Corona-Pakt: Wenn die Politik nicht verhandeln will, müssen wir streiken!

18.06.2020, Lesezeit 10 Min.
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Seit Wochen fordern Beschäftigte der großen Berliner Krankenhäuser vom Senat einen "Corona-Pakt" für mehr Sicherheit und bessere Arbeitsbedingungen. In den ersten Diskussionen wurde von der Politik viel versprochen. Doch die jüngste "Verhandlungsrunde" am Montag hat gezeigt, dass die Situation der Beschäftigten nicht ernst genommen wird. Olaf Rzepka ist Techniker bei der Vivantes Service GmbH (VSG) und Mitglied der Delegiertenversammlung für den Corona-Pakt. Für Klasse Gegen Klasse berichtet er vom Verlauf der Kampagne und macht Vorschläge, wie für die Forderungen gekämpft werden kann.

Symbolbild: „CFM Streik Zweites Album“ by SAV Sozialistische Alternative is licensed under CC BY 2.0

Die Krise trifft viele von uns hart. Zehn Millionen Kurzarbeiter*innen und tausende angekündigte Entlassungen sind bereits bittere Realität. Die Corona-Krise hat die Welt auf den Kopf gestellt. Gerade in den Krankenhäusern sind wir täglich damit konfrontiert. Rund einer von zehn Corona-Patient*innen in Deutschland gehört sogar selbst zum Krankenhaus-Personal! Und wer weiß, wie viele Fälle einfach nicht erkannt oder gemeldet wurden.

Unsere Gewerkschaft ver.di hat deshalb mit breiter Unterstützung von Beschäftigten aus den Berliner Kliniken die Forderung nach einem „Corona-Krankenhaus-Pakt“ an den Senat gerichtet. Hier die konkreten Punkte daraus:

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In den vergangenen Jahren wurde an Krankenhäusern drastisch gespart. Der Senat selbst war dafür verantwortlich, dass tausende Beschäftigte in Tochterfirmen ausgegliedert wurden. Das DRG-System mit seinen „Fallpauschalen“ hat dafür gesorgt, dass Behandlung und Pflege straff durchgetaktet werden, selbst wenn Beschäftigte und Patient*innen darunter leiden. Ein deutliches Zeichen, dass Profite über Menschen gestellt werden. Und schon lange vor Corona haben wir für mehr Personal in den Krankenhäusern gekämpft. Passiert ist hier viel zu wenig. Die Corona-Krise hat das nur noch einmal verdeutlicht. Nun werden wir zwar beklatscht und von der Politik gelobt. Doch unsere Forderungen wurden bisher nicht erfüllt.

Ganz im Gegenteil ist es sogar erlaubt, dass wir nun zwölf Stunden täglich arbeiten und unsere Ruhezeiten gekürzt werden. Danke SPD.

Geld für Gesundheit statt für Profite!

Wir lassen uns das nicht mehr länger gefallen. 4500 Beschäftigte aus den Berliner Krankenhäusern haben in der ersten Runde die Forderungen an den Senat unterschrieben. Immerhin: wir haben es damit geschafft, den Senat an den Verhandlungstisch zu kriegen. Auf der anderen Seite sitzt hier Dilek Kalayci, Senatorin für Gesundheit, SPD. Von derselben Partei also, die eine Ausweitung unserer Arbeitszeiten bundesweit ermöglicht. Sie kündigt jetzt zwar an, sich für die Aussetzung des DRG-Systems einsetzen zu wollen und die Coronaforderungen zu verhandeln, aber allzu viel Vertrauen sollten wir ihren Aussagen nicht schenken. Zu oft wurden besonders wir als Beschäftigte der Tochterunternehmen vertröstet. Zuletzt wurde der CFM-Streik im März vom ver.di Bundesvorstand auf Druck der Rot-Rot-Grünen Regierung und Dilek Kalayci abgebrochen, weil die Streiks angeblich die Gesundheit der Patient*innen gefährden. Gegen den undemokratischen Streikabbruch haben rund 200 der Streikenden Unterschriften gesammelt. Statt offen über den Fortgang ihres Streiks diskutieren und abstimmen zu können, wurden sie vom ver.di-Bundesvorstand vor vollendete Tatsachen gestellt.

Probleme, die Patient*innen gefährden, gab es allerdings schon lange vor Corona. Wenn es der Charitè und dem Senat ernst wäre, hätten sie die Forderungen der CFM-Beschäftigten erfüllt. Denn die Gesundheit wird nicht durch Streiks gefährdet, sondern durch die Sparpolitik und den Personalmangel.

