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„Mehr war drin“ – Eine erste Bilanz des TVStud-Abschlusses

11.07.2018, Lesezeit 10 Min.
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Vergangene Woche ging der längste Streik studentischer Beschäftigter in der Geschichte Berlins zu Ende. Wir haben bereits begonnen, über Perspektiven über den Streik hinaus zu schreiben. Hier wollen wir uns noch einmal eingehender mit einer Bilanz des Tarifabschlusses beschäftigen.

Die studentischen Beschäftigten, die insgesamt 40 Tage im Streik waren, haben in der vergangenen Woche einem Einigungspapier zugestimmt. Es stimmten 66,75 Prozent für die Einigung, während 33,25 Prozent der Meinung waren, dass man das Papier ablehnen und für ein besseres Angebot weiter streiken sollte.

In einem anderen Artikel hatten wir das Einigungspapier und die einzelne Elemente bereits kommentiert und uns für ein „Nein“ bei den Abstimmungen ausgesprochen. Wir waren der Meinung, dass das vorliegende Angebot sowohl bei der Lohnhöhe, als auch bei dem Sonderkündigungsrecht Probleme beinhaltete, die durch weitere Streiks und Aktionen zu überwinden gewesen wären.

Der Abschluss – mehr war drin

Mit dem Ergebnis werden die Löhne aller studentischen Beschäftigten ab 1. Juli auf 12,30€ erhöht. Jedoch bekommen die Beschäftigten an der TU Berlin längst seit Anfang Januar 12,50€. Das bedeutet, dass bis zur nächsten Lohnerhöhung im Juli 2019 anderthalb Jahre lang unterschiedliche Löhne für die gleiche Arbeit bezahlt werden.

Außerdem werden die Löhne der TU-Beschäftigten drei Jahre lang auf demselben Niveau bleiben, bis die Lohnerhöhung in Höhe von 18 Cent im Jahr 2021 in Kraft tritt. In Anbetracht dessen, dass studentische Beschäftigten, die an der TU arbeiten, sieben Monate lang nach der einseitigen Erhöhung auf 12,50€ im Arbeitskampf waren und am Ende vier Wochen lang gestreikt hatten, ist dieses Ergebnis für viele sehr fraglich – was sich auch in den Nein-Stimmen ausdrückte.

Ein weiterer Punkt, warum ein Drittel der Beschäftigten für Nein stimmte, ist das fragliche Sonderkündigungsrecht. Laut diesem werden die Hochschulen die TV-L Ankopplung, die erst ab 2023 in Kraft treten wird, kündigen können, wenn die Finanzierung seitens des Senats nicht ausreicht. Eine Ankopplung an den Tarifvertrag der Länder war eine der Hauptforderungen der studentischen Beschäftigten, da dadurch die Lohnentwicklungen der kommenden Jahren gesichert werden können. Daher verursacht dieses Sonderkündigungsrecht bei vielen Bauchschmerzen.

Nach diesem Sonderkündigungsrecht können die Hochschulen sich von der TV-L-Ankopplung befreien, wenn die Finanzierungshöchswerte, die in dem Hochschulvertrag zwischen den Hochschulen und Senat vereinbart sind, während des Zeitraums der gesamten Laufzeit des jeweiligen TV-L-Tarifabschlusses (normalerweise zwei Jahre), unter den vereinbarten Lohnerhöhungen im TV-L (2,2%) liegen. Das bedeutet, dass die TV-L-Ankopplung gekündigt werden kann, wenn zum Beispiel zwei Jahre nacheinander 1,9% Erhöhung im Haushalt vorgesehen sind, obwohl der Durchschnitt der Höchstwerte der gesamten Laufzeit der Hochschulverträge über 2,2% liegt. Wenn man sich die Finanzierungshöchswerte in den ehemaligen Hochschulverträgen anschaut (zum Beispiel von der FU Berlin), erkennt man, dass die Höchstwerte von Jahr zu Jahr stark fluktuieren können.

Warum ein Sonderkündigungsrecht?

Im Jahr 2023 werden fast keine der studentischen Beschäftigten mehr an der Universität sein, die diesen Arbeitskampf führten und sich gewerkschaftlich organisiert haben. Wegen der befristeten Verträge ist es in diesem Bereich sehr schwierig, eine langfristige Organisierung aufrechtzuerhalten. Diese Tatsache bedeutet, dass der Druck der studentischen Beschäftigten zum Zeitpunkt der möglichen Sonderkündigung sehr gering sein wird. Die lange Laufzeit ist deshalb schon an sich ein Problem.

Ein anderer Aspekt ist, dass die Hochschulen bereits seit 2011 zusätzliches Geld für die studentischen Beschäftigten erhielten. Sie taten seitdem alles, um das Geld nicht an die Beschäftigten weiterzuleiten und ihre Haushaltslöcher mit diesem Geld zu füllen. Und in den kommenden Jahren wird es unserer Meinung nach nicht anders sein. Sie werden alles tun, um die TV-L-Ankopplung nicht zu zahlen.

