Ein neuer alter AStA an der FU Berlin

20.05.2022, Lesezeit 15 Min.
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Foto: Mo Photography Berlin / shutterstock.com

Letzten Donnerstag fanden die Wahlen für den allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) an der Freien Universität Berlin statt. Eine politische Erneuerung und eine kämpferische Studierendenvertretung wird es für das nächste Jahr wohl nicht geben.

Vor etwa zwei Jahren wurde der letzte AStA vom Studierendenparlament (Stupa) gewählt. Normalerweise wird der Ausschuss jedes Jahr neu gewählt, doch letztes Jahr fielen die Wahlen des Stupas aus. Als Grund dafür galt die Coronapandemie und das Online-Semester. Doch während andere Berliner Hochschulen, wie zum Beispiel die ASH, Briefwahlen durchführten, fanden diese an der FU nicht statt.

Im Januar kam es schließlich mit einem Jahr Verspätung zu den Wahlen. Die Wahlbeteiligung sank auf unter drei Prozent, womit ein neuer Tiefpunkt der studentischen Partizipation erreicht war. Auch wenn die anhaltende Pandemie einen Einfluss auf die niedrige Wahlbeteiligung haben könnte, liegt die Ursache für die Entpolitisierung vor allem in der Art, wie Hochschulpolitik gedacht und praktiziert wird.

Ein zentrales Problem an der Hochschulpolitik an der FU ist, dass viele Studierende nicht über das Verfahren der Strukturen bescheid wissen, oder schlichtweg nicht sehen, was diese Wahlen bringen sollen. Kein Wunder: Das Stupa macht neben symbolischen Resolutionen oft wenig, außer den AStA zu wählen. Und dieser wird von vielen lediglich als Dienstleistungsanbieter gesehen, der zum Beispiel  die Bafög-Beratung und das Semesterticketbüro organisiert.

Beratungen und Hilfe für einzelne Studierende sind zweifelsohne wichtige Dienste der studentischen Selbstverwaltung. Doch darüber hinaus könnte und sollte der AStA jedoch ein Organ der Studentischen Selbstorganisierung sein, wo Studis über Politik in Uni und Gesellschaft diskutieren und Aktionen und Kampagnen entwickeln, um ihre Interessen voranzutreiben.

Dass dies nicht geschieht, so meinen Vertreter:innen des AStA, läge an der Passivität und Depolitisierung der Studierenden und nicht zuletzt am Leistungsdruck in der Lernfabrik, der Studis wenig Zeit für politische Arbeit lässt. Das ist sicherlich richtig, doch wenn nicht aktiv dagegen gearbeitet wird, bleibt es eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Zu klein und zu wenig sind die politischen Angebote, die der AStA an die breite Studierendenschaft macht, wenn sie nicht auf der eigenen politischen Linie sind. Das wichtigste demokratische Gremium der Studierenden, die Vollversammlung, findet so gut wie keinen Gebrauch. Seit dem Beginn der Pandemie kam es zu drei Vollversammlungen, zur Wohnungsfrage und zum Corona(mis)management der Universität. Doch diese hätten nicht stattgefunden, hätten engagierte Studierende, Fachschaftsinitiativen und Hochschulgruppen wie der SDS, das Rote Café und wir von Klasse Gegen Klasse nicht starken Druck auf den AStA gemacht, diese zu organisieren.

Links, aber bürokratisch

In der Jugend sind bundesweit die Ampelparteien am Beliebtesten, in Berlin ist es Rot-rot-grün. Die Mehrheit der Jugendlichen ist also die Basis für die Unterstützung der Regierenden. An der FU wird das nicht groß anders sein. Man müsste sich daher fragen, wie es ein “linksradikaler” AStA so lange schafft sich zu halten, wenn der Großteil der Studierenden, sollten sie sich hochschulpolitisch beteiligen, vielleicht lieber die Jusos oder Grüne Jugend im AStA sehen würde.

Wer aber den AStA innehat, ist ein intransparenter Block von einem nach außen nicht öffentlich auftretendem “linken Bündnis”, das sich seit Jahren gegenseitig Stimmen und Plätze zuschiebt.

Ein Erklärungsfaktor ist die schon angesprochene niedrige Wahlbeteiligung. Wer wählt, sind tendenziell hochschulpolitisch Aktive und deren Bekannten. Der Großteil der Studis interessiert sich wenig für die Stupa-Wahlen.

