Ist Gewaltenteilung im Sozialismus notwendig?

02.06.2017, Lesezeit 4 Min.
Gastbeitrag

Von vielen Radikaldemokrat*innen und Sozialist*innen, die sich dem Stalinismus widersetzen, wird Gewaltenteilung im Sozialismus gefordert. Sprich: Die Trennung der staatlichen Obrigkeit in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung. Aber ist diese Losung eine, die revolutionäre Marxist*innen unterstützten sollten, oder entspringt sie gar bürgerlichem Bewusstsein?

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Um die Frage zu beantworten, muss man sich zunächst Gewaltenteilung historisch betrachten. Die Idee der Gewaltenteilung kam zuerst von bürgerlichen Denker*innen, die eine langfristig funktionierende bürgerliche Demokratie schaffen wollten. Ihre Idee war die staatliche Macht in Judikative (richtende Gewalt: Gerichte), Exekutive (ausführende Gewalt: Bullen und Militär) und Legislative (gesetzgebende Gewalt: Parlamente) zu trennen, um staatliche Gewalt auf viele Menschen zu verteilen und so eine Demokratie zu schaffen. Sie schafft auch eine gewisse Stabilisierung, weil man durch die Macht der Exekutive, sprich des Militärs und der Polizei, Gesetze leichter kippen kann, die im Parlament beschlossen werden. Davon können theoretisch sehr liberale Gesetze genauso betroffen sein wie autoritäre Gesetze, die der jeweiligen Verfassung widersprechen.

Das Problem des Ganzen ist, dass Gewaltenteilung einen klaren bürgerlichen Klassencharakter hat. Nicht die „Demokratie“, sondern die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse sollen hierbei gefestigt werden. Die Gewaltenteilung ist viel mehr dazu da zu verschleiern, dass Richter*innen und Polizist*innen nicht wähl- und abwählbar sind. Die Arbeiter*innenklasse hat durch bürgerliche Parlamente nur ein geringes Mitspracherecht an Gesetzen. So kann man die Diktatur der Bourgeoisie verschleiern und schützen. Zudem braucht die Bourgeoisie eine möglichst neutrale Instanz, die ihrer Klasse als Ganzen verpflichtet ist und gleichzeitig von einzelnen Kapitalist*innen getrennt ist, um Differenzen zwischen einzelnen Kapitalfraktionen zu schlichten.

Jene Linken, die Gewaltenteilung fordern, halten also nur die bürgerlichen Ideale der bürgerlichen Realität entgegen. Damit reproduzieren sie letztendlich nur bürgerliches Bewusstsein anstatt Klassenbewusstsein zu schaffen und zu fordern.

Alle Macht der Arbeiter*innenklasse

In einer sozialistischen Gesellschaft ist Gewaltenteilung überflüssig, weil alle Macht vom Proletariat ausgeht und keine Herrschaft mehr verschleiert werden muss. Probleme, mit denen sich bürgerliche Theoretiker*innen rumärgern mussten, wie beispielsweise den Mangel an aktiver demokratischer Teilhabe, wird man in einer Arbeiter*innendemokratie aller Voraussicht nach nicht haben, weil Menschen sich wirklich an gesellschaftlichen Entscheidungen beteiligen können und nicht nur alle vier Jahre ein Kreuz machen.

Die Beschlüsse werden dann natürlich auch von der Gesellschaft umgesetzt. Repressionsorgane wie die Polizei sind überflüssig, weil keine kapitalistische Knechtung, keine Repression gegen Drogenkonsument*innen, People of Colour und Menschen, die nach Freiheit streben, notwendig ist. Einzig allein die alte bürgerliche Klasse, sofern sie wieder Macht erringen will, muss unterdrückt werden. Es geht dabei nicht darum, jemanden des Spaßes willen zu unterdrücken, sondern die neue Gesellschaft gegen die alte zu verteidigen.

Das ist kein Selbstzweck, sondern reiner Selbsterhaltungstrieb einer wirklichen Demokratie gegen ihre ehemaligen Knechter*innen. Der große Unterschied zwischen einer bürgerlichen und einer sozialistischen Gesellschaft im Bezug auf die Unterdrückungsmaßnamen liegt auch natürlich darin, dass die Arbeiter*innenklasse die Mehrheit der Gesellschaft darstellt, während die Bourgeoisie nur ein verschwindend kleiner Teil der Gesellschaft ist.

Oft wird auch behauptet: „Der Sozialismus war autoritär, weil er keine Gewaltenteilung hatte und damit kann man den Sozialismus nicht demokratisch gestalten.“ Dass die Sowjetunion degeneriert ist, liegt nicht an fehlender Gewaltenteilung, sondern an der Isolierung der Revolution und der darauf folgenden Bürokratisierung unter Stalin.

Ein positives Beispiel für eine Gesellschaft, die demokratisch war und keine Gewaltenteilung hatte, ist die Pariser Kommune:

Dieser Sozialismus ist die Permanenzerklärung der Revolution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt, zur Abschaffung sämtlicher Produktionsverhältnisse, worauf sie beruhen, zur Abschaffung sämtlicher gesellschaftlicher Beziehungen, die diesen Produktionsverhältnissen entsprechen, zur Umwälzung sämtlicher Ideen, die aus diesen gesellschaftlichen Beziehungen hervorgehen.

– Karl Marx, Klassenkämpfe in Frankreich

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