„Free Palestine“: Jetzt erst recht!

24.10.2023, Lesezeit 20 Min.
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Protest in Solidarität mit Palästina in Berlin. Foto: Baki / KGK

Die Bundesregierung beantwortet Palästina-Solidarität mit Repression und Diffamierung. Zugleich plant sie eine große Abschiebeoffensive. Es gilt, sich davon nicht einschüchtern zu lassen, sondern erst recht eine linke Perspektive für die Befreiung Palästinas und gegen den Rechtsruck stark zu machen.

Am 12. Oktober erteilte die Bundesregierung der israelischen Regierung einen Freifahrtschein für die Belagerung Gazas. Zwei Millionen Menschen sind eingesperrt, von Wasser, Strom, Nahrung abgeschnitten und dem permanenten Bombenhagel der israelischen Luftwaffe ausgesetzt. Mehr als 5000 Palästinenser:innen wurden bereits getötet. Fast 500 allein in einem Krankenhaus. Nachdem die israelische Regierung bereits andere Kliniken bombardierte, will sie es nun nicht gewesen sein, wofür sie gar gefälschte Videos präsentiert. Auch US-Präsident Joe Biden stützt diese Version. Derweil bereitet Israel eine Bodenoffensive vor: Es droht ein Genozid. In einem wahrlich historischen Beschluss im Bundestag stimmten sämtliche Parteien, von Ampel, Union bis zur AfD und der LINKEN, für die volle Unterstützung Israels, das Verbot mehrerer palästinensischer Organisationen und der Einschränkung der Freiheit, in Solidarität mit Palästina zu demonstrieren. Die Forderung nach einer Waffenruhe, die von der UN und einzelnen EU-Staaten erhoben wird, erteilten Außenministierin Annalena Baerbock und Joe Biden eine Absage. Sie wollen die Fortführung des Krieges.

Zahlreiche palästina-solidarische Demonstrationen wurden seit Kriegsbeginn verboten und von der Polizei angegriffen, Menschen für den bloßen Ruf „Free Palestine“ oder das Tragen einer Kufiya verhaftet. Wer sich positiv auf den palästinensischen Befreiungskampf bezieht, wird ohne jede Differenzierung als Antisemit und Hamas-Sympathisant bezeichnet. Gegen Personen des öffentlichen Lebens, die sich für Palästina äußern, fahren bürgerliche Parteien und Medien regelrechte Hetzjagden. Beschäftigten an Schulen oder Krankenhäusern drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen. Ja, selbst Aktivist:innen der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost wurden verhaftet für ihre Kritik an den Bombardements der israelischen Luftwaffe. Eine derartige Einschränkung der Meinungsfreiheit hat Deutschland seit langem nicht erlebt.

Das moralische und intellektuelle Niveau der politischen Kaste Deutschlands ist auf einem Tiefststand angekommen. Ungeniert spricht CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in der Talkshow von Markus Lanz davon, Gänsehaut beim Gedanken an die harten Schläge Israels zu bekommen, Zustimmung bekommt er vom SPD-Mann Kevin Kühnert. In den Medien überschlägt sich die rassistische Stimmungsmache gegen migrantische Jugendliche. Sie trifft perfekt zusammen mit dem Rechtsruck der letzten Wochen, mit den Debatten über vermehrte Abschiebungen.

Schon werden sie politisch genutzt, um die Ausweisung von Teilnehmer:innen an pro-palästinensischen Demonstrationen zu fordern. Scholz hat eine große Offensive angekündigt: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“, verkündet er auf dem Titelblatt des Spiegels. Seit Monaten bereitet die Ampel im Kompromiss mit den Rechten schärfere Asylgesetzgebungen vor. Sie dienen als Waffe, um diejenigen zu disziplinieren und bei Bedarf loszuwerden, die nicht das „Existenzrecht Israels“ anerkennen.

