Kanzler der Konzerne: Merz macht Kampfansage im Bundestag

14.05.2025, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Juergen Nowak / Shutterstock.com

Militärisches Großmachtstreben, Zurückweisung an den Grenzen, Steuergeschenke für Konzerne, Abschaffung des 8-Stunden-Tags: Merz' erste Regierungserklärung war eine Kampfansage an die Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten.

Seine erste Regierungserklärung begann der neue Bundeskanzler Friedrich Merz mit dem Motto „Verantwortung für Deutschland“ aus dem schwarz-roten Koalitionsvertrag. Die neue Bundesregierung stelle sich in den Dienst aller 84 Millionen Deutschen. Der abgelesene Vortrag machte erneut deutlich: Die Merz-Regierung wird sich in den Dienst einer kleinen Minderheit in diesem Land, in den Dienst der Kapitalist:innen stellen. Der Rest wird den Gürtel enger schnallen müssen, sollte sich die Regierung durchsetzen können.

Aber auch auf der eigenen Seite scheint Merz mit seiner Ansprache nur wenig Enthusiasmus hervorgerufen zu haben. Dafür war sein etwa einstündiger Auftritt zu dröge, vielleicht zu selbstherrlich: Zu großen Teilen ging es darum, mit wem Merz in den ersten Tagen seiner Amtszeit schon alles gesprochen hat. Viele seiner Ankündigungen blieben gleichwohl vage. 

Außenpolitik ist Chefsache

Als „wegweisend und historisch“ lobte der neue Kanzler die Reaktion der Ampelregierung unter Olaf Scholz auf den russischen Angriff auf die Ukraine. Bei der Notwendigkeit der massenhaften Aufrüstung ist man sich schließlich einig. Auf dem Krieg in der Ukraine und allgemeiner auf der Außen- und Sicherheitspolitik lag schließlich auch der erste Schwerpunkt seiner Rede. Schon im Vorfeld war klar, dass Merz die Außenpolitik zur Chefsache machen will. Nicht umsonst stellte er sich seinen Parteifreund und engen Verbündeten Johann Wadephul als Außenminister an die Seite. Wadephul hatte zuletzt eine Abkehr von der vermeintlich wertegeleiteten Außenpolitik seiner Vorgängerin Annalena Baerbock verkündet. Merz hingegen relativierte dies in seiner Regierungserklärung. Man wolle sich „vor allem von unseren Interessen und unseren gemeinsamen europäischen Werten“ leiten lassen. Die Hierarchie jedoch war klar.

Merz‘ zentrale außenpolitische Herausforderung könnte sich bald als Quadratur des Kreises herausstellen: In Europa eigenständig werden und gleichzeitig gegenüber einer USA unter Donald Trump vermitteln, die Europa eigentlich nicht mehr haben will. So klopfte sich Merz erst für seine Verhandlungsinitiative mit Emmanuel Macron, Donald Tusk und Keir Starmer bei Wolodymyr Selenskyj in der Ukraine auf die Schulter. Dann wiederum verwies er stolz auf zwei Telefonate, die er mit dem US-Präsidenten bereits gehabt habe und zeigte sich dankbar für die Unterstützung der USA für die Initiative einer 30-tägigen Waffenruhe. Einen „Diktatfrieden“ dürfe es für die Ukraine nicht geben. Der politische Westen dürfe sich nicht spalten lassen. Das dürfte angesichts der Verwerfungen in der Weltlage Wunschdenken bleiben.

Auch als Merz auf China zu sprechen kam, wurde die Zwickmühle deutlich, in der er festsitzt: In der Wirtschaft bleibe China für Deutschland ein wichtiger Partner. Im außenpolitischen Handeln sehe man hingegen Elemente systemischer Rivalität. Mit Sorge betrachte man die gewachsene Nähe von Peking und Moskau. Politischer Rivale und wirtschaftlicher Partner: Auch hier scheint bei der Regierung Merz Wunschdenken zu herrschen.

