Sozialistische Gesundheits­arbeiter*innen fordern: Polizei raus aus unseren Gewerkschaften und Krankenhäusern!

13.06.2020, Lesezeit 9 Min.
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"Als medizinische und nichtmedizinische Arbeiter*innen im Gesundheitswesen und gewerkschaftliche Basismitglieder stellen wir fest, dass Polizist*innen und ihre Brutalität dem kapitalistischen Staat inhärent sind. Wir fordern, dass die Polizei unverzüglich aus unseren Gewerkschaften und Gesundheitseinrichtungen rausgeworfen wird." Eine Erklärung sozialistischer Gesundheitsarbeiter*innen.

Foto: Luigi Morris

In den letzten Wochen sind Tausende von Menschen auf die Straße gegangen und haben sich den Schwarzen Jugendlichen angeschlossen, die als Reaktion auf die grausamen Morde an George Floyd, Ahmaud Arbery, Breonna Taylor, Tony McDade und zahllosen anderen Schwarzen Menschen durch die Polizei rebellieren. Arbeiter*innen des Gesundheitswesens, die an vorderster Front gegen die Coronavirus-Pandemie kämpfen, nehmen daran teil und färben die Proteste im ganzen Land mit grünen, blauen und weißen Kitteln und Operationsmasken ein. Aus Sicht des Gesundheitssystems wird die Verurteilung der Polizei und des systemischen Rassismus mit den Worten zum Ausdruck gebracht: „Die Polizei ist eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit.“

Über 1.700 Beschäftigte des Gesundheitswesens unterzeichneten unsere Erklärung, in der wir den rassistischen Mord an George Floyd verurteilten. Es wurden Aktionen im Namen von „WhiteCoats4BlackLives“ („Weiße Kittel für Schwarze Leben“, WC4BL) und „Frontlines for Frontlines“ organisiert. Krankenhausbeschäftigte grüßen vorbeiziehende Demonstrant*innen mit erhobenen Fäusten. Einige Gewerkschaften haben Mahnwachen durchgeführt, um die Polizeimorde anzuprangern.

Wir sind nicht mehr nur Angehörige medizinischer Berufe, sondern wir haben uns als unverzichtbare Arbeiter*innen an der Frontlinie der Pandemie in den Kampf gestürzt: als Sanitäter*innen, zur Unterstützung Festgenommener, Ordner*innen und Demonstrant*innen, die die Institution der Polizei anprangern, die bis ins Mark rassistisch ist. Wir mobilisieren uns als Arbeiter*innen und nicht als „Bürger*innen“ oder Einzelpersonen. Denn wir haben eine größere gesellschafliche Macht, wenn wir in unseren Reihen vereint sind.

Als Beschäftigte im Gesundheitswesen sind wir jeden Tag Zeug*innen der brutalen Auswirkungen eines rassistisch segregierten, kapitalistischen Gesundheitssystems. Dieses System hat während der Coronavirus-Pandemie zu einer höheren Zahl von Todesopfern unter Schwarzen und Braunen Menschen geführt. Die Pandemie sucht jetzt den globalen Süden und die Arbeiter*innenklasse und armen Massen Lateinamerikas, Asiens und Afrikas heim. Wir sehen, wie Polizeigewalt und systemischer Rassismus vor allem nicht-weißen und indigenen Communities physischen und psychischen Schaden zufügen.

Heute versuchen der Staat und die beiden bürgerlichen Parteien, die Bewegung einerseits durch Kooptation und andererseits durch brutale Repression zu zerschlagen. Demokratische und republikanische Politiker*innen schieben sich in den Mittelpunkt der Proteste, als ob sie Wahlkampftermine wären. Sie kündigen stückweise Reformen an, von denen viele die Polizeigewalt nicht beenden werden, sondern die Unruhen auf den Straßen befrieden sollen. Wir haben gesehen, wie die Polizei versucht, ihr Image zu bereinigen, indem sie tagsüber Masken verteilt oder gemeinsam mit Demonstrant*innen auf die Knie geht. Aber nachts setzt sie ihre brutale Gewalt fort.

Regierungsbeamt*innen beider Parteien haben Bereitschaftspolizist*innen und die Nationalgarde eingesetzt. Die Demonstrant*innen kommen mit gebrochenen Gliedmaßen und Abschürfungen in unsere Notaufnahmen. Wir behandeln Patient*innen mit Atemnot, Asthmaanfällen, Panikattacken und Verletzungen, die durch Blitzgranaten, Tränengas und Kabelbinder verursacht wurden. Wir verurteilen die staatliche Repression und die Brutalität der Polizei gegen Demonstrant*innen sowie die Ausgangssperren, die unsere demokratischen Rechte einschränken. Wir fordern die Freilassung aller politischen Gefangenen und das Fallenlassen aller Anklagepunkte.

