Ist Russland imperialistisch?

11.03.2022, Lesezeit 20 Min.
Gastbeitrag
Übersetzung: ,

In den linken Positionen zum Krieg in der Urkaine wird oft von einem imperialistischen Angriffskrieg gesprochen. Doch stimmt das? Ist Russland und sein Angriffskrieg imperialistisch? Für diese theoretische Betrachtung ziehen wir einen Artikel von Stansfield Smith aus der Monthly Review heran.

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(Anmerkung des Übersetzers: Der Krieg in der Ukraine wird derzeit von Vielen als ein Ausdruck des “russischen Imperialismus” gesehen. Eine korrekte Definition der geopolitischen Machtverhältnisse ist in diesen turbulenten Zeiten für alle Linken von äußerster Bedeutung. Zu dieser Debatte wollen wir im Folgenden eine Übersetzung des Artikels von Stansfield Smith liefern, welcher am 2. Januar 2019 im Monthly Review Online erschien. Angesichts des reaktionären russischen Invasion in der Ukraine sind die Analysen in diesem Artikel betreffs der Ukraine und der geopolitischen Rolle Russlands veraltet, da der russische Angriffskrieg einen qualitativen Sprung in der militärischen Rolle Russlands bedeutet. Dennoch bleibt die Grundargumentation über die Frage eines russischen Imperialismus für unsere Leser:innen definitiv von Interesse. Auch die politischen Schlussfolgerungen von Smith teilen wir von Klasse Gegen Klasse nicht; insbesondere lehnen wir die Charakterisierung von China und Russland als „Widerstandsmächte“ gegen den Imperialismus klar ab.)

Es wird oft behauptet, “Russland sei eine imperialistische Weltmacht, die sich im Konflikt mit der imperialistischen Supermacht USA befindet”. Russland wurde sowohl während der Zeit der Sowjetunion, als auch nach deren Zusammenbruch und der Bildung separater Staaten auf diese Weise charakterisiert. Russland wurde somit sowohl als imperialistisch bezeichnet, während es ein sozialistischer Staat war, als auch jetzt als kapitalistischer Staat.

Andererseits wird Russland auch als nicht-imperialer kapitalistischer Staat bezeichnet, der immer noch darum kämpft, sich von der Krise des Zusammenbruchs der Sowjetunion und der politischen und wirtschaftlichen Katastrophe der Jelzin-Jahre zu erholen, als er degenerierte und zu einem fast neokolonialen Land wurde, das dazu diente von den USA ausgeplündert zu werden.1

Lenin erkannte, dass der moderne Kapitalismus „sich allenthalben in Monopolkapitalismus verwandelt“.2  Der Kapitalismus ist „zu einem Weltsystem kolonialer Unterdrückung und finanzieller Erdrosselung der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung der Erde durch eine Handvoll „fortgeschrittener“ Länder geworden“.3 Diese Beherrschung der Welt durch einige wenige imperialistische Mächte ist nicht nur das größte Hindernis für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt der weniger entwickelten Länder, sondern auch für die Lösung der drängenden Probleme, die die Menschheit als Ganzes und jetzt auch den Planeten selbst bedrücken.

Lenin definierte den modernen kapitalistischen Imperialismus folgendermaßen:

„Deshalb muß man – ohne zu vergessen, daß alle Definitionen überhaupt nur bedingte und relative Bedeutung haben, da eine Definition niemals die allseitigen Zusammenhänge einer Erscheinung in ihrer vollen Entfaltung umfassen kann – eine solche Definition des Imperialismus geben, die folgende fünf seiner grundlegenden Merkmale enthalten würde:

1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, daß sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen; 2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses „Finanzkapitals“; 3. der Kapitalexport, zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung; 4. es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen, und 5. die territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte ist beendet. Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist.“4

Im Folgenden werden wir untersuchen, wie diese Merkmale auf das kapitalistische Russland heute zutreffen, indem wir die Rolle der russischen kapitalistischen Monopole im imperialistischen Weltsystem, die Art des russischen Außenhandels, den Export des russischen Kapitals, die weltweite Rolle des russischen Finanzkapitals und schließlich die russische Militärmacht betrachten.5

1. Russlands Stärke unter den internationalen kapitalistischen Monopolen

Russlands Rolle bei der Herausbildung “internationaler und monopolistischer Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen“, lässt sich an der Position des Landes unter den 2000 wichtigsten internationalen Konzernen messen.

