Tarifstreit am Hafen: Keine Einigung ohne Urabstimmung!

24.08.2022, Lesezeit 5 Min.
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Hafenbeschäftigte auf der Kundgebung zur zehnten Verhandlungsrunde am vergangenen Montag in Bremen. Bild: Maxi Schulz (KGK)

Im Tarifstreit an den Seehäfen hat ver.di nun ein Verhandlungsergebnis mit dem Arbeitgeberverband erzielt – mit scheinbar kräftigen Lohnsteigerungen. Doch viele Beschäftigte sind unzufrieden. Es muss jetzt ihre eigene Entscheidung sein: Ergebnis annehmen oder weiterkämpfen.

Wie am Dienstagabend bekannt wurde, haben sich ver.di und der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) in der zehnten Verhandlungsrunde der laufenden Tarifauseinandersetzung auf ein Verhandlungsergebnis geeinigt. Ver.di spricht in einer ersten Pressemitteilung von einem Ergebnis, „das deutliche Entgelterhöhungen vorsieht und die Preissteigerungsrate ausgleicht.“ Auch die Verhandlungsführer:in des ZDS, Ulrike Riedel, begrüßte das Ergebnis. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung auf Arbeitgeberseite sei es „auch mit Hilfe neuer Instrumente“ gelungen, einen Kompromiss zu finden. 12.000 Beschäftigte sind vom Tarifvertrag betroffen.

So positiv, wie ver.di und der ZDS es bewerten, sieht das Ergebnis jedoch höchstens für einen kleinen Teil der Belegschaften aus. Während die Löhne in den Vollcontainerbetrieben rückwirkend zum 1. Juli diesen Jahres um 9,4 Prozent steigen sollen, sind es in den konventionellen und Stückgutbetrieben schon nur noch 7,9 Prozent. In beiden Fällen sind Sonderzahlungen bereits eingerechnet.

Über die Beschäftigten in den Betrieben der Kategorie C, also jenen, für die ein Beschäftigungssicherungstarifvertrag gilt, schwieg die erste Ankündigung von ver.di komplett. Inzwischen ist bekannt, dass sie im ersten Jahr lediglich 3,5 Prozent mehr Entgelt bekommen sollen. Im zweiten Jahr sollen es sogar nur 2,5 Prozent sein.

Das Verhandlungsergebnis vergrößert das bereits bestehende Lohngefälle und damit droht auch die weitere Spaltung der Kolleg:innen der verschiedenen Betriebe. Sie hatten jedoch immer wieder betont, wie wichtig es ihnen sei, dass während des Arbeitskampfes eine Einheit der Beschäftigten entstanden ist. Die Lohnerhöhungen für die unteren Lohngruppen und die C-Betriebe waren eine zentrale Forderung vieler Beschäftigter gewesen. Gerade diese jedoch hat die Verhandlungsführung nun links liegen gelassen.

In einem Flugblatt, das Klasse Gegen Klasse vorliegt, rechtfertigt die Bundestarifkommission diesen Schritt mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der C-Betriebe. Hier müsse die Tarifpolitik von ver.di außerhalb des Lohntarifvertrags Antworten finden. Dabei wären echte Verbesserungen auch für die C-Betriebe mit der geschlossenen Kampfkraft aller Beschäftigter möglich gewesen.

Wurde mit dem Verhandlungsergebnis also ein Inflationsausgleich für alle Beschäftigten erreicht? Davon kann kaum die Rede sein. Selbst die relativ größte Lohnerhöhung für die Beschäftigten der Vollcontainerbetriebe wird 2023 die Inflation kaum noch decken können, so rechnet sogar die Bundesbank für kommendes Jahr mit einer Preissteigerungsrate von rund zehn Prozent.

Denn zum 1. Juni 2023 sollen die Entgelte nur noch um 4,4 Prozent steigen. Sollte die Inflationsrate darüber liegen, greift eine Klausel, die diese Steigerung auf bis zu 5,5 Prozent erhöht. Doch auch das wird aller Wahrscheinlichkeit nach ein Reallohnverlust bleiben. Positiv zu vermerken bleibt, dass es im Fall einer noch höheren Inflation ein Sonderkündigungsrecht gibt.

Mit einer Laufzeit von insgesamt 24 Monaten sichert ver.di den Arbeitgebern eine lange Phase der Ruhe zu. Eben diese lange Laufzeit war eine der zentralen Forderungen des ZDS gewesen. Die wenigstens zum Teil nominell hohen Lohnsteigerungen sollen die Kolleg:innen darüber hinwegtrösten, dass sie auf diese Weise für absehbare Zeit kaum effektiv für Verbesserungen kämpfen können. Angesichts der Kampfkraft, die die Kolleg:innen in den Streiks und Demonstrationen bewiesen haben, kann das nur ein schwacher Trost sein.

Da ist noch was drin!

Der Verhandlungsabschluss kam in einer Situation, in der der Kraft von ver.di am Verhandlungstisch besonders enge Grenzen gesetzt waren. Denn aufgrund eines Vergleichs mit den Arbeitgebern über eine temporäre „Friedenspflicht“ hatte die ver.di-Bürokratie den Kolleg:innen die Hände gebunden und auf weitere Warnstreiks verzichtet. Der Plan der „Sozialpartner“ scheint also vorerst aufzugehen: Die Kämpfe der Kolleg:innen ausbremsen und dann in aller Ruhe zu einem Ergebnis kommen, mit dem ver.di-Führung und ZDS ihr Gesicht wahren können.

Dabei hatten die letzten 48-stündigen Warnstreiks im Juli eindrucksvoll die Macht der Kolleg:innen unter Beweis gestellt. Erst am Montag hatten die Kolleg:innen auf einer Kundgebung in Bremen mit zahlreichen Unterstützer:innen ihren Forderungen zur zehnten Verhandlungsrunde Nachdruck verliehen. Rund 200 Hafenarbeiter:innen waren trotz der Friedenspflicht gemeinsam mit linken und gewerkschaftlichen Gruppen auf die Straße gegangen. An der mangelnden Kampfbereitschaft der Kolleg:innen liegt es also nicht, dass die Tarifkommission nun für ein Ende des Kampfes plädiert. Der durchschlagende Erfolg der Warnstreiks zeigt, wie viel Druck ein Vollstreik aufbauen kann, um die Forderungen tatsächlich durchzukämpfen.

Über das Tarifergebnis hat ver.di einen „Diskussionsprozess“ mit den Mitgliedern in den Betrieben angekündigt. Wie dieser genau aussehen wird, ist noch nicht bekannt. Schon am 5. September soll die Bundestarifkommission final über das Ergebnis entscheiden. Klar ist jedoch: Geht es nach dem Willen der ver.di-Führung, wird die Meinung der Kolleg:innen bestenfalls angehört, die Entscheidung bleibt allein bei der Tarifkommission.

Soll das Verhandlungsergebnis angenommen werden oder ist jetzt der Zeitpunkt für einen harten, unbefristeten Streik gekommen? Die Bundestarifkommission hat sich bereits entschieden und empfohlen, das Ergebnis anzunehmen. Darüber entscheiden sollten aber nur die Kolleg:innen selbst. Deshalb braucht es eine wirklich umfassende Diskussion unter den Kolleg:innen und zuletzt eine Urabstimmung darüber, wie es weitergehen soll. Einen Abschluss unterhalb der Inflationsrate darf es für keine der Lohngruppen geben! Ein Vollstreik könnte die Forderungen vollständig erkämpfen.

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