„Die Französische Bourgeoisie hat Angst vor der Einheit der Arbeiter*innen“– Aktivisten berichten in Berlin aus Frankreich

26.09.2017, Lesezeit 5 Min.
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Am vergangenen Samstag trafen sich in Berlin rund 50 Menschen, um mit der Frankreich-Delegation von Klasse Gegen Klasse über die dortigen Großproteste gegen die Reformen von Emmanuel Macron zu diskutieren. Die Delegation war vergangene Woche vor Ort in Paris und hat über ihre Erfahrungen und die politische Situation in Frankreich berichtet.

„Na ja, schlecht. Noch vier Jahre Merkel und mein Scheißjob“, entgegnete der erste Teilnehmer, der den Veranstaltungsort betrat, auf die Frage wie es ihm denn ginge – sinnbildlich für die Stimmung bei arbeitenden Massen in Deutschland kurz vor der Wahl. Eine Stimmung, die aus dem Zustand erwächst, dass die Arbeiter*innen hierzulande aufgrund der verräterischen Haltung der Gewerkschaftsbürokratie und ihrer Sozialpartnerschaft mit der Regierung gegen die Agenda 2010 und Hartz IV nur geringen Widerstand organisieren konnten.

Die Arbeiter*innenklasse in Frankreich wehrt sich gegen ähnliche Angriffe. Sie kämpft auf den Straßen und in den Betrieben, im Gegensatz zu ihren Klassengeschwistern in Deutschland vor einigen Jahren. Um aus ihren Erfahrungen und ihrem Mut zu lernen und Lehren daraus zu ziehen, organisierte Klasse Gegen Klasse am vergangenen Samstag kurz vor der Bundestaswahl eine Veranstaltung: „Kämpfen wie in Frankreich.“

Die Aktivisten Kofi Shakur und Hovhannes Geworkian, die als ein Teil einer Delegation während des Generalstreiks in Paris waren, saßen auf dem Podium. Aus ihren Gesichtern sprach die Motivation und Inspiration, die die kämpferischen Arbeiter*innen hinterließen.

Kofi berichtete als Erster.  Vom ersten Moment an beteiligte sich die Delegation an den Demonstrationen. Die streikende Menge beeindruckte ihn sehr – 100.000 Arbeiter*innen auf den Straßen von Paris kämpfen gegen das Arbeitsgesetz „Loi Travail XXL“, das massiv in ihre Leben eingreift. Er machte dann den rassischen Charakter des Arbeitsgesetzes deutlich, der sich klar in der Streichung des Anti-Diskriminierungsparagrafen zeigt. Dieser erlaubt, dass die Arbeiter*innen wegen ihres Glaubens gefeuert werden können. Nach dem neuen Gesetz können die Kapitalist*innen ihre Beschäftigten fragen, ob sie Muslime sind und ob sie während des Ramadans fasten. Je nachdem würden sie aufgrund der mangelnden „Produktivität“ von einer Weiterbeschäftigung absehen können.

Gegen Ende seines Beitrages betonte Kofi, wie sich das Bewusstsein der Gewerkschafter*innen und Arbeiter*innen in der Frage der Polizeigewalt geändert hat:

Alle riefen mehrmals am Tag: ‚Tout le monde déteste la police!‘ (Die ganze Welt hasst die Polizei!). Man sah migrantische Jugendliche, die vermehrt seit dem Ausnahmezustand von der Polizeigewalt betroffen sind, auf die Straße gehen und mit den Arbeiter*innen über die Möglichkeiten reden, wie man sich am besten gegen sie wehrt.

Nach Kofis Teil wurden Fotos und Videos von den Protesten gezeigt.

Hovhannes begann seinen Beitrag damit, die Reaktionen bürgerlicher Medien und des neu gewählten Präsidenten Macron zu den Protesten mitzuteilen – eine lächerliche, eklige Dreistheit und ein Zynismus, die von der tiefgehenden Angst vor der Einheit der Arbeiter*innen herrühren. Danach ging er dazu über, die Hintergründe der Proteste und die allgemeine politische Situation zu schildern.

Am 12. und 21. September fanden zwei Generalstreiks statt, an denen sich über eine halbe Million Arbeiter*innen beteiligten. Jedoch wurden die Streiks nicht von allen Gewerkschaften unterstützt, obwohl die Basis ihren Willen durch ihre Beteiligung an den Streiks gezeigt hat. Das neue Arbeitsgesetz wurde trotz der Massenmobilisierung am vergangenen Freitag abgesegnet. Hovhannes betonte jedoch, dass das nicht das Ende des Kampfes bedeute, da es in der Vergangenheit viele Beispiele gab, in denen abgesegnete Gesetze durch Mobilisierungen zurückgezogen wurden, so wie bei den Protesten im Jahr 2006 gegen das Gesetz „Contrat Première Embauche“ (Erstanstellungsvertrag).

Die Voraussetzung eines solchen Erfolges sei aber die Mobilisierung aller Arbeiter*innen durch unbegrenzte Streiks, unabhängig davon, welcher Gewerkschaft oder Partei sie angehören. Der Generalstreik im Transportsektor diese Woche, der von der CGT als „verlängerbar“ definiert wurde, könne ein guter Schritt zu einer solchen Perspektive sein, wenn auch die Arbeiter*innen anderer Gewerkschaften überzeugt würden, ihre Bürokratie unter Druck zu setzen.

Mit diesem Schlusswort begann die Diskussion. Von der Rolle der Studierenden in den Protesten bis zum Maße der Polizeigewalt, wurde auf viele Fragen eingegangen. Dann wurde auch über die Bundestagswahl diskutiert, wobei der Name der Veranstaltung eine Rolle spielte. Während die reformistische Linke in Deutschland gegen die Angriffe der Rechten und die wachsende Ungleichheit das Parlament und die Regierungsbeteiligung als Lösungen darstellen, kämpfen die Arbeiter*innen in Frankreich für ihre Rechte gegen die Regierung auf den Straßen und in Betrieben.

So endete die Veranstaltung, während die Teilnehmer*innen die Diskussion draußen mit kalten Getränken weiterführten. Bei vielen aber hallten die Worte in ihren Köpfen nach: „Kämpfen wie in Frankreich“.

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