Damit hinter den Unterschriftenkampagnen und Verhandlungen Druck entsteht, braucht es Streiks und große Aktionen mit hunderten Kolleg*innen. Wir brauchen klare rote Linien: Die aktuellen Forderungen sind nicht verhandelbar. Ganz im Gegenteil müssen sie der Anfang sein. Es ist richtig, keine weiteren Einsparungen zuzulassen. Doch wer finanziert das ganze dann am Ende?

Lasst uns dafür kämpfen, dass es nicht wir selbst sind und auch nicht Arbeiter*innen verschiedener Bereiche gegeneinander ausgespielt werden. Große Unternehmen bekommen hunderte Millionen Euro Staatshilfen, doch für die Gesundheit hat die Bundesregierung nicht viel übrig. Das Geld wäre aber da. Wir müssen nur die großen Vermögen drastisch besteuern, ebenso wie die großen Unternehmen. Nicht auf Kosten der Beschäftigten dort, sondern auf Kosten der Großaktionär*innen und der Manager*innen, die trotz Krise und Staatshilfen immer noch Boni kassieren.

Die Beschaffung von Schutzkleidung muss von uns Delegiertenteams überwacht und kontrolliert werden – natürlich als Teil der bezahlten Arbeitszeit. Wenn zu wenig Material da ist, um alle Beschäftigten und Patient*innen zu schützen, muss die Industrie verpflichtet werden, ihre Produktion umzustellen. Im Interesse der Gesundheit der Menschen. Auch die zeitweise Aussetzung des DRG-Systems kann nur ein Anfang sein. Dieses System ist menschenfeindlich und gefährdet unsere Gesundheit. Es gehört nicht nur ausgesetzt, sondern abgeschafft. Krankenhäuser gehören vollständig verstaatlicht, unter Kontrolle der Beschäftigten. Denn wir brauche keine privatwirtschaftlich geführten „Krankenfabriken“ sondern Krankenhäuser, die alles Notwendige für die Gesundheit tun. Egal, wie viel es kostet.

Streik ist unsere stärkste Waffe!

Zu den weitreichenderen Forderungen im Corona-Pakt gehört wohl die Wiedereingliederung aller Tochterunternehmen. Auch hier dürfen wir uns nicht weiter verarschen lassen. Die Therapeut*innen des ehemaligen CPPZ an der Charité haben es vorgemacht. Sie haben gestreikt und keine faulen Kompromisse zugelassen. Sie haben immer wieder gedroht, sofort wieder draußen zu stehen, wenn die Charitè oder der Senat nicht spuren. Damit haben sie 2019 ihre Rückführung und volles Gehalt nach TVöD erreicht. Genau das muss auch beim Corona-Pakt unsere Linie sein: Streiken ist nicht das letzte Mittel, sondern unsere stärkste Waffe. Wenn der Senat keine Eingliederungen will, stehen wir halt wieder draußen. Wie schon so oft in der Vergangenheit. Diese rote Linie muss klar sein.

Allerdings haben wir einen Vorteil gegenüber früheren Anläufen: wir organisieren uns jetzt über alle Bereiche, Tochterfirmen und sogar über Krankenhäuser hinweg. Das heißt, wir können unseren Forderungen auch gemeinsam Nachdruck verleihen! Dafür sollten wir uns bereit machen, in allen Bereichen in den Streik zu treten.

Auch darüber hinaus müssen wir eine Perspektive entwerfen, den Kampf bundesweit auf andere Krankenhäuser auszuweiten.

Und wenn uns der Streik verboten werden soll, weil er angeblich zu „politisch“ ist? Dann antworten wir, dass es selbstverständlich ein politischer Streik ist. Wir richten unsere Forderungen ja nicht umsonst an den Senat. Was für Zustände in den Krankenhäusern herrschen, ist doch eine politische Frage und keine betriebswirtschaftliche! Wenn sich im deutschen Gesundheitssystem etwas ändern soll, dann dürfen wir vor politischen Streiks nicht zurückschrecken!

Dass wir dieses Mittel brauchen, wurde am Montag wieder deutlich. Da fand die neueste Verhandlungsrunde statt. Doch ohne Ergebnis, statt klarer Zusagen wurde nur ausgewichen. Es wurde sogar abgelehnt, offiziell von „Verhandlungen“ zu sprechen – es seien ja nur „Gespräche“. Noch deutlicher können sie nicht machen, dass sie uns nicht ernst nehmen!
Dieses Verhalten ist auch ein glatter Schlag ins Gesicht der Krankenhausbeschäftigten, der Gewerkschaft ver.di und nicht zuletzt der Patient*innen.

