Wer soll denn kollektivieren, Kevin?

10.05.2019, Lesezeit 9 Min.
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Kevin Kühnert, der Bundesvorsitzende der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD (Jusos), hat ein Interview in der ZEIT gegeben und die Elite steht Kopf. Aimo Tügel, U-Bahnfahrer bei den Berliner Verkehrsbetrieben, findet die Debatte zukunftsweisend.

Moin Moin Kollektivierungs-Kevin,
moin moin Jungsozialist*innen!

Da ist ja was los, seitdem DIE ZEIT am 2. Mai das Interview auf Seite acht veröffentlicht hat, in dem ein „Jungsozialist“ sagt, er würde gerne eine demokratische sozialistische Gesellschaft haben. Eine Kollektivierung von BMW! Während viele Arbeiter*innen, wie auch ich, die Debatte ziemlich gut finden und unbedingt ernsthaft weiterführen wollen, toben in der Presse Stürme der Entrüstung.

Wie kann es denn sein, dass das SPD-Parteiestablishment und die gutbürgerliche Gesellschaft in einen solchen Schreikrampf verfallen (oder sich im besten Fall, wie zum Beispiel Andrea Nahles oder Hubertus Heil, von den „jugendlichen Dummheiten“ distanzieren), weil SPD-Genosse Kevin in einem Interview Anfang Mai gesagt hat, er will die demokratische Kollektivierung der gesamten Wirtschaft? Die Antwort ist wohl: Dank der Bewegung zur Enteignung von Immobilienkonzernen in Berlin haben Diskussionen um die Berechtigung kapitalistischen Eigentums für Kapitalist*innen den träumerisch-utopischen Charakter verloren. Sie sind wieder als reale Gefahr für die Milliardenprofite der Banken und Konzerne in der Öffentlichkeit präsent.

Rein inhaltlich ist das Bekenntnis aus der SPD-Jugend zum Ziel der Beseitigung des Kapitalismus und seiner Ersetzung durch eine sozialistische Gesellschaft wirklich nichts Neues. Schon Kollektivierungs-Kevins Vorgängerin Johanna Ueckermann (2013-17) hatte erklärt: „Unser eigentliches Ziel ist es, in einer wirklich gerechten Gesellschaft zu leben, in einer vollständig demokratischen Gesellschaft. Unser eigentliches Ziel ist es, die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden! Unser eigentliches Ziel ist der demokratische Sozialismus!“

„Als Bindeglied zwischen den linken Bewegungen und der Partei für die Idee des demokratischen Sozialismus kämpfen“, definierte Franzi Drohsel (2007-10) die Aufgabe der Jusos und meinte damit sehr wohl, den Kapitalismus abzuschaffen und durch eine demokratisch geführte Wirtschaft zu ersetzen. Doch auch das war alles nichts Neues. Gerhard Schröder (1978-80) erklärte auf dem Juso-Kongress von 1978 kategorisch, er sei „Marxist“ – später wurde er Genosse der Bosse. Und auch Andrea Nahles (1995-99) hatte in ihrer Zeit als Juso-Vorsitzende betont: „Wir müssen bleiben was wir sind: ein linker und sozialistischer Richtungsverband und der Motor dieser SPD!“

Liebe Juso-Genoss*innen, es lohnt sich an dieser Stelle nicht, darüber zu reden, warum einige ehemalige Juso-Vorsitzende politisch so abgewirtschaftet haben – und mit ihnen eure Partei, deren Hilfsmotor ihr aus irgendeinem Grund seid. Ich will jetzt auch nicht über den historisch problematischen Begriff „Demokratischer Sozialismus“ diskutieren. Es reicht erstmal, wenn wir uns darauf verständigen, dass unser Ziel ist, die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden und den menschenfeindlichen Kapitalismus durch eine vollständig demokratische Gesellschaft zu ersetzen, welche die Wirtschaft den Bedürfnissen der Menschheit unterwirft, kurz: eine demokratische Planwirtschaft.

