Fallpauschalen: Wie der Markt die Krankenhäuser ruiniert

22.08.2018, Lesezeit 6 Min.
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Für die gleiche Behandlung bekommen Krankenhäuser überall in Deutschland das gleiche Geld. Die Einführung dieser Fallpauschalen war ein weiterer Schritt zur Rationalisierung und Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung – zulasten der Beschäftigen und der Patient*innen.

Seit 2004 werden in Deutschland medizinische Behandlungen im Krankenhaus nicht nach den tatsächlich angefallenen Kosten abgerechnet, sondern anhand eines Systems von sogenannten Fallpauschalen, auch bekannt als Diagnosis Related Groups, kurz DRG. Dabei handelte es sich jedoch keineswegs um eine einfache buchhalterische Umstellung – die Auswirkungen der DRG haben zu einer verheerenden Veränderung der Gesundheitsversorgung geführt. Beispielhaft lässt sich das an einer Herzoperation zeigen:

Wenn bei ein*er Patient*in eine verengte Aortenklappe festgestellt wird, hilft oft nur der künstliche Ersatz, damit eine Herzinsuffizienz vermieden werden kann. Bis vor wenigen Jahren gab es dafür einen Standardeingriff mit einer Spaltung des Brustbeins und dem Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine. Bei Patient*innen, für die diese Art der offenen Operation zu risikoreich war, wurde die sogenannte Transkatheter-Aortenklappenimplantation, kurz TAVI, angewandt. Im Jahr 2007 war das in 1,3 Prozent der Fälle nötig. Für Patient*innen mit niedrigem oder durchschnittlichen Risiko führt TAVI zu einer deutlich höheren Sterblichkeit.

Was haben nun DRG damit zu tun? Von 2007 bis 2014 ist der Anteil der TAVI an den Aortenklappenoperationen von den genannten 1,3 auf ganze 57 Prozent explodiert – wohl gemerkt, obwohl erwiesen ist, dass dieser Eingriff für die allermeisten Patient*innen viel gefährlicher ist. Der Grund dafür ist einfach: Für eine herkömmliche Operation bekommen die Krankenhäuser eine Pauschale zwischen 16.800 und 24.600 Euro, für eine TAVI sind es hingegen 33.600 Euro. Die Gewinnspanne ist für die riskantere Option erheblich höher. Kurz: Für den Profit werden Leben aufs Spiel gesetzt.

Wem nützen Fallpauschalen?

Die Fallpauschalen wurden ursprünglich 2003 nach dem Vorbild des australischen Bundesstaats Victoria eingeführt und gelten seit 2004 verpflichtend für alle Krankenhäuser. Die Vorstellung hinter ihrer Einführung war, dass Krankenhäuser sparsamer und wirtschaftlicher arbeiten würden, wenn sie in Konkurrenz zueinander treten würden. Dafür wurden Patient*innengruppen nach Diagnosen einheitlich gruppiert – daher die Bezeichnung – und für die Behandlung eine einheitliche Bezahlung veranschlagt. Verantwortlich zeichnete für diese Entscheidung damals als Gesundheitsministerin in einem rot-grünen Regierungskabinett die Sozialdemokratin Ulla Schmidt.

Schon damals war klar: Dieser Wettbewerb wird zulasten der Beschäftigten und der Patient*innen gehen. Nach Fallpauschalen die Behandlung einer Patientin zu kalkulieren, bedeutet die Gesundheit eines Menschen wie eine Ware zu berechnen. Wie es das oben skizzierte Beispiel der Aortenklappenoperationen zeigt, geht es dann nicht mehr darum, wie einem Menschen möglichst gut geholfen werden kann, sondern einzig und allein, wie am meisten Gewinn aus seiner Therapie geschlagen werden kann. Was lukrativ ist, wird gemacht, und was zu wenig bringt, wird vermieden. In der Regel gilt, dass lukrativ ist, was mit technischem Aufwand verbunden ist. Im Umkehrschluss bleiben beispielsweise wichtige Anamnesen oder Arzt-Patienten-Gespräche auf der Strecke.