Die konkrete Umsetzung hat Innenministerin Nancy Faeser auf den Weg gebracht. Ihr „Rückführungspaket“ umfasst „ein Bündel restriktiver Maßnahmen. Insbesondere Menschen, die zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt wurden, sollen schneller abgeschoben werden können. In den Worten der SPD-Ministerin: „Dazu gehört auch, Straftäter und Gefährder konsequenter und schneller auszuweisen und abzuschieben.“ Das ist eine Rhetorik, wie man sie vor einigen Jahren noch von NPD-Wahlkampfplakaten kannte.

Die Regierung ist bestrebt, durch Repression jede Kritik an Israel zu diffamieren, um ihre eigene reaktionäre Rolle in der Region zu legitimieren. Bei Besuchen in Israel verkündeten Olaf Scholz und Annalena Baerbock ihre uneingeschränkte Solidarität mit Israel. Seit Jahren zählt Deutschland zu den größten Waffenlieferanten für Israel. Es versucht sich dadurch Einfluss in einer höchst instabilen Region zu sichern, in der auch Mächte wie der Iran Ansprüche stellen. Im aktuellen Konflikt hat Deutschland bereits ausgeliehene Drohnen zurückgegeben und verhandelt über die Lieferung von Munition für Schiffe. Der deutsche Imperialismus könnte sich damit gleich in den nächsten Krieg stürzen, der das Potenzial hat, in einem Großkonflikt mit den Nachbarstaaten auszuarten: Schon hat Israel Flughäfen in Syrien und Ziele der Hisbollah-Miliz im Libanon beschossen; auch mit dem Iran und Jemen droht ein Konflikt.

Doch die Situation ist nicht hoffnungslos. In den vergangenen Tagen demonstrierten Millionen Menschen weltweit in Solidarität mit Gaza, 300.000 allein in London. Tagelang blieb das Westjordanland im Generalstreik, nachdem die Bevölkerung sich bereits in den letzten Jahren stark gegen zionistische Siedlungsprojekte wehrte. Die Proteste haben das Potenzial, den Genozid zu stoppen. Denn egal wie skrupellos die israelische Regierung gerne wäre, wenn es darum geht, Gaza dem Erdboden gleich zu machen, so kann sie sich doch nicht über die Dynamiken einer weltweiten Massenbewegung hinwegsetzen. Die Gewalt, die sie in Gaza entfacht, wird die Bevölkerung der benachbarten Länder zu brodeln bringen. Israel kann es sich nicht leisten, an vielen Fronten gleichzeitig zu kämpfen. Die bisherige Verzögerung der Bodenoffensive ist Ausdruck dieser Gefahr.

Und auch die USA, von denen Israel maßgeblich militärisch und finanziell abhängig ist, werden kaum das Risiko eingehen wollen, einen neuen Arabischen Frühling oder eines unkontrollierbaren Krieges zu provozieren, der die ohnehin wackelige politische Ordnung in der Region völlig destabilisieren könnte. Joe Biden und Olaf Scholz bereisten Israel und benachbarte Staaten, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Derweil sendeten die USA zwei Flugzeugträger ins östliche Mittelmeer, um schnell eingreifen zu können. Deutschland stationiert Soldat:innen auf Zypern. Israel ist nicht nur Kolonialstaat, sondern ein Vorposten des Imperialismus – allen voran der USA, und auch Deutschlands. Die USA waren immer wieder durch direkte Interventionen verantwortlich für eine ständige Destabilisierung in der Region – sei es im Iran, im Irak oder in Syrien. Sie trugen mit der Zerstörung dieser Länder wesentlich zur Errichtung religiös-fundamentalistischer Regime bei. Auch die Hamas, eine reaktionäre, korrupte und frauenfeindliche Organisation, ist ein direktes Produkt von 75 Jahren Besatzung und systematischer Beschneidung der Rechte der Palästinenser:innen. Tatsächlich wurde sie in den 1970ern und 80ern von Israel mit aufgebaut, um ein Gegengewicht zur PLO zu schaffen.