Forbes hat die 2000 wichtigsten Unternehmen der Welt nach Gesamtumsatz, Gewinn, Vermögen und Marktwert aufgelistet. Von den Zehn größten Unternehmen sind fünf chinesisch und fünf US-amerikanisch. In China sind 291 Global-2000-Unternehmen ansässig (2003 waren es nur 43), die USA liegen mit 560 an der Spitze. Kanada weist 50, Australien 39 und Indien 58 auf.

Russland hat nur vier Unternehmen in den Top 100, die auf den Plätzen 43., 47., 73. und 98. liegen. Unter den Top 500 befinden sich nur sechs und unter den Top 2000 sind es 25. Der Gesamtanteil der Unternehmen ist leicht rückläufig und nicht steigend. Im Zeitraum von 2008 bis 2013 schafften zwischen 29 und 30 russische Unternehmen den Sprung auf die Global-2000-Liste.

Die 2000 Unternehmen auf dieser Liste erwirtschaften einen Umsatz von 39,1 Billionen Dollar, einen Gewinn von 3,2 Billionen Dollar, Vermögenswerte von 189 Billionen Dollar und einen Marktwert von 56,8 Billionen Dollar. Der Umsatz der 25 russischen Unternehmen beläuft sich auf 568 Mrd. USD, was lediglich 1,45 Prozent des Gesamtumsatzes entspricht. Ihr kollektives Vermögen beläuft sich auf 1.757,3 Mrd. USD, was weniger als ein Prozent des Gesamtvermögens ausmacht. Unter den internationalen Monopolen ist Russland also ein sehr unbedeutender Akteur.

Russlands Arbeitsproduktivität im Vergleich zur Europäischen Union und den USA

Die Aussicht auf eine signifikante Veränderung dieser Zahlen, wird durch das Problem der niedrigen Arbeitsproduktivität in Russland zunichte gemacht. Die Arbeitsproduktivität, hier gemessen am – in US-Dollar bewerteten – Bruttoinlandsprodukt geteilt durch die Gesamtzahl der von den Arbeitskräften des Landes geleisteten Arbeitsstunden, lag in Russland 2016 bei 25,4. Das ist der niedrigste Wert unter allen europäischen Ländern, so niedrig, dass er weniger als die Hälfte des Durchschnittswerts der Europäischen Union von 53,4 beträgt.

Die Arbeitsproduktivität in Russland liegt bei 36 Prozent des US-Niveaus von 69,9; Deutschland liegt bei 68,1. Russland verharrt auf dem Produktivitätsniveau eines wirtschaftlich rückständigen Landes und ist weit davon entfernt mit dem der fortgeschrittenen kapitalistischen Zentren konkurrieren zu können.

Im Global Competitiveness Report des Weltwirtschaftsforums, der auf einer Kombination von zwölf Faktoren beruht, liegt Russland auf Platz 38, höher als mehrere osteuropäische Länder. Die Rangliste des Berichts hat Russlands Position von Platz 67 im Jahr 2012-13 auf Platz 38 im Jahr 2017-18 verbessert.6

Russische Fertigungsproduktion

Die Rolle welche Russland im Weltwirtschaftssystem spielt, wird erneut deutlich, wenn man die Produktion des verarbeitenden Gewerbes nach Ländern auf Dollarbasis vergleicht. Im Jahr 2015 lag China mit einem Wert von 2.010 Mrd. US-Dollar an erster Stelle, was 20 Prozent der Weltproduktion entspricht, und die USA mit 1.867 Mrd. US-Dollar, 18 Prozent, an zweiter Stelle. Russland rangierte auf Platz 15, hinter Indien, Taiwan, Mexiko und Brasilien, und produzierte 139 Mrd. USD an Industriegütern, wobei es mit einem Anteil von nur ein Prozent an der Weltproduktion ebenfalls nur eine untergeordnete Rolle spielte.

