begann, für den ein Solidaritätsforum von Persönlichkeiten wie Sophie Binet, Frederic Lordon, Camille Etienne und Mathilde Panot sowie von zahlreichen Gewerkschafts- und politischen Aktivist:innen eingerichtet wurde.

Dieser Artikel erschien zuerst am 1. März auf Französisch bei Révolution Permanente.

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