Wirecard: Merkel, Scholz und Altmaier müssen zurücktreten!

31.07.2020, Lesezeit 7 Min.
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Unterzeichnung des Koalitionsvertrages der 19. Wahlperiode des Bundestages

Wirecard ist ein gigantischer Betrugsskandal – und die Bundesregierung steckt mitten drin. Ein unabhängiger Untersuchungsausschuss ist unbedingt nötig, doch das allein reicht nicht: Merkel, Scholz und Altmaier müssen zurücktreten.

Bild: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Der Wirecard-Skandal zieht immer weitere Kreise. Mittlerweile sprechen selbst die konservativsten Blätter der deutschen Bourgeoisie von „jahrelangem systematischem Betrug“. Vor wenigen Tagen wurde der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun zum zweiten Mal verhaftet, nachdem er im Juni <href=“https://www.klassegegenklasse.org/wirecard-hedgefonds-machen-milliardengewinne-waehrend-tausende-beschaeftigte-um-die-zukunft-bangen/“>noch auf Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Zwei weitere Wirecard-Manager wurden ebenfalls verhaftet. Ihnen wird unter anderem gewerbsmäßiger Bandenbetrug und Untreue vorgeworfen.

Seit Wochen kreisen die hauptsächlichen Fragen darum, wie es die Wirecard-Spekulant*innen geschafft haben, jahrelang fast zwei Milliarden Euro in den Bilanzen zu fälschen. Klar ist, dass die Wirtschaftsprüfer und die Finanzaufsicht BaFin – ob fahrlässig oder mutwillig, wird noch herauszufinden sein – trotz vieler Hinweise lange Zeit nicht aktiv wurden. Doch in den vergangenen Wochen wurden auch immer mehr politische Verwicklungen bekannt, eine brisanter als die andere. Was wusste SPD-Finanzminister Olaf Scholz, und wann wusste er es? Was wusste das von Peter Altmaier (CDU) geführte Wirtschaftsministerium? Und was wusste Bundeskanzlerin Angela Merkel (ebenfalls CDU)?
Manche bürgerliche Medien versuchen, die Zustände bei Wirecard vor allem auf Braun und die von ihm geförderte Unternehmenskultur zurückzuführen. Es gebe „Corpsgeist“ und „Treueschwüre“, der ganze Laden sei ein Sumpf, man fragt sich, was Braun für ein Typ sei.

Uns liegt natürlich nichts ferner, als einen schmierigen Spekulanten wie Braun, dessen Gier möglicherweise tausende Wirecard-Beschäftigte am Ende den Job kosten wird, in Schutz zu nehmen. Im Gegenteil: „Es ist gut, dass Markus Braun und der Wirecard-Vorstand nun von vielen Seiten Hass abbekommen. Als schmierige Spekulant*innen haben sie nichts Besseres verdient. Doch es wäre zu kurz gedacht, die Schuld nur bei ihnen zu suchen. Es wäre sogar zu kurz gedacht, nur der Bankenaufsicht die Schuld zu geben, die ihren Kontrollaufgaben – ob absichtlich oder fahrlässig – nicht nachgekommen ist. Das Problem liegt viel tiefer: zum einen in den riesigen Schlupflöchern, die in den ohnehin extrem lockeren Regulierungsgesetzen zum Finanzsektor existieren, und die auch andere Skandale wie die Panama Papers oder Cum-Ex erst möglich gemacht haben; zum Anderen grundsätzlich in einem System, in welchem das Leben der Menschen von den Profitinteressen einiger weniger Kapitalist*innen und Spekulant*innen abhängt.“

Doch manch ein Blatt der Bourgeoisie wie die FAZ möchte die Schuld gern bei Braun und Konsorten belassen, um das System als Ganzes zu retten. So schrieben sie vor einigen Wochen sogar angesichts der Skandale bei Tönnies und Wirecard: „Rettet den Kapitalismus vor den Kapitalisten!“ Darin erscheint ihnen der Kapitalismus wie ein Segen, auch wenn die Kapitalist*innen selbst egoistisch sind. Die FAZ ist zwar bereit anzuerkennen, dass Wirecard „nicht nur ein Versagen gieriger, womöglich krimineller Unternehmer und blauäugiger, womöglich sogar konspirierender Bilanzprüfer [ist, sondern] […] auch ein Versagen des Staates, der seiner Kontrollpflicht gerade nicht nachgekommen ist.“ Aber Obacht: „Das Versagen der staatlichen Regulierung von Kapitalisten ist etwas prinzipiell anderes als das Versagen des Kapitalismus.“

Diese Logik ist an sich schon absurd: Den Kapitalismus vor den Kapitalist*innen retten zu wollen – als wenn der gute Kapitalismus durch die Gier der bösen Kapitalist*innen kaputt gemacht werden würde, während doch gerade in der Corona-Pandemie immer klarer wird, dass die Arbeiter*innenklasse die Gesellschaft am Laufen hält und trotzdem die Profitgier des Kapitals mit ihrem Leben bezahlen soll.