2. Russische Exporte von Rohstoffen und Hochtechnologiegütern

In ihrem Exporthandel zeigen imperialistische Länder typischerweise eine deutliche Tendenz zum Verkauf von anspruchsvollen, hochwertigen Fertigwaren, von wissensintensiven technischen Dienstleistungen und auch von Finanzdienstleistungen. Die vom Imperialismus unterdrückten Länder beschränken sich in der Regel auf den Export von Rohstoffen zu Preisen, die vom imperialistischen Markt bestimmt werden und auf die Produktion von Fertigwaren durch imperialistische Konzerntöchter in ihren Ländern.

Im Jahr 2017 rangierte Russland unter den Top-Exportländern der Welt auf Platz 17, nach Mexiko, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Singapur. China lag mit Exporten im Wert von 2.263 Milliarden Dollar an erster Stelle, die USA mit 1.547 Dollar an zweiter und Deutschland mit 1.448 Dollar an dritter Stelle. Auch wenn Russland gegenüber 2016 deutlich zulegte, exportierte es Waren im Wert von nur 353 Milliarden Dollar. Die Weltbank berichtete 2017 über Russland, dass 58 Prozent der Exporte auf Öl und Gas entfallen, weitere elf Prozent auf Metalle, sechs Prozent auf Lebensmittelrohstoffe, drei Prozent auf Holz, Zellstoff und Papier, vier Prozent auf Edelsteine und Metalle sowie andere Mineralien. Mehr als 82 Prozent der russischen Exporte sind Rohstoffe, während der Anteil der technologischen Fertigwaren (einschließlich militärischer Güter) nur acht Prozent der Exporte ausmacht.7

Russlands Top 10 der exportierten und importierten Artikel im Jahr 2017 zeigen, dass Maschinengüter 12,8 Milliarden Dollar an Exporten gegenüber 106,2 Milliarden Dollar an Importen ausmachten.

Die russischen Exporte (und Importe) passen nicht in das Muster eines imperialistischen Staates, sondern eher in das eines “halbentwickelten Dritte-Welt-Staates”, der hauptsächlich Rohstoffe exportiert und auf ausländische Importe fortschrittlicher Güter angewiesen ist.

Russlands Rangliste bei der Ausfuhr von Hochtechnologiegütern 8

Die imperialen Mächte sind führend bei der Ausfuhr von Hochtechnologiegütern. In der Weltrangliste der Exporte dieser Güter lag China mit 496 Milliarden Dollar erneut an erster Stelle, während die USA (nach Deutschland) mit 153,2 Milliarden Dollar an dritter Stelle lagen. Mexiko exportierte 46,8 Milliarden Dollar. Russland rangiert bei den Ausfuhren von Hochtechnologiegütern auf Platz 31, mit Ausfuhren im Wert von lediglich 6,64 Milliarden Dollar. Diese Zahlen zeigen auch, dass Russland weit davon entfernt ist, ein imperialer Akteur auf der Weltbühne zu werden.

3. Die Rolle Russlands im internationalen Bank- und Finanzkapital

In Lenins Liste, der Merkmale der imperialistischen Länder seiner Zeit, sind die Großbanken die wichtigsten Organisationen des Finanzkapitals. Von einem imperialistischen Staat würde man erwarten, dass er unter den führenden Banken gut vertreten ist. Von den 100 größten Banken der Welt, die nach ihrer Bilanzsumme geordnet sind, befinden sich fünf der zehn größten Banken in China. Die USA stellen sechs der 40 größten Banken. Von den 100 größten Banken sind 20 chinesisch, 10 US-amerikanisch, 9 japanisch, 6 französisch, 6 deutsch, 6 britisch, 5 kanadisch, 5 südkoreanisch, 5 brasilianisch, 4 australisch, 3 schwedisch, 3 italienisch, 3 spanisch, 3 niederländisch, 2 Banken aus Singapur und 2 aus der Schweiz. Russland hat eine Bank, die auf Platz 66 rangiert.

