Streikkonferenz in Frankfurt: Vernetzung der Basis oder Sebstinszenierung linker Bürokrat*innen?

05.10.2016, Lesezeit 8 Min.
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Unter dem Motto "Gemeinsam gewinnen" versammelten sich Aktivist*innen aus Arbeitskämpfen, linke Gewerkschafter*innen und solidarische Unterstützer*innen für die dritte "Erneuerung durch Streik"-Konferenz.

Zwei Jahre nach der letzten „Streikkonferenz“ in Hannover lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit gewerkschaftlichen Strukturen am vergangenen Wochenende an die Goethe-Universität Frankfurt ein. Rund 700 betriebliche und gewerkschaftliche Aktivist*innen, solidarische Unterstützer*innen, Gewerkschaftsfunktionär*innen und politische Gruppen folgten dem Ruf.

Von Freitag bis Sonntag verfolgten sie ein vollgepacktes Programm: Von Podiumsdiskussionen zum Umgang der Gewerkschaften mit der rechten Welle, über Vorträge zum Klassenkampf in Frankreich und zur Bilanz der Arbeitskämpfe des „Streikjahrs 2015“, bis hin zu fast 30 Arbeitsgruppen zu betrieblichen Kämpfen, Organizing, Solidaritätsarbeit und Positionen zu Flucht und Migration. Dazwischen Vernetzungstreffen zwischen Branchen und Regionen, und der Versuch, informell weitere Kontakte zu knüpfen.

Heroische Kämpfe: Zumtobel, Charité, Botanischer Garten, Amazon

Die Konferenz war zum Einen eine Bühne für eine ganze Reihe heroischer Kämpfe der letzten Zeit. Den Anfang machten die 150 Beschäftigten des Leuchtmittelherstellers Zumtobel im südhessischen Usingen. Seit fast einem Monat befinden sie sich im Streik, weil das in Österreich ansässige multinationale Unternehmen den Standort schließen will. Auf der Bühne prangerten die Arbeiter*innen an, dass die Aktienkurse des Unternehmens seit Ankündigung der Schließung massiv gestiegen sind. Die Kolleg*innen fordern mit ihrem Streik einen Sozialtarifvertrag – Hoffnung, die Schließung abzuwenden, haben sie nicht. Dennoch bleiben sie kämpferisch und wurden aus dem Publikum frenetisch bejubelt. Außerdem wurden auf der Konferenz 1.900 € für die Streikkasse gesammelt.

Der Kampf, auf den bei der Konferenz am häufigsten Bezug genommen wurde, war der Streik der Beschäftigten des Berliner Charité-Klinikums für eine Mindestpersonalbesetzung im Krankenhaus. Gewerkschaftsfunktionär*innen und Kolleg*innen aus dem Gesundheitsbereich betonten den Pilotcharakter des Kampfes – sowohl vom abgeschlossenen Tarifvertrag her als auch von der Beteiligung der Kolleg*innen als sogenannte „Tarifberater*innen“. Der Kampf soll nun auf Kliniken im gesamten Bundesgebiet ausgeweitet werden. Vom Podium wurde deshalb zum Abschluss der Konferenz noch einmal zur Gründung von Solidaritätsstrukturen aufgefordert, wie sie in Berlin mit dem Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ schon existieren. Auffällig war jedoch, dass vor allem Gewerkschaftsfunktionär*innen zu Wort kamen – die Tarifberater*innen selbst waren kaum sichtbar.

Vom erfolgreichen Arbeitskampf der Beschäftigten im Botanischen Garten in Berlin berichtete Ronald Tamm von der ver.di-Betriebsgruppe. Nach 45 Monaten tariflosem Zustand, mehreren Warnstreiks und dutzenden öffentlichkeitswirksamen Aktionen erkämpften sie eine hundertprozentige Angleichung an den Tarifvertrag der Länder bis 2019 – für einige Beschäftigte eine Lohnsteigerung von über 40 Prozent. Er hob vor allem die Wichtigkeit der Solidarität und Unterstützung von außen hervor.

