Brauchen Menschen Zweierbeziehungen?

02.09.2016, Lesezeit 4 Min.
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„Freude an dem Wissen zu empfinden, dass andere, die du liebst, sich ihrer Liebe zueinander bekennen“ - so beschreiben es Thomas Schroedter und Christina Vetter in ihrem Buch „Polyamory – eine Erinnerung“. Was ist aber die Grundlage der monogamen Zweierbeziehung und reichen die Betrachtungen der Autor*innen aus?

Polyamorie – dieser Begriff ist heute in aller Munde. Thomas Schroedter und Christina Vetter versuchen in ihrem 2010 veröffentlichten Buch das Phänomen zu beschreiben. Abgesehen von ausführlichen Versuchen, den Begriff „Liebe“ zu erklären, widmen sie sich verschiedenen historischen Formen des Zusammenlebens. So machen sie Ausflüge zu der Liebe im Antiken Griechenland oder der katholischen monogamen Ehe im Mittelalter. Außerdem werden verschiedene Formen des nicht-monogamen Zusammenlebens beschrieben, die von offener Beziehung bis hin zu Polyfidelity (gemeinschaftlichem sexuellen Zusammenlebens in familienähnlichen Beziehungen) reichen.

Ein großer Teil des Buches thematisiert die queer theory nach Judith Butler und ihrer Bedeutung für polyamouröse Menschen. Queer theory wird von den Autor*innen als progressive, sinnvolle Theorie betrachtet. Für sie ist die meist diskutierte Frage im Kontext von queer theory die Frage nach der Definition des Begriffes queer:

Mittlerweile bezeichnet queer ein Sammelbecken für alle, dieanderssind, also nicht in das heteronormative, mehrheitliche Schema passen oder passen wollen.

Sie beziehen sich positiv auf die Theorie der heterosexuellen Matrix nach Judith Butler. Obwohl queer theory sich wenig mit Polyamorie beschäftigt, sehen die Autor*innen eine Verbindung in der Metapher einer Discokugel, die immer unterschiedlich leuchtet, je nachdem welches Licht sie trifft:

Ich bin eine Disco-Kugel, eine Projektionsfläche, meine Facetten glitzern im Licht, was du sehen willst, wirst du sehen. Ich bin eine Disco-Kugel, all meine Facetten – jede einzelne ein kleines Abbild meines Inneren – bilden zusammen etwas Rundes, zu sperrig, um in eine Schublade zu passen. Je mehr von deinem eigenen Licht auf mich scheint, desto mehr kannst du sehen.1

Queeres Leben bedeutet für die Autor*innen eine weniger starre Einteilung in verschiedene Beziehungsformen. Auch ihre Wertung ist eine andere:

[…] insbesondere die Trennung zwischen Zweierbeziehungen, in denen Sex stattfindet und ‚platonischen‘ FreundInnenbeziehungen. Es kann also fließende Formen von Beziehungen geben, die verschiedene Aspekte integrieren, ohne das eine über das andere zu stellen und Sex als etwas zu instrumentalisieren, das eine bestimmte Form von Beziehung zur wichtigsten macht.2

Dennoch wird weder hier noch in der historischen Beschreibung früherer Beziehungsformen auf die materielle Grundlage der monogamen Ehe eingegangen. Monogame heterosexuelle Beziehungen sind nicht zufällig zur Norm geworden.

Das Patriarchat entstand gemeinsam mit dem Privateigentum und seitdem zerstört dieses Paar Hand in Hand Milliarden von Menschenleben. Frauen wurden lange als Eigentum des Mannes gesehen wie in den Kapiteln „Alles begann in Babylon“ und „Die mittelalterliche Zurichtung der Menschen“ beschrieben wird. Die bürgerliche Kleinfamilie festigt die ideologische Herrschaft des Kapitals über das Privatleben. Auch wenn in den imperialistischen Ländern immer mehr Zugeständnisse an alternative Lebensformen gemacht werden, ist der Kapitalismus weiterhin auf die Existenz der bürgerlichen Kleinfamilie angewiesen. Wenn in Deutschland mehr oder weniger toleriert wird, dass eine Frau keine Kinder bekommen möchte, dann nur, weil die Produktion in die ausgebeuteten halbkolonialen Länder ausgelagert wurde, wo die Kleinfamilie weiterhin Bestand hat. Frauen sollen ihre Funktion als Reproduzentinnen ausführen, indem sie sich aus „Mutterliebe“ und „Fürsorgeinstinkt“ um ihre Familie kümmern.

Als marxistische Feministinnen kritisieren wie die bürgerliche monogame heterosexuelle Ehe. Dennoch halten wir Hippiekommunen und freie Liebe nicht für die richtige Strategie zur Überwindung des Kapitalismus. Jede*r von uns sollte in der Beziehungsform leben können, in der sie*er leben will. Damit das jedoch jeder*m möglich ist, müssen wir die Ursache von Heteronormativität und Sexismus bekämpfen. Liebe im Kapitalismus kann nicht ohne die Kritik am Kapitalismus beschrieben werden.

1. Claudia Engelmann, zitiert nach Schroedter und Vetter

2. Anna Carina Böcker

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