Lenin erklärte, dass in der imperialistischen Epoche „die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts“ abgeschlossen ist. Wie die Welt in der imperialistischen Epoche unter diesen Trusts aufgeteilt ist, ändert sich mit dem Aufstieg und Fall der imperialistischen Staaten. In der gegenwärtigen Aufteilung der Welt unter diesen Konzernen ist Russland ein recht unbedeutender Akteur: 4 Konzerne unter den Top 100, 25 unter den Top 2000, die 1,45 Prozent des Weltmarktanteils halten, kein Konzern unter den Top 100 im Bezug auf das Auslandsvermögen und eine Bank unter den Top 100 der internationalen Banken.

Russischer Kapitalexport

Lenin stellte fest: “der Kapitalexport, zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt eine besonders wichtige Bedeutung“. Russland exportiert zwar in erheblichem Umfang Kapital, doch geschieht dies in Form von Kapitalflucht in Steueroasen, wie Zypern und die Britischen Jungferninseln. Die russische Zentralbank bezifferte die Nettokapitalflucht des Landes im Jahr 2014 auf 154,1 Milliarden Dollar und die Gesamtsumme seit Putins Amtsantritt 1999 bis 2014 auf etwa 550 Milliarden Dollar. Die tatsächliche Gesamtsumme bis 2014 könnte mehr als 1 Billion Dollar betragen. Die Zentralbank beziffert die russische Kapitalflucht im Jahr 2018 auf 66 Milliarden Dollar.

Auslandsvermögen russischer multinationaler Unternehmen

In einer Studie werden die 100 größten multinationalen Unternehmen, die nicht dem Finanzsektor angehören nach ihrem Auslandsvermögen, d. h. ihren Investitionen in anderen Ländern geordnet. Bei dieser wichtigen Kennzahl für den Export von Finanzkapital sind 20 der Unternehmen aus den USA, 14 aus Großbritannien, 12 aus Frankreich, 11 aus Deutschland, 11 aus Japan, 5 aus der Schweiz und 5 aus China (einschließlich Hongkong). Kein einziges russisches Unternehmen findet sich auf der Liste der 100 Unternehmen, die nach ihren Investitionen im Ausland aufgeführt sind.

Die zehn größten multinationalen Unternehmen aus Russland, die nicht im Finanzsektor tätig sind, verfügen über ein Auslandsvermögen in Höhe von 188,3 Milliarden Dollar, was einem Drittel des russischen Gesamtvermögens entspricht. Das gesamte Auslandsvermögen russischer Unternehmen ist immer noch geringer, als das der ersten beiden auf der Liste der 100 größten multinationalen Unternehmen der Welt, die nicht als Finanzkapital handeln.9

Holdings des russischen Finanzkapitals im Vergleich zu imperialistischen Staaten

Ein weiteres Maß für den Finanzkapitalbesitz der Länder der Welt, wird jährlich von der Credit Suisse erstellt. In ihrem Global Wealth Databook 2018 wird das nationale Finanzvermögen (Aktien, Anleihen, Geldmarktfonds und Bankkonten) durch die Teilung des nationalen Finanzvermögens auf die gesamte erwachsene Bevölkerung in jedem Land dargestellt. Die Spitzengruppe mit einem durchschnittlichen Vermögen von über 100.000 US-Dollar pro Erwachsenem, besteht aus den Ländern Westeuropas, Nordamerikas, Australiens und Neuseelands, Japans, Israels, Singapurs und Taiwans. Die USA (336.528 US-Dollar) liegen nach der Schweiz (372.336 US-Dollar) an zweiter Stelle. Alle Länder in dieser Gruppe sind imperialistische Länder oder wichtige Satelliten des imperialen Zentrums, der Vereinigten Staaten. Der weltweite durchschnittliche finanzielle Reichtum pro Erwachsenem beträgt 38.110 US-Dollar; das nach der Eurokrise geplünderte Griechenland liegt bei 33.969 USD. China liegt mit 19.862 Dollar weit zurück. Russland liegt mit 8.843 Dollar weit darunter, was 2,6 Prozent des durchschnittlichen Finanzvermögens eines Erwachsenen im Vergleich zu den USA ausmacht.

