Präsident­schafts­debatte Nr. 1: Die Zankereien des Kapitals

30.09.2020, Lesezeit 10 Min.
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Die erste Präsidentschaftsdebatte hat mit all ihrer Dramatik und all ihrem Chaos gezeigt, dass es eigentlich nur sehr wenige politische Differenzen zwischen den beiden Kandidaten gibt. Obwohl es sicherlich alarmierend ist, Donald Trump dabei zuzusehen, wie er seine immer offeneren Annäherungsversuche an die extreme Rechte fortsetzt, müssen wir verstehen, dass es die Arbeiter:innenklasse ist, die die Macht hat, sich gegen die extreme Rechte zu wehren und nicht Joe Biden.

Die erste Präsidentschaftsdebatte der Parlamentswahlen in den USA stellte eine heftige Auseinandersetzung dar, in der Donald Trump die Rolle des Bösewichts und Joe Biden die des unbeholfenen Jedermanns spielte. Trump war gnadenlos antagonistisch und griff Biden für alles Mögliche an – von seinen College-Noten bis hin zur Drogensucht seines Sohnes – und attackierte ihn politisch sowohl von links als auch von rechts. All ihre Streitereien verschleierten jedoch, dass die beiden Männer in den allermeisten Fragen sehr wenig voneinander trennt. Beide sind sowohl dagegen, der Polizei die Finanzierung zu kürzen als auch den Green New Deal und Medicare for All zu unterstützen. Beide befürworten Imperialismus und befinden sich in einem Wettlauf darum, wer am Härtesten gegen China vorgehen kann. Trump unterschied sich dadurch, dass er sich weigerte, white supremacists zu verurteilen als Biden seinerseits die Polizei nachdrücklich in Schutz nahm. Obwohl ihre Rhetorik unterschiedlich ist, sind beide Kandidaten starke Befürworter des rassistischen Staates und der Gewalt, die notwendig ist, um diesen aufrechtzuerhalten.

Nur wenige Tage, nachdem wir die Marke von einer Million Todesopfer durch Covid-19 überschritten haben, schlug keiner der beiden Kandidaten eine Politik vor, die die Verbreitung des Virus tatsächlich eindämmen könnte – abgesehen von vagen Andeutungen, dass anti-chinesischer hätte gehandelt werden sollen, dass Einzelpersonen Masken tragen müssen oder dass mehr große Unternehmen gerettet werden müssen. Die Wahrheit ist, dass Biden, Trump und das gesamte undemokratische System der amerikanischen „Demokratie“ der Arbeiter:innenklasse außer Sparsamkeit, Tod und Elend nichts anzubieten hat.

„Sie haben gerade die Linke verloren“

Trumps Diskussionsstrategie bestand darin, Biden in eine Ecke zu drängen und diese Position zu nutzen, um die Debatte zu kontrollieren. Der effektivste Einsatz dieser Strategie erfolgte kurz vor deren Beginn, als Trump Biden beschuldigte, dem „radikalen Sozialisten“ Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez Zugeständnisse zu machen. Biden wehrte sich und betonte, dass er die allgemeine Gesundheitsversorgung ablehne, woraufhin Trump triumphierend dröhnte: „Sie haben gerade die Linke verloren“.

Indem Trump Biden in diese Position drängte, kontrollierte er die Debatte und durchlöcherte Biden. Ein weiteres Beispiel: Als das Thema race zur Sprache kam, nutzte Trump Bidens Crime Bill und dessen Äußerungen dazu geschickt gegen ihn. Es ist natürlich in höchstem Maße heuchlerisch, wenn ausgerechnet Donald Trump jemanden in Bezug auf race angreift. Wenige Minuten später weigerte er sich, white supremacists dazu aufzufordern, sich zurückzuziehen. Dennoch zeichnete sich der Moment als ein sehr klarer und direkter Angriff auf Biden aus. Während Biden um seinen Halt rang, gelang es Trump, das Geschehen zu kontrollieren und Biden mehrfach in unangenehme Situationen zu bringen.

Diese Fähigkeit beruht zum Einen – wie die großen Medien schnell aufzeigten – auf Trumps völliger Schamlosigkeit und mangelndem Respekt vor dem Ablauf von Debatten, zum Anderen aber auch auf dem Fehlen wirklicher Politik. Er unterbrach sowohl Biden als auch den Moderator Chris Wallace die ganze Nacht lang und versuchte so, sich stark zu zeigen. Es bleibt abzuwarten, ob das funktionieren wird oder nicht, aber Trump ist als totaler Opportunist zweifellos in der Lage, je nach Bedarf von links oder rechts anzugreifen, um die Wähler:innen, an die er sich wendet, anzusprechen. In einer Antwort auf Biden zum Thema race griff er Biden wegen dessen Unterstützung des Crime Bills mit einer linken und – weil Biden law and order nicht ausreichend befürwortet – gleichzeitig mit einer rechten Position an.