Zurück zum Aufreger-Interview von Kevin. Da gibt es einige Punkte, die Fragen aufwerfen: Was ist eigentlich gemeint? Und vor allem: Wie können wir zu ernsthaften Schritten zum Ziel einer sozialistischen Gesellschaft kommen? Das ist die zentrale Frage für alle, die wie Kevin den Anspruch haben, „dass eine bessere Welt nicht nur denkbar, sondern auch realisierbar ist“. „Eine Welt freier Menschen, die kollektive Bedürfnisse in den Vordergrund stellt und nicht das Profitstreben“, wie es im Kapitalismus notwendig der Fall ist. Da möchte ich Kollektivierungs-Kevin herzlich dafür danken, dass er im Interview festgestellt hat, dass „soziale Marktwirtschaft“ mit Sozialismus nichts zu tun hat. Aber zu einer wichtigen Frage schweigt Genosse Kevin leider: Wer soll’s denn machen? Wer soll denn die Bosse von BMW enteignen?

Wer kollektiviert denn?

Dabei kommen wir ohne die richtige Antwort auf diese Frage keinen Deut voran im Prozess zur Durchsetzung der sozialistischen Gesellschaft. Eine demokratische Kollektivierung der Wirtschaft wird nur durch uns Arbeiter*innen selbst gemacht werden können. Da kann keine bürgerliche Regierung ankommen und sagen: So, Kollektivierungs-Gesetz, jetzt macht mal. Wie verbreitet sich das Bewusstsein unter uns Arbeiter*innen massenhaft, dass wir die Gesellschaft demokratisch selbst verwalten können und sollten? Dass wir unsere Betriebe im Dienst der Gesellschaft ohne die Bosse führen müssen? Und dies im Rahmen einer allgemeinen demokratischen Kollektivwirtschaft, also ohne Selbstausbeutung, wie bei einer – vom kapitalistischen Markt abhängigen – bürgerlichen Genossenschaft? Allein durch Sozialismuskongresse, prominente Interviews und noch so nette Diskussionsbeiträge, wie diesen hier, sicher nicht.

Die demokratische Kraft zu einer sozialistischen Neuordnung der Gesellschaft kann ja nur aus den vernetzten Kämpfen von uns Arbeiter*innen selbst kommen. Die Möglichkeit, diese gesellschaftliche Kraft mit dem politischen Ziel einer grundlegenden gesellschaftlichen Transformation zu verbinden, geht mit der Frage einher, ob unter den Arbeiter*innen, inmitten der Streiks und sozialen Kämpfe, eine Vielzahl offener Sozialist*innen aktiv ist und diese Kämpfe zu Vorbereitungskursen des Sozialismus macht. Es ist eine einfache Wahrheit, dass eine Kollektivierung von BMW nur passieren wird, wenn die Kolleg*innen bei BMW die Organisierung und den Willen haben, um die Produktion selbst zu übernehmen. Leute wie die BMW-Aktionärsfamilie Quandt – die dank ihrer Eigentumstitel aus der Arbeit der Kolleg*innen, inklusive der Ausgegliederten und allem was an der Produktion mit dranhängt, unvorstellbare 3 Millionen Euro täglich (!) scheffelt – wissen sich durchaus zu wehren. Das Kapital verschafft sich auf vielen Wegen Einfluss. Und zwar auch ideologischen. Und strategisch genutzt werden dafür vor allem Apparate, deren Angehörige ein materielles Interesse an der Aufrechterhaltung des allgemeinen Status Quo haben.

So sind unsere Gewerkschaften, auch wenn es unsere Kampforganisationen sind, von gut bezahlten und von der Gewerkschaftsbasis weit entfernten Funktionär*innen geführt, deren ganze privilegierte Stellung aus ihrer Vermittlungsposition zwischen Kapital- und Arbeiter*innen-Interessen kommt. Nicht von ungefähr ist vor 130 Jahren in der SPD die Idee, dass das mit dem Endziel doch nicht so wichtig sei, aus der Gewerkschaftsbürokratie gekommen. Nicht von ungefähr feiern Gewerkschaftsführer*innen „Mitbestimmung“, „Sozialpartnerschaft“ und „soziale Marktwirtschaft“. Nicht von ungefähr ist gerade Manfred Schoch, der seit den 1980er Jahren voll freigestellte BMW-Betriebsratsfürst (wie man ja so schön sagt) und Vorsitzende des BMW-Aufsichtsrats, überhaupt kein Fan von Kollektivierungs-Kevins sozialistischer Meinung und verkündete, jetzt sei die SPD für „Arbeiter“ nicht mehr wählbar. Dabei hat er wohl nicht über uns Arbeiter*innen, sondern über sich selbst gesprochen.