Auch der Arbeitskampf bei Amazon war wieder ein Thema bei der Konferenz. Seit über drei Jahren kämpfen die Beschäftigten für einen Tarifvertrag. Teilerfolge wie Lohnerhöhungen, Weihnachtsgeld und Pausenregelungen sind schon erreicht, aber Verhandlungen über einen Tarifvertrag gibt es immer noch nicht, obwohl inzwischen fast alle Amazon-Standorte in Deutschland regelmäßig streiken. Die Kolleg*innen berichteten von den Schwierigkeiten im Kampf, aber auch von den Fortschritten in der internationalen Vernetzung und der Solidaritätsarbeit. Die beeindruckende Ausdauer der Kolleg*innen war immer wieder eine Inspiration – auch wenn ein Tarifvertrag noch weit entfernt scheint.

Netzwerktreffen der linken Gewerkschaftsbürokratie, Werbetreffen für die Linkspartei

Doch die Konferenz war nicht nur eine Plattform für die Ansätze kämpferischen Widerstands gegen die neoliberale und rechte Offensive. Sie war vor allem auch ein Netzwerktreffen für die linken Teile der Gewerkschaftsbürokratie, besonders von ver.di und dort besonders aus dem Gesundheitsbereich, aber auch andere Fachbereiche sowie die IG Metall, die NGG und die GEW waren prominent vertreten.

Das war bei den vorigen Streikkonferenzen tendenziell auch so, aber diesmal war besonders auffällig, dass viele Podien und Arbeitsgruppen von hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionär*innen eingeleitet wurden. Insgesamt herrschte der Eindruck vor, dass weniger betriebliche Basisaktivist*innen und mehr Hauptamt und Funktionärsstrukturen sich die Klinke in die Hand gaben. Das drückte sich auch in den Debatten aus: War bei der ersten Streikkonferenz 2013 in Stuttgart die prägende Frage noch: „Wie können wir die Gewerkschaften von unten erneuern?“, spielte nun das Problem des Aufbaus basisdemokratischer Betriebsgruppen offiziell kaum eine Rolle.

Zuweilen wirkte die Konferenz auch wie eine Werbeveranstaltung für die Linkspartei. Am Freitag- und am Samstagabend saß der Parteivorsitzende Bernd Riexinger auf dem Podium, beim Berliner Regionalvernetzungstreffen wurde von einem Moderator sogar rundheraus vorgeschlagen, die weitere Vernetzung einfach im Rahmen der Landesarbeitsgemeinschaft „Betrieb und Gewerkschaft“ der Linkspartei fortzuführen.

Nun ist es an sich zu begrüßen, dass Teile der Linkspartei in den letzteren Jahren einen stärkeren Fokus auf die Unterstützung von Arbeitskämpfen legen, was sich eben auch in der Organisierung solcher Konferenzen widerspiegelt. Doch gerade das Beispiel Riexinger auf dem Podium am Freitagabend machte die Widersprüchlichkeit dieser Situation deutlich: In einem Beitrag zur Frage, wie die Linke auf die AfD reagieren sollte, betonte er, dass sie unter keinen Umständen Positionen der Rechten übernehmen sollte – und verschwieg, dass weite Teile der Partei wie Bartsch, Wagenknecht und Co. gerade das ständig tun, und dass die Linkspartei in Regierungsverantwortung wie in Thüringen genau die Abschiebungen durchsetzt, die die Rechten fordern. Er sagte auch, dass die Linkspartei Prekarisierung bekämpfen muss – ohne zu erwähnen, dass gerade auch die Linkspartei, zum Beispiel in Berlin, für Massenprekarisierung mitverantwortlich ist. Doch ein erstes Prinzip des Klassenkampfes, den auch Riexinger immer wieder fordert, ist schonungslos die Wahrheit zu sagen. Gerade die Aktiven auf der Konferenz können sich nicht mit schönen Worten begnügen.

