Afrin: Widerstand gegen die Belagerung und Bombardierung durch die Türkei

12.03.2018, Lesezeit 5 Min.
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Die türkische Armee rückt immer näher auf Afrin zu. Während YPG und YPJ bislang die Stadt gegen die Belagerung und die Bombardements verteidigen, wird die Lage immer dramatischer. Spontane Demonstrationen am Wochenende in verschiedenen deutschen Städten forderten ein Ende der Belagerung und ein Ende deutscher Rüstungsexporte.

Im Rahmen der Militäroperation „Olivenzweig“ rücken türkische Truppen, zusammen mit ihren verbündeten Milizen der „Free Syrian Army“, immer weiter auf das Stadtzentrum Afrins vor, Hauptstadt des gleichnamigen westkurdischen Kantons. Laut dem türkischen Staatspräsident Erdogan stünden die Truppen vier bis fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, laut lokalen Quellen seien es nur noch wenige hundert Meter. Diese haben sich von Nordosten her genähert und drohen den belagerten Ort nun einzukesseln. Seit Tagen werden die Außenbezirke der Stadt aus der Luft bombardiert, in der hundderttausende Menschen leben. Wiederum nach Angaben des türkischen Militärs seien bisher 3.213 „Terroristen“ der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG und YPJ) getötet worden.

Erdogan polterte am Freitag, er wolle nicht nur die Kurd*innen im Nordwesten Syriens vernichten, sondern die Militäroperation bis an die irakische Grenze ausweiten und alle Kräfte der kurdischen Selbstverwaltung von der Karte tilgen. „Heute sind wir in Afrin, morgen werden wir in Manbidsch sein. Übermorgen werden wir gewährleisten, dass der Osten des Euphrats bis zur irakischen Grenze von Terroristen gesäubert wird.“

YPG und YPJ wiederum haben auf die Belagerung mit einer Truppenverlagerung aus der Region um die ehemalige IS-Hochburg Raqqa in Richtung Afrin reagiert. An drei Fronten um die Stadt herum stellten sie sich in harten Gefechten heldenhaft den zahlenmäßig und technologisch überlegenen Besatzungstruppen entgegen. 450 Besatzungssoldaten seien in den letzten 48 Stunden getötet worden, meldete die kurdische Nachrichtenagentur ANHA am Sonntag mittag. In der Innenstadt von Afrin gab es große Demonstrationen und Mobilisierungen mit Fahrzeugkonvois. Am 8. März marschierten tausende kurdische Frauen durch die belagerte Stadt, um den Widerstand gegen die systematischen Bombardements zu stärken und um die Gewalt der türkischen Regierung gegen Frauen anzuprangern.

Die Zivilbevölkerung ist zum massenhaften Widerstand und Barrikadenbau aufgerufen. Teile der Anwohner*innen stellen sich als „menschliche Schilde“ zwischen die Besatzungstruppen und die YPG/YPJ. Während weiterhin Dörfer und Wohngegenden der Stadt aus der Luft bombardiert und wahllos mit Artillerie befeuert wurden, rief die Autonomieverwaltung der Stadt den UN-Sicherheitsrat dazu auf, ein Massaker an der Bevölkerung zu verhindern. Der Exekutivratskovorsitz der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) verurteilte derweil nicht nur UN und NATO, sondern auch explizit Russland, durch die Öffnung des Luftraums gegenüber der Türkei einem Genozid durch das türkische Militär und die FSA Beihilfe zu leisten.

Währenddessen verschlimmert sich die Situation der Zivilbevölkerung. Bislang gab es in Afrin im Vergleich zu anderen Regionen Syriens im Rahmen des reaktionären Bürger*innenkrieges relativ wenig Kampfhandlungen und Zerstörung. Doch nun erleiden die Menschen in dem umkämpften Gebiet schwere Verluste und eine Eskalation hin zu einem Massenmord könnte bevorstehen.

Sender wie Al-Jazeera berichteten bislang noch einigermaßen kritisch über die Türkei und aus der Perspektive von Menschen aus den kurdischen Autonomiegebieten. Doch nun werden Bilder von Hilfsgüterlieferungen des türkischen Roten Halbmonds gezeigt und ein Amtsträger erklärt, wie behutsam und „human“ man vorgehe bei der Einnahme der Region. Katar als Financier und Schutzpatron des Mediennetzwerks hat eine strategische Partnerschaft mit dem türkischen Staat inne, die nun offenbar sehr konkreten Einfluss auf die Berichterstattung nimmt.

Erdogan ärgerte sich öffentlich über den Unwillen der NATO, das Partnerland Türkei zu unterstützen und fragte, ob man denn überhaupt noch Mitglied sei. Eigentlich sei der Rest der NATO ja gegen die Operation, aber hätte nicht das Rückgrat, sich tatsächlich gegen ihn zu stellen. Besonders verärgert ist die türkische Regierung dabei über die Rolle der USA, welche bislang die kurdische Selbstverwaltung militärisch und logistisch unterstützte. Nun ruft der angeschlagene imperialistische Hegemon die Türkei auf, die „Aggression“ gegen Afrin zu stoppen, unternimmt aber keinerlei konkrete Schritte, um seinen Worthülsen wahres Gewicht zu geben. Denn letztlich waren die kurdischen Gruppen wieder nur ein Spielball der US-Amerikaner*innen im Machtgeschachere in diesem blutigen Stellvertreter*innenkrieg, bei dem die Militärintervention der USA selbst jeglicher Grundlage entbehrte und zig tausende Menschen das Leben kostete oder durch Hunger, Flucht und Vertreibung zur Hölle machte.

Der deutsche Imperialismus leistet Erdogan immer noch Schützenhilfe – diplomatisch und in der Repression des kurdischen Widerstands im Inneren. Nichts wird unternommen, um den Angriffen Einhalt zu gewähren. Im Gegenteil: Mit jeder verschossenen Granate verdienen deutsche Rüstungsunternehmen munter weiter am Morden in Afrin.

Gerade auch im Rahmen der Zuspitzung der Belagerung haben sich sowohl in Deutschland als auch in ganz Europa Eilmobilisierungen der kurdischen Communities, der Friedensbewegung, Gewerkschaften und Linken gezeigt, so zum Beispiel in der Schweiz, Frankreich, Belgien, Dänemark oder Norwegen. In Deutschland gab es im ganzen Land sowohl am Samstag abend als auch über den Sonntag hinweg entschlossene und lautstarke Demonstrationen, unter anderem in Berlin, Köln, Bremen, Stuttgart, Saarbrücken, Münster und vielen anderen. Am Montag morgen wird in Berlin eine Blockadeaktion vor den Toren des Rüstungskonzerns Rheinmetall stattfinden, um die Aufmerksamkeit auf die deutschen Profite im Waffenexport in das Kriegsgebiet zu lenken und einen Stopp der Waffenexporte zu fordern.

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