Lehren aus dem Hafenstreik

17.09.2022, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Klasse gegen Klasse

Der Hafenstreik ist beendet und hat wichtige fortschrittliche Elemente gezeigt. Wir wollen darüber diskutieren, wie wir das ausweiten können, damit kommende Kämpfe von den Erfahrungen der Kolleg:innen profitieren.

Am 5. September hat die Tarifkommission die Annahme des Verhandlungsergebnisses an den norddeutschen Seehäfen bekannt gegeben. Vorausgegangen war eine monatelange Auseinandersetzung, die ihren Höhepunkt mit den Streiks Mitte Juli erreicht hat. In der Folge hat sich die ver.di-Führung mit den Arbeitgeber:innen vor dem Arbeitsgericht auf einen außergerichtlichen Vergleich eingelassen: Dieser sah eine sechswöchige Friedenspflicht vor. Letztlich wurde vor Ende der Frist aber das Ergebnis ausgehandelt. Auf den Inhalt der Einigung sind wir hier bereits ausführlich eingegangen. Wir wollen uns in diesem Artikel auf eine politische Bilanz konzentrieren.

Kein Mitgliederentscheid trotz vieler kritischer Stimmen

Das wichtigste Problem ist, dass das Verhandlungsergebnis von der Tarifkommission angenommen wurde, ohne dass die Mitglieder einen Einfluss darauf nehmen konnten. Viele Kolleg:innen haben während der Auseinandersetzung immer wieder klargestellt, dass sie keine Spaltung der Beschäftigten in die oberen und unteren Lohngruppen dulden werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der Inflation forderten die Kolleg:innen ursprünglich einen deutlichen Inflationsausgleich. Herausgekommen ist nicht einmal das. Besonders die unteren Lohngruppen wurden mit gerade einmal 3,5 Prozent Lohnsteigerung im ersten Jahr abgespeist. Entsprechend gab es auch viel Unmut in der Belegschaft.

Das fortschrittlichste Beispiel ist dabei sicherlich, dass es vereinzelt Abteilungsversammlungen von Beschäftigten gab, in denen die Beschäftigten mit großer Mehrheit gegen die Annahme des Ergebnisses gestimmt haben. Hätte sich dieses Beispiel ausgedehnt, hätte ein enormer Druck auf die ver.di-Führung aufgebaut werden können. Als KGK wollen wir unsere Zeitung zur Verfügung stellen, um dazu beizutragen, dass solch wichtige Schritte wie Versammlungen, in denen abgestimmt wird, sich ausbreiten können. Ein Blick in die Social-Media-Kanäle und unter die entsprechenden Artikel von uns reicht schon, um festzustellen, dass es sehr viele kritische Stimmung in der Belegschaft gab, die sogar deutlich einen Vollstreik forderten. Auch wenn diese demokratischen Entscheidungen hier von der Gewerkschaftsführung ignoriert wurden: Die Abteilungsversammlungen sind ein Beispiel dafür, wie Kämpfe in Zukunft geführt werden müssen. Demokratisch kontrolliert von den Arbeiter:innen selbst statt in der Hand der Gewerkschaftsführungen.

Besonders angesichts der steigenden Energiepreise spitzt sich die Situation vieler Menschen in Deutschland zu. Nicht umsonst haben die Beschäftigten ihren Streik auch als Kampf gegen das “Inflationsmonster” bezeichnet.

Denn der Hafenstreik ist auch ein weiteres Beispiel für die Zuspitzung des Widerspruchs zwischen Gewerkschaftsführungen und den Mitgliedern an der Basis. Die Führungen von ver.di und dem DGB sind fest mit der SPD verbunden. Sowohl Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender, als auch Yasmin Fahimi, DGB-Vorsitzende, sind selbst Mitglieder der SPD und verdienen selbst ein Vielfaches von durchschnittlichen Facharbeiter:innen. So haben sie natürlich leicht reden im Vergleich zu vielen Kolleg:innen. Die Regierung setzt mit ihren Entlastungspaketen der letzten Monate vor allem darauf, die schlimmsten Auswirkungen der Krise in Grenzen zu halten und damit den kommenden “heißen Herbst” etwas abzukühlen. Doch nicht einmal dafür werden die Maßnahmen ausreichen. Dennoch bezeichnet Fahimi das dritte Entlastungspaket als “beeindruckendes Paket”, ohne auch nur ein Wort der Kritik. Auch Werneke lobt das Entlastungspaket, wenn auch mit einzelnen Abstrichen. So fordert er zum Beispiel eine wirksame Umsetzung einer Preisbremse für Strom und Gas sowie deutliche Entgelterhöhungen.

Das Ergebnis in den Häfen bedeutet nicht einmal für die oberen Lohngruppen einen Inflationsausgleich – von den unteren ganz zu schweigen. Der Widerspruch zwischen Führung und der Mehrheit der Mitglieder an der Basis hat sich auch im Hafen deutlich gezeigt. Jana Kamischke, Vertrauensperson und Mitglied der Tarifkommission, hat das in einem Interview mit uns auf den Punkt gebracht: “Über die letzten 20 Jahre gab es sehr sozialpartnerschaftlich in nahezu jeder Lohnrunde drei feste Verhandlungstermine, und dann stand das Ergebnis. Dass wir jetzt unsere Forderungen nicht aufgeben, das sind Ulrike Riedel und Torben Seebold – der ehemalige Leiter der Verdi-Bundesfachgruppe Maritime Wirtschaft, der jetzt für die Arbeitgeber mit am Verhandlungstisch sitzt – nicht gewohnt.”

