War die Polizei in Hamburg „überfordert“?

17.07.2017, Lesezeit 6 Min.
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Liberale Medien haben eine Erklärung für die Krawalle in Hamburg gefunden: Die Hamburger Polizei habe ihr Bestes getan, um für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, aber sie sei schlicht vom G20-Gipfel "überfordert" gewesen. Das ist angesichts von 21.000 Einsatzkräften wenig glaubwürdig. Die wirkliche Erklärung findet ihr hier.

Wie konnte es dazu kommen? Gut, die Hamburger Innenstadt wurde nicht wirklich verwüstet – das bestätigen Gewerbetreibende aus der Gegend. Trotzdem waren die Bilder von Freitag Abend in der Schanze schon heftig. In Deutschland kommt es nicht oft vor, dass ein Supermarkt geplündert wird.

„Die Menge war zu groß“, sagt Einsatzleiter Hartmut Dudde als Ausrede. Doch die Polizei war nicht nur mit 21.000 Einsatzkräften vor Ort. Diese hatten Sturmgewehre und Panzer und Hubschrauber – nicht viel weniger als die US-Armee in Mossul.

Und laut der Polizei selbst stand sie 1.000 Radalierer*innen gegenüber, die als Waffen höchstens Molotow-Cocktails oder Zwillen trugen. (Und selbst das darf bezweifelt werden – einige dieser angeblich gefährlichen Gewalttäter*innen mussten mangels Beweisen wieder freigelassen werden.) Schusswaffen hatten sie auf jeden Fall keine.

Also wie konnte die Polizei in der Situation militärisch unterliegen sein? Offensichtlich stimmt irgendwas nicht. Angesichts solcher Widersprüche verstehen manche Liberale die Welt einfach nicht mehr. Thomas Hahn kommentierte in der Süddeutschen:

In der Nacht von Freitag auf Samstag fühlte man sich im Schanzenviertel sogar zeitweise in einen rechtsfreien Raum versetzt. Die Barrikaden brannten, die Plünderungen begannen. Die Polizei war nicht da. Sie reagiert nervös auf vereinzelte Flaschenwürfe, aber ist offensichtlich machtlos wenn ein zerstörerischer Trupp aus Vermummten durch die Stadt zieht. Welche Strategie die Polizei verfolgt, ist nicht zu verstehen.

Der Kleinbürger weiß: Die Polizei schützt das Recht. Und warum konnte die Polizei am Freitagabend trotz ihrer militärischen Ausrüstung nicht das Recht schützen? Das ist, proklamiert der Kleinbürger, schlicht „nicht zu verstehen“.

Aber alles ist zu verstehen. Was ist, wenn die Polizei genauso gehandelt hat, wie es Polizeiführung und Regierung beschlossen haben?

Die Erklärung ist doch einfach. Bereits am Sonntag vor dem Gipfel hatte die Polizei angefangen, gewaltsam Menschen auf den Protestcamps anzugreifen. Leute, die nur ein Zelt aufschlagen wollten, wurden mit Pfefferspray und Schlagstöcken verletzt – und das entgegen einer Entscheidung vom Verfassungsgericht.

Am Donnerstag ging die Polizei weiter und hat eine angemeldete und friedliche Demonstration brutal auseinander getrieben. Der angebliche Anlass waren „ein paar Halstücher“, also Vermummung von einzelnen Demonstrant*innen. Selbst staatliche Medien berichteten, dass die Gewalt an diesem Abend von der Polizei ausging. Die Legenden über die „gewaltbereiten Demonstrant*innen“ bröckelten.

Am Donnerstag Abend muss es deswegen Krisentreffen im Hamburger Senat sowie im Führungsstab der Polizei gegeben haben. Man brauchte dringend Bilder, um zu belegen, was für gefährliche Leute in Hamburg unterwegs waren. Und so wurde der Einsatz am Freitag akribisch geplant.

