Bayern will Hochschulen privatisieren – jetzt Widerstand organisieren!

13.11.2020, Lesezeit 9 Min.
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Symbolbild: Shutterstock.

Die bayerische Staatsregierung plant einen Großangriff auf die Hochschulen: Eine neoliberale Hochschulreform. Es handelt sich um ein Pilotprojekt für ganz Deutschland.

Als ob das vollständig durchgetaktete und durch die Coronavirus-Pandemie noch erschwerte Studium uns als Studierende nicht genügende Probleme verursachen würde, arbeitet die bayrische Staatsregierung an einem sogenannten „Hochschulinnovationsgesetz“, welches das Studium vollständig dem Profitinteresse der Großkonzerne unterwerfen würde. Der verkündete Grundsatz lautet:Regle nur, was unerlässlich ist. Ziel ist maximale Verschlankung und Deregulierung“. Dieses „Signal des Neuaufbruchs“, wie das Papier von sich behauptet, muss ein Signal für uns Studierende und Beschäftigte sein. Es handelt sich um einen neoliberalen Generalangriff, der die Hörsäle noch weiter privatisiert und die Hochschulen zu Start Ups machen soll.

Sollte das Gesetz durchgehen, wird es ein Pilotprojekt für Angriffe auf Universitäten und Hochschulen in ganz Deutschland sein. Deshalb müssen wir alle Hebel in Bewegung setzen, um Studierende und Beschäftigte gegen diese Reform zu organisieren und mobilisieren – in Bayern und bundesweit.

Hochschule als Start Up – Forschung als Profitmaschine

Die Firma“. So überschreibt die Süddeutsche Zeitung (SZ) den Kommentar von Dietmar Süß, Geschichtsprofessor in Augsburg, zur neuen bayerischen Hochschulreform – ein Titel, der kaum Zweifel über das Ziel der Reform offenlässt. Süß befürchtet „einen atemberaubenden, durchökonomisierten Kurswechsel“ für die Hochschulen in Bayern. Der Vorstoß des bayerischen Wissenschaftsministeriums klingt auch in den eigenen Worten des Ministeriums vor allem nach dem unbedingten Drang nach Profit.

Allgemeinplätze wie „das Ideal der zweckfreien Erkenntnis“ und das Eingeständnis, dass sich Wissenschaft nicht numerisch messen lasse, kommen zwar als Worthülsen vor. Die konkreten Maßnahmen gehen jedoch in die komplett entgegengesetzte Richtung. Für die Finanzierung der „Exzellenz“ sei die Verselbständigung ein unumgänglicher Schritt. Was nach „Autonomie“ der Hochschule klingt, heißt eigentlich: Die Hochschulen sollen sich selbst um ihr Geld kümmern, der Staat zieht sich aus der Verantwortung der Finanzierung der Bildung immer mehr zurück. Die Folge ist klar: Hochschulen konkurrieren um private Gelder von Großkonzernen, die mit Werbung und der Lenkung von Lehr- und Forschungsinteressen den Unialltag auf ihren Profit ausrichten.

Damit einhergehend soll der unternehmerische Geist die treibende Kraft für Wissenschaftler:innen und Studierende sein, die für Start-Up-Projekte finanzielle Hilfeleistungen beantragen sollen. Wie unser Studium und unsere Arbeitsbedingungen an der Universität künftig aussehen, wird also davon abhängen, wer sich in der Konkurrenz gegen andere durchsetzt und wer am besten dem Interesse des Kapitals dienen kann.

Ein weiterer Aspekt, der die Vermarktung vertieft, ist die Umwandlung von Hochschulen als staatliche Einrichtungen zu reinen Personal-Körperschaften des öffentlichen Rechts. Damit soll an allen Hochschulen ein sogenannter Globalhaushalt eingerichtet werden. Das heißt: Die Hochschulen kriegen einen Pauschalbetrag zugewiesen, mit dem sie dann alles finanzieren müssen. Wenn ihr Geld alle ist, haben sie wohl „schlecht gewirtschaftet“. Die Konsequenz ist: Kosten einsparen (auf dem Rücken der Studierenden und Beschäftigten) und Großkonzerne um Finanzierung bitten.