Russland ist noch weit davon entfernt, den finanziellen Reichtum eines imperialistischen Landes zu besitzen. Der Anteil der USA am weltweiten Finanz- und Nichtfinanzvermögen beträgt 31 Prozent, China liegt mit 16,4 Prozent als einziges weiteres Land über 10 Prozent: Russland liegt bei 0,7 Prozent.

Lenin schrieb: „Der Imperialismus ist die Epoche des Finanzkapitals und der Monopole“, „(…) wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen“.10 Im Bereich des Exports von Finanzkapital für produktive Zwecke durch russische multinationale Unternehmen ist Russland ein sehr unbedeutender Akteur.

4. Das militärische Gewicht Russlands in der Welt

Lenin spricht schließlich von der „(5.) (…) territorialen Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte“. Grundlegend für die Dominanz der imperialistischen Länder in den globalen Wirtschaftsstrukturen, ist ihre Rolle bei der Überwachung und Aufrechterhaltung der auferlegten Weltordnung. Führende imperialistische Mächte verfügen über bedeutende Waffenindustrien und sind als Verkäufer am weltweiten Waffenhandel beteiligt.

Russische Militärexporte

Russland zeigt seine Macht nur durch sein militärisches Gewicht, aber das allein macht es noch nicht zu einer imperialistischen Nation im Sinne Lenins. Es macht Russland auch nicht zum Imperialisten im Sinne des vorkapitalistischen Imperialismus des alten Roms, der militärische Expansion und Sklavenarbeit erforderte. Russlands beträchtliche militärische Macht, vor allem sein Atomwaffenarsenal, macht es den imperialistischen Ländern zwar schwer es unter Druck zu setzen, jedoch marschiert Russland nicht in Länder auf der ganzen Welt ein und bombardiert sie, wie es die USA tun, oder sogar wie es zweitklassige imperiale Mächte wie Großbritannien und Frankreich es tun.

Außerdem hat das kapitalistische Russland im Gegensatz zu diesen anderen imperialen Militärmächten keine eigene entwickelt, sondern seine Militärmacht und Rüstungsindustrie von der UdSSR geerbt. Russland ist auch deshalb einzigartig, weil es das einzige Land des ehemaligen sozialistischen Sowjetblocks ist, welches nach wie vor vom imperialistischen Westen umzingelt ist und mit einem militärischen Angriff bedroht wird.

Dennoch ist Russland ein weltweit führender Waffenexporteur. Kein Zweig der russischen Produktion ist auf dem internationalen Markt wettbewerbsfähig, außer der Rüstungsindustrie. Die weltweiten Waffenexporte beliefen sich im Jahr 2016 auf 32,262 Milliarden Dollar und im Jahr 2017 auf 31,106 Milliarden Dollar. Das Internationale Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI) listet Russlands Waffenexporte 2017 mit 6,148 Milliarden Dollar auf, ein Rückgang gegenüber 6,937 Milliarden Dollar im Jahr 2016. Der weltweit größte Waffenexporteur sind die USA mit Waffenverkäufen in Höhe von 10,304 Milliarden Dollar im Jahr 2016 und 12,394 Milliarden Dollar im Jahr 2017. Auf die USA entfallen 34 Prozent der weltweiten Militärverkäufe, auf Russland 22 Prozent.

Die Waffenexporte der USA sind etwas mehr als doppelt so hoch, wie die von Russland. Hier fällt Russland allmählich zurück: Während die Waffenexporte der USA im Zeitraum 2013-17 im Vergleich zum Zeitraum 2008-12 um 25 Prozent zunahmen, gingen die Exporte Russlands im selben Zeitraum um 7,1 Prozent zurück.

Russische Konzerne unter den Waffenproduzenten

Laut SIPRI erzielten die 100 größten Waffenproduzenten der Welt im Jahr 2017 durch Verkäufe und militärische Dienstleistungen Gewinne im Wert von 398,2 Milliarden US-Dollar. (Defense News nennt etwas andere Zahlen). Die Hälfte dieser Summe ging an die 10 größten Hersteller, von denen fünf US-amerikanische Unternehmen sind und eines aus Russland stammt. Von den 100 größten Unternehmen sind 42 US-amerikanische und 10 russische Firmen.