Ich bin, was wohl nicht überrascht, gerade deswegen kein Juso, weil die SPD der politische Ausdruck dieser bremsenden Gewerkschaftsbürokratie und der – nur für die Funktionär*innen und die Unternehmer*innen gewinnbringenden – Ideologie von „Sozialpartnerschaft“ zwischen Kapital und Arbeit ist. Die Regierungsbeteiligungen eurer Partei spiegeln das doch sehr deutlich wider. Das ist nicht einfach „falsche Politik“, sondern die Verantwortlichen haben handfeste Interessen. Und die Linkspartei ist in diesem Sinne kaum besser, was ihre eigenen Beteiligungen an bürgerlichen Regierungen und die Äußerungen des Spitzenpersonals belegen. Natürlich können diese zwei bürgerlichen Arbeiter*innen-Parteien durch ihre Vermittlungsrolle (vorausgesetzt es gibt eine starke Arbeiter*innen-Bewegung!) auch zu Reformen gegen das Kapital gezwungen sehen. Aber ohne, dass wir Arbeiter*innen selbst aktiv werden, werden diese beiden sozialdemokratischen Parteien zum mächtigen Werkzeug der Kapitalinteressen. Und deshalb müssen wir Arbeiter*innen auch eine Partei unabhängig von den Interessen des Kapitals und der Bürokratie aufbauen, die das kapitalistische Privateigentum tatsächlich angreift.

Aber gut, pardon, lasst uns jetzt keine sinnlose Diskussion über die SPD und ihre Nützlichkeit führen. Ihr habt ja sicher eure wohlüberlegten Gründe, derzeit Sozialdemokrat*innen zu sein. Wir, ob in der SPD oder außerhalb, die wir uns jedenfalls allgemein über das Ziel einig sind, dass die Kollektivierung der Wirtschaft und eine wirklich gerechte – sozialistische – Gesellschaft realisierbar ist, sollten gemeinsam alle Kämpfe von uns Arbeiter*innen, (also der eigentlichen Kollektivier*innen) stärken, wo wir nur können. Hier in Berlin zum Beispiel, sollten wir pflichtbewusst und konsequent dafür eintreten, dass die Immobilienkonzerne sofort kollektiviert werden! Die Angst vor der neuen Realität der Enteignung (dank der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen!“) ist es schließlich, die euren Verband gerade plötzlich zum Schrecken des Kapitals werden lässt. Gleichzeitig gibt es ganz reale betriebliche und überbetriebliche Kämpfe gegen die Aushebelung des Kündigungsschutzes durch befristete Arbeitsverträge und für die Eingliederung aller Tochtergesellschaften nach dem alten Motto „Ein Betrieb – eine Belegschaft!“. Ihr könntet eine starke Unterstützung dabei sein, unseren Klassenkämpfen konsequent zum Sieg zu verhelfen und sie damit zu Schritten zum Sozialismus zu machen.

Einige bei den Jusos (ihr wisst das besser als ich) nehmen das „sozialistische Geschwätz“ sicher nicht ernst. Aber ich bin nicht der Meinung, Kollektivismus-Kevin und Co. wären alle bloß links blinkende Karrierist*innen. Stattdessen bin ich sehr wohl der Meinung, dass es viele ehrliche Sozialist*innen unter euch Jungsozialist*innen gibt, auch wenn wir uns vielleicht über vieles nicht einig sind. Mit euch würde ich gerne intensiver die Fragen des Sozialismus debattieren (lasst uns eine Veranstaltung machen!) und mit euch würde ich gerne konkrete Schritte machen, um eine Arbeiter*innenbewegung aufzubauen, die eine andere Welt noch vor der globalen Katastrophe möglich macht.

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