Spahn will zurück zur Normalität – Krankenhaus­beschäftigte fordern Schutzmaterial und Wiedereingliederung

18.04.2020, Lesezeit 6 Min.
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In Einklang mit der angekündigten Lockerung des Kontaktverbotes möchte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zurück zu einer „neuen Normalität“ in den Krankenhäusern. Bisher konnte der Kollaps vermieden werden, doch die Bedingungen für eine solche Rückkehr sind nicht gegeben. Deswegen fordern Krankenhausbeschäftigte ausreichende Schutzkleidung und eine grundlegende Neuausrichtung des Gesundheitswesens im Sinne der arbeitenden Bevölkerung und der Beschäftigten.

Bild: Hamburger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus

Die Bundesregierung gibt immer mehr dem Druck der Unternehmen nach, die ein Ende der Einschränkungen fordern. Mitte der Woche wurde die schrittweise Öffnung des Einzelhandels und öffentlicher Orte wie Zoos beschlossen. Auch die Kitas und Schulen werden in den kommenden Wochen wieder öffnen. In Einklang mit diesen Beschlüssen sprach auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf einer Pressekonferenz am Freitag von einer Rückkehr zu einer „neuen Normalität“.

Dazu gehört unter anderem, bereits geplante Operationen, die im Zuge der Corona-Maßnahmen verschoben wurden, durchzuführen. Spahn zufolge sei das deutsche Gesundheitswesen mit „ausreichenden Fachkräften“ und nun ca. 40.000 Intensivbetten gut aufgestellt. Tatsächlich ist es so, dass ein Kollaps des Gesundheitswesens, wie er in Italien oder dem Spanischen Staat zu erleben war, verhindert werden konnte. Es ist jedoch zynisch, sich mit dieser Tatsache zu brüsten, da gerade die imperialistische Unterjochung Südeuropas im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 mit Deutschland an vorderster Front zur katastrophalen Lage der dortigen Gesundheitssysteme geführt hat.

Aber auch für Deutschland trifft die von Spahn getätigte Analyse nicht zu. Immer mehr Pflegekräfte infizieren sich aufgrund der unzureichenden Hygienemaßnahmen selbst mit Covid-19 – bisher sind es an die 6.400, wobei mit einer größeren Dunkelziffer zu rechnen ist. Eine Infektionswelle unter dem Krankenhauspersonal könnte die begrenzten Kapazitäten schnell sprengen. Spahn selbst hatte wenige Monate vor der Corona-Krise die Anstellung ausländischer Pflegefachkräfte erleichtert, um dem akuten Pflegenotstand entgegenzuwirken. Seit Jahren kämpfen Beschäftigte dutzender Kliniken unter dem Slogan „Mehr von uns ist besser für alle“ für mehr Personal an Krankenhäusern. Schon vor dem Ausbruch des Coronavirus mussten die Pflegekräfte unter den Auswirkungen der neoliberalen Sparpolitik und der Ausrichtung des Gesundheitswesens auf Profitinteressen leiden, wie sie von den verschiedenen Regierungen der vergangenen 20 Jahre durchgesetzt wurde.

Wenn also ähnliche Bilder wie aus den Krankenhäusern in Madrid, Bergamo oder New York sich in Deutschland nicht wiederholten, dann zu einem großen Teil aufgrund der aufopferungsvollen Arbeit der Beschäftigten in den Krankenhäusern. Diese werden nun von der Politik als „Held*innen“ bezeichnet – an ihrer Situation als oft prekär beschäftigte, schlecht entlohnte und unter enormen Arbeitsdruck leidende Arbeitskräfte ändert diese Bezeichnung jedoch nichts. In einigen Krankenhäusern fanden temporäre Lohnerhöhungen statt, wie in Berlin von 150 Euro, die für die Pflegekräfte sicherlich eine kleine Verbesserung darstellen, jedoch nichts Grundlegendes an ihrer Situation verändern.

Dazu gehört auch die Tatsache, dass im Zuge der Neoliberalisierung des Gesundheitswesens viele Teile des Krankenhausbetriebs ausgelagert und zu schlechteren Bedingungen ausgeschrieben wurden. In Berlin kämpfen die Beschäftigten der Tochterunternehmen großer Krankenhäuser wie Vivantes oder der Charité seit Jahren für eine Wiedereingliederung und die Anwendung des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TVöD) für sie, was Lohnerhöhungen von hunderten Euro bedeuten würde.