Der Rauswurf des Imperialismus aus der Region und die Zerschlagung des zionistischen Staates sind eine grundlegende Bedingung für das friedliche Zusammenleben der Völker. Die Angst des Zionismus und Imperialismus vor den mobilisierten Massen ist die stärkste Verteidigung, die wir weltweit dem Gaza-Streifen zukommen lassen können.

Sieg dem Befreiungskampf

In den Diskussionen um den 7. Oktober wird einzig vom „Terror der Hamas“ gesprochen. Tatsächlich sind Angriffe auf Zivilist:innen wie auf das Festival mit bis zu 260 Toten erschütternd und abzulehnen. Sie schüren Schmerz, Hass und Vergeltungswünsche bei der Jugend und den Arbeiter:innen Israels. Dies erschwert einen gemeinsamen Kampf gegen den israelischen Staat. Der palästinensische Widerstand braucht Verbündete in der Arbeiter:innenklasse Israels, sowohl unter Jüd:innen und Araber:innen.

Dennoch weigern wir uns, Gewalt gegen Zivilist:innen mit dem historischen Ausbruch des palästinensischen Volkes aus dem größten Freiluftgefängnis der Welt, dem Gazastreifen, gleichzusetzen. Es ist das Recht der Palästinenser:innen, den Grenzzaun niederzureißen und militärische Posten der israelischen Armee anzugreifen. Es gibt kein Existenzrecht für einen Staat, der seit 75 Jahren auf Gewalt, Besatzung und Unterdrückung aufgebaut ist und der dem Imperialismus als Vorposten dient, die Region zu kontrollieren. Die Politik der Bundesregierung ist heuchlerisch, wenn sie davon spricht, israelische Zivilist:innen schützen zu wollen, aber gleichzeitig palästinensischem Leben nicht den gleichen Wert einräumt.

Israel ist kein „Schutzraum“ für Jüd:innen, wie vom deutschen Staat behauptet. Schon die Idee davon ist reaktionär. In ihrer Konzeption wird der Zionismus mit dem Judentum gleichgesetzt. Demnach könne es keine Hoffnung geben, die antisemitische Gewalt in der Diaspora zu überwinden. Dem Antisemitismus wird demnach nicht durch die Macht der Arbeiter:innenbewegung zur Gestaltung einer freien und sozialistischen Gesellschaft, sondern mit der Feuerkraft des Imperialismus begegnet. Die Gewalt, die Israel gegen Palästinenser:innen anwendet, macht notwendigerweise ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Religionen unmöglich. Um Frieden zu schaffen, ist der geschwisterliche Kampf der palästinensischen und israelischen Arbeiter:innenbewegung, von Jüd:innen, Muslimen und anderen Regionen gegen den israelischen Staat notwendig.

Der Ausbruch der Palästinenser:innen aus ihrem Gefängnis hat in der ganzen muslimischen Welt, aber auch darüber hinaus riesige Mobilisierungen in Gang gesetzt: Wir treten ein für den Sieg dieser Mobilisierungen. Das heißt unmittelbar für die Verteidigung Gazas, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Es muss aber darüber hinausgehen. Eine Rückkehr zu alten Verhältnissen ist nicht möglich. Die Unterdrückung des palästinensischen Volkes ist nicht tragbar und würde sich selbst bei einem Abbruch der israelischen Offensive weiter vertiefen. Die innenpolitische Lage in Israel tut ihr übriges: Die ultratechte Regierung hat die Opposition ins Boot geholt, um einen Krieg zu führen. Nach scharfen Kritiken, dass sie bei der Abwehr der Hamas versagt hätte, kann sie sich nur mit neuen Gewaltakten Luft verschaffen. Und schließlich drohen militärische Konflikte mit den Nachbarstaaten, wenn Israel, unterstützt von NATO-Staaten, die Situation weiter eskaliert.

