Wahlen in NRW: Linkspartei verliert mit Kurs Richtung RRG im Bund

18.09.2020, Lesezeit 9 Min.
1

Während viel über die kommenden Bundestagswahlen diskutiert wird, fanden am vergangenen Wochenende Kommunalwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland in Deutschland statt. Die Ergebnisse zeigen den bisherigen bundesweiten Trend: Grüne und AfD legen zu, SPD macht große Verluste, während die CDU sich von ihrer Talfahrt erholt. Die Linkspartei verliert weitere Stimmen, trotz der Debatten über RRG im Bund – oder vielleicht deswegen.

Bundespolitisch sind die Ergebnisse vor allem ein großes Plus für Armin Laschet, der im Dezember für den Parteivorsitz der CDU gegen Friedrich Merz und Röttgen kandidieren wird. Bei den vergangenen Europa-Wahlen hatte die CDU in NRW nur 27,9 Prozent der Stimmen bekommen. Entsprechend waren die Debatten der vergangenen Tage in den bürgerlichen Medien der Frage gewidmet, wie viel Rückenwind Laschet durch dieses Wahlergebnis tatsächlich erlangt. Fest steht, dass Laschet mit dem Ergebnis seinen Anspruch untermauern kann, ein „krisenfester“ Kandidat zu sein, der zwar eine Kontinuität zum Merkelismus verspricht, aber gerade genug „Eigenständigkeit“ zeigt, um die Merkel-Kritiker*innen in der CDU auf seine Seite zu ziehen. Ob das ausreichen wird, ist jedoch noch unklar – nicht nur aufgrund von Laschets Konkurrenz im Rennen um den CDU-Parteivorsitz, sondern auch, weil weiterhin Markus Söder (CSU) als aussichtsreichster Kandidat um die Kanzlerkandidatur der Unionsparteien gilt. Trotz der Wahlergebnisse ist also das Lied noch längst nicht gesungen.

Das gilt umso mehr, als dass vor wenigen Tagen in NRW ein neues rechtsradikales Netzwerk in der Polizei aufgedeckt wurde. 29 Polizist*innen sollen in mehr als 5 Chat-Gruppen eine rechtsradikale und neonazistische Vernetzung innerhalb der Polizei gebildet haben. Diese Verstrickung von Rechten und dem bürgerlichen Staat ist uns bereits aus der Vergangenheit im Falle NSU bekannt. Während Landesinnenminister Reul (CDU) in den letzten Tagen um Erklärungen rang, schwieg sich Laschet größtenteils aus. Dabei ist er der Hauptverantwortliche für diesen neuen politischen Skandal nur wenige Tage nach der Kommunalwahl.

Im Kontrast zum Wahlsieg der CDU ist die Freude der SPD über ihren Verlust von 8 Prozentpunkten exemplarisch für die sozialdemokratische Selbstzufriedenheit mit ihrer Agenda- und Krisenpolitik im Interesse der Reichen und Kapitalist*innen. Einen Großteil ihrer Basis verliert sie zur AfD, die auch schon bei den Europawahlen 2019 in den deindustrialisierten ehemaligen proletarischen Hochburgen wie Gelsenkirchen sehr gut abgeschnitten hatte.

Das ist eine große Warnung vor den politischen Verheerungen, die der Strukturwandel und der sterbende Neoliberalismus in Sektoren der Arbeiter*innenklasse anrichten können, die ihre Illusionen in die sozialdemokratischen Führungen verlieren. Weil eine klassenkämpferische Kraft fehlt, wenden sie sich an die Demagogie der AfD. Die Linkspartei stellt dabei keine Alternative dar, da sie immer mehr Teil des Regimes wird. Sie schlägt am Ende nur eine linkere, aber ebenso verräterische Sozialdemokratie vor. In Landesregierungen, in denen sie beteiligt ist – Berlin, Thüringen oder Bremen – finden nicht weniger soziale Angriffe auf Arbeiter*innen statt als andernorts.

Die Grünen gewinnen 7 Prozentpunkte hinzu, wobei auch interessant ist, dass sie mit ihrem Angebot einer grünen kapitalistischen Erneuerung gerade dort gut abschneiden, wo der Reformismus der bürgerlichen Arbeiter*innenparteien versagt. Der Hauptgrund dafür liegt jedoch an den Stimmen, die die Grünen aus der Jugend bekommen.