Als explizites Beispiel dafür, wie dieser Schritt „die größere Möglichkeit unternehmerischer Betätigung“ bringen soll, dient die Technische Universität München (TUM), die bereits einen Globalhaushalt nutzt. Dabei sollte die TUM eigentlich höchstens als Negativbeispiel dienen. Entgegen der Freiheit die das Papier verspricht, kann man heute schon an dieser Uni den großen Einfluss von Konzernen wie Nestlé, RWE, VW sowie Google oder Facebook sehen. Letzteres ist dort ironischerweise eine der Hauptinvestoren des Ethik-Instituts, bei dem es bereits den einen oder anderen Skandal gab. Die Finanzierung der TUM setzt sich schon jetzt aus ca. 2/3 staatlichen und 1/3 unternehmerischen Investitionen zusammen. Durch das neue Gesetz wird diese Entwicklung auf andere Hochschulen ausgeweitet und verschärft. Bald sitzen wir in „BMW“-Hörsälen und dürfen uns gebrandete Vorlesungsinhalte ansehen.

Was klar ist, ist dass diese Reform nicht in Bayern bleiben soll. Bayern ist die Region, aus der die Reform kommen wird, doch das Ziel ist die Hochschulen bundesweit nach diesem Modell neu zu organisieren. Wie wir es mit den Polizeiaufgabengesetzen vor einigen Jahren bereits gesehen haben, dient Bayern als traditionell konservatives Bundesland, als ein Versuchskaninchen in einem Laborexperiment, in dem die schärfsten Gesetze auf die Probe gestellt werden können. Deswegen ist dieses Pilotprojekt eine Gefahr für Studierende im gesamten Land.

Investmentfonds und Alleinmacht der Hochschulleitung statt demokratischer Hochschule

Die Folgen dieser Umstrukturierung beschreibt Dietmar Süß in der SZ wie folgt:

Von ‚Eigenverantwortung‘ ist viel die Rede, und wer wünschte sich die nicht. Gemeint ist damit aber vor allem die Stärkung der Universitätsleitungen, der Präsidenten und Präsidentinnen, denen eine solche Reform ungekannte Machtfülle verschafft

Zur Zentralisierung der Macht gehört auch die de facto Entmachtung von den jetzt existierenden Studierendenvertretungen. Obwohl diese, als Reaktion auf die 68er-Bewegung, in Bayern seit 1973 eh kaum Mitspracherecht haben, wird ihnen erneut eine eigene Rechtspersönlichkeit als auch ein allgemeinpolitisches Mandat verwehrt. Unter dem Deckmantel des Neutralitätsgebots werden unsere kollektiven Diskussionsmöglichkeiten verweigert, wie wir beispielsweise im Verbot politischer Versammlungen in der Universität durch die Alleinentscheidung der Hochschulleitung jetzt schon erleben. Somit wird der angeblich „unpolitische Raum“ der Hochschulen zur politischen Bühne der Rektoren und des Staates, auf der die Studierenden keinen Platz erhalten sollen.

Dagegen müssen wir betonen, dass die Hochschulen den Studierenden und Beschäftigten gehören und nicht einer kleinen Clique im Rektoratsgebäude. Wir wollen entscheiden, wie die Universität aussieht, was und wie wir lernen und arbeiten, und nicht ein undemokratisches Gremium im Dienste der Profitinteressen einiger Konzerne.

Soziales und Umwelt, noch mehr Heuchelei

Als Beispiel dafür sei die Umweltfrage genannt, für die sich Studierende, Schüler:innen und Arbeiter:innen im vergangenen Jahr mit Fridays for Future massenhaft mobilisiert haben. Im Eckpunkt-Papier der Hochschulreform ist die Rede von einer Regelung zur Nachhaltigkeit (S. 4 des Eckpunktepapiers) und von der Verantwortung der Hochschulen für die „Entscheidungsträger/-innen“ der Zukunft. Wie man so schön sagt, lässt sich aber die Heuchelei nicht an den Worten, sondern an den Taten messen. Gegen die Klimakrise haben wir uns an der LMU im letzten Jahr zu Hunderten in einer Vollversammlung organisiert. Die Antwort der Unileitung war, uns in der Aula einzusperren.