Der einzige fortschrittliche Ausweg aus der Situation liegt darin, den Zionismus und seine imperialistischen Partner zurückzuschlagen. Waffenlieferungen an Israel müssen verhindert werden. Darüber hinaus gilt es aber, um die Führung des Widerstandes und für eine sozialistische Perspektive zu kämpfen: Die Hamas als reaktionäre und korrupte Bande führt den Befreiungskampf in eine Sackgasse. Solange Netanjahu die militärischen Angriffe als notwendige Schutzmaßnahme verkaufen kann, hält er auch die scheinbar naturgegebene Feindschaft zwischen Araber:innen und Jüd:innen aufrecht. Diese chauvinistische Abgrenzung gegenüber allem Arabischen gehört zum Wesenskern des Zionismus und spaltet letztlich nur die Arbeiter:innenklassen beider Staaten.

Die jüdisch-israelische Arbeiter:innenklasse muss mit dem Chauvinismus ihrer Führungen brechen und sich für die Gleichberechtigung von Palästinenser:innen und Israelis einsetzen. Das bedeutet, in Israel politische Streiks gegen die eigene Regierung zu führen und das Apartheidsregime zu bekämpfen. Dies wird nur gegen den Gewerkschaftsdachverband Histadrut gehen, der tief mit dem Zionismus verwoben ist.

Auch eine Zwei-Staaten-Lösung ist völlig illusorisch. Sie würde an der Unterdrückung Palästinas nichts grundlegend ändern in Nachbarschaft zu einem hochgerüsteten Israel: Weder ließe sich auf diese Weise eine „gerechte“ Aufteilung der Infrastruktur, der Zugang zu Mittelmeer oder die Bewegungsfreiheit der Palästinenser:innen gewährleisten. Noch kann eine Zwei-Staaten-Lösung den 1948 in der Nakba Vertriebenen und ihren Nachkommen das Recht auf Rückkehr garantieren. Mit ihrer aggressiven Siedlungspolitik hat die Netanjahu-Regierung in den vergangenen Jahren schließlich für alle offensichtlich gemacht, dass eine solche „Lösung“ völlig jenseits des Möglichen liegt. Das Festhalten von großen Teilen der deutschen Linken an dieser Perspektive ist eine Sackgasse. Um der Hamas etwas im Kampf um die Führung der palästinensischen Befreiungsbewegung entgegenzusetzen, braucht es eine positive Vision für die Region. Nur die Beendigung der Unterdrückung Palästinas durch Israel und der Kampf für ein geeintes sozialistisches Palästina, in dem alle Religionen und Volksgruppen friedlich zusammen leben können, kann die Befreiung für Palästinser:innen und Jüd:innen in der Region bringen.

Für Palästina-Solidarität statt Rechtsruck und Antisemitismus

Für diese Perspektive müssen wir auch in Deutschland kämpfen. Die Repression gegen pro-palästinensische Demonstrationen befördert die Spaltung. Die Warnung vor antisemitischen Übergriffen als Legitimation für Demonstrationsverbote wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung: Mit der Repression und der Behauptung, dass nur Terror-Sympathisant:innen auf die Straße gehen würden, werden breite Teile der Zivilgesellschaft oder der Arbeiter:innenbewegung gezielt davon abgehalten, sich mit Palästina zu solidarisieren und ein eigenes Programm aufzustellen.

Für die Bundesregierung ist es von Vorteil, wenn der Konflikt als religiöser Kampf zwischen Muslim:innen und Jüd:innen wahrgenommen wird und nicht als ein Krieg einer – auch mit deutschen Waffen – hochgerüsteten Militärmacht gegen eine Bevölkerung, die unter der Besatzung lebt. Mit der Erzählung des Glaubenskrieges kann sie die rassistische Demagogie vertiefen und Abschiebungen „im großen Stil“ vorbereiten. Schon sagt CDU-Chef Friedrich Merz, man könne keine Geflüchteten aus Gaza aufnehmen, man habe „schon genug antisemitische junge Männer im Land“.