Dabei können sie nicht auf die regierenden Parteien SPD, Linkspartei und Grüne setzen, die selbst für die Ausgliederung verantwortlich waren und seit Jahren außer leeren Phrasen nichts für die Beschäftigten anzubieten haben. Auch in der aktuellen Situation wurden keine Maßnahmen in diese Richtung durchgeführt. Im Gegenteil wurde die Tarifauseinandersetzung der Belegschaft des Charité Facility Managements (CFM) durch die Ausbreitung des Coronavirus unterbrochen, ohne eine Antwort auf die Forderungen der Beschäftigten zu geben, die sich aktuell erneut als fundamental und notwendig erweisen.

Die Beschäftigten formulieren jedoch weiterhin Forderungen: Alleine in der letzten Woche konnten für eine Petition unter dem Titel „COVID 19: Der Schutz der Beschäftigten und der Patient*innen muss an erster Stelle stehen“ an den Berliner Krankenhäusern 4.500 Unterschriften gesammelt werden. Sie fordern unter anderem engmaschige Testung der Beschäftigten, ausreichende Schutzkleidung und den Schutz von Beschäftigten aus den Risikogruppen und eine angemessene Belastungszulage. Zudem schlagen sie vor, zur Not Betriebe zur Umstellung der Produktion auf Brillen, Masken und anderes Schutzmaterial zu zwingen, sowie für eine ausreichende Ausstattung mit Schutzkleidung über die akute Situation hinaus zu sorgen. Sie lassen auch ihre Forderung nach einem Tarifvertrag für alle Beschäftigten und einem Ende des Outsourcings nicht fallen.

Alle diese Forderungen werden in der aktuellen Situation mit den beschlossenen Lockerungen und den Rufen nach einer „Rückkehr zur Normalität in den Krankenhäusern“ besonders wichtig. Die Bundesregierung und die Landesregierungen – auch die mit Beteiligung der Linkspartei – stellen die Profitinteressen der Konzerne über unsere Menschenleben, wenn sie eine vorschnelle Neuöffnung der Geschäfte durchsetzen. Wohin eine solche Haltung führt, konnte man am tragischen Tod eines rumänischen Erntehelfers sehen, der zur Spargelente eingeflogen wurde und sich in Deutschland an Corona infiziert hatte und Mitte der Woche starb. Dass Shoppingcenter wie Karstadt oder Galeria Kaufhof mit Klagen die Öffnung erzwingen wollen, zeigt nur, wie wenig sie sich für das Leben der arbeitenden Bevölkerung interessieren.

Bevor keine vollständige Ausstattung mit Schutzkleidung in den Krankenhäusern und allen anderen Betrieben sichergestellt werden kann, darf die Wirtschaft nicht wieder „hochgefahren“ werden. Wenn ab der nächsten Woche Riesenkonzerne wie VW ihre Produktion wieder aufnehmen werden, der Einzelhandel schrittweise öffnet und auch die Schulen ihren Betrieb wieder beginnen, ist eine zweite Welle der Virusausbreitung nur eine Frage der Zeit. Doch solange die nötigen Bedingungen – ausreichende Tests, genügend Schutzkleidung und Masken für die gesamte Bevölkerung – dafür nicht gegeben sind, würde eine solche Welle das Gesundheitssystem erneut an den Rand des Zusammenbruchs bringen.

Nur ein tiefgreifendes Programm kann eine umfassende Antwort auf diese Situation bieten. Wenn hunderttausende Betriebe Kurzarbeit anmelden oder mit Entlassungen und Schließungen drohen, müssen die Arbeitsplätze gesichert werden, indem die Betriebe entschädigungslos verstaatlicht und unter Kontrolle der Beschäftigten weitergeführt werden. Nur so kann die sinnvolle Weiterführung sichergestellt werden, sei es durch das Aufrechterhalten der Schließung von Einzelhandelslokalen oder die Umstellung der Produktion auf Masken oder anderes Schutzmaterial. Die Konzerne wie Amazon, die zur Zeit Milliardengewinne erwirtschaften, müssen zur Kasse gebeten werden, um ein ausreichendes Corona-Geld für Selbstständige und Freischaffende sicherzustellen sowie um den Gesundheitsetat angemessen zu erweitern.

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