Die Rolle der Polizei: Rassismus ist integraler Bestandteil des Kapitalismus

Als Sozialist*innen verstehen wir, dass der Kapitalismus Rassismus hervorbringt; dass der Kapitalismus in den USA durch ein weißes, rassistisches Sklavensystem aufgebaut wurde; dass die Vorfahren der modernen Polizei Sklavenpatrouillen und Söldner waren. Entgegen der verwirrenden Vorstellung, dass Polizist*innen „Arbeiter*innen in Uniform“ seien, wissen wir aus unserer eigenen Erfahrung, dass die Polizei nicht unsere Geschwister aus der Arbeiter*innenklasse sind. Sie sind auch kein „außerliches Problem“. Stattdessen sind Polizist*innen und ihre brutale Gewalt dem kapitalistischen Staat inhärent. Die rassistische Polizei schützt die Wenigen, die den Reichtum in unserer Gesellschaft anhäufen – die Wenigen, die die Hebel der Produktion und des Staates besitzen und kontrollieren. Bei solch schrecklichen Ungleichheiten müssen diese Wenigen vor der Mehrheit geschützt werden, die außer unserer eigenen Arbeitskraft keinerlei Mittel zum Lebensunterhalt hat. Denn ansonsten würden wir uns gegen unsere Unterdrücker*innen und Ausbeuter*innen auflehnen. Gleichzeitig schützt die Polizei ein Rechtssystem, das darauf abzielt, die vom Kapitalismus und seiner rassistischen Ausbeutung geschaffene Ungleichheit aufrechtzuerhalten und zu reproduzieren. Es wird keinen Impfstoff geben, der uns von der virulenten rassistischen Polizeiarbeit befreit. Um die Polizei abzuschaffen, müssen wir die Bedingungen für ihre Existenz – den Kapitalismus selbst – abschaffen.

Polizei raus aus unseren Krankenhäusern und Kliniken!

Die Polizei produziert mit ihrer Gewalt Patient*innen – ebenso wie der systemische Rassismus. Wir sehen diensthabende und dienstfreie Polizist*innen in unseren Notaufnahmen und Krankenhauseingängen. Die Polizei bringt Obdachlose, akut kranke und arme Menschen in Krankenhäuser, und wir werden Zeug*innen, wie sie gegen Patient*innen in ihrem verletzlichsten Zustand Zwang anwenden.

In Einrichtungen des Gesundheitswesens, in denen es an dringend benötigtem Personal, Schulungen und Sicherheitsmaßnahmen mangelt, sehen einige Beschäftigte fälschlicherweise in der Polizei oder im Sicherheitspersonal eine Lösung. Doch die Polizei eskaliert die Gewalt und verwandelt unsere Pflegeeinrichtungen in traumatisierende und verletzende Einrichtungen. Wenn ein*e Patient*in aufgewühlt ist, weiß die Polizei nur Drohungen, physische Einschränkung und Gewalt anzuwenden. Wir können nicht die Polizei rufen, um eine*n verwirrte*n Patient*in zu behandeln, eine*n frustrierte*n Patient*in zu beruhigen oder einem dementen älteren Menschen zu helfen, wenn wir wissen, dass sie Behinderte und Schwarze Kinder kaltblütig ermorden. Körperliche Gewalt und deren Androhung sind niemals das richtige Mittel zur Deeskalation, zur Gewährleistung der Sicherheit oder zur Behandlung von Patient*innen.

Der Kapitalismus schafft massenhafte Obdachlosigkeit, zwischenmenschliche Gewalt und psychische Erkrankungen. Wenn Menschen aus der Arbeiter*innenklasse und arme Menschen gewalttätiges Verhalten oder Unruhe zeigen, sind dies oft Symptome der Unterdrückung durch den Kapitalismus und die neoliberale Sparpolitik, die in den letzten Jahrzehnten den Reichtum weiter konzentriert und die soziale Ungleichheit verstärkt haben.

Wir müssen die Polizei aus den Einrichtungen entfernen, die einem sozialen Bedürfnis dienen – Krankenhäuser, psychiatrische Einrichtungen, Kliniken. Wir müssen die Vorstellung ablegen, dass die Polizei unsere Probleme lösen oder uns sicher machen kann.

Polizei raus aus unseren Gewerkschaften!