Diplomatischer Austausch statt Strategiedebatte

Schöne Worte waren leider zu häufig zu hören auf der Konferenz. Dabei ist absolut zu begrüßen, dass viele kämpferische Kolleg*innen sich untereinander austauschen und Kampferfahrungen miteinander teilen konnten, branchen-, regionen- und gewerkschaftsübergreifend. Solche Möglichkeiten gibt es in der deutschen Gewerkschaftslandschaft immer noch viel zu wenig. Das ist ein großes Verdienst dieser Konferenzen.

Aber nun ist schon die dritte Konferenz vorbei und wir sind der Frage noch kein Stück näher gekommen, wie die Erneuerung der Gewerkschaften, der Neuaufbau klassenkämpferischer Betriebs- und Gewerkschaftsstrukturen tatsächlich aussehen soll. Mit wenigen Ausnahmen konnten kämpferische gewerkschaftliche Basisgruppen, wie beispielsweise ver.di aktiv von der BVG, sich nicht vorstellen. Die „Strategiedebatten“ blieben auf einzelne Kämpfe beschränkt – wobei es sehr wichtig ist, eine klare Strategie für den Kampf bei Amazon oder im Krankenhaussektor zu finden –, aber die Frage, wie Gewerkschaften von unten demokratisiert werden können, spielte fast keine Rolle.

Das ist besonders tragisch angesichts der großen Niederlagen des letzten Jahres im Poststreik und im Sozial- und Erziehungsdienst, für die die Gewerkschaftsführung von ver.di eine wichtige Verantwortung trägt. Es hätte eine zentrale Debatte geben müssen, wie die mobilisierte Basis in diesen Arbeitskämpfen die Streiks in ihre eigenen Hände hätte nehmen können. Stattdessen gab es fast nur diplomatischen Austausch.

Und auch ein weiteres Thema spielte bei der Konferenz leider kaum eine Rolle: Zwar wurde darüber geredet, wie Gewerkschaften eine Antwort auf Flucht und Migration bieten können, aber geflüchtete Aktivist*innen und ihre eigenen konkreten Erfahrungen waren nicht vertreten.

Gewerkschaften erneuern – durch klassenkämpferische Basisarbeit

Es ist natürlich nicht verwunderlich, dass eine auf hauptamtliche Gewerkschafter*innen zugeschnittene Konferenz, auch wenn sie links und kämpferisch sind, die Frage nicht aufwirft, wie sich vom Apparat unabhängige, klassenkämpferische Basisstrukturen entwickeln können. Wie die Kolleg*innen von ver.di aktiv in ihrem Flugblatt für die Konferenz schreiben:

Die undemokratischen Mechanismen sichern den Spitzen des konservativen bürokratischen Systems die Kontrolle über die Gewerkschaften, ihre Mittel und Ausrichtung. Die Mitglieder können die Entscheidungen oft nur abnicken – oder wenden sich enttäuscht ab. Unser Konzept gewerkschaftlicher Arbeit ist dem komplett entgegengestellt. Wir setzen auf die offene und demokratische Beteiligung aller Kolleg*innen in allen Belangen.

Lebhafte Versammlungen, Transparenz und Diskussionen mit den Kolleg*innen können dazu beitragen, dass sie den Kurs der Gewerkschaft mitbestimmen. So kann es nicht mehr passieren, dass ein Ergebnis hinter dem Rücken der Belegschaft ausgehandelt wird, mit dem kein*e Kolleg*in einverstanden ist. Gewerkschaftsfunktionär*innen sollten nicht das Drei-, Vier- oder Fünffache einfacher Mitglieder verdienen, damit sie möglichst weit von den Belangen und Nöten der Basis entfernt sind. Darüber hinaus müssen die Gewerkschaftssekretär*innen gewählt werden können – und abwählbar sein, sollten sie sich durch ihre Politik unbeliebt machen. Denn: Gewerkschaftsapparate sind für ihre Mitglieder da, nicht umgekehrt.

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