Volksbegehren gegen den Pflegenotstand nimmt an Fahrt auf. Von ver.di und der Linkspartei initiiert, versucht die bayerische Opposition im Wahlkampf den Unmut der Wähler*innen in parlamentarische Bahnen zu lenken. Aber wie wird daraus mehr als nur ein Sturm im Wasserglas?" /> Volksbegehren gegen den Pflegenotstand nimmt an Fahrt auf. Von ver.di und der Linkspartei initiiert, versucht die bayerische Opposition im Wahlkampf den Unmut der Wähler*innen in parlamentarische Bahnen zu lenken. Aber wie wird daraus mehr als nur ein Sturm im Wasserglas?" />

Pflegeaufstand in Bayern: Den Kampf in die Betriebe tragen

20.08.2018, Lesezeit 7 Min.
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Die Resonanz ist riesig, vor allem ist sie flächendeckend. Das Volksbegehren gegen den Pflegenotstand nimmt an Fahrt auf. Von ver.di und der Linkspartei initiiert, versucht die bayerische Opposition im Wahlkampf den Unmut der Wähler*innen in parlamentarische Bahnen zu lenken. Aber wie wird daraus mehr als nur ein Sturm im Wasserglas?

„Wir erleben eine überwältigende Welle der Zustimmung von Beschäftigten aus den Krankenhäusern, Patient*innen, Arztpraxen aber auch aus der gesamten Bevölkerung“ erklärt Harald Weinberg, Beauftragter des Volksbegehrens gegen den Pflegenotstand an bayerischen Krankenhäusern. Inzwischen wurden über 70.000 Unterschriftenlisten von Sammler*innen aus ganz Bayern angefordert und tagtäglich werden etwa 30 Bestellungen bearbeitet. Azubis, Ärzt*innen, Betriebsräte – das Thema bewegt die Menschen in Bayern. Und es bewegt sie nicht nur, nein! Die Menschen werden auch tatsächlich aktiv. In vielen Städten gründen sich Pflegenotstands-Bündnisse, über 70 Veranstaltungen auf Betriebsversammlungen sind geplant und täglich schicken Sammler*innen ihre Bilder samt Unterschriften an das Bündnis zurück.

Dynamik in Krankenhäusern

Bundesweit gab es in den letzten zwei Jahren vermehrt Druck aus den Krankenhäusern. Ob Volksentscheide in Hamburg und Berlin, die Streikbewegung im Saarland, der Streik zur Bundestagswahl 2017 oder die Unikliniken in Essen und Düsseldorf, die sich seit dieser Woche im Arbeitskampf befinden. Das Thema rückt vermehrt auf die politische Agenda, denn die Menschen erleben die prekären Bedingungen der Pflege in ihrem Alltag. Darüber hinaus: Der Großteil der Bevölkerung fordert laut einer infratest-Umfrage höhere staatliche Investitionen in Pflege und Altersvorsorge. Ähnlich wird es da bei der Frage aussehen, ob unser Gesundheitssystem einer weiteren Privatisierung und Profitstreben unterworfen sein sollte oder nicht. Die saarländische CDU reichte letztes Jahr als Reaktion auf die landesweiten Streiks sogar eine Bundesratsinitiative für mehr Personal im Krankenhaus ein. Die Bundeskanzlerin sah sich im Wahlkampf gezwungen, auf das Thema der Pflege einzugehen. Und Jens Spahn wird zur Zielscheibe des Unmuts, sobald er sich als Gesundheitsminister zum Thema Pflege äußert.

Der Pflegeaufstand ist also nun in Bayern angekommen. Soweit, so gut. Zwar gab es bisher mehrere Warnstreiks und Arbeitskämpfe z.B. in Aschaffenburg und Augsburg, aber von einer landesweiten Bewegung konnte bisher nicht die Rede sein. Der Zeitpunkt für das Volksbegehren mag günstig gewählt sein, kurz vor der Landtagswahl wirkt die CSU angeschlagen. Das merkte man nicht zuletzt bei den beiden Münchner Großdemonstrationen im Mai und im Juli. Die Söder-Regierung schafft es nicht, die durch sie hervorgerufene Polarisierung in eine ihr günstige Richtung zu lenken. Weder mit ihren Disziplinarmaßnahmen in Form des Polizeiaufgabengesetzes, noch mit dem bayerischen Kindergeld oder der Soforthilfe für die von der Sommerhitze gebeutelten Landwirte.

Von dieser Stimmung gegen die derzeitige Regierung profitiert das Bündnis. Den Arbeiter*innen ist weitgehend klar, wer in Bayern für die miserablen Bedingungen verantwortlich ist. Bisher schweigt die CSU zu diesem Thema, eine soziale Offensive der Gewerkschaften käme für sie einer Katastrophe gleich. Eine Offensive für bessere Arbeitsbedingungen, gegen die weitere Privatisierung und für Verstaatlichungen im Gesundheitswesen.