Patient*innen sollen aus demselben Grund heute so schnell wie nur irgend möglich wieder entlassen werden, denn jeder weitere Tag im Krankenhaus ohne neue Behandlung bedeutet, dass der Gewinn schmilzt. Dabei spielt fast schon eine untergeordnete Rolle, ob die Patientin tatsächlich schon geheilt ist. Sowohl eine solche Unterversorgung als auch medizinisch unnötige, aber finanziell lohnenswerte Behandlungen sind letztlich nichts anderes als Körperverletzung.

Steigende Belastung für Beschäftigte

Nicht vergessen werden darf dabei, dass dieser Zustand nicht nur für Patient*innen gefährlich ist, sondern auch für die Beschäftigten sehr belastend ist. Auf Ärzt*innen lastet ständig der Druck, nicht medizinisch, sondern ökonomisch zu entscheiden. In der Krankenhaushierarchie gelangt dieser Druck von den Geschäftsführer*innen über Chef- und Oberärzt*innen zu den Fach- und Assistenzärzt*innen.

Dass zu wenig Personal, besonders zu wenige Pflegekräfte, vorhanden sind, resultiert aus demselben wirtschaftlichen Zwang. Wenn Kliniken sparen müssen, liegt es für sie nur nahe, das bei den Personalkosten zu tun. Die daraus resultierenden Zustände sind für Patient*innen wie für die Beschäftigten fatal.

Seit Jahren gibt es deshalb in verschiedenen Krankenhäusern bundesweit Streiks und Proteste für mehr Personal. Zugleich haben Solidaritätskreise Volksbegehren gegen den Pflegenotstand gestartet, wie zuletzt in Bayern. Das Anliegen dieser Volksbegehren, mehr Personal durch die Festsetzung von Personal-Patient*innen-Schlüsseln zu gewährleisten, kann den Sparzwang an den Krankenhäusern zwar nicht beenden. Doch diese Schlüssel durchzusetzen bedeutet einen ersten, wenn auch noch kleinen Bruch mit dieser Logik.

Für ein Gesundheitssystem im Dienste der Patient*innen und Beschäftigten!

Es ist völlig illusorisch zu glauben, dass ein System, das auf Gewinnmaximierung orientiert ist, gleichzeitig den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden kann. Das DRG-System muss als drastische Spitze dieses kapitalistischen Gesundheitssystems so schnell wie möglich beseitigt werden. Streiks, Demonstrationen und Volksbegehren sind dazu erste Schritte.

Doch die Abschaffung von DRG wird die Ökonomisierung des Gesundheitssystems nicht beenden. Die Zwei-Klassen-Medizin, die von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen gestützt wird, die unzureichende Gesundheitsversorgung in der Altenpflege, der verheerende Personalmangel, das grassierende Outsourcing von Teilen des Krankenhausbetriebs – selbst von so zentralen Bereichen wie der Sterilisation von OP-Besteck, wie im Falle der Vivantes Service GmbH in Berlin –, die große Macht der Pharmakonzerne: Diese und noch viel mehr Elemente zeigen, dass es uns darum gehen muss, ein ganz anderes Gesundheitssystem zu etablieren. Ein Gesundheitssystem, welches wirklich im Dienste von Patient*innen und Beschäftigten steht.

Dazu gehört perspektivisch die Abschaffung der privaten Krankenversicherungen und die Einführung eines vereinheitlichten staatlichen Pflichtversicherungssystem, zu 100% bezahlt von den Bossen und Höchstverdiener*innen, die Kontrolle von Personalständen und Dienstplänen durch Komitees von Beschäftigten und Patient*innenvertretungen, die Enteignung der großen Pharmakonzerne, um nur einige Punkte zu nennen.

Die Pflegevolksbegehren sind ein erster Schritt. Sie müssen kombiniert werden mit der Selbstorganisierung der Beschäftigten in den Krankenhäusern, mit Streiks und einer gesamtgesellschaftlichen Kampagne für ein Gesundheitssystem im Interesse von Patient*innen und Beschäftigten, statt im Interesse von Bossen und Versicherungen.

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