Für die Jugend, die noch reformistische Illusionen in eine linke, bürgerlich-liberale Regierung hat und sich vor allem an der Frage des Klimawandels politisiert, bieten die Grünen eine scheinbar bessere Alternative als die Linkspartei, wobei beide Kräfte eine Klimapolitik von oben vorschlagen, ohne die Interessen der Großkonzerne effektiv anzugreifen.

Für die Grünen sind es nicht die Arbeiter*innen, die durch ihre Streiks und Besetzungen mit der Perspektive der demokratischen Kontrolle und Umgestaltung der Produktion nach ökologischen Bedürfnissen die den Strukturwandel ermöglichen, sondern Regierungsposten und Aufsichtsräte.

Linkspartei verliert – trotz oder wegen der Perspektive Rot-Rot-Grün?

Die Linkspartei rutscht unter 4 Prozent und verliert deutlich einen Teil ihrer Basis. Für die Wahlen stellte sie Forderungen auf, die sich gegen die überteuerten Mieten und für zukunftssichere Jobs stellten. Sie schaffte es trotzdem nicht, von der Krise der SPD zu profitieren und ihre Wähler*innenbasis zu vergrößern. Die sich von der SPD abkehrenden Arbeiter*innen haben – beispielsweise im schon erwähnten Gelsenkirchen – vielmehr für die AfD gestimmt.

Der Grund liegt darin, dass die Linkspartei den Weg für die Durchsetzung dieser Forderungen in Mobilisierungen auf der Straße und in den Betrieben gegen die Regierung sieht, sondern nur in einer angeblich sozialeren Art der Regierungsbeteiligung. So fordert die Partei im Wahlprogramm und in Reden die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen, ein Ende des Personalmangels und Outsourcings und Erhalt von Arbeitsplätzen. Aber wie sieht es denn aus, wenn sie an die Regierung kommt?

Überall, wo die Linkspartei mitregiert, in Thüringen, Berlin oder Bremen sind keine dieser Forderungen erfüllt. Im Gegenteil ist sie als Regierungspartei selbst für den Sozialabbau, Outsourcing oder Verteuerung der Mieten verantwortlich. So lagerte die Linkspartei selbst in vergangenen Regierungskoalitionen in Berlin zum Beispiel das Krankenhaus-Tochterunternehmen Charité Facility Mangement (CFM) aus, um Kürzungen vorzunehmen und Löhne zu drücken.

Da, wo die Linkspartei konkrete Projekte an der Regierung unternimmt, wie den Berliner Mietendeckel, macht sie Kompromisse, um ihre Regierungsbeteiligung nicht zu gefährden.

Im Gegenteil müssen diese sozialen Forderungen durch Streiks und Mobilisierung der Massen und Gewerkschaften durchgesetzt werden. Wenn wir uns ansehen, wie in Deutschland die sozialen Errungenschaften, wie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, erkämpft wurden, war es nicht eine linke Regierung, die diese Forderungen von oben durchgesetzt hat, sondern es waren die Arbeiter*innen – vor allem im Metallsektor –, die diese durch Massenstreiks in zentralen Sektoren und Mobilisierungen weiterer Sektoren der Arbeiter*innen erzwungen haben.

Die Linkspartei befindet sich aktuell auf dem Kurs der Regierungsbeteiligung im Bund. Dabei will die Führung sogar „rote Linien“, wie Opposition zur NATO oder Kriegseinsätze aufgeben. Ihre Anpassung und Integration in das Regime hat für die rechte Parteiführung das Ziel, mehr Einfluss zu gewinnen. Die Rechnungen gehen aber nicht auf. Sie schafft es nicht, neue Sektoren zu erreichen, im Gegenteil verliert sie einen Teil ihrer Basis an die AfD.

„Coronaskepsis“-Demonstrationen als Ausdruck der Anpassung der Linken an die Regierung

Ein wichtiger politischer Ausdruck der Stärkung der Rechten in den vergangenen Monaten sind die wachsenden „Coronaskepsis“-Demonstrationen. Die Forderungen dieser Demos sind unsinnig bis reaktionär und stützen sich in erster Linie auf Verschwörungstheorien, die von Esoteriker*innen, Rechtsradikalen und Nazi-Gruppen verbreitet werden. Aber die Demonstrationen haben einen sozialen Kern. Es ist tatsächlich so, dass die kleinbürgerlichen Massen, also kleine Ladenbesitzer*innen, kleine Selbständige, Leute, die auf Aufträge angewiesen sind etc. in Zeiten der Wirtschaftskrise wie jetzt einen sozialen Abstieg erleben. Während Milliarden an Großunternehmer*innen und Aktionäre gegeben werden, die trotzdem ihre Beschäftigten entlassen, sind die Klein-Selbstständigen in der Gefahr, ihre Läden und Jobs zu verlieren.

