Wahlrecht für alle!

09.09.2021, Lesezeit 5 Min.
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David Peinado Romero / Shutterstock.com

Suphi, kurdischer Aktivist und Migrant. Wie Millionen andere Migrant:innen darf er selbst nicht wählen gehen. Er lebt seit über 30 Jahren in Deutschland und befindet sich in prekärer Arbeitssituation. Umso wichtiger ist für ihn, dass eure Stimmen nicht an jene gehen, die diese prekäre Lage überhaupt erst geschaffen haben.

Auch wenn ich persönlich nicht akut bedroht bin, meinen Aufenthaltsstatus zu verlieren und abgeschoben zu werden, war dieses Thema in der Vergangenheit sehr präsent für mich und meine Familie. Die Gefahr, den Aufenthaltsstatus zu verlieren, egal aus welchem Grund, ist eine gemeinschaftliche Gefahr für viele Migrant:innen. Theoretisch können viele, auch meine Familie und ich, den Aufenthaltsstatus jederzeit wieder verlieren. Gerade in der Zeit der Neuwahlen passiert es häufig, dass politische Regime Gesetze verschärfen und neue Aufenthaltsbestimmungen erlassen werden. Kein Vertrauen auf das bürgerliche System ist gut, doch Selbstorganisierung ist besser. Es ist ein großer Fortschritt das Migrant:innen selbst aktiv werden und sich dafür einsetzen die Politik des Landes zu verändern. Doch es ist nicht so einfach, da die gesetzlichen Bestimmungen des Landes zum Wahlrecht durchaus sehr widersprüchlich sind.

Um dies an mir selbst zu verdeutlichen: Ich, ein politisch aktiver Kurde, der seit über 30 Jahren in Deutschland lebt und arbeitet, darf nicht wählen. Während meine Kinder, die nach meiner Ankunft in Deutschland auf die Welt gekommen sind, wählen dürfen. Nichts gegen diese jungen Menschen, die sollten am besten sogar schon mit 14 Jahren ihr Wahlrecht bekommen. Aber sehr wohl, was gegen die Logik, die politische Reife zuschreibt, sobald man 18 Jahre alt geworden ist, sie aber Migrant:innen trotz der politischen Erfahrung in den Heimatländern und in Deutschland abspricht. Genauso wie die Berufserfahrung und Abschlüsse im Ausland ignoriert werden, wird auch die politische Erfahrung ignoriert.

Sicherlich haben sich die Bedingungen für Migrant:innen und der bürokratische Prozess zum Erhalt einer Staatsbürgerschaft verbessert. Doch diese Besserungen wiegen nicht auf, dass über 10 Millionen Migrant:innen immer noch nicht wählen dürfen. Die Grünen und FDP wollen jetzt ein punktebasiertes System einführen, damit sie besser selektieren können, wer nach Deutschland kommen darf. So groß ist dieser Fortschritt zu der Vergangenheit nicht, wo die Gastarbeiter:innen in den eigenen Ländern dem Arzt ihre Zähne zeigen mussten und erst danach nach Deutschland kommen durften. Wer zu viele Minuspunkte, also kaputte Zähne hatte, durfte nicht kommen.

Die Migrant:innen sind vom “gleichen Recht für alle” ausgeschlossen. Trotzdem wird von ihnen erwartet dieselbe Arbeit, mit mindestens derselben Qualität und nach den Vorschriften wie ihre deutschen Kolleg:innen zu leisten. Sie müssen um dieselbe Zeit erscheinen, in derselben Geschwindigkeit Pakete liefern wie die anderen Kolleg:innen. Nur meistens haben sie nicht die gleichen Rechte, geschweige denn die gleichen Löhne. Die Unsicherheit des Aufenthaltsstatus soll die Migrant:innen dazu bringen, die schlecht bezahlten und schwierigen Jobs anzunehmen, um ausgebeutet zu werden. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Kampf der Riders von Gorillas, die erst kürzlich in wilde Streiks eingetreten sind.

Es ist auch die SPD, die dafür sorgt, dass die Arbeiter:innenklasse durch die Zeitfirmen, Hartz IV,  befristete Arbeitsverträge an die schlechtesten Arbeitsbedingungen gebunden sind. Für die Migrant:innen, LGBTIQ aber auch für die Arbeiter:innenklasse als Gesamtes, sind gleiche Löhne für gleiche Arbeit eine grundlegende Forderung. Doch diese Spaltung innerhalb der Klasse ist durch Bosse und Staat bedingt. Lest hier im Magazin-Artikel mehr dazu.

Die Linkspartei schlägt in dieselbe Kerbe. Die Regierungsbeteiligungen in Thüringen, Bremen und Berlin haben gezeigt, auch sie schieben Menschen ab und stellen sich als Arm der Bosse und des Staates gerne zur Verfügung. Doch dabei bleibt es nicht, denn wer A sagt, muss auch B sagen. So unterstützt und verteidigt die Linkspartei den Flügel um Sahra Wagenknecht in den eigenen Reihen, welcher die Abspaltungen noch tiefer graben möchte. Sie half aktiv dabei, den Wohnungsmarkt in Berlin total in die Hände großer Konzerne zu geben, die Partei verwaltet die Sachzwänge des Kapitalismus genauso brav wie die anderen Parteien auch. Das Programm und die reformistischen Forderungen der Partei existieren nur auf dem Papier, sie hören auf zu existieren, sobald eine Regierungsposition eingenommen wird.

Ich muss nicht persönlich abgeschoben werden, um von der Abschiebung traumatisiert zu sein. Sie schwebt über mir und genauso wie die anderen Parteien sind auch die Linkspartei, die SPD und die Grünen jederzeit bereit, sie auszuführen. Das Bedürfnis nach einem wirklich und grundsätzlich besseren Leben kann nicht von den derzeitigen Parteien im Parlament befriedigt werden. Sie bekämpfen es sogar. Das ist der Grund, warum ich als Migrant, der das Schicksal von den anderen Millionen hier teilt, euch dazu Aufrufe ungültig zu wählen und den Aufbau einer revolutionären Partei der Arbeiter:innen voranzutreiben.

Hier mehr zu unserem gemeinsamen Wahlaufruf.

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