Das Volksbegehren ist ein erster Schritt in diese Richtung. Es ist ein Schritt nach vorne. Die Identifikation mit dem Volksbegehren ist groß und es ermöglicht uns, Unterstützung in anderen gesellschaftlichen Sektoren zu organisieren. Als Druckmittel gegenüber den reformistischen Parteien kann es dazu dienen, einen Sieg in der Auseinandersetzung um die Privatisierung des Gesundheitswesens zu erkämpfen.

Plattform gegen den Rechtsruck

Aber was kommt danach? Das Volksbegehren muss man als Plattform betrachten, auf der wir unsere Politik gegen den Rechtsruck anbieten. Als demokratisches Mittel bleibt ein Volksbegehren selbstverständlich begrenzt: Es benötigt einen hohen bürokratischen Aufwand, nimmt viel Zeit in Anspruch, kann nur als Gesetzesentwurf eingebracht werden und es besteht nicht einmal die Möglichkeit, die Regierung zu Investitionen zu zwingen. Darüber hinaus haben Menschen ohne deutschen Pass keine Möglichkeit, diesen Kampf auf Augenhöhe mit zu führen. Sie machen einen beträchtlichen Teil der Arbeiter*innen in der Pflege aus, können aber nicht mitbestimmen. Auch in den Gewerkschaften sind sie unterrepräsentiert.
Unter den derzeitigen Bedingungen in der Pflege ist es natürlich geradezu skandalös, dass Arbeiter*innen für bessere Arbeitsbedingungen überhaupt Unterschriften sammeln gehen müssen.

Dass es nun soweit kommt, ist ein unmittelbarer Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Politik der Großen Koalition und dem bisherigen Agieren der Gewerkschaftsführung. Schon jetzt geht das Bündnis davon aus, dass die Zulassung des Volksbegehens vor Gericht erkämpft werden muss. Der politische Gegner kann auf Zeit spielen. In dieser Zeit werden zehntausende Arbeiter*innen weiter unter den prekären Bedingungen zu leiden haben. Wir müssen das Volksbegehren also nutzen, um uns in eine Position zu bringen, aus der wir unseren Forderungen Nachdruck verleihen können. Die Perspektive heißt deshalb Streik. Der Streik wird uns in einer Nacht weiter voranbringen als ein einjähriges Volksbegehren. Ohne kämpferische Betriebsgruppen werden diese Streiks aber nicht geführt werden können.

Die Aufgabe des Bündnisses ist es daher, eine gewerkschaftsübergreifende Aktion zu initiieren und solche Betriebsgruppen überall aufzubauen, wo sich die Möglichkeit dazu ergibt. Als ver.di 2017 zur Bundestagswahl zu Streiks in Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen aufrief, scheiterte die Initiative an der Strategie, außerbetriebliche Kampagnen und Lobbypolitik bei der Großen Koalition der betrieblichen Auseinandersetzung vorzuziehen. Seither verschlechterte sich die Situation in der Pflege zunehmend. Private Krankenhauskonzerne sehen sich sogar ermutigt, Streiks vor dem Arbeitsgericht verbieten zu lassen. Solche Fehler dürfen sich nicht wiederholen. Die Streiks müssen konsequent bis zum Ende geführt werden und nicht nach drei Warnstreiks in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber enden.
Die Pflege betrifft jede*n Arbeiter*in.

Für lohnabhängig Beschäftigte ist es fundamental auf eine gut organisierte, öffentliche Gesundheitsversorgung zurückgreifen zu können. Das betrifft nicht nur die Beschäftigten im Gesundheitswesen, es betrifft auch die BMW-Arbeiter*innen und die Azubis bei Siemens. Die Sammelaktionen müssen in die Betriebe getragen werden, um dort in Diskussionen übe das weitere Vorgehen anzustoßen. Das Gesicht des Volksbegehrens müssen die Arbeiter*innen in den Betrieben sein. Die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter*innen sollten aufgerufen werden, für ihre Pflege, für ihr Gesundheitssystem zu kämpfen. Erst wenn die Mitglieder der GEW, die IG-Metall, die IG-BCE, die IG-Bau, die EVG und die NGG ein organischer Teil des Volksbegehrens werden, werden wir in der Lage sein, in den Kampf gegen den Abbau des staatlichen Gesundheitssystems ernsthaft einzugreifen.

Der Erfolg des Volksbegehrens wird die Basis für weitere Forderungen sein. Die Privatisierung des Gesundheitssystems wird damit nicht abgeschafft. Der Erfolg des Volksbegehrens kann daher nicht allein danach bemessen werden, ob am Ende der Gesetzestext angenommen worden ist. Das Volksbegehren gegen den Pflegenotstand spricht einen weiten Teil unserer Klasse an und hat dadurch das Potential, über bürokratische Gewerkschaftsgrenzen hinweg eine Diskussion anzustoßen, welche Initiativen notwendig sind, um unsere Interessen durchzusetzen. Der Aufstand in der Pflege muss von anderen Sektoren als der eigene Kampf wahrgenommen werden und er muss uns ermöglichen, in Zukunft Erzwingungsstreiks zu organiseren. Nur so werden wir den Rechtsruck aufhalten und unsere Zukunft gestalten können.

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