Aber das ist nicht das eigentlich Interessante an diesem durchsichtigen Argument: Die FAZ – und viele andere Medien gleichermaßen – sehen bei Wirecard ein Versagen der staatlichen Kontrollaufgaben. Doch gerade das ist ja nicht der Fall: Finanzministerium, Wirtschaftsministerium und Kanzleramt haben genau das getan, was die Bourgeoisie verlangt: Sie haben die Interessen des Kapitals – in diesem Fall Wirecard – mit Klauen und Zähnen verteidigt. Angela Merkel warb noch letztes Jahr auf einer Reise nach China energisch für Wirecard, obwohl zu diesem Zeitpunkt sogar in der Öffentlichkeit schon über möglichen Betrug bei Wirecard spekuliert wurde. Das Finanzministerium unter Olaf Scholz – wie auch unter seinen Vorgängern Wolfgang Schäuble (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) – hat pflichtbewusst weggeschaut und Untersuchungen verschleppt und schiebt nun den Wirtschaftsprüfern – die unter die Zuständigkeit von Altmaier fallen – die Hauptschuld zu.

Letzteres Manöver ist sogar besonders durchsichtig: Um die Chancen von Olaf Scholz als Kanzlerkandidat nicht vollständig zu verspielen, versucht die SPD, den Wirecard-Skandal auf das CDU-Wirtschaftsministerium abzuwälzen. In einem Interview, das am Donnerstag in der SPD-Zeitung Vorwärts erschien, erklärte SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe mit kaum zu überbietender Dreistigkeit: „Olaf Scholz hat alle Karten auf den Tisch gelegt und klar gesagt, wo es Fehler gab und wie er sich vorstellt, wie ähnliches künftig verhindert werden kann. Für mich sind da keine Fragen offen geblieben. Die Sitzung [des Finanzausschusses des Bundestags] hat gezeigt, dass Wirecard ein Skandal der Wirtschaftsprüfer ist. Deshalb war es auch so wichtig, dass Wirtschaftsminister Peter Altmaier an der Sitzung des Finanzausschusses teilgenommen hat, denn die Wirtschaftsprüfung fällt in seine Zuständigkeit.“

Die wahrscheinlich unzureichenden Gesetze für Wirtschaftsprüfer fallen tatsächlich in die Zuständigkeit von Altmaier. Doch genauso fällt die Finanzaufsicht BaFin in die Zuständigkeit von Scholz. Für Gesetze voller für das Kapital nützlicher Schlupflöcher sind sie gleichsam verantwortlich. Wegschauen im Interesse des kapitalistischen Profits ist gerade ihr Zweck. Erst als es sogar für das Kapital zu dreist wurde, wurden sie aktiv.

Am Mittwoch fand eine Sitzung des Finanzausschusses des Bundestags statt, bei dem Altmaier und Scholz Rede und Antwort stehen mussten. Doch gerade die politischen Verflechtungen wollten und werden sie sicher nicht freiwillig aufklären. Die Opposition im Bundestag fordert deshalb einen Untersuchungsausschuss, der wahrscheinlich kommen wird.

Doch selbst wenn ein Untersuchungsausschuss eingerichtet wird: Einerseits hat der NSU-Komplex zu Genüge gezeigt, dass die Effektivität solcher Ausschüsse trotz aller Informationen, die sie zu Tage fördern können, zweifelhaft ist, andererseits ist es unwahrscheinlich, dass Scholz, Altmaier, Merkel und alle politischen Verantwortlichen für den Wirecard-Skandal zur Rechenschaft gezogen werden. Der VW-Dieselskandal ist dabei eine gute Lehre: Regierung und Kapital im Pakt retten sich gegenseitig vor allzu vielen politischen Konsequenzen. Ein paar Schadensersatzzahlungen, Strafen für einzelne Manager*innen, doch das Geschäftsmodell und die Unterstützung des imperialistischen Regimes für VW bleiben bestehen. VW-Manager*innen fahren weiterhin weltweit mit Wirtschaftsminister und Bundeskanzlerin auf Staatsbesuche, um die Interessen des deutschen Kapitals zu sichern.

Deswegen reicht ein Untersuchungsausschuss nach dem bisherigen Muster nicht aus. Die SPD und CDU sind mit in den Skandal verwickelt. Ihnen und den anderen Parlamentsparteien allein die Aufarbeitung zu überlassen, greift zu kurz. Die Gewerkschaften, die die größte, vom Staat zumindest formell unabhängige Vertretung der Arbeiter*innen in Deutschland sind, sollten die Untersuchung anführen. Schließlich werden als Konsequenz des Betrugs viele Wirecard-Beschäftigte ihren Job verlieren, während die Kapitalist*innenklasse versuchen wird, einzelne Betrüger als die allein Schuldigen darzustellen. Dabei sind es ihr System und ihre Regierung, die solche Fälle möglich machen und immer wieder auch ganz ohne Konsequenzen Arbeiter*innen um ihr Geld oder ihre Jobs bringen. Deshalb müssen Scholz, Altmaier und Merkel ebenfalls für den Wirecard-Skandal zur Verantwortung gezogen werden, zurücktreten und gemeinsam mit Markus Braun und Konsorten wegen bandenmäßigen Betrugs im Gefängnis landen. Denn die Bande, das ist nicht nur Wirecard, sondern auch die Regierung.

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