Immerhin zehn Verhandlungsrunden hat es letztlich gebraucht, was ohne den Druck aus der Belegschaft wohl nicht möglich gewesen wäre. Zusätzlich dazu haben die Beschäftigten Mitte Juli eine Petition gegen die auferlegte Friedenspflicht und den Angriff der Polizei auf den Streik in Hamburg Mitte Juli. Knapp 3800 Menschen haben dort unterzeichnet, ein wesentlicher Teil davon sind selbst Arbeiter:innen der Häfen. Der juristische Angriff ging dabei vor allem vom Unternehmen Hamburger Hafen und Logistik (HHLA) aus, das zu 69 Prozent der Stadt Hamburg gehört – die gerade von einem rot-grünen Senat geführt wird. Hier hat also der Senat als Speerspitze für die Bundesregierung den Streik angegriffen. Die  ver.di-Verhandlungsführung hat letztlich ohne Not und ohne Rücksprache mit der Basis oder auch nur der Tarifkommission die Friedenspflicht mit ausgehandelt.

Wie weiter?

Jana Kamischke beschreibt im Interview ebenfalls, dass die kämpferische Führung des jüngsten Kampfes auch mit einem Generationswechsel innerhalb der Tarifkommission zu tun hat. Dieser Punkt ist durchaus zentral, um die bürokratischen Strukturen in unseren Gewerkschaften aufzubrechen. Dennoch reicht eine neue kämpferische Generation allein nicht aus. Denn oft werden auch junge Beschäftigte einfach in den Apparat der Gewerkschaften integriert und von den Drücken innerhalb des Apparates zermürbt.

Deswegen müssen wir für kommende Kämpfe überlegen, wie wir die fortschrittlichen Beispiele der Abteilungsversammlungen und der Petition weiter denken und ausweiten durch den Aufbau aktiver Streikkomitees der Kolleg:innen gemeinsam mit solidarischen Unterstützer:innen, in denen regelmäßig über den Kampf diskutiert werden kann. Mit solchen Komitees wäre es möglich, stärker die Gewerkschaftsführung herauszufordern, die eine Beteiligung der Mehrheit der Kolleg:innen verhindert hat. Auch die Verbindung mit anderen Kämpfen ist dabei zentral. Die Hafenarbeiter:innen haben sich mit dem Streik an der Unikliniken in NRW solidarisiert, der parallel stattfand. Die Ausweitung der Kämpfe und die Vernetzung über Sektoren hinweg können eine wichtige Grundlage sein, um eine antibürokratische Strömung in den Gewerkschaften aufzubauen, die die Führung real unter Druck setzen kann.

Gegen die Krise, aber auch gegen den Krieg

Gleichzeitig zeigt die Inflation auch deutlich, wie stark sich die wachsenden Konflikte der Großmächte wie der Ukraine-Krieg auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Arbeiter:innen und Jugendlichen weltweit auswirken. Deshalb müssen wir den Kampf gegen die Krise und für die Anpassungen der Löhne über das Inflationsniveau mit einer Bewegung gegen den Krieg verbinden. Ansätze dafür haben wir bereits gesehen: Bei der Kundgebung der Kolleg:innen in Bremen vor der letzten Verhandlungsrunde hat beispielsweise die Forderung nach einem Ende der Waffenexporte sehr viel Zuspruch bekommen. Im Hamburger Hafen gibt es darüber hinaus bereits heute Initiativen gegen den Transport von Rüstungsgütern und für eine ausschließlich zivile Nutzung des Hafens. In Italien haben Kolleg:innen verhindert, dass Rüstungsgüter in die Ukraine transportiert werden, die als humanitäre Güter getarnt waren. In Belarus haben Eisenbahner:innen die Bahnstrecke sabotiert, um den Rüstungsnachschub der russischen Armee zu verhindern. Diese Beispiele können Vorbilder für uns sein, um für den Abzug russischer Truppen aus der Ukraine zu erzwingen und Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet zu blockieren.  Darüber hinaus braucht es Solidaritätsaktionen mit allen Menschen in Russland und Belarus, die gegen den russischen Angriffskrieg protestiert haben, weiterhin protestieren und dafür inhaftiert werden.

Es braucht im kommenden heißen Herbst eine Mobilisierung der Gewerkschaften gegen Krieg und Krise und für  – über alle Sektoren hinweg für ein Notfallprogramm:

  1. Für eine Angleichung der Löhne an die Inflation.
  2. Für sofortige Preisstopps für Gas, Strom, Tanken, Nahrung und Miete
  3. Gegen die Gasumlage und für die Enteignung großer Energiekonzerne
  4. Gegen den Krieg. Weder Putin noch NATO, gegen Waffenlieferungen und Sanktionen. Keine 100 Milliarden für die Aufrüstung

Auch wenn der Tarifkampf im Hafen vorerst beendet ist, können die Kolleg:innen im Hafen eine wichtige Rolle im kommenden heißen Herbst spielen. Einerseits bei Mobilisierungen gegen Inflation und Krieg, andererseits aber auch, um ihre Lehren aus dem Kampf mit anderen Sektoren der Klasse zu teilen und offen zu diskutieren, wie wir damit eine antibürokratischen Fraktionskampf in den Gewerkschaften führen; über Selbstorganisierung, Ausweitung und Verbindung der Kämpfe statt lokaler Beschränkungen, Politisierung der Kämpfe. Die anfänglichen, sehr fortschrittlichen Beispiele der Abteilungsversammlungen können hier eine gute Rolle spielen, die Gewerkschaftsbewegung muss von ihnen lernen. Die Konferenz der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) am 8. und 9. Oktober, an dem auch Kolleg:innen vom Hafen teilnehmen werden, soll dafür ein erster wichtiger Schritt sein, um einen Schlachtplan für die nächsten Monate und die kommenden Kämpfe aufzustellen.

 

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