Freiheit für Palästina
Der 15. Mai 1948 begann die Nakba, die „Katastrophe“ der hunderttausendfachen Vertreibung der Palästinenser:innen aus ihren Häusern und Dörfern nach der Gründung des Staats Israel. Doch die Nakba ist nicht vorüber. Die Massaker der israelischen Armee in Gaza heute sind Teil derselben kolonialen Kontinuität.
Dieses Dossier fasst Artikel zusammen, die die nationale Frage in Palästina in ihrer gesamten Komplexität aufarbeiten, und versucht, auf akute Aufgaben der Widerstandsbewegung gegen die erneute israelische Offensive Antworten zu geben.
Im System des zionistischen Siedlerkolonialismus stehen die Siedlung, der Raub von Land und natürlichen Ressourcen und die Unterdrückung der Einheimischen durch Streitkräfte in einem kombinierten Verhältnis zueinander. So wandelt sich Schritt für Schritt die demographische Struktur des Landes unter Zwang. Diese Praxis ist nicht neu, sondern verwurzelt bis hin zu den Ursprüngen des Kolonialisierungsprozesses, der mit Hilfe der britischen Regierung im Jahr 1917 zunächst in Form eines Mandats in Palästina begann. Der Prozess machte mit der Staatsgründung Israels 1948 einen Sprung und führte zur Vertreibung von 700.000 Palästinenser:innen. Zwischen 1947 und 1948 wurden 531 Dörfer und elf Stadtviertel besetzt, zerstört und ihre Bewohner:innen vertrieben. Ende 1948 waren 85 Prozent aller Palästinenser:innen zu Geflüchteten geworden.
Das zionistische Regime beruht auf der fortdauernden territorialen Ausdehnung zu Lasten der Palästinenser:innen. Das betrifft nicht bloß Palästina selbst; auch das syrische Golan-Gebirge hält Israel unter Besatzung. Diese Ausdehnung wird durch viele kleine Bausteine aufrecht erhalten: Enteignung von palästinensischen Wohnungen, die Etablierung von Kibbuzim (jüdische Wohn- und Siedlungsprojekte, oft Wehrsiedlungen, die zwar beispielsweise innerhalb der Gemeinde Gemeineigentum vertreten, aber auch die Rolle hatten und haben, Land zu verteidigen). Israelische Grenzposten, von denen etliche hundert die Bewegungsfreiheit von Palästinenser:innen einschränken, sind militärische Vorposten der israelischen Offensive. Mit dem Nationalstaatsgesetz gilt Israel seit Juli 2018 als „jüdischer Nationalstaat“. Mit diesem rassistischen Gesetz verlor die arabische Sprache den Status einer Amtssprache und die kolonialistische Siedlungspolitik wurde zum nationalen Wert erklärt. Human Rights Watch hat den Zustand Palästinas als Verbrechen der Apartheid bezeichnet.
Der Gazastreifen, in dem die aktuellen Angriffe stattfinden, befindet sich seit mehr als einem Jahrzehnt in einer Wirtschafts-, Luft- und Landblockade durch den Staat Israel. Israel kontrolliert alle Land- und Seegrenzen zu Gaza und beansprucht das Recht, jegliche Importe und Exporte, sowie Ein- und Ausreise aus und nach Gaza zu genehmigen oder zu verweigern. Das führt zu einer wachsenden Überbevölkerung des Gebiets und einem ständig größer werdenden Elend für zwei Millionen Menschen, die nicht einmal sicheren Zugang zu Trinkwasser oder Strom haben.
Die Linke und die Arbeiter:innen in Israel stehen vor der Herausforderung, sich gegen die Pogrome, Apartheid und Besatzung den palästinensischen Massen die Hand zu reichen und sich konsequent für die Niederlage ihrer eigenen Regierung einzusetzen. Das ist eine schwierige Aufgabe, weil das Apartheidsregime die israelischen Arbeiter:innen durch materielle Privilegien und die Benachteiligung ihrer palästinensischen Klassengeschwister korrumpiert und ihnen systematisch die Ideologie verimpft hat, ihr Hauptfeind wäre Palästina. Obwohl jeder Mensch in Israel ganz genau weiß, wie korrupt die Netanjahu-Regierung ist und die Palästinenser:innen (inklusive derer mit israelischem Pass) als Menschen zweiter Klasse behandelt werden, mangelt es an internationalistischen Kampfaktivitäten. Das Problem liegt allerdings nicht in der menschlichen Gattung, sondern in chauvinistischen Organisationen, Vermittlungsinstanzen und restriktiver Verfassung, worauf sich das gesamte Apartheidsregime stützt. Die israelischen Arbeiter:innen können sich von den Fesseln des Chauvinismus nicht lösen, wenn sie keinen konsequenten Kampf für unabhängige Selbstorganisierung führen. Genau aus diesem Grund gelingt es den ultrarechten Kräften, die Jugendlichen und Arbeiter:innen zu kooptieren.
In Palästina gilt es, jenseits von reaktionären Führungen auf die unabhängige sozialistische Selbstorganisierung zu setzen. Daher ist der Kampf von jüdischer und palästinensischer Bevölkerungen untrennbar. Er umfasst eine Befreiungsperspektive für die gesamte Region. Die neue Tendenz der Intifada steht vor dieser Herausforderung, denn sie liegt nicht nur in der Hand von Palästinenser:innen. Für einen progressiven Ausweg brauchen sie ein revolutionäres Bündnis mit der internationalen Arbeiter:innenklasse, um nicht zurückgedrängt zu werden.
Wir möchten mit dem Dossier eine solche Perspektive vorstellen.