Ein Bereich, in dem Trump in der Lage war, auf etwas Wahres hinzuweisen, war seine Charakterisierung der „Erholung“ von 2008. Während Biden wie Clinton 2016 darauf bestand, dass unter Obama eitel Sonnenschein herrschte, kritisierte Trump zu Recht, wie langsam die Erholung vonstatten ging. In Wirklichkeit haben sich viele nie von der Krise von 2008 erholt, da eine ganze Generation gezwungen war, prekäre Arbeit und Millionen Dollar an Schulden auf sich zu nehmen, um studieren zu können. Das Beharren von Biden und den Demokrat:innen darauf, so zu tun, als sei diese Krise bereits überwunden, hat mit der (wirtschaftlichen) Realität unter Obama nichts zu tun. Die gegenwärtige Wirtschaftskrise ist nicht neu – vielmehr stellt sie eine Vertiefung der ungelösten vorherigen dar. Trump hat dieser Analyse natürlich keine anderen Lösungen hinzuzufügen als die Fortsetzung der kapitalistischen Herrschaft. Er ist nur daran interessiert, sich selbst und seine kapitalistischen Kumpan:innen zu bereichern. Wie wir seit Beginn der Krise gesehen haben, besteht die einzige Lösung, die irgendeine:r der Kapitalist:innen parat hat, darin, uns zu zwingen, für ihre Krise zu bezahlen. Trump und die Republikaner:innen haben den Großunternehmen Milliarden in Form von Rettungspaketen zukommen lassen, während für die Arbeiter:innenklasse nur Krümel übrig blieben, und als diese ausgingen, haben sie sich geweigert, nach Nachschub zu schauen. Trump ist ein eingeschworener Feind der Arbeiter:innenklasse.

„Ich bin die Demokratische Partei“

Joe Biden verbrachte die erste Debatte damit, sich wie der Erwachsene im Raum zu verhalten, indem er versuchte, emotionale Appelle an die „Durchschnittswähler:innen“ im Publikum zu richten, anstatt sich von Trump mit in die Schlammschlacht ziehen zu lassen. Deshalb stritten sich stattdessen vor allem Trump und der Moderator, unterbrachen und provozierten einander, während Biden im Abseits stand. Obwohl Trumps Eskapaden eine echte Beschäftigung mit den von Wallace vorbereiteten Themen verunmöglichten, ist die Strategie des ehemaligen Vize-Präsidenten dennoch interessant, weil sie zeigt, dass Biden das politische Kalkül entwickelt hat, Moderator:innen anzusprechen, die zwar partiell mit Trump übereinstimmen, aber sein Verhalten nicht mögen. Das Ziel, an die gemäßigten, weißen Wähler:innen aus den Vorstädten zu appellieren, das beim Nominierungsparteitag der Demokratischen Partei zu beobachten war, setzte sich während der ersten Debatte fort.

Diese Strategie führte dazu, dass Biden noch weiter nach rechts rückt. So sagte er schmeichelhafte Dinge über Amy Coney-Barrett, die ultra-rechte, religiöse Extremistin, die Trump für den Obersten Gerichtshof nominiert hatte und, dass er Trump unterstützen würde, wenn dieser die Wahl gewinnen sollte. Darüber hinaus prahlte Biden damit, dass er den progressiven Flügel der Demokratischen Partei besiegen musste, um Präsidentschaftskandidat zu werden. Er ging sogar so weit zu sagen: „Die Partei bin ich. […] Ich bin momentan die Demokratische Partei. Das Programm der Demokratischen Partei ist das, was ich gutheiße“.

Mit dieser Erklärung verdeutlicht Biden den theoretischen und strategischen Bankrott des kleineren Übels. Er ist überhaupt nicht interessiert daran, sich nach links zu bewegen und da immer mehr Linke die Idee der taktischen Unterstützung verwerfen, entwickelt er sich schlichtweg nur noch nach rechts. Wer auch immer gewählt wird, um diesen kapitalistischen Staat zu verwalten, wird mit der Verschärfung der Krise einige der verheerendsten Sparmaßnahmen seit Generationen ergreifen müssen. Biden gibt nicht einmal vor, dass er dies nicht tun würde. Er verspricht, das System privater Krankenversicherungen fortzuführen, selbst wenn dadurch Hunderttausende am Coronavirus sterben, und nicht einmal die weitgehend symbolischen Reformen des Grünen New Deals zu unterstützen. Wenn er gewählt wird, wird Biden für die Arbeiter:innen mehr von dem bedeuten, was wir schon kennen – jedoch ohne jegliche Opposition auf den Straßen, da ein Großteil der Massen, die gegen Trump protestiert haben, aktuell dazu gebracht wird, Biden zu unterstützen.