Wenn sich ein:e Studi zum Wählen zwingt und noch keine Leute kennt, für die sie wählen kann, sitzt sie vor der Wahlurne und ist erstmal überfordert. Es gibt neben tatsächlichen Fachschaften und Hochschulgruppen viele Listen, die sich kaum voneinander unterscheiden lassen: Queere Liste, LISTig gegen das Patriarchat und Down with the Cis-tem, Linke Liste und Grüne Alternative Liste. Es gibt thematische Listen wie die Semesterticketliste oder die Korfu (Kritische Orientierungswochen) Liste. Der “Asta-Block” spricht sich also jedes Jahr aufs neue ab, welche Listen erfunden werden können, um sich möglichst breit ins Stupa wählen zu lassen. Dahinter stehen keine verschiedenen politischen Programme, ja häufig sind die “verschiedenen” Listen auf die selbe Gruppe an Leuten zurückzuführen, die eigentlich gemeinsam organisiert sind, aber sich dann aufteilen.

Dass dies so ist, liegt am angewandten Wahlsystem der personalisierten Verhältniswahl. Es ist einfacher, mit zwei Listen je eine Person ins Stupa zu schicken, als mit einer Liste (siehe z.B. das Wahlergebnis diesen Jahres). Es werden also Listen geschaffen, obwohl dahinter keine wirkliche Gruppe oder politische Vision steht. Eventuell bringt die Liste an und zu eine symbolische Resolution zum Thema ein; und das war’s dann mit der Beteiligung im Stupa.

Zur Verteidigung des aktuellen Stupas muss man sagen, dass es in vorigen Wahlperioden schlimmer war. Listennamen wie “Wasserspender in der Mensa” oder “Jesus Listus” schafften ohne politisches Programm Stimmen für die AStA-Koalition. Wie die PARTEI, nur unpolitischer.

Dieses Wahlsystem führt zu Depolitisierung. Es gibt keine Debatten über Perspektiven der Unipolitik, keinen Austausch über Analyse, Theorie und Praxis. Die Wahlen werden aktuell nur durch unpolitische Vetternwirtschaft gewonnen. Ziel ist es, in den AStA zu kommen, um von dort aus Einfluss auf die Unipolitik zu haben. Dieser Einfluss ist aber künstlich, und nicht organisch, und wird daher immer unbedeutender und geringer. Die niedrige Wahlbeteiligung und die krasse Legitimitätskrise, in der sich deshalb alle studentischen Gremien befinden, lassen sich also ganz maßgeblich auf diese Form der intransparenten und bürokratischen Ausnutzung der wenigen Möglichkeiten zurückführen, die die Studis überhaupt zum Ausdruck ihres politischen Willens an der Uni  haben.

AStA Referate oder: die Geister, die wir wählten

Zurück zu den diesjährigen Wahlen: Zuerst mussten die Referate, aus denen der AStA sich zusammensetzt, entlastet werden, damit  sie daraufhin neu gewählt werden konnten. Worin die abgekarteten Absprachen auch führen können, zeigte sich hier: Nicht mal die Hälfte der Referent:innen, die bei der letzten Wahl in den AStA gewählt wurden, waren anwesend, um ihre Arbeit vor dem Studierendenparlament zu erklären. Zum einen haben sicherlich einige ihr Studium in den letzten beiden Jahren beendet und befinden sich gar nicht mehr an der Universität. Zum anderen muss der AStA-Block jedes Jahr auch immer einige neue Leute kooptieren, um die dreizehn Referate mit je drei Referent:innen voll zu kriegen. Diese merken unter Umständen, dass diese Hochschulpolitik doch nichts für sie ist, und hören dann mit der Arbeit im AStA auf. Das Brisante daran ist, dass in beiden Fällen der Sitz im Referat eigentlich vom Stupa neu gewählt werden müsste, was nicht geschehen ist. Stattdessen schicken Gruppen wie laiz dann einfach neue Leute in die Referate, undemokratisch und am Parlament vorbei. Diese neuen Leute stellen sich dann bei der neuen AStA-Wahl hin und sagen, dass sie schon einige Zeit dem Referat “geholfen” hätten, was sie natürlich besonders dazu qualifiziert, das Amt jetzt richtig aufzunehmen.

Die Rechenschaftsberichte, wie auch immer sie zustande gekommen sind, waren politisch gesehen zum größten Teil ein ganz schönes Trauerspiel. Der notwendige bürokratische Aufwand wurde geleistet, es wurde sich mit dem Präsidium gestritten, Anfragen wurden betreut; alles gut und richtig. Aber politisch herrschte  Windstille.