Die Internationale Union der Polizeiverbände (IUPA) mit ihren 100.000 Mitgliedern ist Teil des Gewerkschaftsverbandes AFL-CIO, ebenso wie der Nationale Grenzschutzrat, der Grenzschutzbeamt*innen vertritt, die Asylsuchende und Wanderarbeiter*innen jagen und einsperren. Die Gewerkschaften SEIU, CWA und AFSCME vertreten alle über ihre örtlichen Mitgliedsorganisationen Polizei- und Vollzugsbeamt*innen. Die größte Polizeigewerkschaft des Landes, die Fraternal Order of Police (FOP), setzt sich mit Nachdruck für die polizeiliche Immunität von über 340.000 Mitgliedern ein. Philando Castile, der 2016 in Minnesota von einem Polizeibeamten getötet wurde, war 14 Jahre lang Mitglied der lokalen Teamsters-Sektion 320. Seine Gewerkschaft vertritt auch Polizist*innen im selben Bezirk. Aber wie können Gewerkschaften für die Interessen der Arbeiter*innenklasse kämpfen und rassistische Polizeigewalt anprangern, wenn sie auch Polizist*innen vertreten?

Die Polizei handelt gegen die Arbeiter*innen und sozialen Bewegungen. Sie werden geschickt, um Streikposten zu durchbrechen, Streiks aufzulösen und Besetzungen zu zerschlagen. Eine Polizeigewerkschaft schützt ihre Mitglieder bei der Ausübung ihres Mandats als Wachhunde des Kapitals. Während die Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit und damit verbundene Forderungen kämpfen, verhandeln die Polizeigewerkschaften Verträge, um ihren Mitgliedern Immunität vor den Konsequenzen von Polizeigewalt und anderen Ungerechtigkeiten zu gewährleisten.

Für die Gewerkschaftsbürokratie erscheinen Polizeigewerkschaften als ein paar hunderttausend beitragszahlende Mitglieder. Für uns gewöhnliche Beschäftigte im Gesundheitswesen, Sozialist*innen und Revolutionär*innen ist die Polizei in unseren Gewerkschaften und Gewerkschaftsbünden eine Fäulnis, die aus unseren Reihen entfernt werden muss. Wir lehnen jeden Versuch der Gewerkschaftsbürokratie ab, die Gewerkschaftsbewegung mit einer rassistischen, mörderischen Institution in Einklang zu bringen. Wir müssen alle Polizeigewerkschaften aus unseren lokalen Gewerkschaften und Gewerkschaftsbünden rauswerfen.

Die Gewerkschaften sind Organisationen der Arbeiter*innenklasse, die historisch für unsere Interessen gekämpft haben. Auch wenn sie heute von der Gewerkschaftsbürokratie gelenkt werden, können wir darum kämpfen, die Kontrolle zu übernehmen und unsere Gewerkschaften in kämpferische, demokratische, klassenkämpferische Organismen umzuwandeln, die unsere Situation verbessern und unsere Klasseninteressen gegen die Kapitalist*innen vorantreiben.

Die Polizei ein für alle Mal auslöschen

Als medizinische und nichtmedizinische Arbeiter*innen im Gesundheitswesen ballen wir unsere Fäuste gegen unsere Feinde in Blau, die sich als Mitglieder der Arbeiter*innenklasse tarnen. Wir nehmen den Kampf gegen die rassistische Polizei auf, die Patient*innen an unseren Arbeitsplätzen terrorisiert, indem wir den Rauswurf der Polizei aus Gesundheitseinrichtungen fordern. Wir fordern, dass diese rassistischen Verteidiger*innen des Privateigentums aus Krankenhäusern und Kliniken, aber auch aus Schulen, Verkehrssystemen und anderen Institutionen und Strukturen, die wir brauchen, vertrieben werden. Wir rufen andere unverzichtbare Arbeiter*innen und Basisorganisationen der Arbeiter*innen auf, für ähnliche Veränderungen an ihren Arbeitsplätzen und in ihren Gewerkschaften zu kämpfen.

So wie die Polizist*innen gegenüber unseren Patient*innen feindselig sind, so sind sie auch Feind*innen der Arbeiter*innenklasse. Ihre Rolle bei der Durchsetzung eines mörderischen und rassistischen kapitalistischen Systems steht im Widerspruch zu unserer Rolle als Arbeiter*innen bei der Verteidigung unserer unterdrückten Angehörigen der Arbeiter*innenklasse. Während wir gegen diese Agent*innen der Kapitalist*innenklasse kämpfen, machen wir als Arbeiter*innen in unserem Kampf zur Beendigung der Unterdrückung der Schwarzen und Braunen Menschen im Kapitalismus mutige Schritte nach vorn.

Diese Erklärung Sozialistischer Gesundheitsarbeiter*innen erschien zuerst auf Englisch bei Left Voice. Dort kann die Erklärung auch direkt unterschrieben werden

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