Die rassistische Hetze und Repression dienen dazu, die Palästina-Solidarität zu isolieren. Es ist eben diese Atmosphäre, in der auch reaktionäre Antworten innerhalb der migrantischen Community gedeihen können, wie Solidarisierungen mit der Hamas oder antisemitische Übergriffe. Sicherheit für Jüd:innen kann es vor allem dann geben, wenn Gewerkschaften mobilisieren, um jegliche jüdische Einrichtungen gegen Angriffe zu schützen. Darüber hinaus müssen Jüd:innen selbst die Möglichkeit bekommen, für den gemeinsamen Kampf gegen den Zionismus aufzurufen. Die Repression der Polizei nimmt ihnen die Chance dazu. Ebenso nimmt sie linken Kräften in der palästinensischen Bewegung und darüber hinaus die Möglichkeit, sich auf pro-palästinensischen Demonstrationen gegen den Antisemitismus auszusprechen.

Sympathie mit der Hamas oder Hisbollah können auch durch die Ausgrenzung der Jugend von gesellschaftlicher Teilhabe gedeihen. Schlechte Jobs, Wohnungsmangel, Abgehängtheit in der Schule und ständige Polizeikontrollen können sich in die falsche Richtung kanalisieren, wenn sie keine linke Antwort finden. Daher ist es die Aufgabe der deutschen Linken, der Perspektivlosigkeit des rein militärisch-religiösen Kampfes der Hamas oder Hisbollah eine antizionistische Strategie entgegenzusetzen, die für eine wirkliche Befreiung der Paläst:innenser:innen in einem Bündnis mit der jüdischen Arbeiter:innenklasse kämpft. Eine Abwartehaltung oder die völlige Abstinenz linker Organisationen macht es reaktionären islamistischen Kräften leicht, auch hier Unterstützer:innen zu sammeln und noch stärkeren Antisemitismus zu reproduzieren. Während sich große Teile der deutschen Linken von den pro-palästinensischen Demonstrationen fernhalten und damit de facto die Position des deutschen Imperialismus mittragen, waren Genoss:innen der RIO, von Waffen der Kritik und KGK Workers in den vergangenen Wochen in vielen Städten immer wieder auf der Straße.

Statt sich wegzuducken, müssen die politische Linke und die Gewerkschaften die Verteidigung Gazas und der dortigen Zivilbevölkerung auch in die Arbeiter:innenbewegung tragen. An den kommenden Tarifrunden bei der Bahn und im TV-L (öffentlicher Dienst der Länder) werden sich hunderttausende Beschäftigte beteiligen. Die Gewerkschaftsführungen wollen nur über Lohnfragen verhandeln. Doch wenn es gelingt, in den Streiks eine Perspektive gegen den Krieg und die Repression stark zu machen, können sie die Bundesregierung dazu zwingen, von ihrer Haltung abzurücken. Die Gewerkschaften müssen sich zudem gegen Angriffe auf palästinasolidarische Kolleg:innen stellen, die zunehmend von Angriffen durch ihre Arbeitgeber:innen bedroht sind.

Den Gewerkschaften kommt aber auch eine besondere Bedeutung im Kampf gegen den deutschen Imperialismus zu. Denn die Arbeiter:innen können strategische Sektoren wie die Logistik oder Waffenschmieden blockieren und die Belieferung Israels stoppen. Streiks sind auch notwendig gegen den Rechtsruck sowie die stärkere Repression gegen palästinensische Organisationen. In unserem Sofortprogramm schreiben wir:

„[Der Rassismus] erhält besonderen Auftrieb in Zeiten des Krieges, in denen der deutsche Imperialismus um eine starke Position in der Welt kämpft, in der sich die Militarisierung der Gesellschaft normalisiert und der Staat die Asylgesetze verschärft. Er ist eine Ideologie, um die Migrant:innen, Frauen und Queers und damit auch die Arbeiter:innenklasse zu disziplinieren und sie vollständig den Interessen des Kapitals zu unterwerfen. Dem Rassismus und Antifeminismus ist nicht beizukommen durch ein Kreuz in der Wahlkabine, sondern nur durch eine kraftvoll auftretende Arbeiter:innenbewegung, die gegen den Militarismus, für soziale Verbesserung und gleiche Rechte für alle eintritt, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, Geschlecht oder sexueller Orientierung.“

Der Kampf gegen Rechts, für die Verteidigung demokratischer Rechte und die Solidarität mit Palästina gehen Hand in Hand. Daher ist es wichtig, dass in den vergangenen Tagen tausende Menschen in Deutschland der Polizeigewalt und den Verhaftungen trotzten und sich an Demonstrationen für Palästina beteiligten. Der deutsche Staat fürchtet die migrantischen Jugendlichen Neuköllns, die seine mörderische Unterstützung für Israel in Frage stellen. Aber insbesondere fürchtet er, wenn sich eine breite Bewegung gegen Rassismus, Rechtsruck und Militarismus bildet. Daher setzt er alles daran, die pro-palästinensische Bewegung zu diffamieren und zu unterdrücken, um sie isoliert zu halten.

Umso problematischer ist es, dass die Führungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sich uneingeschränkt hinter die Bundesregierung und hinter Israel stellen. Gemeinsam mit den Bundestagsparteien von Union bis DIE LINKE sowie den sogenannten Arbeitgeberverbänden rief der DGB am vergangenen Wochenende vor dem Brandenburger Tor zu einer Kundgebung „in Solidarität und Mitgefühl mit Israel“ auf. Während in Gaza Schulen und Krankenhäuser bombardiert werden, halten es die DGB-Spitzen nicht für notwendig, ihre Proteste dagegen zu richten. Es sollte eine grundlegende humanitäre Selbstverständlichkeit sein, die Belagerung Gazas abzulehnen und ein gewerkschaftlicher Grundsatz, sich mit den Arbeiter:innen zu solidarisieren, die etwa in den Krankenhäusern Gazas unter den katastrophalsten Bedingungen arbeiten. Stattdessen deckt die DGB-Führung erneut eine Offensive der deutschen Außenpolitik. Auch nach Ausbruch des Ukraine-Krieges hatte sie Großmobilisierungen mit organisiert – die die Bundesregierung letztlich nutzte, um Sanktionen, Waffenlieferungen und Aufrüstung zu legitimieren.

Die Partei DIE LINKE hat mit der gemeinsamen Abstimmung mit Ampel, Union und AfD in Solidarität mit Israel im Bundestag ebenfalls einen entscheidenden Schritt gemacht in ihrer Unterordnung unter den deutschen Imperialismus. Schon in den letzten Jahren ist ihre Anpassung immer weiter vorangeschritten, nun hat die Parteiführung endgültig jede Opposition aufgegeben. Die von ihr unterstützte Regierungserklärung verurteilt nicht nur „barbarische Gewaltakte“ der Hamas, während sie zur israelischen Gewalt schweigt. Sie unterstützt auch die „legitimen Sicherheitsinterssen“ Israels, die Streichung von Hilfsgeldern, die Repression gegen Palästinenser:innen in Deutschland, inklusive „aufenthaltsrechtlicher Maßnahmen“, sprich: Abschiebungen. Die LINKE hat damit, kurz vor der Abspaltung des Wagenknecht-Flügels, endgültig gezeigt, dass mit ihr keine fortschrittliche Politik zu machen ist.