Wenig überraschend kündigte Merz weitere Aufrüstung an – unter dem Euphemismus der „Verteidigungsbereitschaft“. Das ambitionierte Ziel: Die Bundeswehr solle zur „konventionell stärksten Armee Europas“ werden. Das zugrundeliegende Prinzip nannte er in der Rhetorik des Kalten Kriegs „Abschreckung“. Schwäche hingegen lade zur Aggression ein. 

Dafür braucht es natürlich nicht nur mehr Waffen, sondern auch mehr junge Menschen, die sie in die Hand nehmen wollen. Denn trotz aller Aufrüstungspropaganda ist die Bereitschaft zum Eintritt in die Bundeswehr in der Jugend immer noch verhältnismäßig gering. Die Antwort der Regierung auf dieses zentrale Problem: Man wolle einen attraktiven freiwilligen Wehrdienst schaffen. Gleichzeitig versuchte Merz auch eine symbolische Aufwertung der Bundeswehr und dankte in mit Pathos getränkten Worten den deutschen Soldat:innen für ihren Dienst. Er erntete Applaus von der AfD bis zu den Grünen. 

Nicht fehlen durfte zudem das Bekenntnis zur Sicherheit Israels, nachdem Merz in der Vergangenheit angekündigt hatte, internationales Recht ignorieren zu wollen, um Benjamin Netanjahu in Deutschland empfangen zu können. Der wird schließlich für die unbeschreiblichen Gräueltaten in Gaza per internationalem Haftbefehl gesucht. Während Emmanuel Macron zuletzt Israels Vorgehen „eine Schande“ genannt hat, begnügte sich Merz mit der indirektesten Form der Kritik. Man hoffe, dass die Verhandlungen über einen Waffenstillstand gelingen, und sehe das Leid der Bevölkerung in Gaza. Die ganze Welt sieht dieses Leid – und ebenso die auch unter Merz ungebrochene deutsche Unterstützung für den Genozid.

Wirtschaftswende bedeutet Steuergeschenke für Konzerne

Die zweite große Baustelle für die neue Regierung ist die wirtschaftliche Krise, in der sich Deutschland befindet. Noch immer herrscht schließlich Rezession. Merz betonte fast trotzig, das wirtschaftliche Fundament sei immer noch stark. Doch Regulierungen und Bürokratie hemmten das Potenzial. Zu einer „Wachstumslokomotive“ wolle man wieder werden, auf die die Welt mit Bewunderung schaue. Alles schneller, digitaler, dynamischer, weg mit Regularien, Vorschriften, Bürokratie – man konnte den Eindruck gewinnen, es spreche Christian Lindner. Helfen soll dabei auch ein Staatsmodernisierungsministerium – das klingt ein bisschen weniger griffig als Elon Musks DOGE in den USA.

Um wieder zu Wirtschaftswachstum zurückzufinden, plant die neue Regierung zudem massive Steuererleichterungen für Unternehmen. Private Investitionen sollen dafür steuerlich absetzbar werden. So sollen dann auch besonders die Arbeitsplätze in der produzierenden Industrie erhalten und der wirtschaftliche Strukturwandel ermöglicht werden.

Kurz schien sich Merz dann verpflichtet zu fühlen, ein paar der Themen anzusprechen, die seine sozialdemokratischen Koalitionspartner hören müssen, um ihren Deal mit dem Blackrock-Kanzler verkaufen zu können. So lobte Merz pflichtbewusst die Sozialpartnerschaft und bekannte sich zu dem Ziel einer hohen Tarifbindung. Einen Mindestlohn von 15 Euro nannte er „wünschbar“, doch gesetzlich festschreiben werde man ihn nicht. Man halte stattdessen an der Mindestlohnkommission fest. 


Merz bekannte sich entsprechend auch noch einmal dazu, das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent festzuschreiben. Man werde darüber hinaus eine Rentenreformkommission einberufen. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Angriff auf die Renten noch aussteht. Nicht umsonst kamen aus den Reihen der Union in der Vergangenheit immer wieder Forderungen nach der Erhöhung des Rentenalters. Eine solche Ankündigung gleich zu Beginn der Amtszeit zu machen, wäre unklug gewesen. Merz wird die Bilder der Proteste gegen die Rentenreform in Frankreich sicherlich noch vor Augen haben. 