Damit sich was bewegt, reicht es nicht, dass sich die Verantwortlichen von ver.di an den Verhandlungstisch setzen, wir brauchen Streiks!

Organisieren wir uns und weiten den Kampf aus!

Aktuell organisieren wir uns mit einem Delegiertensystem. Das heißt, alle Bereiche können ein*e Vertreter*in wählen, die sich dann an den Diskussionen um unsere Forderungen beteiligt. Ein kleineres Team führt die eigentlichen Verhandlungen. Dieses System ist grundsätzlich gut und sollte weiter ausgebaut werden. Dabei muss klar sein, dass wir Delegierte uns nicht zum Spaß treffen. Was wir beschließen, haben wir vorher in unseren Teams diskutiert. Unsere Beschlüsse müssen bindend sein für das Verhandlungsteam. Auch und gerade, wenn es mal kontrovers wird. Dafür werden die Verhandlungen so transparent wie möglich geführt. Verhandlungsstände und Streitigkeiten sind für alle Kolleg*innen somit zugänglich. Sonst könnten wir nicht ordentlich darüber diskutieren, wie es weitergehen soll. Das Delegiertensystem muss die vollständige Kontrolle über die Streiks haben. Der Bundesvorstand darf unsere Streiks nicht mehr von oben herab aussetzen, denn wir sind kampfbereit!

Auch wenn die konkreten Verhandlungen zu einem Ergebnis kommen, sollten wir dieses System aufrecht erhalten. Es sollte nicht so sein, dass die Gewerkschaftsführung oder die Parteien im Senat stellvertretend für uns entscheiden, sondern wir brauchen unsere Basisorganisierung. Damit können wir uns in Zukunft schneller absprechen und in Aktion treten, wenn man unsere Arbeitsbedingungen wieder verschlechtern will. Außerdem muss die Umsetzung jeglicher Verbesserungen ja auch von uns kontrolliert werden.

Dass jetzt viel mehr Kolleg*innen durch die Diskussionen in den Teams und die Delegiertenwahl einbezogen werden, weist in die richtige Richtung. Wenn wir einen Kampfplan mit Aktionen und Streiks entwickeln, werden wir noch viel mehr Kolleg*innen zum Mitmachen bewegen. Aber auch über die Krankenhäuser hinaus könnten wir unseren Kampf bekannt machen und um Solidarität werben. Schließlich geht es alle Arbeiter*innen etwas an, wie die Bedingungen im Krankenhaus sind – spätestens, wenn sie als Patient*innen hier landen. Und durch die Corona-Krise steigt ja nicht nur an den Krankenhäusern der Druck auf Beschäftigte. In allen Branchen wird versucht, mit Kurzarbeit oder Entlassungen die Kosten auf uns abzuladen. Dagegen sollten wir uns gemeinsam wehren!

Also lasst uns gemeinsam mit anderen Kolleg*innen aus Krankenhäusern gegen das DRG-System kämpfen, gegen Personalmangel und mangelnde Schutzausrüstung. Die Krise beweist, dass die Bundesregierung nicht willens ist, unsere Forderungen zu erfüllen. Stattdessen wurden 1,2 Billionen (!) Euro Zuschüsse und Kredite an Unternehmen gegeben. Trotz alledem gibt es Massenentlassungen und es soll schon neue Sparpläne für öffentliche Haushalte geben. Die Politik handelt also nicht in unserem Interesse. Nur wir selbst können die Bedingungen wirklich in unserem Interesse verändern. Wenn wir entschieden dafür eintreten und kämpfen, können wir die Rückführung der Töchter und „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ erreichen. Und in Zukunft als Beschäftigte die Bedingungen im Krankenhaus kontrollieren.

Als Beschäftigte der Berliner Krankenhäuser und Delegationen sollten wir jetzt mit allen Töchtern und allen Müttern eine große Demonstration aller Gewerkschaften vor dem Roten Rathaus organisieren und auch dabei zum Streik aufrufen. Und eigentlich sollten wir uns dabei nicht auf die Krankenhäuser beschränken – denn die Krise trifft viele Arbeiter*innen in unterschiedlichen Branchen. Deswegen sollten wir auch Kolleg*innen von Galeria Karstadt Kaufhof und Lufthansa einladen, die von Entlassungen bedroht sind. Lasst uns gemeinsam für unsere Forderungen streiken!

Für mehr Personal in Krankenhäusern! Für die Wiedereingliederung aller Tochterunternehmen! Keine Kürzungen oder Ausweitung der Arbeitszeit! Für eine massive Vermögenssteuer! Für ein verstaatlichtes Gesundheitssystem und Pharmaindustrie unter Kontrolle der Beschäftigten!

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