Das Sonderkündigungsrecht gilt auch nicht nur für das Jahr 2023. Sondern es gilt ab 2023 ohne Begrenzung. Das bedeutet, dass auch wenn die TV-L-Ankopplung 2023 nicht gekündigt wird, haben wir dem Senat und den Hochschulen die Möglichkeit gegeben, dass direkt bei den nächsten Sparmaßnahmen unsere Lohnentwicklung angegriffen wird. Im Falle eines solchen Szenarios werden die Gewerkschaften die Möglichkeit haben, zum Streik aufzurufen, um für die Wiederherstellung der TV-L-Ankopplung zu kämpfen. Die Frage, ob die Gewerkschaftsbürokratie diesen Kampf aufnehmen wird, bleibt jedoch offen.

Ein weiteres Problem ist, dass die noch zu unterschreibenden Tarifverträge mit den Hochschulen jeweils bilateral gemacht werden. Das bedeutet, dass eine Hochschule von dem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen kann, während die anderen es nicht tun. Das erzeugt das Problem, dass der Druck an einer Hochschule wahrscheinlich nicht ausreichen wird, für eine neue Ankopplung zu kämpfen.

Die Gewerkschaften haben zwar die Möglichkeit, an anderen Hochschulen als Antwort ebenfalls vom Sonderkündigungsrecht Gebrauch zu machen, sodass alle Beschäftigten streikfähig werden. Jedoch wird die Mobilisierungskraft an den Hochschulen, wo die TV-L-Ankopplung seitens der Gewerkschaften gekündigt wird, relativ gering sein.

Eigentlich haben ja die Hochschulen immer die Möglichkeit, den gesamten Tarifvertrag zu kündigen, falls sie nicht genug Geld bekommen. Natürlich ist es ihnen bewusst, was für ein Mobilisierungspotenzial die Kündigung des Tarifvertrags für die studentischen Beschäftigten hat. Durch das Sonderkündigungsrecht werden sie nicht den gesamten Tarifvertrag kündigen müssen, sondern nur die TV-L-Formulierung, was für die Beschäftigten ein geringeres Potenzial bedeutet.

Der verschenkte Druck: Prüfungen

Die Diskussionen im Vorfeld der Abstimmung drehten sich natürlich auch um die Frage, wie es weitergeht, wenn man das Angebot ablehnt.

Viele Tutor*innen konnten ihr Gewissen wegen einer Verantwortung gegenüber den Studierenden und den Streik nicht miteinander vereinbaren. Die Hochschulen luden die ganze Verantwortung auf den Schultern der studentischen Beschäftigten ab. Diese mussten sich die Frage stellen, die Schäden des Streiks wiederum auf den Schultern der Studierenden abzuladen. Die Auswirkungen des Streiks wären in der Klausurenphase noch viel stärker spürbar geworden – und damit nicht nur der Druck auf das Gewissen der Tutor*innen, sondern auch der Druck auf die Hochschulen.

Wahrscheinlich wäre die Streikbeteiligung wegen der undemokratischen Aussetzung des Streiks ein Stück zurück gegangen (ein Ausgleich durch neue Streikende, die durch die gestiegene Ernsthaftigkeit des Kampfes mobilisiert werden, wäre allerdings durchaus im Rahmen der Möglichkeiten gewesen). Laut einer Umfrage bei einer Versammlung an der TU Berlin wären von 20 Veranstaltungen 12 wahrscheinlich vollständig oder teilweise weiter bestreikt worden. An der FU Berlin gaben bei einer Umfrage 75 Prozent der Beschäftigten an, bei einer Ablehnung der Einigung weiter zu streiken.

Weiteren Druck aufzubauen wäre also möglich gewesen. Die Kampagne hätte auch alleine die Angst der Hochschulen nutzen können, dass die Klausuren zusammenbrechen oder vielleicht sogar aktiv gestört werden, zum Beispiel durch Demonstrationen in den Gebäuden. Oft wurde gesagt: Dann wäre der politische Druck verschwunden. Doch hier müssen wir feststellen, dass der Senat, der verantwortlich dafür war, dass wir überhaupt streiken mussten, erst durch massive Streiks von uns begann, sich zu bewegen.

Und unserer Meinung nach wurde unser größtes Drohpotenzial, als unsere größte Schwäche gesehen: im Wintersemester weiterstreiken. Klar ist, dass ein Teil der Streikenden aufhören würde zu arbeiten, oder wieder inaktiv werden würde. Jedoch würden ebenso viele aus ihrer Probezeit herauskommen, oder sich neu aktivieren – besonders diejenigen, die in den Instituten arbeiten, wo die Organisierung noch nicht so hoch ist. Die Anzahl der Streikenden jedenfalls hat sich während der vier Streikwochen erhöht.

Was steckt hinter dem Abstimmungsergebnis?

Fast niemand in der Kampagne behauptet, dass das Ergebnis gut sei. Drei Viertel der studentischen Beschäftigten an der FU hätten weiter gestreikt. Dennoch stimmte nur ein Drittel in der Mitgliederbefragung gegen das Ergebnis. Wie lässt sich dieser Unterschied erklären?