Das Internationalismus- und Antifaschismusreferat behauptete, ihre Arbeit bestünde in der “Verankerung antifaschistischer Politik an der Universität” – was ihrem Namen nur um 50% gerecht wird. Und das ließ sich zeigen. Internationale Themen kamen in keinem Wort vor – im Gegensatz zu den Zeitungsabonnements, die das Referat besitzt. Sucht man auf der Website des AStAs nach dem Schlagwort “Internationalismus” kommt kein einziges Ergebnis, was auf eine Veranstaltung, einen Vortrag, eine Aktion oder sonst irgendwas hinweist, das mit Internationalismus zutun hat. Weiter wird behauptet, sie wären gegen Querdenker:innen vorgegangen, hätten sensibilisiert und aufgeklärt. Wenn man aber danach sucht, wird auch dazu nichts gefunden.

Im Allgemeinen ist es erschreckend, dass weder der Vorsitz noch die Referate die gesunkene Wahlbeteiligung oder die undemokratische Verschiebung ihrer Periode von ein auf zwei Jahre ansprach.

Als die Referate entlastet wurden, kam es zur Neuwahl. Viele der Kandidat:innen waren nicht einmal anwesend, und viele gingen kurz nachdem sie gewählt wurden. Die meisten stellten weder sich politisch vor, noch was sie gerne durchsetzen würden und wie, sondern gaben generische Aussagen von sich, wie die Schaffung von mehr “Mitbestimmung” und “Offenheit”. Diese abstrakten Selbstanforderungen sind nichts neues und werden bei so gut wie jeder Wahl gemacht, hoffen wir, dass sie diesmal ernst genommen werden. Immerhin wurde sich vorgenommen, einen Newsletter herauszugeben.

Kein neues Internationalismus- und Antifaschismusreferat

Die Angriffskriege auf die Ukraine und auf Kurdistan, der verstärkte rechte Terror der letzten Jahre, die Ausweitung der NATO und die Aufrüstung der Bundeswehr stellen Linke vor die Herausforderung, eine große Bewegung gegen Krieg und Militarismus aufzubauen.

Aus diesem Grund haben wir von Klasse gegen Klasse für das Internationalismus- und Antifaschismusreferat kandidiert, um den AStA zu aktivieren, Versammlungen und Veranstaltungen mit Studierenden und Beschäftigten abzuhalten und den Internationalismus wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Wir tun dies seit Kriegsbeginn bereits außerhalb des AStA, und haben diesen auch mehrfach kontaktiert, damit sie sich an einer Kampagne gegen die Aufrüstung beteiligen. Eine Antwort bekamen wir nicht.

Die anderen Kandidat:innen aus der Hochschulgruppe la:iz stellten ebenfalls richtige Forderungen auf, sie sind auch für die Öffnung der Uni für Geflüchtete und  wollen die Zulassungsbeschränkungen für Migrant:innen abschaffen. Sie betonten, Anlaufstelle für Diskriminierung sein zu wollen und “alltagsorientiert” zu arbeiten, gleichzeitig aber mehr Offenheit schaffen zu wollen. Wie, und was konkret dafür getan werden soll, wurde jedoch nicht thematisiert.

Nach Vorstellung der Kandidat:innen trug ein Vertreter der FSI OSI Vorwürfe gegen uns vor, von denen einer absurder als der andere ist.

Wir wurden beschuldigt, den AStA kritisieren und unterwandern zu wollen. Es stimmt, dass wir kritisieren, aber wir tun das mit allem Recht auf Debatte und Polemik, was in der Linken eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Der Vorwurf nach Unterwanderung hingegen ist absurd: Wir haben unsere Kandidaturen, im Gegensatz zu *allen* anderen Kandidat:innen öffentlich bekannt gemacht, Unterschriften und Unterstützung dafür gesammelt und konkrete Vorschläge gemacht. Gerne hätten wir vorher mehr öffentlichen Austausch über unsere Perspektive für das Referat gehabt, dazu bräuchte es aber öffentliche Kandidaturen, im Gegensatz zu den geheimen Absprachen, die im Vorfeld der Wahl stattfanden.

Ein weiterer Vorwurf war, dass wir “regressive Kapitalismuskritik” betreiben würden. Damit gemeint ist, dass wir Bosse und Konzerne kritisieren, also die Auswüchse des Kapitalismus, während es eigentlich darum ginge, das System als solches zu kritisieren. Das ist zum einen analytisch falsch, schließlich existiert ein System nicht einfach so, sondern dient konkreten Menschen und wird von diesen aufrechterhalten, zu anderen ist es auch weltfremd. Die Arbeiter:innen von Amazon, die gerade in den USA eine Gewerkschaft aufbauen und sich damit dem Billionär Bezos entgegenstellen, wären nach dieser Logik ebenfalls “regressiv”.