Zudem spricht das Gesetz über die „Förderung von Gleichberechtigung und Vielfalt“ als eigenständige Aufgabe, der eine besondere Bedeutung zukomme. Doch dagegen spricht die heutige Realität, die unangesprochen bleibt. Das an allen Hochschulen betriebene Outsourcing von z.B. der Reinigung führt zu einer niedrigen Entlohnung und keinerlei Mitspracherecht von einem großen Teil der nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen, die überproportional Frauen und Migrant:innen sind. Hinzu kommt, dass die meisten Fächer der angewandten Wissenschaften – mit der Ausnahme von Sozialer Arbeit – im neuen Modell eine Förderung kriegen, während viele Geistes- und Sozialwissenschaften, die sich explizit mit diesen Fragen beschäftigen, um ihre Existenzberechtigung kämpfen werden müssen.

Die Krise als offene Tür zur Durchsetzung

Diese noch tiefergehende Vermarktung der Wissenschaft und Bildung will die Landesregierung nun mitten in der Pandemie durchsetzen. Offensichtlich hat sie vor, die Isolation der Studierenden und Beschäftigten zu nutzen, um das Gesetz widerstandlos durchzubringen. Der scharfe Angriff fegt somit jegliche Mitsprache der Studierenden und Beschäftigten weg, was ein klares Signal für uns alle sein muss.

Um eine breite Verteidigung der Hochschulen zu leisten, ist es notwendig, dass alle Studierendenverbände gemeinsam mit allen Beschäftigten und den Gewerkschaften wie GEW und ver.di unter Wahrung der notwendigen Hygienemaßnahmen zu breiten Mobilisierungen gegen die geplante Reform aufrufen.

Ein erster Schritt ist der Aufruf zur Beteiligung an der Kundgebung der Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften, die am 1. Dezember um 15 Uhr auf dem Odeonsplatz in München sowie zeitgleich auf dem Hallplatz in Nürnberg stattfinden wird.

Der Aufruf ist allerdings darin beschränkt, dass das Gesetz allein die Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften betreffen würde. Die Kommerzialisierung bedeutet auch für die technischen Fächer eine Unterordnung unter die Industrie und ihre Bedürfnisse, besonders für die Lehrpläne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten.

Die Fachschaften und Studierendenvertretungen müssen ein Schritt weitergehen. Da die Corona-Pandemie unseren Studienalltag in die virtuelle Welt geführt hat, müssen wir diesen Raum nutzen. Wenn uns gesagt wird, wir dürfen uns nicht „in real life“ versammeln, lasst uns die Zoom-Meetings nicht nur für Kurse oder Vorlesungen nutzen, sondern um die Verteidigung unserer Universitäten zu planen.

Der neoliberale Geist dieser Reform muss mit dem Gespenst der Unibesetzungen von 2008/09 und dem historischen Erbe der 68er-Bewegung gekontert werden. Dafür brauchen wir einen Schulterschluss mit dem wissenschaftlichen und dem nicht-wissenschaftlichen Personal, in den Bibliotheken, Verwaltungen, Studierendenwerken und in der Reinigung, der Mensa, der IT sowie bei den technischen Beschäftigten, die die Unis und Hochschulen betreiben. Denn nur mit ihnen zusammen können Organe der Selbstorganisierung gegen die Privatisierung effektiv aufgebaut werden, die eine Verteidigung gegen die Pläne der Regierung erlauben.

Lasst uns gegen diese Hochschulreform kämpfen!

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Dieser dreiste Versuch unsere Hochschulen, hinter unserem Rücken, zu Firmen zu machen darf nicht akzeptiert werden. Du bist Student:in, wissenschaftliche oder nicht-wissenschaftliche Mitarbeiter:in? Du hast die Zeilen in diesem Artikel gelesen und dachtest dir nur: Was ist das für eine Schande? Du gehörst zu einer Hochschulgruppe oder politischen Initiative, die auch gegen die Hochschulreform kämpfen will? Schreibt uns und lasst uns gemeinsam darüber nachdenken, wie wir diesen Angriff stoppen können.

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