„Proud Boys, haltet euch bereit“

Einer der ominösesten Teile der Debatte begann, als Trump von Wallace und Biden aufgefordert wurde, die Milizen der white supremacists zu verurteilen. Trump zögerte, murmelte und sagte schließlich: „Proud Boys, […] haltet euch bereit“ [‚Proud Boys‘ = Stolze Jungs; eine neofaschistische Organisation in den USA, in den USA, Australien, Kanada und Großbritannien, Anm. d. Ü.]. Das wurde von vielen sofort als eine klare Botschaft an die Rechtsextremen verstanden, sich auf gewalttätige Ausschreitungen vorzubereiten, falls es bei Wahlen Trump zufolge nicht mit rechten Dingen zugeht. Dieses Element tauchte allerdings erst später in der Debatte auf, als Trump seine Anhänger:innen tatsächlich dazu aufrief, die Wahlen zu beobachten.

Die Geschichte der Wahlbeobachter:innen dreht sich um Rassismus und die Unterdrückung von Wähler:innen. In den 1920er Jahren schüchterte der Ku-Klux-Klan Schwarze Wähler:innen ein, indem er mit weißen Kapuzen über dem Kopf durch Schwarze Viertel in Oklahoma City zog und Postkarten verteilte, auf denen stand: „Versuch bloß nicht, zu wählen“ und sich an Wahllokalen in ganz Texas versammelte, um „das Wahlverfahren sorgfältig zu beobachten“. Bereits 1871 verabschiedete der Kongress den Second Enforcement Act, besser bekannt als KKK Act, der den Versuch, jemanden durch „Gewalt, Einschüchterung oder Drohung“ an der Stimmabgabe zu hindern, ausdrücklich untersagt. 1964 wurden im Rahmen der Operation Eagle Eye Wahlbeobachter:innen rekrutiert, um Minderheitswähler:innen in Arizona zu befragen und einzuschüchtern. Im Hinblick auf die Wahl im Jahr 2016 planten white supremacists, Tausende von Wahllokalen zu „überwachen“ und in überwiegend Schwarzen Vierteln Alkohol und Marihuana zu verteilen, um die Menschen dazu zu bewegen, zu Hause zu bleiben.

Trump verbrachte die Debatte – wie auch den Großteil der letzten Wochen – damit, sich darauf vorzubereiten, das Wahlergebnis auf jede erdenkliche Art und Weise anzufechten. Gestern Abend hat er vor laufender Kamera erneut verkündet, die Ergebnisse im Fall einer Niederlage nicht zu akzeptieren. Darüber hinaus versucht er, Amy Connet-Barret noch zu seiner Amtszeit in den Supreme Court zu bringen, um die Wahl vor Gericht anfechten zu können. Außerdem hatte er in einer Presseversammlung Zweifel an der Gültigkeit von Briefwahlstimmen geäußert und seine Anhänger:innen gebeten, ihm diese Dinge gleichzutun. Das wird wahrscheinlich zu einer Eskalation der Gewalt von rechtsextremer Seite führen. Wie er es während seiner gesamten Amtszeit als Politiker getan hat, kommandiert Trump white supremacists wie Hundebesitzer:innen es mit ihren Hünd:innen zu pflegen tun.

Es gilt zu verstehen, dass das gesamte System der amerikanischen „Demokratie“ Betrug ist. Es wurde von Sklav:innenbesitzern entworfen, um ihr Recht auf den Besitz von Menschen zu verteidigen und hat zwei der letzten drei Präsidenten ins Weiße Haus gebracht, obwohl sie numerisch gesehen die Wahl verloren hatten. Vom electoral college über die Wähler:innenidentifikationsgesetze bis hin zur Präsidentschaft selbst sind die USA nicht – und sie waren es auch nie – demokratisch.

Der Vormarsch der Rechten und die Angriffe auf demokratische Rechte müssen auf Schritt und Tritt bekämpft werden. Mit einer Stimme für Joe Biden ist das unmöglich, denn dieser steht für Unterdrückung mit einem freundlicheren Auftreten. Biden hat am gestrigen Dienstagabend gezeigt, wer er ist und wofür er steht, und das müssen wir ihm glauben. Er bietet nichts. Die organisierte Macht der Arbeiter:innenklasse hingegen bietet alles, um die Interessen und die Leben der großen Mehrheiten und nicht die einer kleinen Minderheit zu verteidigen.

Da die Westküste brennt, wir wegen der Pandemie mehr als eine Million Tote zu verzeichnen haben und die extreme Rechte voranschreitet, sind radikale Maßnahmen erforderlich, um die Krisen zu stoppen. Sowohl Biden als auch Trump werden die Lebensbedingungen der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten nur verschlechtern. Es muss aufgezeigt werden, dass der Weg des geringeren Übels eine Sackgasse ist. Um die Rechten zu schlagen, muss sich jetzt organisiert werden. Die Präsidentschaftsdebatte hat gezeigt, wie wenig beide Kandidaten zu bieten haben. Trotz ihrer Zankereien und theatralischen Spektakel sind Biden und Trump auf derselben Seite: der des Kapitalismus. Das wird sie immer in Konflikte mit der Arbeiter:innenklasse bringen, und niemand kann von ihnen erwarten, jemals etwas anderes zu tun. Sie bieten nichts und das muss konsequent abgelehnt werden.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Left Voice in Englisch am 30.09.2020.

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