Die Aufgaben der deutschen Linken

Es ist die Aufgabe der politischen Linken, gegen die vorherrschende Doktrin der Gewerkschaftsbürokratien zu kämpfen und selbstorganisierte Komitees aufzubauen, für die Forderungen gegen Militarisierung und für ein Ende der Bombardements in den Streiks und darüber hinaus zu kämpfen und den pro-zionistischen Führungen die Macht zu entreißen.

Wir stehen an der Seite des palästinensischen Widerstandes und der linken und demokratischen Kräfte, die in den vergangenen Tagen trotz Repression Demonstrationen organisiert haben. Wir stehen auch an der Seite der migrantischen Jugendlichen in den Großstädten, die sich der Polizeigewalt widersetzen oder zuletzt an Schulen Aktionen in Solidarität mit Palästina organisierten.

In Berlin-Neukölln ist die Lage besonders zugespitzt. Seit den Angriffen patrouilliert die Polizei 24/7 an vielen Ecken, arabische Menschen sind noch stärker als ohnehin von willkürlichen Polizeikontrollen betroffen. Pro-palästinensische Demonstrationen werden weitgehend verboten oder können nur unter großen Einschränkungen stattfinden. Die von der Politik gewollte Spaltung in humanitäre Proteste und Krawallmacher tragen wir nicht mit. Wir brauchen eine Einheit der Linken, die sich den Demonstrations- und Organisationsverboten gegen palästinensische Organisationen entgegenstellt und gleichzeitig den Kampf gegen die Besatzung und die Angriffe Israels aufnimmt.

Um nicht nur auf der Ebene der Verteidigung von Gaza zu bleiben, brauchen wir eine offensive Ansprache an die Jugend und Arbeiter:innenbewegung. Lasst uns gemeinsam die Palästina-Solidarität in die kommenden Streikrunden im TV-L (Öffentlicher Dienst der Länder) und der Deutschen Bahn tragen. Lasst uns gemeinsam Aktionen an Schulen und Universitäten organisieren. Ziel muss es sein, die Politik der Bundesregierung auf breiter Ebene zurückzuschlagen: Gegen den Rechtsruck, den sie im Einvernehmen mit Union und AfD vorantreibt; gegen die Repression und Militarisierung, die der Unterstützung der israelischen Offensive dienen; gegen die Kürzungspolitik, mit der sie die Lebensbedingungen für Jugendliche und Beschäftigte immer weiter verschlechtert.

Wir rufen auch Mitglieder der Linkspartei auf, sich gegen ihre Führung zu positionieren. DIE LINKE Neukölln hat sich sowohl gegen die Verbote pro-palästinensischer Versammlungen gestellt, als auch ihre Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand bekundet. In ihrer Erklärung  fordern sie unter anderem einen Stopp der Waffenexporte in Kriegs- und Krisenregionen und eine sofortige Waffenruhe.

Der Bundesvorstand des Studierendenverbandes Die Linke.SDS hat ebenfalls ein Statement herausgegeben, indem er sich mit dem palästinensischen Widerstand solidarisiert. Darin betont der Verband insbesondere, dass die Palästinenser:innen „das Recht auf Widerstand und (auch bewaffnete) Verteidigung gegen Unterdrückung“ haben.

Wir rufen auch andere Strukturen der Partei DIE LINKE auf, ähnliche Statements herauszugeben und etwa in Stadträten oder Gewerkschaften für eine solche Politik zu kämpfen. Gleichzeitig zeigt die Position der Bundespartei, dass die Partei als Ganzes ein Hindernis darstellt, wenn es darum geht, eine Bewegung gegen den Imperialismus aufzubauen.

Es gilt jetzt, mit ihr zu brechen und eine unabhängige Front aufzubauen. Wir wollen eine revolutionäre Alternative aufbauen, die in Deutschland gegen Rechtsruck und Kürzungen kämpft, die für die militärische Niederlage Israels eintritt, für ein Ende der imperialistischen Einmischung und für ein sozialistisches Palästina, mit gleichen Rechten für alle und einer Trennung von Staat und Religion.

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