Außerdem sei auch unsere Imperialismuskritik falsch. Wir würden lediglich die NATO kritisieren und nicht Russland und seien daher für die Opferung der Ukraine an den Aggressor. Das ist eine dreiste Lüge, die jede Person sehen kann, wenn sie einen Blick auf unsere Zeitung und Politik in den letzten drei Monaten wirft.

Schließlich seien wir Antisemit:innen, weil wir die Besatzung Palästinas ablehnen und Antizionismus automatisch antisemitisch sei. Diesen klassisch antideutschen Vorwurf, der nirgendwo auf der Welt außer in Deutschland und Österreich von Linken ernstgenommen wird, haben wir bereits Dutzende Male dementiert. Besonders dreist ist es aber, dass diese Vorwürufe grade von der FSI OSI kommen, die sogar noch über “normale” Antideutsche hinausgeht und nächste Woche eine Veranstaltung mit Stephan Grigat organisiert, der sogar in diesen Kreisen oft als zu rechts und rassistisch abgelehnt wird.

Wir haben diese Vorwürfe in der Sitzung zurückgewiesen, unterlagen jedoch mit je ca. 8 zu 38 Stimmen bei der Wahl.

Rassist:innen raus aus der Uni: Kein Podium für Stephan Grigat!

Gegen rassistische Hetze an der FU und überall. Kommt zur Kundgebung am Montag, den 23. Mai um 17 Uhr vor der Rost-und Silberlaube in der Otto-von-Simson-Str. 26.

Alle Infos:

Rassist:innen raus aus der Uni: Kein Podium für Stephan Grigat!

Resolutionen ja, Politik nein

Nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatten und in dieses oder jenes Referat gewählt wurden,  gingen viele der neu gewählten Referent:innen aus dem Saal und es wurde in kleinerer Runde über Resolutionen abgestimmt. Wir brachten drei ein: für eine Zivilklausel, für die Aufnahme aller Geflüchteter an die Uni und für eine Kampagne gegen die Aufrüstung der Bundeswehr.

Die ersten beiden wurden lediglich mit zwei Gegenstimmen (vom RCDS, der Studierendenverband der CDU) und einer Enthaltung (von der FSI OSI) angenommen, worüber wir uns sehr glücklich schätzen.

Die Resolution für eine Kampagne gegen die Aufrüstung schlug vor, dass der AStA neben anderen Sachen eine Vollversammlung zu diesem Thema einberuft, und auf die Demonstration gegen das Bundeswehr-Sondervermögen mobilisiert. Diese Resolution wurde dafür kritisiert, dass eine Vollversammlung nicht gut funktionieren würde. Sie wurde mit 7 Ja-Stimmen, 9 Nein-Stimmen und 12 Enthaltungen abgelehnt.

Wir empfinden das als ein Armutszeugnis seitens der AStA-Koalition. Symbolische Resolutionen zu verabschieden wird prinzipiell für gut geheißen, aber konkrete Politik zu machen, um den AStA aus seiner Isolierung und Studis aus ihrer Passivität rauszuholen, wird abgelehnt. Obwohl in den Kandidaturen noch viel die Rede von Aktivität, Transparenz und Veränderung war, wird direkt der erste Vorschlag abgelehnt, der auf eines der wichtigsten politischen Ereignisse dieser Tage Bezug nimmt und versucht, Studierende und Beschäftigte an der Universität zu aktivieren.

Die Ablehnung einer Kampagne gegen Krieg und Aufrüstung an der FU ist ein schlechtes Zeichen, was den Charakter des neuen-alten AStAs angeht. Hoffentlich wird dies nicht bezeichnend für die Politik, die im kommenden Jahr an der Uni stattfinden soll. Wir werden als Klasse Gegen Klasse alles dafür tun, auch in Zukunft für die Repolitisierung der Studis zu kämpfen. Wir wollen ein Gegengewicht zu den verkrusteten Strukturen der Studi-Bürokratie aufbauen, damit es für AStA und Stupa nicht möglich ist, sich komplett zurückzuziehen.  Wir werden weiterhin mit Veranstaltungen, Workshops, Demos und Aktionen versuchen, so viele Studis und Beschäftigte wie möglich für den Kampf gegen die herrschenden Zustände zu gewinnen. Konkret werden wir jetzt auch weiterhin dafür kämpfen, dass sich die FU gegen die geplante Aufrüstung der Bundeswehr stellt, egal ob die bürokratischen Strukturen dieses Vorhaben bremsen wollen, oder nicht! Dafür arbeiten wir auch jetzt schon mit Gruppen in und außerhalb der Uni zusammen, die nicht warten wollen, bis der AStA-Block aus dem Knick kommt und versucht die Studis zu organisieren.

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