Bereits am frühen Morgen ging man mit äußerster Gewalt gegen die Blockaden vor. Diese Form des zivilen Ungehorsams, der vor zehn Jahren beim G8-Gipfel in Heiligendamm größtenteils geduldet wurde, sollte mit allen Mitteln verhindert werden. Am Nachmittag bei den Landungsbrücken wurde die Menge wieder auseinander gejagt – und zwar immer wieder in Richtung Schanzenviertel.

An einer warmen Freitagnacht im Sommer waren Zehntausende Menschen in der Schanze unterwegs. Warum war die Polizei an jeder Kreuzung mit schwer bewaffneten Beamt*innen und ihren riesigen Wasserwerfern postiert? Stundenlang hat sie Partygänger*innen geschubst und provoziert.

Die Cops mussten nur warten, bis die Dunkelheit anbrach und der Alkoholpegel stieg. Irgendwann flog eine erste Flasche (und wenn nicht, waren unzählige Zivilbullen im Einsatz, die notfalls solche Anlässe nachreichen konnten). Eskalieren, eskalieren, eskalieren.

Die Polizei und die Regierung wollen so tun, als seien organisierte Gruppen von Autonomen für die Krawalle verantwortlich. Doch ein Reporter von Spiegel Online lieferte ein differenzierteres Bild:

Nach allem, was ich vor Ort gesehen habe, waren am Freitag unterschiedliche Gruppen für die Krawalle verantwortlich, die so heftig waren wie in keiner anderen Nacht. Da waren die Autonomen, klar. Randale haben aber auch andere junge Menschen aus dem Kiez gemacht. Sie wollten Spaß haben, Dampf ablassen. Als sich die Gelegenheit bot, wurden einige von ihnen zu Dieben. Wie konnte es zu diesem Ausbruch von Zerstörungswut und Kriminalität kommen? Waren das wirklich nur Straftaten von Linksradikalen? Oder wurden in Hamburg soziale Probleme sichtbar, die wesentlich tiefer liegen? […]

Je länger die Feuer brannten, desto mehr andere Gruppen gesellten sich dazu. Da gab es die Schaulustigen, die wahrscheinlich zum Feiern in die Schanze gekommen waren. Sie blieben eher passiv und stellten sich für Selfies rund um die Feuer auf. Aber dann waren da auch noch größere Gruppen von jungen Männern, vermutlich aus den umliegenden Vierteln. Sie trugen normale Straßenklamotten und schlossen sich der Randale an.

Als nachts ein richtiger Krawall losging, war die Polizei auf einmal weg. Stundenlang hielt sie sich von der Schanze fern. Warum? Dass die Beamt*innen sich in „Lebensgefahr“ befunden hätten, wie die Polizei behauptet, ist jedenfalls höchst widersprüchlich. Viel näherliegender ist: Es gab eine politische Entscheidung, dass mindestens ein paar Läden wirklich verwüstet werden mussten.

Also nein, die Polizei war nicht überfordert. Am Donnerstag hatte sie eine Art „Notruf“ an deutsche Polizeibehörden geschickt und zusätzliche Einsatzkräfte angefordert – deren Zahl stieg bis Freitag von 16.000 auf 21.000. Und genau in dieser Zeit gab es die krassesten Gewaltbilder. Die Polizei war nicht überfordert – sie tat genau das, was sie tun wollte.

Das mögen manche Kleinbürger*innen nicht verstehen. Aber wir als Marxist*innen verstehen: Die Polizei ist eine bewaffnete Bande zum Schutz der herrschenden Klasse. Sie kümmert sich nicht um „Recht“. Sie tut das, was die Herrschenden brauchen. Und am Freitag brauchten die Herrschenden ein paar Gewaltszenen.

Wenn wir Gewalt verhindern wollen, brauchen wir nicht mehr Polizei. Im Gegenteil, wir müssen diese bewaffneten Banden des Kapitals zerschlagen.

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