Russische Militärbasen im Ausland und Militärhaushalt

Russland hat 15 Militärstützpunkte in 9 Ländern. Nur zwei davon befinden sich außerhalb der ehemaligen Sowjetunion, in Vietnam und Syrien. China hat einen Stützpunkt außerhalb Chinas, in Dschibuti. Die USA haben über 800 ausländische Stützpunkte.

Verglichen mit dem US-Militärhaushalt, den SIPRI auf 610 Milliarden Dollar beziffert, ist allein die Erhöhung des Pentagon-Haushalts in diesem Jahr größer als der gesamte russische Militärhaushalt, der 2017 rund 66 Milliarden Dollar betrug und damit nach China und Saudi-Arabien an vierter Stelle liegt.

Russische Interventionen in anderen Ländern

Russland hat in anderen Ländern interveniert (Jugoslawien, Georgien, Ukraine, Syrien), aber nicht in der Art imperialistischer Länder, die sich natürliche Ressourcen und Reichtümer aneignen wollen. Die russischen Interventionen haben auch nicht annähernd das Ausmaß der Interventionen von sekundären imperialen Mächten wie Frankreich oder Großbritannien. Russland hat auch keine Staatsstreiche in anderen Ländern angezettelt, wie es imperialistische Länder ständig tun.

Russland führte Mitte der 1990er Jahre eine sehr begrenzte Intervention im ehemaligen Jugoslawien, als die russischen Streitkräfte in polizeilicher Art (i.O.: “soft cops”) für die NATO fungierten. Im Jahr 2008 kämpfte Russland mit Georgien um das prorussische Südossetien, das von den USA unterstützt wurde.

Der Konflikt in der Ukraine ist eine direkte Folge des von den USA inszenierten rechtsgerichteten antirussischen Putsches im Jahr 2014. Die Menschen in der östlichen Region der Ukraine, die überwiegend russischsprachig ist, erhoben sich und forderten politische und wirtschaftliche Autonomie. Obwohl die Menschen in der Ostukraine von Russland unterstützt werden, hat Moskau kein Interesse daran gezeigt, sich die Ostukraine einzuverleiben, wie es mit der Krim nach dem dortigen Referendum geschah.

Die direkte militärische Beteiligung Russlands am Krieg in Syrien im Jahr 2015 ähnelt der in der Ukraine: Es ging darum, den anhaltenden Regimewechsel der USA und der NATO und die Einkreisung des Landes abzuwehren. Russland wurde von der syrischen Regierung eingeladen, um bei der Bekämpfung von Rebellengruppen zu helfen, die von den USA, den NATO-Ländern und Saudi-Arabien bewaffnet und finanziert werden.

Im Gegensatz zu den USA, Großbritannien und Frankreich hat Russland in keinem dieser Fälle militärisch interveniert, um eine Regierung zu stürzen, oder um seine wirtschaftlichen sowie geostrategischen Interessen zu schützen.

Die zunehmende Umzingelung Russlands durch die USA und die NATO ist eine Fortsetzung ihrer früheren Politik der Unterwerfung und Rekolonialisierung der Sowjetunion. Quelle: Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO).

5. Russland und der Imperialismus heute

Unter Bezugnahme auf Lenins Erklärung zum Imperialismus, ist Russland weder ein Akteur im Spielfeld der Monopole und Finanzkapital, noch spielt der Kapitalexport eine wichtige Rolle (abgesehen von den negativen Auswirkungen der anhaltenden Kapitalflucht), noch spielen russische Konzerne eine wesentliche Rolle bei der Aufteilung der Weltressourcen.

Russland kann nur aufgrund seiner militärischen Stärke als einer der mächtigsten Staaten der Welt eingestuft werden. Wirtschaftlich gesehen weist es nicht die Merkmale eines fortgeschrittenen kapitalistischen Staates auf, sondern die eines Staates an der kapitalistischen Halbperipherie. Es spielt nur eine sehr geringe Rolle bei der imperialistischen Aktivität schlechthin: dem Kapitalexport in die Peripherie und der Gewinnung von Profit aus der Arbeit und den Ressourcen der Entwicklungsländer. Russlands Finanzkapital ist klein, seine Exporte bestehen überwiegend aus Rohstoffen, seine Industrie ist schwach, seine multinationalen Konzerne sind unbedeutend, seine Wirtschaft leidet unter der niedrigen Arbeitsproduktivität.