Einen anderen Angriff nannte Merz wie im Vorbeigehen: Seine Regierung will die tägliche durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzen. Das bedeutet nichts anderes als die Abschaffung des 8-Stunden-Tags, einer der zentralen Errungenschaften der Arbeiter:innenbewegung. Dieser Angriff muss für die Gewerkschaften Grund genug sein, sich von den schönen Worten der Regierung nicht einlullen zu lassen und gegen Merz und seine Regierung der Bosse Sturm zu laufen.

Einwanderungsland bleiben und Grenzen schließen

Bevor Merz ans Rednerpult getreten war, hatte Julia Klöckner als Bundestagspräsidentin ihre Trauer über den Tod der Holocaust-Überlebeden Margot Friedländer ausgedrückt. Wenig später kündigte Merz in seiner Ansprache erneut die Zurückweisung von Flüchtenden an der deutschen Grenze an. Damit will er mit seiner Regierung eine zentrale Forderung der AfD umsetzen und das Asylrecht gänzlich aushöhlen – jenes Recht, das auch als Schlussfolgerung auf den Holocaust geschaffen wurde. Wie Hohn musste da die Behauptung klingen, Deutschland sei ein Einwanderungsland und bleibe es auch. Die Rhetorik hat der Kanzler etwas gemildert, doch ist es immer noch derselbe Merz, der einst gegen „kleine Paschas“ gehetzt hat.

Vor ihm waren auch Vizekanzler Lars Klingbeil und Kanzleramtschef Thorsten Frei in der Regierungsbefragung immer wieder auf das Thema der Zurückweisung an den Grenzen angesprochen worden. Beharrlich wichen sie aus und behaupten, man wolle sich an europäisches Recht halten. Dabei bräche die Zurückweisung an den Grenzen dieses Recht. 

Welche Bedeutung Merz dem Kampf gegen Migrant:innen bemisst – immerhin ein zentrales Wahlkampfthema –, lässt sich auch daran bemessen, dass es der letzte inhaltliche Punkt seiner Ansprache war. Danach ging sie in Floskeln aus „Zukunft“, „Verantwortung“ und „Aufbruch“ zu Ende.

Es braucht eine Kraftanstrengung – gegen diese Regierung der Bosse!

Über weite Strecken der Ansprache konnte man den Eindruck gewinnen, ein großer Teil des Plenums sei weggedöst. Nicht einmal aus der AfD kamen die ansonsten üblichen Pöbeleien und Zwischenrufe. 

Diese Zurückhaltung aus den Reihen der Oppositionsparteien links der Koalition passt zu ihrem Verhalten vorige Woche. Grüne und Linkspartei halfen schließlich Friedrich Merz ins ersehnte Kanzleramt, nachdem dieser im ersten Wahlkampf kläglich gescheitert war. Bei der Spitze der Partei Die Linke liegt diesem Verhalten der Glaube zu Grunde, man könne die Regierung nach links ziehen, indem man sich ihr als verlässlicher Beschaffer von Zwei-Drittel-Mehrheiten andient. Merz den zweiten Wahlgang nicht noch am selben Tag zu ermöglichen, stärke nur die AfD – ein fataler Irrglaube. Denn letztlich kann diese Logik nur dazu führen, dass die AfD sich als einzige echte Opposition gerieren kann, während man sich selbst beständig weiter nach rechts anpasst. 

„Was wir brauchen, ist nicht mehr und nicht weniger als eine gemeinsame Kraftanstrengung.“ Wie auf dem Wirtschaftstag der CDU verwendete Merz auch in seiner Regierungserklärung diese Vokabel, um der arbeitenden Mehrheit im Land zu signalisieren, dass sie mehr und härter arbeiten solle. Diese Kraftanstrengung braucht es tatsächlich – um gegen die schon bekannten Angriffe dieser Regierung auf die Lebensbedingungen der großen Mehrheit und gegen das immer militärischere Großmachtstreben Deutschlands zu kämpfen. Mit parlamentarischer Taktiererei wird das nicht zu machen sein.

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