Wenn es keine Kraft aus der Arbeiter*innenbewegung gibt, die eine Kampfperspektive gegen die Interessen der Großkapitalist*innen öffnet, sind diese Massen für rechte Demagogie wie die jetzigen Coronaskepsis-Demonstrationen, die von Rechten angeführt werden, empfänglich. Solche Demonstrationen sammeln sich dann nicht auf Grundlage sozialer Forderungen gegen die Regierung, sondern auf Grundlage von Hass auf andere Bevölkerungsgruppen wie Geflüchtete oder Verschwörungstheorien wie der Leugnung des Coronavirus.

Diese Tatsache ist historisch auch immer der Nährboden für den Faschismus gewesen, wenn die Arbeiter*innenklasse es nicht schafft, diese kleinbürgerlichen Massen hinter sich gegen das Großkapital zu sammeln. Der Anstieg der Verschwörungsideologien, meist antisemitische, während der Krise 1929, zeigt ideologische Ähnlichkeiten zu den Mobilisierungen der kleinbürgerlichen Massen heute gegen eine vermeintliche „Corona-Diktatur“ oder gegen Migrant*innen und Geflüchteten.

Die Coronaskepsis-Demonstrationen werden von rechten Demagog*innen angeführt, die offen mit rechtsradikalen und neonazistischen Kräften demonstrieren. Es sind jedoch selbstverständlich nicht alle Teilnehmer*innen dieser Demonstrationen rechtsradikal. Auch wenn die große Masse der Demonstrant*innen rechtsoffene Selbstständige und Esoteriker*innen darstellen, beteiligen sich auch Arbeiter*innen an diesen Demonstrationen.

Es sind meistens Arbeiter*innen, die heute Angriffen der Regierung und Kapitalist*innen durch Entlassungen oder Kürzungen ausgesetzt sind, die sich von keiner der Parteien repräsentiert fühlen, aber mit der aktuellen Situation unzufrieden sind. Diejenigen, die unkritisch bei den Corona-Demos mitlaufen, argumentieren oft, dass es ja notwendig sei, dass „irgendwer auf die Straße geht“. Man muss ihnen geduldig erklären, warum es nicht egal ist, mit welchen Kräften oder für welche Forderungen man auf die Straße geht und dass wir Mobilisierungen der Gewerkschaften und der Arbeiter*innenklasse brauchen – für ein Verbot aller Entlassungen, Verstaatlichung unter Arbeiter*innenkontrolle oder Abschaffung der Schuldenbremse. Und generell dafür, dass die Reichen für die Kosten der Krise zahlen.

Genau das Fehlen solcher Mobilisierungen ist auch der Grund, warum die Coronaskepsis-Demos als Alternative für manche Arbeiter*innen gesehen werden. Um so skandalöser ist es daher, dass die Gewerkschaftsspitzen für die aktuellen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst (TVöD), die 2,3 Millionen Arbeiter*innen betrifft, erklärt haben, dass sie auf Massendemonstrationen verzichten werden. Genau solche Kämpfe wären gute Anlässe, politische Forderungen im Interesse der werktätigen Bevölkerung an die Regierung zu stellen, und den Rechten ihren sozialen Boden zu entziehen.

Stattdessen herrscht ein Waffenstillstand zwischen Gewerkschaftsbürokratie, SPD/Linke und der Regierung/Kapitalist*innen. Die Linke, die in mehreren Bundesländern regiert und jetzt im Bund regieren will, versucht, möglichst den sozialen Frieden (also die faktische Lähmung aller Abwehrkämpfe) beizubehalten, um ihren zukünftigen Koalitionspartner*innen ihre Treue zu Staat und Kapital zu beweisen.

Obwohl die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder für Mobilisierungen wäre, verhindern die Gewerkschaftsbürokratien, die enge Beziehungen zur Regierung haben und sich am Anfang der Krise hinter sie gestellt haben, dass solche Mobilisierungen stattfinden.

Ein Ausweg aus der Krise im Interesse der Arbeiter*innenklasse und Werktätigen in Deutschland, liegt somit nicht in einer RRG-Regierung oder in einer parlamentarischen Strategie, sondern in Massenmobilisierungen und Streiks.

Mehr zum Thema