Der Imperialismus ist nach wie vor die größte Gefahr für das Leben und Wohlergehen der Völker der Welt. Unsere Probleme, die Probleme der Menschheit, wurzeln in der imperialistischen Herrschaft über unsere Nationen und unser Leben. Konkret bedeutet dies die Herrschaft des US-amerikanischen imperialistischen Hegemons und der sekundären imperialistischen Mächte in seiner Einflusssphäre: Westeuropa, Japan, Kanada und Australien. Russland ist zwar ein kapitalistisches Land, das wegen seiner Unabhängigkeit von den USA schikaniert wird (wie Venezuela, Iran, Gaddafis Libyen, Nicaragua), aber es ist nicht Teil einer imperialistischen Clique, die uns bedroht. Vielmehr sehen sich die Weltmächte Russland und China gezwungen, auf die Bemühungen des Imperialismus, sie unterzuordnen zu reagieren. Glücklicherweise bietet ihr inkonsequenter Widerstand anderen Völkern und Ländern die Möglichkeit, ihre eigene nationale Souveränität zu behaupten.

Anmerkungen

1 Stephen Cohen schrieb in The Failed Crusade, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der katastrophalste wirtschaftliche Zusammenbruch eines Industrielandes in Friedenszeiten in der Geschichte begann. Die kapitalistische Restauration brachte Massenverarmung und Arbeitslosigkeit, extreme Ungleichheit, zügellose Kriminalität, virulenten Antisemitismus und ethnische Gewalt in Verbindung mit legalisiertem Gangstertum und überstürzter Plünderung des öffentlichen Vermögens. Bis 1998 waren die Investitionen um 80 Prozent, die Reallöhne um die Hälfte und die Fleisch- und Milchviehbestände um 75 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Menschen, die in den ehemaligen Sowjetrepubliken unterhalb der Armutsgrenze lebten, war von 14 Millionen im Jahr 1989 auf 147 Millionen gestiegen. Die Zahl der Waisen war höher als die Zahl der über 20 Millionen Kriegsopfer in Russland, Cholera- und Typhusepidemien traten wieder auf, Millionen von Kindern litten an Unterernährung, und die Lebenserwartung von Erwachsenen sank. 1998 sprach Fidel Castro in einer Rede von der skandalösen Plünderung des postsowjetischen Russlands.

2. Lenin: Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll. Quelle: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/09/katastrophe.html#t6

3 Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. ( Kapitel 7) Quelle: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/09/katastrophe.html#t12 

4 ebd.

5 Zwei hilfreiche Artikel, um darüber zu schreiben, sind: Renfrey Clarke und Roger Annis, „The Myth of ‚Russian Imperialism‘“ und Sam Williams, „Is Russia Imperialist?

6 Ausführliche Informationen zu Russland auf S. 248-249 des Berichts.

7 Weltbankgruppe, „Modest Growth Ahead„, Russia Economic Report 39, Mai 2018, S. v.

8 Definition: Hochtechnologieexporte sind Produkte mit hoher F&E-Intensität, wie z.B. in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Computer, Pharmazeutika, wissenschaftliche Instrumente und elektrische Maschinen.

9 Diese Informationen über die russische Kapitalflucht und das Auslandsvermögen stimmen vollständig mit den Daten einer früheren Studie über russische globale Investitionen überein, die ironischerweise verwendet wurde, um zu behaupten, Russland sei imperialistisch.

10 Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Quelle: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/09/katastrophe.html#t12

Über Stansfield Smith

Stansfield Smith ist ein Anti-Kriegs-Aktivist, der sich hauptsächlich auf die Bekämpfung der US-Intervention in Lateinamerika konzentriert. Er war Mitglied des Chicago Committee to Free the Cuban Five, aus dem die Chicago ALBA Solidarity hervorgegangen ist. Sie können ihn unter stansfieldsmith100@gmail.com erreichen.

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