DIE REKRUTEN: Lächerlich und furchtbar

02.11.2016, Lesezeit 4 Min.
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Wir haben die erste Folge der neuen Reality-Show der Bundeswehr ertragen, damit ihr das nicht tun müsst. Es geht um zwölf junge Rekrut*innen, die zwölf Wochen lang täglich mit der Kamera begleitet werden.

Auch diese Serie braucht ein Paar gute Hauptpersonen, mit denen die Zielgruppe sich identifizieren kann. Eine kleine Übersicht der bisher wichtigsten drei Charaktere:

Jerome (19) macht Kraftsport und Breakdance. Wir überraschen ihn „zufällig“ bei seinen Klimmzügen. Sein Ziel bei der Bundeswehr ist Karriere. Er erwartet, seine sportlichen Grenzen zu erfahren. Lernen will er mehr Werte, Ordentlichkeit, Disziplin und vor allem erhofft er sich Spaß.

Nathan (19). Für seine Familie würde er alles machen. An der Bundeswehr reizt ihn die Kameradschaftlichkeit. Die Disziplin natürlich auch. Und sich selber zu beobachten, wie er ans Limit getrieben wird. Sein Vater findet: „Die Bundeswehr ist eine gute Einrichtung.“

Julia (18). Sie ist optimistisch und aufgeregt zur Bundeswehr zu gehen, um einen ordentlichen Beruf zu lernen. Ihre Mutter findet: Julia ist sehr hilfsbereit, gegenüber Menschen und Tieren.

Tag 1

Der Tag beginnt mit einer Krise und es fließen Tränen: der Ohrring geht nicht raus. Dabei stand das eindeutig auf dem Schild. Aber schnell wird klar:

Können die Leute auch mal sehen, dass es gar nicht so schlimm ist, wie immer gemeint wird. Es denken ja leider Gottes viele, es wäre richtig schlimm zur Bundeswehr zu gehen.

Denn bei der Bundeswehr gibt es sogar kleine Duschen, nicht nur große Duschsäle, wie man immer denkt. Na dann, jetzt sind alle Probleme gelöst.

Wie von den Rekrut*innen erhofft, wird Disziplin verlangt. Anweisungen werden mit „Jawohl“ kommentiert. Aber man merkt auch ein bisschen, wie sympathisch die Offizier*innen eigentlich sind, wenn die Kamera mit ihnen alleine ist.

Überhaupt soll alles in dieser Serie echt wirken. Ein bisschen chaotisch am Anfang, mit wackelnder Kamera verfolgen wir die Rekrut*innen. Fröhliche Musik. Matrosin Weisshuhn („geht nicht oft shoppen“) kennt ihre Hosengröße nicht. Der nervöse Matrose Palme findet die Station zum Einkleiden nicht.

Aber als sie dann endliche alle ihre Marinejacken tragen, merkt man schon ein bisschen, wie stolz sie jetzt sind. Ein bisschen wichtiger als vorher.

Das war der erste Tag. Ziemlich langweilig. Am besten ist auf jeden Fall die Werbung für Folge zwei. Großen Respekt für diesen phänomenalen Wortwitz:

Drei schalten minus zwei schalten ist gleich einschalten.

Bitterer Nachgeschmack

Lachen über die gesamte auf die Spitze getriebene Absurdität dieser Kampagne ist eine gute erste Reaktion. Aber eigentlich gibt es gar nichts zu lachen.

Der Anstrich der Normalität, den die Bundeswehr sich gibt, ist beängstigend: Hör auf zu spielen, mach was richtiges – in einem sympathischen, aber disziplinierten Umfeld. Mit der Webserie kann die deutsche Armee sich cool darstellen, als Anlaufstelle für Jugendliche, die sich selbst verwirklichen wollen – und ganz von alleine sogar so etwas Gutes tun können!

Nicht geredet wird darüber, was für ein Verein die deutsche Armee wirklich ist. Auslandseinsätze in 17 Ländern? Kein Wort. Kommt auch nicht so gut an, wenn es darum geht, Sympathiepunkte zu bekommen.

Was noch nicht so gut wirkt: Dass es innerhalb der Bundeswehr Misshandlungen der eigenen Soldat*innen gibt, sowie Vergewaltigungen und massiven Rassismus. So viel zu #Kameradschaftlichkeit und #Hilfsbereitschaft.

Acht Millionen Euro hat die Bundeswehr sich die Produktion der Serie und die massive Werbekampagne dafür kosten lassen. Acht Millionen Euro „werben fürs Sterben“.

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