Ganz eindeutig lässt sich natürlich nicht sagen, bis zu welchem Grad die 2/3-Mehrheit für den Tarifabschluss ein wirklich positives Votum für das Ergebnis war, und bis zu welchem Grad sie einen Pessismismus gegenüber einer längeren Streikperspektive ausdrückte. Klar ist jedoch, dass das Ergebnis sehr positive Seiten hat – wie die TV-L-Ankopplung und die insgesamt über 18% Lohnerhöhung über die Laufzeit des Tarifvertrags. Ohne die große Streikbereitschaft von über 1000 studentischen Beschäftigten wäre das nicht möglich gewesen. Doch die oben schon erwähnten negativen Seiten des Abschlusses sorgen dafür, dass wir sagen müssen, dass das Ergebnis sehr widersprüchlich bleibt – und mehr drin gewesen wäre.

Im Nachhinein lässt sich nur noch vermuten, wie das Ergebnis ausgegangen wäre, wenn es vor der öffentlichen Information über das Aussetzen des Streiks eine Streikversammlung aller aktiven Streikenden gegeben hätte. In der Vergangenheit konfrontierten diese Versammlungen die Tarifkommission und die Gewerkschaftssekretäre oft mit ihrer Unzufriedenheit über die mangelhafte Durchsetzung der Beschlüsse der Streikversammlungen.

Es ist also keine allzu große Überraschung, dass die Entscheidung, die Streiks auszusetzen und eine Mitgliederbefragung durchzuführen, eine erneute Streikversammlung ersetzte. Statt einer zentralen Diskussion vor der Schaffung von Tatsachen gab es einen Beschluss der TK, ein PDF-Dokument mit Argumenten (Tarif-Info) zu versenden, gefolgt von dezentralen Infoveranstaltungen.

Auch das Bild der Streikwirkung, das gezeichnet wurde, war bestenfalls widersprüchlich. Statt das Vertrauen in die Kraft der Streiks zu stärken, wurde vom „Kommunalen Arbeitgeberverband“ in der öffentlichen Pressemitteilung zum Ergebnis die Kompromissbereitschaft der Hochschulen betont. Der Senat betonte die persönliche Rolle des Staatssekretärs für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach. GEW und ver.di schlossen sich an, nannten die Rolle von Krach „ausschlaggebend“ und betonten zusätzlich immerhin die Rolle der Tarifkommission.

Wie geht es weiter?

Jetzt kommt es darauf an, die kommende Entwicklung des TVStud nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn im Jahr 2023 die TV-L-Anbindung auf dem Spiel steht, ist es wichtig, dass es in den Gewerkschaften ver.di und GEW viele organisierte studentische Beschäftigte gibt, die ihren Interessen materiellen Druck verleihen können. Die „Operation Orga-Grad“ ist noch nicht vorbei. Wir müssen auch weiterhin unsere Kolleg*innen organisieren und dürfen uns nicht auf unseren (lädierten) Lorbeeren ausruhen.

Das gilt insbesondere auch in Anbetracht der Versuche von studentischen Beschäftigten in ganz Deutschland, einen eigenen Tarifvertrag zu erkämpfen. Diese Bestrebungen müssen wir mit unseren Erfahrungen aus Berlin unterstützen. Auch in Hinblick auf die kommende bundesweite Tarifrunde des TV-L Anfang 2019. Denn perspektivisch müssen die studentischen Beschäftigten in diesen Tarifvertrag eingegliedert werden, um die Spaltung zwischen den Hochschulbeschäftigten zu beenden. Die Dynamik und die Erfahrungen des TVStud könnten dabei auch hilfreich sein, einen höheren Organisierungsgrad im Mittelbau der Hochschulen zu erreichen. Ein erster Schritt dafür wäre, die studentischen Beschäftigten in den Streiks zu Beginn des kommenden Jahres ebenfalls aufzurufen, im Rahmen eines Partizipationsstreiks.

Wie wir in einem anderen Artikel schrieben:

TVStud hat so eine ungeheure Fülle an Erfahrungen für neue und langjährige Aktivist*innen hervorgebracht. Auch wenn der Tarifkampf nun mit einem sehr widersprüchlichen Ergebnis zu Ende gegangen ist, können die Lehren aus dem Streik ein Ausgangspunkt für einen weitergehenden Kampf sein – für eine Uni im Dienst der Studierenden und Beschäftigten, nicht der Profite.

So geht ein exemplarischer Kampf mit all seinen Widersprüchen zu Ende. In unseren folgenden Artikeln werden wir die Rolle der Gewerkschaftsbürokratie, die Bedeutung der Streikdemokratie und Selbstorganisierung, die konkrete Beziehung der Gewerkschaftssekretäre mit dem Berliner Senat analysieren, und versuchen, Schlussfolgerungen über die Rolle der Sozialpartnerschaft in Deutschland und ihre Herausforderung durch die Entwicklung einer antibürokratischen Opposition in den Gewerkschaften zu kommen.

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